Protokoll der Sitzung vom 14.12.2012

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Erste Beratung

Änderung der Bewertung und Bilanzierung von Eingriffen im Land Sachsen-Anhalt

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/1672

Für die einbringende Fraktion DIE LINKE erteile ich dem Abgeordneten Herrn Lüderitz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist der letzte Tages

ordnungspunkt für heute angebrochen; doch dabei geht es um ein in meinen Augen sehr wichtiges Thema.

In Deutschland gehen täglich - ich betone: täglich - etwa 90 ha wertvolle landwirtschaftliche Nutzfläche verloren. Das entspricht einer Fläche von etwa 120 Fußballfeldern. In den letzten 20 Jahren sind dadurch ca. 800 000 ha der landwirtschaftlichen Nutzung und damit der Erzeugung von Agrarprodukten entzogen worden. Dies entspricht einer Fläche von der Größe der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland zusammen.

Die Fläche ist vor allem für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen, für neue Gewerbegebiete auf der grünen Wiese und für andere ähnliche Investitionen verbraucht worden. Das heißt, der größte Teil dieser Fläche ist für die landwirtschaftliche Nutzung dauerhaft verloren.

Wenn wir an dieser Stelle keine Wende vollziehen, werden wir die Ziele der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie kaum erreichen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Ziele gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2020 der Flächenverbrauch auf 30 ha täglich - das entspricht einer Fläche von 40 Fußballfeldern - gesenkt wird.

Es muss uns um Folgendes gehen: Erstens müssen die bestehenden Gesetze vollständig und in Gänze umgesetzt werden. Zweitens müssen die Gesetze an den Stellen, an denen es möglich ist, so ausgestaltet werden, dass sie den rechtlichen Rahmen bilden, um den Zielen auch gerecht werden zu können.

Die Landesregierung muss und kann an dieser Stelle handeln. Dabei geht es auch darum, sich bei der weiteren Ausgestaltung des Entwurfs der Kompensationsverordnung der Bundesregierung, die voraussichtlich im Frühjahr 2013 beschlossen werden soll, zielstrebig einzubringen, und zwar mit dem Ziel, dass beim Naturschutzausgleich die agrarstrukturellen Belange stärker berücksichtigt werden.

Der bereits vorhandene Gestaltungsrahmen bringt uns schon heute in eine durchaus gute Ausgangsposition. So heißt es in § 15 Abs. 3 des Bundesnaturschutzgesetzes wie folgt:

„Bei der Inanspruchnahme von land- oder forstwirtschaftlich genutzten Flächen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist auf agrarstrukturelle Belange Rücksicht zu nehmen, insbesondere sind für die landwirtschaftliche Nutzung besonders geeignete Böden nur im notwendigen Umfang in Anspruch zu nehmen. Es ist vorrangig zu prüfen, ob der Ausgleich oder Ersatz auch durch Maßnahmen zur Entsiegelung, durch Maßnahmen zur Wiedervernetzung von Lebensräumen oder

durch Bewirtschaftungs- oder Pflegemaßnahmen, die der dauerhaften Aufwertung des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes dienen, erbracht werden kann, um möglichst zu vermeiden, dass Flächen aus der Nutzung genommen werden.“

An diese Regelung knüpfen die Forderungen, wie sie von den Landwirten auf der Klausurtagung des Landesbauernverbandes am 29. November 2012 zum Ausdruck gebracht wurden, an. Mein Fraktionskollege Hans-Jörg Krause hat an dieser Veranstaltung teilgenommen und uns in der Fraktion die Betroffenheit der Landwirte bezüglich des Verbrauchs landwirtschaftlicher Nutzfläche einmal mehr nahegebracht.

Ob agrar- oder umweltpolitischer Sprecher - wir sind uns in unserer Fraktion dahingehend einig, dass die unhaltbare Situation des Flächenverbrauchs und insbesondere des Verbrauchs von landwirtschaftlicher Nutzfläche unbedingt und schnellstens verändert werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor dem Hintergrund, dass es in dieser Frage zumindest zwischen den Vertreterinnen und Vertretern der GRÜNEN, der SPD und der CDU auf dieser besagten Klausurtagung des Bauernverbandes in Halberstadt keinen Dissens gab, können wir wohl davon ausgehen, dass wir mit unserem Antrag offene Türen einlaufen.

Das wäre auch gut; denn dadurch könnten wir den parlamentarischen Weg verkürzen und Zeit sparen. Außerdem würden wir damit den Erwartungen der Landwirte in unserem Land gerecht werden,

(Beifall bei der LINKEN)

Dass die Politik in dieser Angelegenheit schneller und entschlossener handeln muss, leuchtet, so denke ich, jedem ein.

Von uns wird ganz einfach erwartet, dass die Eingriffe in die Natur und die entsprechenden Ersatz- und Kompensationsmaßnahmen so bewertet und honoriert werden, dass der Verbrauch von landwirtschaftlicher Nutzfläche zukünftig so weit wie möglich reduziert wird. Dieses Verlangen können und wollen wir mit diesem Antrag gern unterstützen.

Dazu möchte ich anmerken, dass jede Eingriffsregelung ein Reparaturbetrieb für unsere Mutter Natur ist und immer folgenden Regeln folgen sollte:

Erstens gilt es, die Vermeidung von Beeinträchtigungen anzustreben. Wir sind dafür, dass so wenig wie möglich Eingriffe in die Natur vorgenommen werden. Das muss Priorität haben, und zwar nicht nur in den Umweltämtern und im MLU allein, sondern in allen Bereichen, die in diesem Land Verantwortung tragen.

(Zustimmung von Frau Frederking, GRÜNE)

Zweitens geht es um den Ausgleich von Beeinträchtigungen. Dabei geht es nicht darum, irgendetwas für die Natur zu tun. Vielmehr geht es darum, wirklichen Ausgleich zu schaffen. Wenn zu Hause die Waschmaschine streikt, kann der Ausgleich dafür auch kein neuer Toaster oder Fernseher sein. Das Ziel muss es immer sein, die unvermeidbar gestörte Funktion des Naturhaushalts gleichartig und gleichwertig wiederherzustellen.

Drittens bleibt die Ersatzmaßnahme. Da ein vollständiger Ausgleich kaum realisierbar ist, sind für diese nicht auszugleichenden Maßnahmen der Beeinträchtigung von Natur und Landschaft gleichwertige Ersatzmaßnahmen durchzuführen. Beides zusammen ergibt die Kompensation, von der bereits die Rede war.

Viertens lassen das Bundesnaturschutzgesetz und das Landesnaturschutzgesetz als Ultima Ratio die Ausgleichszahlung zu, in meinen Augen eine Ohnmachtserklärung, die eigentlich jede weitere Umsetzung des jeweiligen Vorhabens infrage stellt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Fünftens. Dies halte ich für sehr wichtig. Wenn es dann doch zu den Punkten 2 und 3, also einem Ersatz bzw. einem Ausgleich kommt und es unabwendbar ist, dass zum Beispiel wertvoller Acker oder Wald oder gar wertvollste Biotope für bestimmte Investitionen benötigt werden, dann sollten wir solche rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, dass die darauffolgenden Kompensationsmaßnahmen nicht noch zusätzlich auf Ackerland ausgerichtet werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir meinen also, dass das ganze Ökopunktesystem, das im Wesentlichen aus dem Jahr 2005 stammt, und die Richtlinie zur Bewertung und Bilanzierung von Eingriffen im Land Sachsen-Anhalt dringend überarbeitet und neu ausgerichtet werden müssen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Nun ist es durchaus nicht so, dass das MLU hier untätig war und ist. Es sind gerade in diesem Jahr einige erfolgreiche Einzelprojekte umgesetzt und begonnen wurden. So wurde unter dem Dach der Landgesellschaft ein Projekt in Wefensleben fertiggestellt und eines in Trebbichau in Angriff genommen; weitere ließen sich hier aufzählen.

Am 25. November 2012 fand eine sehr interessante Konferenz in Dessau gemeinsam mit dem Bundesverband für Flächenagenturen statt, die das gesamte Problem der Eingriffsregelung verdeutlichte. Vielleicht geht der Minister darauf noch näher ein.

Es wäre nicht in Ordnung, sich allein auf den zu erwartenden Kompensationsverordnungsentwurf der Bundesregierung zu verlassen. Abge

sehen davon, dass das Bundesnaturschutzgesetz - wie bereits erwähnt - den Ländern schon jetzt einen erheblichen Gestaltungsspielraum eröffnet, wird der vom Bundesministerium für Umwelt Anfang November 2012 vorgelegte erste Entwurf aus meiner Sicht nicht wirklich zur Problemlösung beitragen können.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Er ist ein Sammelsurium von allgemeinen Grundsätzen und noch sehr unverbindlich. Altmaier will sich offensichtlich so kurz vor der Bundestagswahl mit den anderen beiden Ministerien nicht anlegen, und in den Bundesratsgremien besteht dazu ohnehin noch erheblicher Handlungsbedarf.

Für uns in Sachsen-Anhalt kann außerdem - wie die schon erwähnte Dessauer Konferenz gezeigt hat - ein Blick nach Nordrhein-Westfalen, BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz sehr hilfreich sein.

Drei weitere sehr interessante Lösungsansätze gibt es auch in anderen Bundesländern. Ich möchte sie kurz nennen: Erstens Hessen, das eine eigene Kompensationsverordnung hat, zweitens Schleswig-Holstein mit seiner Ausgleichsagentur - dort liegt ein Kataster für 39 konkrete und ausgeplante Maßnahmen vor - und drittens Mecklenburg-Vorpommern, wo dies sehr komplex und für jeden zugänglich sowie nachvollziehbar umgesetzt wird.

Dazu einige Anmerkungen mehr, ohne dabei den Ausschussberatungen vorzugreifen. Es gibt in Mecklenburg-Vorpommern einen hervorragenden Leitfaden für Eingriffsregelungen, der unter Beachtung eines gewissen räumlichen Zusammenhangs vor allem die Entsiegelung aufwertet und klare Vorgaben für alle relevanten Planungen - egal welcher Ebene - enthält.

Entsprechend ist die Ökokontoverordnung, die angenommen wird, dort von den Landkreisen sehr konkret und einsehbar. Sie gestattet den Zugriff auf 61 Vorschläge auf einer Gesamtfläche von 1 656,23 ha. Und es gibt ein Kompensationsflächenkataster in Mecklenburg-Vorpommern, dort findet man 539 Angebote mit einem Flächendargebot von mehr als 2 000 ha.

Wenn ich jetzt sage, dass wir davon nur träumen können, dann ist das nicht aus der Luft gegriffen. Schauen wir nur die beiden Anfragen von Frau Frederking von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von meinem Fraktionskollegen Hans-Jörg Krause an. Auf beide Anfragen sah sich die Landesregierung veranlasst zu antworten, es gäbe keinerlei Übersichten für Kompensationen und alles seien Einzellösungen.

Das ist offensichtlich ein anderes Herangehen an die Problematik, als es in anderen Bundesländern gehandhabt wird. Ich bedauere, dass unsere Lan

desregierung hierbei so offensichtlich abfällt. Mit nachhaltiger Raumordnungspolitik und vorsorgendem Naturschutz hat das nichts gemein.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es ist genau dieser fehlende Überblick, der uns letztlich in Halberstadt einen peinlichen Vorwurf der Bauern und die Aufforderung eingebracht hat: Tun Sie endlich was!