Wir müssen dem sich ausbreitenden Euro-Skeptizismus Einhalt gebieten. Wir dürfen uns alle als Politiker nicht auf Kosten der Europäischen Union profilieren. Wir müssen vielmehr für sie werben und dazu beitragen, dass bestehende berechtigte Kritiken an der Europäischen Union und an Verfah
rensweisen europäischer Gremien aufgenommen werden und auch zu Veränderungen führen. Das sollten wir mit einem positiven Blick - nach dem Prinzip: Das Glas ist halb voll - und nicht mit einem negativen Blick - nach dem Prinzip: Das Glas ist halb leer - tun. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke sehr, Herr Kollege Tögel. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa hat es derzeit nicht leicht. Europäisch und weltoffen, das sind zwei Begriffe, die momentan schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und zu vermitteln sind.
Die aufbrechenden nationalen Interessen von Regierungen in der Wirtschaftskrise, der rege Zulauf von Populisten und Euro-Skeptikern in allen europäischen Gesellschaften, die bedenklichen Entwicklungen in Ungarn, aber auch die selbst konstruierten Demokratiedefizite in der Europäischen Union, die sich gegenwärtig bei Nachtsitzungen in Brüssel offenbaren, scheinen den vermeintlichen Gegensatz der beiden Begriffe eher zu unterstreichen als ihn aufzulösen.
Aber Europa ist mehr als nur ein von Krisen geplagter Kontinent. Europa ist das Ergebnis und der Ausdruck einer gemeinsamen Idee. Völkerverständigung, Menschenrechte, jahrzehntelanger Frieden und Wohlstand sind das Resultat von gemeinsamen Anstrengungen unterschiedlicher Gesellschaften.
Europa ist ein Arbeitsprojekt. Die Auszeichnungen der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union mit dem Friedensnobelpreis im vergangenen Jahr honoriert diesen eingeschlagenen Weg und erinnert uns an die Grundwerte von Europa.
Welche Strahlkraft die Idee Europa jenseits von Wirtschafts- und Finanzkrisen immer noch hat, das sehen wir an der Reihe der Beitrittskandidaten. Serbien, Island und ab nächstem Sommer auch Kroatien werden Bestandteil der EU sein.
Diese Offenheit in Richtung Osten ist außerordentlich wichtig für die Zukunft der EU. Sie muss noch stärker unser gemeinsames Anliegen sein. Eine Westzentriertheit vermittelt nicht nur das Gefühl der Ausgrenzung, sondern sie begünstigt auch Rückschritte in Demokratien wie jetzt in Ungarn, die ganz und gar gegen die Grundgedanken der EU stehen. Unser Europa muss so weit gehen, dass es nicht mehr möglich ist, die postkommunis
tischen Demokratieentwicklungen in den südöstlichen und östlichen Ländern rückgängig zu machen, meine Damen und Herren.
Dazu gehört auch etwas, an das heute schon erinnert worden ist: Freizügigkeit als Grundidee des europäischen Gedankens. Das Übertreten von Grenzen ist eine Kernidee, eigentlich ein Gründungsmythos seit dem Anbeginn der Europäischen Union. Sie hatte ihre Hochzeit mit dem Fall des Eisernen Vorhangs, als wir selbst Grenzen überschritten haben auf der berechtigten Suche nach Freiheit und Wohlstand.
Ich glaube, zu diesem Kerngedanken muss Europa zurückfinden. Dazu gehört auch der Respekt vor den Menschen, die ihre Herkunftsländer auf der Suche nach einer besseren Zukunft verlassen und die zum Beispiel vor Diskriminierungen fliehen, wie - auch das wurde schon angesprochen - Sinti und Roma, die sich in der letzten Zeit wirklich beleidigen lassen mussten, unter anderem vom deutschen Innenminister,
der alte Kamellen vom Systemmissbrauch, vom Ausnutzen unseres Systems, vom Asylmissbrauch wieder hochgeholt und sich damit auf schlimmste Weise populistisch betätigt hat.
Meine Damen und Herren! Wo positionieren wir uns als Land? Wir sind ein Kernland im Herzen Europas mit einer wichtigen Brückenfunktion zwischen Ost und West, die wir als Mittler einnehmen sollten. Durch unser Land führen zwei von insgesamt zehn europäischen Kernnetzkorridoren; das sind Flüsse, das sind Schienenstränge. Wir haben eine wichtige Verbindung mit der A 2, die als Europastraße 30 von Russland bis nach Irland führt.
Diese Verbindungen müssen wir nutzen, diese Brückenfunktion wahrnehmen. Die Partnerschaftsregionen in Spanien, in Frankreich und in Polen bieten in dieser Hinsicht eine ganz wichtige Chance. Ich finde, wir sollten sehr viel stärker auf diese Partnerschaften setzen und sie ausbauen.
Die Aufzählung von Aktivitäten, was diese Partnerschaften angeht, Herr Staatsminister, das kommt zu pflichtmäßig, zu staatstragend daher. Wir sind zu sehr auf Besuchsreisen konzentriert.
In dem Bericht über die europäischen und internationalen Aktivitäten haben Sie auf mehreren Seiten eindrucksvoll geschildert, wer wann wohin reist. Aber das allein reicht eben nicht aus. Wenn Sie schreiben - es steht so im O-Ton darin -, die Partnerschaft mit Valencia hätte durch den Besuch des
Ministerpräsidenten neuen Schwung bekommen, dann müssen Sie auch erklären, womit. Allein der Besuch verleiht einer Partnerschaft nicht neuen Schwung.
Mich ärgert es als Parlamentarier auch, dass in Ihrem Bericht die parlamentarischen Kontakte, die stattfinden, überhaupt keine Erwähnung finden. Ich würde mir wünschen, dass Sie in Zukunft darauf mehr setzen. Für gelebte Partnerschaften bedarf es mehr als Regierungskontakten.
Auch das gute Ziel des Fachkräfteaustauschs und der Kooperation auf diesem Gebiet muss erst mit Leben erfüllt werden. Einfach ist das nicht; denn die Rahmenbedingungen sind in unseren Ländern höchst unterschiedlich. Überlegen Sie sich, dass in der jetzigen Situation in Valencia immer noch jede Woche tausende Menschen auf die Straßen gehen und gegen Sozialabbau und Sparprogramm demonstrieren.
Die sind natürlich viel mehr von der Krise geplagt als wir hier in unserem Land, die wir - zum Glück - mit einem blauen Auge davongekommen sind. Aber in so einer Situation, bei so einem Ungleichgewicht bekommen Diskussionen über einen Fachkräfteaustausch ganz schnell etwas Belehrendes und auch einen Drive sozusagen von Braindrain, vom Abziehen von Kompetenzen.
Ich kann mir vorstellen, dass wir zum Beispiel auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien stärker kooperieren könnten, gerade was die spanische Sonnenregion Valencia angeht, und im Hinblick darauf auch den Fachkräfteaustausch gut organisieren könnten, weil wir im Land da mit unseren Pfunden wuchern können.
Meine Damen und Herren! Einen Großteil Ihrer Ausführungen nehmen auch die ressortspezifischen Aktivitäten in Bezug auf die operationellen Programme ein. Das ist auch richtig und verständlich. Damit haben wir uns jetzt eine lange Zeit beschäftigt.
Meine Damen und Herren! Interkultureller Austausch ist ein weiteres wichtiges Stichwort. Der kann nur gelingen, wenn auch nichtstaatliche Akteure stärker als jetzt einbezogen werden; denn deren internationale Aktivitäten bereiten den Bo
den für das, was bei diesem interkulturellen Austausch wirklich passiert. Sie bringen außerdem die Menschen vor Ort zusammen.
Insofern bin ich sehr bei dem, was Herr Tögel zum Thema Entwicklungszusammenarbeit der Länder ausgeführt hat. Wir haben da eine Verantwortung als Land. Wir haben es gestern bei dem parlamentarischen Abend des Eine-Welt-Netzwerkes und von Engagement Global, die ja für unser Bundesland auch mit verantwortlich sind, noch einmal eindrucksvoll gesehen: Es gibt da tolle Anknüpfungspunkte.
Ich glaube, wir müssen diesen in unserem Land etwas verstaubten Bereich wieder hervorkramen und etwas aufpolieren. Wir müssen uns anschauen, wie die entwicklungspolitischen Leitlinien, die wir haben, eigentlich aussehen. Die sind ziemlich veraltet, und kaum jemand wird sie kennen. Sie geschickt mit unserer Europapolitik zu verbinden, ist eine ganz spannende Sache für die Zukunft.
Zum Abschluss möchte ich ganz kurz noch sagen: Wie wir hier über Weltoffenheit und über Europa sprechen, ist wichtig. Aber ich frage mich, ob die Art und Weise, das in so einer zweistündigen Regierungserklärung mit einer Aussprache in dieser Detaildichte zu tun, wirklich geeignet ist, Bürgerinnen und Bürger vom Projekt Europa wieder zu überzeugen oder noch mehr zu überzeugen.
Ich würde mir das sehr wünschen. Aber ich habe Zweifel, ob das in dieser Vortragsweise und in der Art und Weise, wie hier 18-seitige Papiere vorgelesen werden, wirklich gut gelingen kann, oder ob damit nicht der Wunsch, das Banner Europa voranzutragen - wobei ich übrigens sehr gern mitmache -, nur ein frommer Wunsch bleibt. - Vielen Dank.
Danke sehr, Herr Kollege Herbst. - Als letzter Debattenredner wird der Abgeordnete Herr Kurze für die CDU sprechen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ein sehr wichtiges Signal, das der Staatsminister mit seiner heutigen Regierungserklärung ausgesandt hat. Von diesem Landtag geht ein klares Bekenntnis zu einem weltoffenen und toleranten Sachsen-Anhalt und zu einer gemeinsamen Zukunft Sachsen-Anhalts in Europa aus. Dafür haben Sie, sehr geehrter Staatsminister Robra, die volle Unterstützung der CDU-Landtagsfraktion.
auf Weltoffenheit, Toleranz und eine gemeinsame europäische Entwicklung angewiesen sind. Unser ehemaliger Ministerpräsident Professor Dr. Wolfgang Böhmer hat das sinngemäß einmal wie folgt umschrieben - ich zitiere -:
„Sachsen-Anhalt braucht Europa und die Welt dringender, als Europa und die Welt Sachsen-Anhalt braucht.“
Ich denke, meine sehr verehrten Damen und Herren, dem ist nichts hinzuzufügen. Denn Europa ist ein Garant für Frieden, und zwar nicht erst seitdem das Nobel-Komitee der Europäischen Union den Friedensnobelpreis als Anerkennung für ihren erfolgreichen Kampf für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte verliehen hat.
Europa ist seit dem Ende der nationalsozialistischen Barbarei und noch mehr nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine glückliche Fügung für die europäischen Bürgerinnen und Bürger. Dieses Friedensvermächtnis der Europäischen Union gilt es gerade in stürmischen Zeiten zu wahren und gleichzeitig als Ansporn zu nutzen, den Wohlstand in Europa weiter zu sichern. So verstehen wir als CDU-Fraktion die Entscheidung des Nobel-Komitees.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie, sehr geehrter Herr Staatsminister, haben in Ihrer Rede sehr viel Richtiges gesagt. Fast 60 % der Exporte aus Sachsen-Anhalt gehen in die EU-Mitgliedstaaten. Ohne diese Absatzmärkte würde es den Menschen in Sachsen-Anhalt nicht besser, sondern schlechter gehen. Der gemeinsame Binnenmarkt bringt Vorteile mit sich, keine Nachteile. Umso wichtiger ist es, dass diese Chancen des gemeinsamen Binnenmarktes nicht durch den Eindruck einer Routine aufeinanderfolgender EU-Rettungsgipfel in den Hintergrund gedrückt werden.
Die Bürgerinnen und Bürger müssen wieder Vertrauen schöpfen, Vertrauen darin, dass sich Europa fängt und aus seinen Fehlern lernt. Dieses Vertrauen basiert darauf, dass die Entscheidungen Europas auch die Lebenswirklichkeit der Menschen widerspiegeln. Genau dort sind auch die Fehler gemacht worden. Deswegen ist es zum einen notwendig, den Finger mahnend in die Richtung der Finanzmärkte oder der Rating-Agenturen zu heben. Zum anderen - das ist viel entscheidender - ist es erforderlich, dass auch die Politik wieder lernt, Maß zu halten.