Protokoll der Sitzung vom 15.11.2012

Wenn wir uns die Antworten anschauen - es ist schon einiges zu den Details gesagt worden -, dann lässt sich im Wesentlichen zusammenfassen, dass in den Augen der Landesregierung allein die Landkreise und kreisfreien Städte für die Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen verantwortlich sind; diese haben einen gewissen Ermessensspielraum, dessen Nutzung oder Nichtnutzung allein in ihrer Verantwortung liegt. Ansonsten ist das ausschließlich durch die Bundesgesetzgebung bestimmt.

Die Landesregierung spielt in ihren Antworten auf die Große Anfrage im Grunde keine sehr aktive Rolle. Es gibt in den Antworten lediglich zwei Punkte, an denen auf das Handeln der Landesregierung Bezug genommen wird. Zum einen habe das Innenministerium im Jahr 2008 gegenüber den Kommunen die Bitte ausgesprochen, Familien und Alleinreisende mit Kindern in Wohnungen unterzubringen, weil dies Personengruppen seien, für die das Leben in Gemeinschaftsunterkünften mit besonderen Härten verbunden sei.

Diese Einschätzung teile ich ausdrücklich. Ich frage Sie aber, für welche Personengruppe es keine besondere Härte sein soll, über Jahre hinweg auf engstem Raum - pro Person gilt derzeit ein Standard von 5 m² -, in einem Zimmer mit anderen erwachsenen Menschen, ohne Privatsphäre und zwangsweise unselbständig leben zu müssen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Diese Beschreibung trifft im Übrigen auf alle Gemeinschaftsunterkünfte zu. Nicht alle, aber viele sind zudem in baulich marodem Zustand, oftmals auf alten Kasernengeländen gelegen, isoliert vom jeweiligen Ort, vor allem aber isoliert von der Gesellschaft gelegen. Sie sind schlecht angebunden an Kultur und ÖPNV. Es ist schwierig, Ämter und Behörden zu erreichen. Eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist kaum möglich.

In den Augen meiner Fraktion ist das für niemanden zumutbar, geschweige denn menschenwürdig. Aber darum und auch um die in der Antwort auf Frage 9 dargestellte Rechtsauffassung der Landesregierung wird es unter einem anderen Tagesordnungspunkt, dem Tagesordnungspunkt 7, gleich noch gehen. Deswegen spare ich das an dieser Stelle aus.

Der zweite Punkt, an dem die Landesregierung ihrer Antwort zufolge zumindest angedeutet eine Rolle spielt, ist die Antwort auf Frage 26. Dort heißt es - ich zitiere -:

„Die Landkreise und kreisfreien Städte sind daher nicht nur für die Schaffung von geeigneten Unterkünften, sondern auch für die regelmäßige Überwachung des ordnungsgemäßen Zustands der Gemeinschaftsunterkünfte in ihrer Trägerschaft verantwortlich. Die Kontrolle der Einhaltung dieser kommunalen Pflichten obliegt dem Landesverwaltungsamt im Rahmen der Fachaufsicht. Eine fortlaufende Evaluation findet nicht statt.“

Das, meine Damen und Herren, ist mir - jenseits aller unterschiedlichen politischen Auffassungen zur Unterbringung Asylsuchender, die wir hier im Hohen Hause vertreten mögen - nicht verständlich.

Wie wird denn eine Fachaufsicht ausgeübt, wenn es keine fortlaufende Evaluation gibt? Warum wird der Gestaltungsspielraum, den das Land hat, nicht genutzt? Es gibt das Landesaufnahmegesetz. Es gibt die Möglichkeit - der Minister ist doch gerade dabei -, Standards per Erlass zu definieren. Es gibt den Heim-TÜV in Sachsen. Warum wird die Wirkungsmächtigkeit der Landesregierung von ihr selbst derart kleingeredet?

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Ich habe das Gefühl, hierbei soll politische Verantwortung allein auf die Kommunen abgewälzt werden, um von der eigenen abzulenken. Um nicht missverstanden zu werden: Wenn es in einer Kommune ein Problem mit einer Gemeinschaftsunterbringung gibt - diese gibt es zuhauf -, dann ist selbstverständlich der Betreiber in der Pflicht und dann ist selbstverständlich die Kommune, der Landkreis oder die Stadt, in der Pflicht, sich darum zu kümmern. Tun sie das nicht, sind sie dafür zu kritisieren.

Wenn es aber so sein soll, dass die Kommunen die alleinige politische Verantwortung haben und dass die Landesregierung nicht die Notwendigkeit quantitativer und qualitativer Vorgaben sieht, weil die Kommunen ihrer Verantwortung schließlich so gut nachkommen, dann frage ich Sie:

Warum gibt es in allen Kommunen außer in Dessau und Halle Menschen, die länger als fünf Jahre in den Gemeinschaftsunterkünften leben? Warum leben trotz der Bitte des Innenministeriums in allen Gemeinschaftsunterkünften außer im Harz Familien mit Kindern? In einigen Landkreisen ist hierbei im Übrigen sogar eine steigende Tendenz zu verzeichnen: Beispielsweise lebten in Stendal im Jahr 2008 19 Familien in der GU, im Jahr 2011 waren es 32.

Ich frage Sie: Was bedeutet in diesem Zusammenhang eigentlich eine Bitte des Innenministeriums, wenn ihr nicht oder nur ungenügend nachgekommen wird und dies offenbar folgenlos bleibt?

Und ich frage Sie: Warum müssen wir dann immer wieder von katastrophalen Zuständen in Gemeinschaftsunterkünften, insbesondere in Bezug auf die hygienischen und sanitären Bedingungen, hören und lesen, wie in Harbke, Burg oder auch Friedersdorf und zuletzt Bernburg?

Offenkundig ist eine Fachaufsicht ohne eine fortlaufende Evaluation nicht seriös zu führen. Hier ist ganz klar das Landesverwaltungsamt und mit ihm die Landesregierung in der Pflicht, dies endlich zu ändern. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Danke sehr, Frau Quade. - Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kolze. Doch zuvor können wir Schülerinnen und Schüler des Herder-Gymnasiums Halle bei uns begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Kolze, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geht für dieses Jahr von bundesweit mehr als 48 000 Asylanträgen aus. Insbesondere die Zahl der Asylbewerber aus Serbien und Mazedonien sowie aus Bosnien-Herzegowina hat deutlich zugenommen. Im Vergleich zum August dieses Jahres haben sich die Asylanträge aus diesen Ländern etwa vervierfacht. Wohlgemerkt, die Anerkennungsquote für Menschen aus diesen Ländern ist gering.

Deutschland nimmt bei der Aufnahme von schutzbedürftigen Personen aus Zufluchtstaaten einen

Spitzenplatz ein. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen bestätigt, dass wir in Deutschland im Jahr 2010 weltweit die drittgrößte Zahl an Asylbewerbern aufgenommen haben. Bei der dauerhaften Neuansiedlung besonders verletzlicher Flüchtlinge in einem zur Aufnahme bereiten Drittstaat belegt Deutschland in Europa sogar den ersten Rang.

Auch das gehört zur Wahrheit: Die ansteigenden Asylbewerberzahlen sind auch eine logische Konsequenz der im internationalen Vergleich hohen Sozialleistungen und zum Teil auch auf Visafreiheiten zurückzuführen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kommen wir nunmehr auf unser Bundesland Sachsen-Anhalt zu sprechen. Die Asylbegehrenden werden auf die Bundesländer nach einer Aufnahmequote verteilt, die sich nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel richtet. Für dieses Jahr beträgt die Quote für unser Land knapp 3 %. Wir können somit in diesem Jahr von 1 400 Asylanträgen ausgehen.

Für die Aufnahme und Unterbringung von nicht dauerhaft aufenthaltsberechtigten Ausländern sind die Landkreise und kreisfreien Städte im übertragenen Wirkungskreis zuständig. Es besteht eine absolute Einigkeit in diesem Hohen Hause, dass eine Unterbringung von Asylsuchenden und geduldeten ehemaligen Asylbewerbern, deren Antrag rechtskräftig abgelehnt worden ist, einem Standard entsprechen muss, der die Würde des einzelnen Menschen achtet.

(Beifall bei der CDU)

Die Unterkunft muss sowohl dem Gedanken der Humanität und der sozialen Fürsorge als auch den ordnungspolitischen und öffentlichen Interessen gerecht werden.

Das Land Sachsen-Anhalt und die Kommunen sind hinsichtlich der Form der Unterbringung an bundesrechtliche Vorgaben gebunden. Die Unterbringung von Asylbewerbern und Geduldeten wird in der Bundesrepublik durch das Asylverfahrensgesetz geregelt.

Ich sage Folgendes nur zum Verständnis: Die Geduldeten sind diejenigen, die eigentlich ausreisepflichtig sind, aber aus verschiedensten Gründen nicht abgeschoben werden dürfen. Die Hälfte dieser Personengruppe darf bleiben, weil sie ihre wahre Identität verschweigt und nach den europäischen Menschenrechtsregeln nicht abgeschoben werden darf.

Nach dem Asylverfahrensgesetz sollen Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben und nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Wir haben eine bundesgesetzliche Vorgabe, die eine ge

nerelle Wohnungsunterbringung von Asylbewerbern ausschließt. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es auch, dass flexibel auf schwankende Asylbewerberzahlen reagiert werden kann.

Ein Beispiel ist die Gemeinde Butzbach im Wetteraukreis in Hessen. Man steht dort vor dem schwerwiegenden Problem, dass man den Flüchtlingsstrom weder dezentral noch zentral unterbringen kann. Es stehen ad hoc keine freien Wohnungen zur Verfügung. Gemeinschaftsunterkünfte sind dort schon immer knapp. Der Landkreis Wetterau plant nunmehr, die Menschen trotz des großen Bürgerprotestes in einer Sporthalle in Butzbach unterzubringen. Menschenwürdige Unterkünfte sehen natürlich anders aus. Darin sind wir uns einig.

Dieses Negativbeispiel verdeutlicht uns aber auch die Notwendigkeit, dass ankommende Asylbewerber zunächst zentral gesteuert aufgenommen und nicht hin- und hergeschickt werden. Die Aufnahmekapazität unserer Asylbewerberheime sieht auch immer eine gewisse Schwankungsreserve vor. Diesbezüglich ist Sachsen-Anhalt, meine Damen und Herren, vorbildlich.

Meine Damen und Herren! Ich bin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für diese Große Anfrage außerordentlich dankbar. Durch die öffentliche Diskussion in den letzten Wochen ist nämlich ein Zerrbild entstanden. Es ist tatsächlich so, dass bereits mehr als die Hälfte der in Sachsen-Anhalt lebenden Asylsuchenden dezentral in Wohnungen untergebracht ist. Das Ministerium des Innern hat bereits in der letzten Wahlperiode die Landkreise und kreisfreien Städte gebeten, Familien und Alleinstehende mit Kindern nach Möglichkeit in Wohnungen unterzubringen.

Es besteht ein breiter Konsens in diesem Hohen Hause dahin gehend, dass Menschen, für deren Unterbringung Gemeinschaftsunterkünfte eine besondere Härte darstellen, einer Wohnungsunterbringung zuzuführen sind. Damit werden letztlich auch die besonderen Belange von Asylsuchenden berücksichtigt. Demzufolge war auch die Unterbringung von nicht dauerhaft aufenthaltsberechtigten Ausländern in Gemeinschaftsunterkünften in den Jahren 2006 bis 2010 rückläufig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der bauliche Zustand der Gemeinschaftsunterkünfte im Land ist teilweise sehr unterschiedlich. Wir haben im Land auch richtig gut sanierte Unterkünfte, die einen Wohnhauscharakter haben. Wir dürfen nach außen hin nicht das Bild vermitteln, dass wir die Menschen in unserem Land in alten, maroden NVA-Kasernen unterbringen.

Die für die Sanierung bestehender oder ehemaliger Unterkünfte aufgewendeten Finanzmittel werden durch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht abgefragt. Die Beantwortung dieser Frage

dürfte wegen der bestehenden Betreiberverträge auch nicht einfach sein.

Dass die Gemeinschaftsunterkünfte in den Landkreisen zum Teil sehr unterschiedlich ausgestattet und modernisiert sind, ist ein bundesweites Phänomen. Bauliche oder hygienische Mängel, egal durch wen verschuldet, sind nicht hinnehmbar. Hier sind die Landkreises und die Betreiber der Wohnheime in der Pflicht. In den noch 16 betriebenen Gemeinschaftsunterkünften im Land leben 2 198 Menschen.

Angefangen beim Heimleiter über den Hausmeister, die Reinigungskräfte, die Haustechniker, die Sicherheitskräfte bis hin zu den Sozialarbeitern - in den Gemeinschaftsunterkünften im Land werden viele Mitarbeiter beschäftigt, die eine schwierige und wichtige Arbeit leisten. Dies gilt insbesondere für das Betreuungspersonal und die Sozialarbeiter.

Die Asylsuchenden kommen aus vielen verschiedenen Kulturkreisen und sind oft traumatisiert. Über die Auskömmlichkeit der Personalbesetzung in den Gemeinschaftsunterkünften lässt es sich im Plenum schwer beraten. Hierfür gibt es auch kein allgemeingültiges Pauschalschema, da die örtlichen Gegebenheiten, die Größe der Objekte und die Zugangszahlen überall im Land unterschiedlich sind.

Über fehlendes Personal wird sich jedoch - das ist auch nicht neu - überall beklagt. Wir brauchen eine Personalausstattung, die gewährleistet, dass negativen Entwicklungen vorgebeugt wird. Wir brauchen in den Heimen Personal, das bei Konflikten vor Ort nicht so lange die Tür verschließt, bis alles ruhig ist. Nicht richtig ist es, wenn nachts niemand da ist.

Eine erzwungene Untätigkeit führt zu einer schleichenden Lähmung der Initiative. Es bedarf sinnvoller Beschäftigungsmöglichkeiten, die zugegebenermaßen vor Ort sehr unterschiedlich und nicht immer gut sind.

Wir brauchen auch eine Betreuung, um Straftaten in den Unterkünften vorzubeugen. In den Heimen kommt leider Gewalt vor. Alkoholmissbrauch und Drogenkonsum ist bei einigen alleinstehenden Männern auch ein Problem. Auch das gehört zur Wahrheit: Die hohe Frustration führt auch immer wieder zur Zerstörung von Einrichtungen und Mitteln, die dann von den Heimbetreibern ersetzt werden müssen.

Wir kommen zur finanziellen Seite. Zur Aufnahme und Unterbringung gehört auch die die Gewährung von Leistungen nach den maßgeblichen Leistungsgesetzen sowie eine angemessene Beratung und Betreuung. Der Ausgleich der Kosten gegenüber den Landkreisen und kreisfreien Städten für die zugewiesenen Personen erfolgt seit Juli 2010 wieder im Rahmen des Finanzausgleichs. Die Lan

desregierung hat auch hier ein sehr transparentes und vollumfängliches Bild gezeichnet.

Ich will an dieser Stelle auch sagen, dass anhand der Tagessätze, die von den Landkreisen und kreisfreien Städten an die Betreiber der Gemeinschaftsunterkünfte entrichtet werden, besser keine voreiligen Rückschlüsse hinsichtlich der Qualität der Unterbringung oder gar hinsichtlich der Menschenwürdigkeit der Unterbringung gezogen werden sollten. Der Tagessatz einer Gemeinschaftsunterkunft errechnet sich regelmäßig aus den kalkulierten monatlichen Gesamtkosten des Unterkunftsbetriebes. Die vielen Einzelpositionen, wie etwa Miete, Erwerbskosten und laufende Verbrauchskosten, sind von den örtlichen Gegebenheiten abhängig.

Es besteht das Gebot, dass die Unterbringung menschenwürdig und ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen zu gestalten ist. Dieses Gebot haben die für die Aufnahme und Unterbringung zuständigen Kommunen zu beachten. Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben sind in den Betreiberverträgen zu konkretisieren und umzusetzen.

Ich möchte auch ganz deutlich sagen, dass die Landkreise und kreisfreien Städte auch für die regelmäßige Überwachung des ordnungsgemäßen Zustands der Gemeinschaftsunterkünfte in ihrer Trägerschaft verantwortlich sind. Die kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten und der Landesintegrationsbeauftragte nehmen eine Ombudsfunktion wahr. Ein Heim-TÜV - der Kollege Herbst sprach es vorhin an - hat vor Ort zu erfolgen.