Protokoll der Sitzung vom 20.02.2013

Die Koalitionsfraktionen beantragen die Überweisung dieses Antrages zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung und Kultur und

zur Mitberatung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege Wanzek. - Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt noch einmal Frau Hohmann das Wort. - Sie möchte es nicht ergreifen.

Dann kommen wir zum Abstimmungsverfahren zur Drs. 6/1791. Es wurde beantragt, den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung und Kultur und zur Mitberatung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales zu überweisen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann stimmen wir darüber ab.

Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind alle Fraktionen. Stimmt jemand dagegen? - Niemand. Enthält sich jemand der Stimme? - Das ist auch nicht der Fall. Damit ist der Antrag in den Ausschuss überwiesen worden und der Tagesordnungspunkt 20 ist erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Erste Beratung

Verfolgung von Homosexuellen nach 1945 aufklären und dokumentieren

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/1797

Einbringerin ist Frau von Angern. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Mit dem vorliegenden Antrag zur Aufklärung und historischen Aufarbeitung einschließlich der Dokumentation der Verfolgung von Homosexuellen wegen einvernehmlicher sexueller Handlungen nach 1945 greift meine Fraktion eine Initiative der SPD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft auf und modifiziert diese.

Die Hamburger Bürgerschaft beschloss im Dezember 2012, den Senat zu ersuchen, die Durchführung einer Ausstellung über die Verfolgungssituation von Homosexuellen durch die Hamburger Justiz in der Zeit nach 1945 sowie die Arbeiten zur Erstellung einer begleitenden Dokumentation der Ausstellung zu unterstützen. Das ist ein guter und wichtiger Beschluss auf dem Weg zur Aufarbeitung des begangenen Unrechts.

Mit unserem Antrag wollen wir nach dem im September 2012 einstimmig gefassten Beschluss unseres Parlaments zu dieser Problematik nun einen weiteren Schritt nach vorn gehen.

Zur Erinnerung: Wir haben gemeinsam beschlossen, die Landesregierung zu beauftragen, sich im Bundesrat der Initiative des Landes Berlin für Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten anzuschließen.

(Unruhe bei der CDU)

Im November 2012 teilte die Landesregierung sodann mit, dass der Entschließungsantrag des Landes Berlin in den Beratungen im Rechtsausschuss des Bundesrates geringfügige Modifikationen erfahren hat - -

(Unruhe)

Frau von Angern, einen kleinen Moment bitte. Ich möchte für Ruhe sorgen. - Ich glaube, von dem einen oder anderen wird der Geräuschpegel bei seinem Versuch, leise zu reden, unterschätzt. - Jetzt haben Sie wieder das Wort, Frau von Angern.

Danke, Herr Präsident. Ich habe wieder Ihre Aufmerksamkeit. Das ist schön. - Die Landesregierung teilte im November 2012 mit, dass der Entschließungsantrag des Landes Berlin in den Beratungen im Rechtsausschuss des Bundesrates geringfügige Modifikationen erfahren hat und der Bundesrat im Oktober 2012 mit den Stimmen von Sachsen-Anhalt folgende Entschließung gefasst hat - ich zitiere -:

„Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung für die nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten vorzuschlagen“.

Der Auftrag des Landtages - allerdings auf einem nur minimalen Konsens basierend - wurde somit durch die Landesregierung erfüllt. Die Umsetzung steht durch die Bundesregierung noch aus. Wir sind gespannt, ob das Thema im Wahljahr eine Rolle spielen wird.

Wünschenswert wäre es, dass nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom gestrigen Tag zur Stärkung der Rechte von Homosexuellen bei der Adoption noch vor der Bundestagswahl die gesetzlichen Anpassungen bzw. Neuregelungen im Bundestag beschlossen würden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich hoffe, aus dem Konjunktiv des gerade gesprochenen Satzes wird bald ein Indikativ; denn die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte sind leider andere.

Vor uns steht sicherlich noch ein zäher und langwieriger Prozess bis zur tatsächlichen Gleichstellung. Aber die entsprechenden Verbände, beispielsweise der Lesben- und Schwulenverband Deutschland, werden diese Themen mit Sicherheit schwerpunktmäßig setzen. Wir tun dies hier natürlich auch und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden es auch morgen noch tun.

Meine Damen und Herren! Ein weiteres Puzzleteil im Sinne der tatsächlichen Gleichstellung besteht in der notwendigen historischen Aufarbeitung der Verfolgung von Homosexuellen, wie im heute vorliegenden Antrag eingefordert. Dies kann ein Beitrag, dies muss unser Beitrag als Land im Rahmen der Aufarbeitung des Unrechts sein, das Homosexuelle nach 1945 auf dem Territorium des heutigen Sachsen-Anhalts erfahren haben. Es muss unser Anteil am Abbau der Diskriminierung von Homosexuellen sein.

Unverzichtbar ist aufgrund der zeitlichen Eingrenzung ab dem Jahr 1945 aus unserer Sicht die Einbeziehung des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Gemeinsam mit Eduard Stapel legte damals noch Frau Ahrberg, die frühere Stasi-Landesbeauftragte, bereits im Rahmen der Reihe „Betroffene erinnern sich“ mit Heft Nr. 10 eine Broschüre vor, welche unter dem Titel „Warme Brüder gegen Kalte Krieger - Schwulenbewegung in der DDR im Visier der Staatssicherheit“ einen ersten Einblick gab.

Hierin war dargestellt, in welchem Spannungsverhältnis die Betroffenen sich befanden. Einerseits war da das Bild des blühenden Landes, welches sich die Einhaltung der Menschenrechte auf seine Fahnen geschrieben hatte. Andererseits war das eben nur ein Scheinbild, welches beim genaueren Hinblicken in der harten Realität endete, eine Seifenblase, die schnell zerplatzte.

Die gewünschte funktionierende Gesellschaft gab es eben nicht. Auch in der DDR waren die Menschen verschieden, lebten und liebten verschieden, hatten unterschiedliche Lebensentwürfe, die aber in einer Diktatur in dieser Pluralität nur schwer Platz hatten.

Die Propaganda der DDR zielte vor allem auf heterosexuelle Beziehungen ab. So verwundert es nicht wirklich, dass in einer Promotion aus dem Jahr 1983 an der Humboldt-Universität zur Gruppe der Homosexuellen Folgendes zu lesen ist - ich zitiere -:

„Homosexuelle sind Personen mit stark gleichlaufenden sexuellen Interessen und Organisationsbestrebungen, die sich gegenseitig im Arbeitsbereich bevorteilen, sich erlaubt und unerlaubt in größeren und kleineren Gruppen zu bestimmten Anlässen treffen, ihre Lebensauffassungen miteinander

austauschen und inneren Zusammenhalt demonstrieren und sich oft von jungen Jahren an konspirativ gegenüber ihrer Umwelt verhalten.“

Das, meine Damen und Herren, war nur ein Auszug aus der Dissertation, ein Auszug, der aber deutlich macht, welcher Diskriminierung und welcher Kriminalisierung Homosexuelle in der DDR ausgesetzt waren.

Allerdings der juristische Doktortitel wurde trotz dessen oder auch gerade deswegen verliehen. Das von der SED gewünschte Bild des sozialistischen Menschen tat sich tatsächlich schwer mit anders Lebenden, Andersdenkenden. So waren Misstrauen und Konflikte vorprogrammiert. Im Zweifel steckte der Klassenfeind dahinter.

So wurde beispielsweise der Arbeitskreis Homosexualität der Evangelischen Studentengemeinde Leipzig vom MfS als Kaderschmiede betitelt und Folgendes festgestellt - ich zitiere -:

„Die Mitglieder des Arbeitskreises wenden die Methoden der KPD aus dem Widerstandskampf an und konspirieren ihre Verbindungen.“

Natürlich wollte dieser Arbeitskreis etwas verändern. Er wollte für Homosexuelle in der DDR die gleichen Rechte erwirken, die für andere so selbstverständlich galten. Heute fragt man sich: Was war eigentlich falsch daran?

Der vom MfS damals gesehene politische Missbrauch muss aus heutiger Sicht klar verneint werden. Die von mir benannte Broschüre gibt einen Einblick in das Leben und Wirken von Herrn Stapel, in die Mitverantwortung von Menschen, die sich vom Staat haben missbrauchen lassen, aber auch in das Leben von Menschen, die sich Freiräume schafften oder die vom Staat eingeräumten kleinen Freiräume nutzten oder die einfach nur für ihr persönliches Glück kämpften. Wer kann gerade Letztes wirklich verurteilen?

So könnte ich noch weitere Beispiele aus der Broschüre wiedergeben, wobei aber selbst durch Herrn Stapel eingeräumt wird, dass damit das Gesamtproblem bei weitem nicht aufgearbeitet ist.

So hat auch meine Fraktion das historisch zu untersuchende Forschungsfeld ganz bewusst nicht bis auf den letzten Punkt festgeschrieben sowie keine abschließenden detaillierten Aufzählungen vorgenommen, um die Option offen zu lassen, neue Untersuchungskriterien sowie Ergebnisse entsprechend aufnehmen und berücksichtigen zu können.

Ganz bewusst haben wir auch den zeitlichen Horizont offen gelassen. Wichtig ist uns aber, bestimmte inhaltliche, fachliche Bereiche zu kennzeichnen, wie beispielsweise die Strafverfolgung bzw. die Rechtsprechung.

Wir wissen, dass es sich hierbei sowohl in Ost als auch in West um ein dunkles Kapitel der Justiz handelt, das aber keinesfalls im Dunkeln bleiben darf. Es ist eine traurige Realität, dass es bis heute keine Aufarbeitung gegeben hat.

Hierbei steht zuallererst die Frage: Welche Urteile wurden zu welchen Zeiten und mit welcher Begründung getroffen?

Dann sind auch die Rolle und die Verantwortung des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR zu hinterfragen. Hierzu gibt die benannte Broschüre von Herrn Stapel schon einen ersten Einblick, auf dessen Grundlage weitergearbeitet werden könnte.

Interessant wäre unter anderem auch die Beleuchtung der Einstellung der sogenannten SchwulenIM, die bekanntermaßen existent waren, oder ein dritter Punkt, die Lebenssituation bzw. Stigmatisierung Homosexueller in den Betrieben. Auch hierzu existieren Erfahrungsberichte, die zeigen, dass die Stigmatisierung in Betrieben weitaus geringer war, als vielleicht von uns erwartet wird. Welche Gründe hatte das?

Und natürlich - das ist wahrscheinlich das Schwierigste - geht es um die Beleuchtung des privaten Umfeldes.

Doch erinnern wir uns - das wird dem einen oder anderen noch gelingen - an den Film und die heiße Debatte um den in den 80er-Jahren erschienenen Film „Coming out“, der auch hier nicht ohne Resonanz blieb.

Meine Damen und Herren! Ein wichtiges Ziel dieser immensen Aufarbeitungstätigkeit muss natürlich darin bestehen, Unrecht wiedergutzumachen, sofern das überhaupt möglich ist. Es geht uns um Schlussfolgerungen und Konsequenzen, die letztlich eine vollumfängliche Rehabilitierung und Entschädigung zügig herbeiführen sollen und müssen.

Im Jahr 2002 sind lediglich die bis 1945 von den Nationalsozialisten gefällten Urteile für nichtig erklärt und den Betroffenen Entschädigungen zugesprochen worden. Für die nach 1945 Verurteilten fehlt diese Entscheidung.

Die Schlussfolgerungen aus der Aufarbeitung müssen aber auch dringend zum Thema des Unterrichts in den Schulen Sachsen-Anhalts werden. Schülerinnen und Schüler müssen für dieses Thema sensibilisiert werden.