Protokoll der Sitzung vom 16.11.2012

Gesetzentwurf Landesregierung - Drs. 6/1578

Einbringerin ist Frau Ministerin Professor Dr. Kolb. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Hinter der etwas sperrigen Bezeichnung dieses Gesetzes verbirgt sich gesetzestechnisch eine sehr starke Entwicklung der Sozialgerichtsbarkeit seit Anfang der 90er-Jahre.

Ich will Ihnen das anhand konkreter Zahlen verdeutlichen. Wir hatten im Jahr 1992 exakt 17 Sozialrichterinnen und Sozialrichter in Sachsen-Anhalt. Heute sind es 105.

Wir müssen im Hinblick auf die gewachsene Größe unserer Sozialgerichte darüber nachdenken, ob die Strukturen noch geeignet sind, dem hohen Arbeitsanfall, der gerade bei den Sozialgerichten festzustellen ist, effizient gerecht zu werden.

Deshalb schlagen wir mit dem Gesetzentwurf vor, die beiden großen Sozialgerichte in Halle und Magdeburg in Zukunft als Präsidialgerichte auszugestalten.

(Unruhe)

Frau Ministerin, darf ich Sie einmal unterbrechen? - Ich möchte Ihnen nämlich zu etwas mehr Zuhörerschaft verhelfen.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Vielen Dank. - Das bedeutet, dass die Personalverantwortung direkt vor Ort liegt und der zukünfti

ge Präsident die Verantwortung für die Richterinnen und Richter hat, die an seinem Gericht tätig sind. Bisher nimmt das in Sachsen-Anhalt zentral der Präsident des Landessozialgerichts für alle Richterinnen und Richter der Sozialgerichtsbarkeit wahr.

Wir haben im Doppelhaushalt im Rahmen des Stellenplans bereits Vorsorge getroffen und haben die dafür notwendigen Stellen ausgewiesen. Das bedeutet, dass mit der Ausgestaltung als Präsidialgericht auch eine gewisse Erhöhung der Ausstattung für die Präsidenten bzw. Vizepräsidenten der Sozialgerichte einhergeht.

Wir haben uns bewusst dafür entschieden, nur die beiden großen Gerichte als Präsidialgerichte auszugestalten, weil das Sozialgericht in Dessau eine Größe hat, die das noch nicht rechtfertigt. Hier kann also nach wie vor vom Präsidenten der Sozialgerichtsbarkeit die Verantwortung wahrgenommen werden.

Die Ausgestaltung als Präsidialgerichte hat einen weiteren Vorteil, und zwar insoweit, als wir hier für Richterinnen und Richter Möglichkeiten schaffen, sich selbst aktiver in die Gestaltung der Verfahrensabläufe und Geschäftsprozesse des Gerichts einzubringen.

Wir schlagen gleichzeitig eine Änderung des Landesrichtergesetzes vor, sodass an den dann zu schaffenden Präsidialgerichten Richterräte einzurichten sind. Bisher gibt es nur einen einheitlichen Landesrichterrat beim Landessozialgericht.

In Zukunft soll bei den Präsidialgerichten vor Ort ein Richterrat eingerichtet werden, damit sich die Kolleginnen und Kollegen vor Ort in die Dinge, die ihre Belange unmittelbar berühren, einbringen können. Konsequent ist es dann auch, einen Gesamtrichterrat einzurichten, wie das in anderen Gerichtsbarkeiten im Sinne einer Stufenvertretung der Fall ist.

Wir können die Details der Umsetzung dieses Gesetzentwurfs gern im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung und wegen der finanziellen Ausstattung der Stellen auch im Finanzausschuss diskutieren. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke sehr, Frau Ministerin. - Wir treten nun in eine Dreiminutendebatte ein. Als erste Debattenrednerin spricht die Abgeordnete Frau von Angern für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! In Vorbereitung der heutigen ersten Lesung zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Landesrichtergesetzes habe ich noch ein

mal in das entsprechende Protokoll der EnqueteKommission der fünften Wahlperiode aus dem Jahr 2008 gesehen. Das ist öffentlich, das heißt, ich kann hier zitieren. Dort wurde gesagt:

„Von der Grundtendenz her sind abnehmende Verfahrenseingänge bzw. Verfahrenszahlen festzustellen, mit Ausnahme der Sozialgerichtsbarkeit, wo seit dem Inkrafttreten der Hartz-IV-Gesetze ein nahezu explosionsartiger Verfahrensanstieg zu verzeichnen ist.“

Zusammenfassend hieß es:

„… sodass sich die ursprüngliche Annahme, dass analog zum Bevölkerungsrückgang auch die Ressourcen in der Justiz zurückgehen …, nicht bewahrheitet hat.“

Mit Annahmen und Prognosen ist das immer so eine Sache. Meist kommt das Leben dazwischen, und dann muss man wieder neu planen. In der Sozialgerichtsbarkeit ist in den letzten Jahren bereits Vorsorge getroffen worden.

Ich denke, wir werden gemeinsam darauf schauen, wie es weiter vorangeht, ob das eintritt, was momentan angenommen wird - dass es dort eine stagnierend hohe Zahl von Fällen gibt -, oder ob es sich noch einmal verändert.

Wir werden der Überweisung des Gesetzentwurfs zustimmen. Hier gibt es keinen zeitlichen Druck wie bei dem Gesetzentwurf unter dem nächsten Tagesordnungspunkt. Deshalb schlage ich vor, dass wir im Ausschuss eine Anhörung durchführen.

Ich habe mich an Folgendes erinnert: Als wir in der letzten Wahlperiode das Landesrichtergesetz bearbeitet haben, hatten wir eine sehr eingängige Anhörung, bei der insbesondere der Vertreter des Verbandes der Verwaltungsrichterinnern und Verwaltungsrichter eine sehr deutliche, kritische Haltung - auch so für Richter nicht ganz üblich im Landtag - gezeigt hat, insbesondere zu dem Kernproblem, nämlich dem Dualismus der Mitwirkungsorgane.

Nun ist das nur ein Teil dessen, was mit dem Richtergesetz jetzt angegangen wird, aber es ist natürlich eine Fortschreibung der Entscheidung aus der fünften Wahlperiode. Ich denke, dies sollten wir unbedingt aufgreifen.

Der Vertreter des Richterbunds, der damals diese Auffassung mitgeteilt hat, hat ebenfalls gesagt, dass er sich nicht mit dem zufriedengeben wolle, was die Landesregierung damals gesagt hat denn man sei an das Bundesrecht gebunden, und hat das auch sehr gut begründet.

Herr Engels hat damals deutlich gemacht, dass der Dualismus in den Gerichten dazu führt, dass, wenn man das auf das Personalvertretungsrecht übertrüge, der jeweilige Dienststellenleiter oder die

Ministerin oder der Minister eines Geschäftsbereichs Vorsitzender des Personalrates bzw. des Hauptpersonalrates wäre. Das möge man sich ausmalen. Spaß macht das sicherlich nicht und es hat Auswirkungen auf Personalentscheidungen.

Ich finde, wir sollten die Chance mit diesem Gesetzentwurf nutzen, dieses Problem noch einmal aufzugreifen und zu diskutieren. Ein wenig mehr Zeit haben wir. Wir werden es mit diesem Gesetz nicht mehr geregelt bekommen; das ist mir durchaus klar. Das würde gegen das Zweilesungsprinzip verstoßen. Aber wir haben diesbezüglich noch eine gemeinsame offene Aufgabe gegenüber den Richterinnen und Richtern dieses Landes. Deswegen müssen wir damit loslegen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Borgwardt.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fange einmal mit dem Letzten an: Sehr geehrte Frau von Angern, wir greifen das gern auf. Auch wir wollen den Vertretern der Richterschaft ausgiebig Gehör verschaffen. Das werden wir auch tun; dazu hatten wir uns schon einmal - wie Sie zu Recht sagen - in der vorhergehenden Zeit verständigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nicht alles wiederholen, was meine Vorredner gesagt haben. Aber für die, die nicht ständig damit umzugehen haben oder dürfen und müssen, will ich noch einmal in Erinnerung bringen, um was sich ein Sozialgericht alles kümmert.

Dabei geht es um Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Krankenversicherung, der Unfallversicherung, des Arbeitslosenrechts, des Schwerbehindertenrechts, der sozialen Entschädigung, des Vertragsarztrechts, der Sozialhilfe und - Frau von Angern hat das leicht angedeutet - um die sprunghafte Zunahme an Klagen insbesondere bei der Grundsicherung für Arbeitslose.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Früher - damit meine ich das Jahr 1954 - war die Streitschlichtung in sozialversicherungsrechtlichen Fragen eine Aufgabe, die im Wesentlichen in der Verwaltung selbst stattfand.

Die Sozialgerichtsbarkeit ist mittlerweile der zweitgrößte Gerichtszweig unseres Landes. Es wurde schon darauf eingegangen, dass sich die Zahl der Richter von ehemals 17 auf 105 erhöht hat. Dieser erhebliche personelle Aufwuchs bedingt einen größeren Verwaltungsaufwand bei den Sozialgerichten; darauf gingen meine Vorredner ebenfalls ein.

Wir begrüßen auch, dass die beiden Sozialgerichte in Halle und Magdeburg in Präsidialgerichte umgewandelt werden. Der Hinweis auf die insgesamt 17 Richter des Sozialgerichts Dessau - - Dass dieses weiterhin ein Direktorengericht bleibt, ist für uns nachvollziehbar.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass infolge der Einrichtung der neuen Präsidialgerichte in Halle und Magdeburg dort eigene Richterräte gebildet werden müssen und ein Gesamtrichterrat gebildet werden muss. Dafür - ausdrücklich dafür - brauchen wir eine Änderung im neuen Landesrichtergesetz.

Meine Damen und Herren! Ich will es nicht viel länger machen. Wir werden darüber wahrscheinlich Mitte Januar beraten. Wir haben jetzt per Abstimmung einen neuen Termin gefunden, wahrscheinlich den 25. Ich weiß noch nicht, Frau von Angern, ob Herr Wunschinski schon mit Ihnen gesprochen hat. Wir wollen das etwas vorziehen. Dann können wir die Anhörung machen.

Das andere - ich erinnere an das, was Frau Dr. Paschke gesagt hat, und die anderen Dinge, die wir im Ältestenrat besprochen haben, was das Nachstehende betrifft, was eine gewisse Eilbedürftigkeit hat - werden wir in diesem Jahr auch nicht mehr realisieren können. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke sehr, Herr Borgwardt. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vorliegenden Gesetzesänderungen sind leider notwendig, um die Arbeitsfähigkeit der Sozialgerichte in unserem Land aufrechtzuerhalten und um den Bürgerinnen und Bürgern vor den Sozialgerichten weiterhin effektiven Rechtsschutz gewähren zu können.

Der überwiegende Teil der vor den Sozialgerichten anhängigen Verfahren betrifft Klagen im Zusammenhang mit Grundsicherungsleistungen für erwerbsfähige Leistungsberechtigte nach SGB II. Gegenstand der Klagen - um nur einige zu nennen - sind Bedarfsberechnungen, die Höhe der Regelleistungen, Wohnkosten, Mehrbedarfe für Leistungen, für Bildung und Teilhabe.

Hierzu werden in Sachsen-Anhalt jährlich mehrere Tausend Klagen erhoben. Die Erfolgsquote dieser Klagen gegen Leistungsbescheide der Arbeitsagenturen und Jobcenter liegt bei knapp 50 %. Allein das zeigt bereits die Notwendigkeit einer entsprechenden personellen und strukturellen Ausstattung der Sozialgerichte.

Wir könnten jetzt zwar lebhaft darüber streiten, weshalb und warum es seit vielen Jahren einen derart immensen Anstieg der Geschäftszahlen bei den Sozialgerichten gibt, jedoch denke ich, dass das an dieser Stelle etwas zu weit führen würde.

Angemerkt sei jedoch, dass den Klagen in der Regel ein Widerspruchsverfahren vorausgegangen ist. Sinn und Zweck eines Widerspruchsverfahrens ist es, dass die Verwaltungen - in dem Fall die Arbeitsagenturen bzw. die Jobcenter - ihre Entscheidungen nochmals überprüfen können und eine Entlastung der Gerichte erreicht werden kann. Offensichtlich wird der Zweck des Widerspruchsverfahrens unzulänglich erfüllt. Anderenfalls wären die hohen Erfolgsquoten nicht zu erklären.