Protokoll der Sitzung vom 16.11.2012

Nur echte, nur gelebte Demokratie kann wirksam helfen, Ressentiments und antidemokratische Einstellungen zu bekämpfen. Darauf verweisen auch die Autoren der Studie.

(Herr Schröder, CDU: Das eine schließt das andere nicht aus!)

Ich habe Zweifel, Herr Minister - jetzt sind Sie leider nicht mehr im Raum -, ob der Beirat des Landesprogramms oder der Kulturkonvent da als BestPractice-Beispiele taugen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Wir brauchen mehr echte Beteiligung, wir brauchen mehr Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger, nicht nur alle fünf Jahre ihre Stimme abzugeben, sondern zwischen diesen Zeiten aktiv zu werden. Wir brauchen dafür auch institutionelle Grundlagen.

Wenn Demokratie im Klassenzimmer nur gelehrt, aber nicht erlebt wird, muss Demokratieerziehung scheitern; denn Teilhabe kann nicht theoretisch, sondern nur praktisch passieren. Leider haben wir am gestrigen Tag erlebt, dass echte demokratische Beteiligung an Schulen von Ihnen, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, nicht gewollt ist.

(Frau Feußner, CDU: Quatsch! - Herr Scheu- rell, CDU: Das ist doch Blödsinn!)

Decker, Brähler, Heitmeyer und andere verweisen zudem auf eine notwendige Resolidarisierung unserer Gesellschaft.

(Zuruf: Das ist Ihre Auffassung an der Stel- le!)

Wer Menschen ökonomisch an den Rand drängt, wer die soziale Marktwirtschaft aufkündigt und einen Manchesterkapitalismus etabliert,

(Oh! bei der CDU - Zurufe von der CDU: Wo denn überhaupt? - Wo denn? - So ein Quatsch!)

wer jede und jeden zum Einzelkämpfer macht, der legt die Grundlage für vielfache gesellschaft

liche Gräben und für ökonomischen Abstieg von vielen.

(Herr Kolze, CDU: Wir kriegen ja richtig Angst!)

Das, meine Damen und Herren, ist der Nährboden für Ressentiments.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Meine Damen und Herren! Es gilt, diesen Nährboden durch ein solidarisches Miteinander, durch gelebte Demokratie so weit wie möglich abzutragen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Herr Kollege, es gibt zwei Fragesteller. Herr Gallert würde Sie gern etwas fragen und auch Herr Hövelmann.

Sie beantworten die Fragen gern. - Dann hat Herr Gallert jetzt das Wort.

Herr Striegel, es überrascht überhaupt nicht, dass Sie neben vielen Dingen, bei denen wir vollständig übereinstimmen, nun noch einmal eine UrsacheWirkungs-Analyse von den antidemokratischen Realitäten in der DDR hin zu den antidemokratischen Einstellungen in diesem Land im Jahr 2012 machen.

Wir müssen aber zumindest einmal eines konstatieren - ich gehe davon aus, dass wir beide die Studie vollständig gelesen haben -: Nach der Studie gibt es diesen Zusammenhang bzw. diese Ursache-Wirkungs-Analyse überhaupt nicht. Nein, die Autoren bestreiten sie sogar ausdrücklich.

Wir müssen zumindest einmal zur Kenntnis nehmen, Herr Striegel, dass offensichtlich der zweifellos antidemokratisch, undemokratisch verordnete Antifaschismus in ein paar Bereichen tatsächlich auch auf der Einstellungsebene - zum Beispiel Antisemitismus - lange Zeit dafür gesorgt hat, dass diese Dinge im Osten Deutschland geringer dagewesen sind als im Westen.

Wir sollten sozusagen jetzt auf der anderen Seite nicht versuchen, die Realitäten immer in unser Weltbild hineinzupressen, bis sie passen. Dafür gibt es in der Studie keinen empirischen Beleg. Deswegen kann man die These immer noch vertreten. Man muss dann fairerweise auch sagen:

Die Studie kommt genau zu dem gegenteiligen Schluss.

(Zurufe von der CDU)

Sehr geehrter Herr Kollege Gallert, in der Tat ist es so - ich habe versucht, am Anfang darauf zu verweisen -, dass ich diese Studie für einen Aspekt, für einen Puzzlestein in der Einstellungsforschung halte, weil ich glaube, eine Studie allein kann nicht alles erklären, sondern gibt Hinweise.

Wenn man sich aber die Einstellungsforschung und die Forschung zur demokratischen Kultur und zur politischen Kultur - ich nenne nur als Stichwort Autoren wie Almond und Verba - anschaut, dann wird man feststellen, dass sich politische Kultur tatsächlich nicht nur kurzfristig, sondern langfristig etabliert und dass insbesondere auch repressive politische Systeme lange Nachwirkungszeiten haben.

Dann wird man argumentieren können - zugegebenermaßen nicht mit der Studie von Decker und Brähler, aber mit vielen anderen Studien -, dass selbstverständlich auch die Nachwirkung der politischen Kultur der DDR einen Einfluss auf das heutige Geschehen hier in diesem Land hat. Ich glaube, es ist richtig, auch darauf und auf eine noch sehr junge demokratische Praxis in diesem Landstrich zu verweisen.

Es ist auch wichtig, darauf zu verweisen, dass es ein Erlebnis, wie es die Bundesrepublik in den Jahren um 1968 mit einer Selbstermächtigung breiter Bevölkerungsschichten gehabt hat, für diese Region nicht gegeben hat. Ich glaube, wir tun gut daran, auch festzustellen, wie solche Formen fortleben.

Zu der Frage Antisemitismus und DDR. Mit Blick auf diese Studie kann man es so formulieren, wie Sie es gerade gesagt haben. Aber wer sich den Antisemitismus der Linken anguckt - ich meine nicht die Partei DIE LINKE, sondern die politische Linke -,

(Zurufe von der CDU)

der wird zugeben müssen, dass in diesem Bereich tatsächlich noch viel Aufarbeitungsbedarf besteht

(Unruhe bei der LINKEN und bei der CDU)

und dass wir nicht so argumentieren sollten, als gäbe es dort nichts mehr zu tun.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Jetzt stellt bitte der Kollege Herr Hövelmann seine Frage und anschließend Herr Dr. Thiel, falls Sie diese auch beantworten möchten.

Aber gern.

Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident! Herr Striegel, Sie haben in Ihrem Redebeitrag dem Ministerpräsidenten unterstellt, er hätte sich in dem Sinne geäußert, dass ein NPD-Verbot die einzige Möglichkeit sei, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen. Woher nehmen Sie diese Erkenntnis? Wie kommen Sie zu dieser Aussage?

Der zweite Teil meiner Frage: Sind Sie bereit anzuerkennen, dass das Land Sachsen-Anhalt, der Landtag und die Landesregierung gemeinsam, engagiert darüber nachdenkt und Entscheidungen dazu trifft, wie wir gemeinsam den Rechtsextremismus in diesem Land bekämpfen können?

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Ich lege Wert darauf, Herr Kollege Hövelmann, klarzustellen, dass ich nicht gesagt habe, dass der Ministerpräsident es als einzige Maßnahme bezeichnet hat. Aber es ist mir schon wichtig zu sagen, dass ich nach Abwägung aller mir zur Verfügung stehenden Informationen glaube, dass ein NPD-Verbot uns im Kampf gegen den Rechtsextremismus tatsächlich nicht weiterhilft, sondern letztlich auf eine symbolpolitische Handlung hinausläuft. Ich bin mit dieser Position in meiner Partei und auch in meiner Fraktion sozusagen - -

(Herr Borgwardt, CDU: Sehr isoliert!)

- Von isoliert ist nicht die Rede. - Ich bin sozusagen nicht in einer Situation, von der ich sagen kann, es gebe diesbezüglich Einmütigkeit. Aber es ist, glaube ich, notwendig und es wird von jedem Abgeordneten sogar gefordert, gerade solche Fragen mit einer intensiven Gewissensprüfung anzugehen. Ich bin am Ende zu dem Schluss gekommen, dass uns ein NPD-Verbot bei der Auseinandersetzung mit Neonazis nicht weiterbringt. Zu dieser Position stehe ich.

Zu der Frage, ob sich der Landtag Gedanken macht: Ja, der Landtag macht sich Gedanken. Aber wir müssen dabei, glaube ich, konsequenter werden und wir müssen gerade mit Blick auf das Landesprogramm zu noch konkreteren Vorstellungen kommen. Wir müssen uns endlich auch dazu bekennen, dass wir diese Arbeit gegen Rechtsextremismus langfristig und deutlich stärker auch finanziell untersetzen. Das, was wir bei den letzten

Haushaltsverhandlungen erlebt haben, kann nicht der richtige Weg sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank für die Fragen und die Antwort. - Nunmehr stellt der Kollege Herr Dr. Thiel seine Frage.

Herr Präsident, ich habe keine Frage, sondern einfach die Bitte, dass Sie als Präsident dafür Sorge tragen, dass der für dieses Thema zuständige Fachminister an der Diskussion weiterhin teilnimmt.