Protokoll der Sitzung vom 11.07.2013

Es geht darum, dass eine bestehende Maßnahme fortgeführt wird, nämlich das Programm, das vom Bundesministerium, von der Bundesregierung und vom ESF seit 2008 auch in Sachsen-Anhalt, aber deutschlandweit umgesetzt wird. Seit dieser Zeit haben es mehr als 11 000 Menschen erlebt und erfolgreich durchlaufen. Dieses Programm soll zum Ende des Jahres 2013 nicht verlängert, nicht weitergeführt werden soll, obwohl alle Experten in den Ländern und im Bund und eine unabhängige Evaluierungsgruppe sagen: Dieses Programm war sehr erfolgreich, und man sollte es weiterlaufen lassen, weil es ein guter Ansatz für die Integration in den Arbeitsmarkt ist.

Was droht, wenn dieses Programm zusammengestrichen wird oder nicht weitergeführt wird? Dann droht ein Roll-back, dann ist zu befürchten, dass die zaghafte Öffnung des Arbeitsmarktes für Flüchtlinge und Migranten, die wir seit etwa 2002 erleben, zurückgedreht wird. Dann sind 28 Landesnetzwerke in Deutschland und auch in Sachsen-Anhalt in ihrer Existenz bedroht.

Das wäre eine Rolle rückwärts in der Integrationspolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem sollten wir uns als Bundesland, als Landtag entgegenstellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In Sachsen-Anhalt wäre von dieser Nichtweiterführung das Programm „Jobbrücke und Jobchance“ betroffen. Dieses erfolgreiche Programm ist der Preisträger des Integrationspreises des Landes 2012. Im letzten Jahr hat dieses Programm für seinen großen Erfolg diesen Preis bekommen.

Ich möchte Ihnen ein paar Zahlen vortragen, weil diese dafür stehen, wie erfolgreich dieses Programm war:

Seit 2008 konnten insgesamt 1 054 Menschen beratend und begleitend unterstützt werden, die das Programm durchlaufen haben. 537 davon konnten bei der Bewerbung unterstützt werden, 120 der Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten in sozialversicherungspflichtige Jobs im ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden, 120 Leute! 46 in geringfügige Beschäftigung, sieben in die Selbstständigkeit. 532 konnten durch Sprachkurse und Berufs

qualifizierungskurse weitergebildet werden, 36 in Praktika vermittelt werden usw. usf.

Durch diese reiche Beratungspraxis und die Kompetenz, die sich seit 2008 durch dieses geförderte Programm auf diesem Gebiet angesammelt hat, ist im Bereich Vermittlung in Arbeit von Migranten und Flüchtlingen auch ein Netzwerk von Experten entstanden, das Kompetenzen erworben hat, die jetzt dazu führen, dass neue Beratungsstrukturen entstanden sind. Diese wären ebenso von einem Ende des Programms betroffen.

Es handelt sich bei diesem Förderansatz um einen Ansatz, der genau richtig ist und in die Zukunft weist, nämlich Integrationspolitik so zu verstehen, dass die Beteiligten gefordert und gefördert werden. Das ist immer das, was Politik von den Menschen zuerst fordert, wenn es um Integration geht, selbst einen Beitrag zu leisten, selbst aktiv zu werden, aber dann auch von der Gesellschaft und von der Politik die Chance zu bekommen einzusteigen, keine Barrieren in den Weg gelegt zu bekommen, auch beraten zu werden, und zwar spezifisch und individuell. Genau darum geht es in diesem Projekt.

Wenn zum Beispiel - nur noch einmal herausgegriffen an unserem Beispiel Sachsen-Anhalt - 115 Menschen der Minderheit der Roma mit ihren spezifischen Bedürfnissen, zum Beispiel angesichts der hohen Analphabetenquote bei den Roma-Frauen, gezielt in das Programm aufgenommen und von Menschen aus ihrer ethnischen Minderheit begleitet wurden und dadurch beispielsweise die deutsche Sprache in Wort und Schrift erlernt haben und befähigt wurden, später eine Arbeit aufzunehmen und sich erst einmal erfolgreich zu bewerben, dann ist genau das eine Integrationspolitik, die wir fördern wollen und die nicht gefährdet werden darf.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Ich will abschließend - denn ich denke, der Sinn und Zweck und die Notwendigkeit dieses Programms erschließen sich relativ einfach - nur noch darauf hinweisen, dass wir als Bundesland Sachsen-Anhalt wirklich in ganz besonderem Maße auf gut ausgebildete Fachkräfte angewiesen sind.

Wir haben am heutigen Tage bereits an anderer Stelle in der Tagesordnung darauf hingewiesen, wie hoch der Anteil von gut qualifizierten, gut ausgebildeten Menschen ist, die in unser Land zuwandern. Es gibt darüber interessante Zahlen, auch gerade im Vergleich zu unserer Mehrheitsbevölkerung in Sachsen-Anhalt.

Meine Damen und Herren! Man muss auch konstatieren, dass der Ausländeranteil prinzipiell in Sachsen-Anhalt immer noch viel zu niedrig ist. Wir brauchen eine Erhöhung unseres Ausländer

anteils. Das hat ganz viele positive Effekte auf unsere Gesellschaft.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das Programm zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, das auf dem Spiel steht, ist ein wichtiger Bestandteil unserer Integrationsarbeit im Land. Es ist eigentlich sehr schade, dass die Bundesregierung diese positiven Folgen nicht erkennt, vielleicht nicht erkennen will oder, wenn sie sie erkannt hat, nicht die richtigen Schlüsse daraus zieht.

Eine Weiterführung des Programms, wofür wir uns einsetzen und womit wir die Landesregierung beauftragen wollen, sich in Berlin dafür stark zu machen, würde zeigen, dass wir nicht nur reden, sondern unseren Reden auch Taten folgen lassen, und dass wir die Integrationsarbeit und die Arbeit zur Lösung unseres Fachkräfteproblems wirklich angehen und diesen Bereich der Gesellschaftspolitik nicht dem reinen Zufall überlassen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Danke sehr, Kollege Herbst, für die Einbringung. - Für die Landesregierung spricht Minister Herr Bischoff.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube - - Nein, das Thema ist wichtig, weil ich selbst merke, dass man dabei manchmal Defizite hat. Ich konnte mich noch gut an dieses Bleiberechtsprogramm und an diese Auszeichnung, von der Herr Herbst gesprochen hat, erinnern. Ich wusste aber nicht mehr, dass es das Bleiberechtsprogramm noch gar nicht so lange gibt. Das Programm ist nicht nur für Bleibeberechtigte, sondern auch für Asylsuchende offen.

Bevor es dieses Programm gab, war es einfach nicht möglich, den Flüchtlingen im Asylverfahren oder den Geduldeten, die nicht abgeschoben werden durften, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten zu geben. Es bestand ein Arbeitsverbot. Sie waren zur Untätigkeit verdammt.

Das hatte weitreichende Konsequenzen. Ich meine damit nicht nur, dass Qualifikationen brachlagen und verfallen sind und Menschen ihre Energie, ihre Tatkraft und ihren Lebensmut verloren, sondern auch, dass dadurch dem Vorurteil Raum gegeben wurde, die leben hier doch sowieso nur, weil sie Sozialleistungen kassieren wollen. Das war doch indirekt immer ein Vorwurf.

Seitdem dieses Bleiberechtsprogramm läuft, hört man von diesem Vorwurf weniger, weil sie tatsäch

lich tätig sind, weil sie Möglichkeiten haben. Herr Herbst hat eben aufgezählt, wie viele Menschen vermittelt worden sind und wie viele neue Chancen bekommen haben. Wir wissen, das bedeutet Willkommenskultur, wenn diejenigen, die hier sind und aus bestimmten und vielfältigen Gründen nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, hier neue Chancen bekommen.

Ich glaube, mit diesem Programm ist tatsächlich unheimlich viel geschafft worden, dass geduldete Asylbewerber nach einem Jahr Aufenthalt Zugang zu einer Berufsausbildung erhalten.

Ich bin gespannt, wie die EU-Richtlinie, wonach Asylsuchenden nach neun Monaten Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen ist, tatsächlich umgesetzt wird.

Es wäre fatal, wenn das Bleiberechtsprogramm eingestellt werden würde.

Ich will nicht wiederholen, wie wir es in SachsenAnhalt gemacht haben. Wir haben das Bleiberechtsprogramm tatsächlich mit dem Projekt „Jobbrücke und Jobchance“ verbunden. Ich finde es gut, dass wir es miteinander vernetzt haben und es einen Verbund aus acht Trägern gibt. Er wird ja koordiniert von SPI Soziale Stadt und der Landesentwicklungsgesellschaft. Auch dadurch, dass es zum Beispiel mit den Roma vernetzt ist, hat es, glaube ich, enorme Chancen. Ich glaube, es hat diesen Preis zu Recht bekommen.

Ich finde diesen Antrag und dieses Thema wichtig. Ich glaube, dass auch unter uns im Hohen Haus die Kenntnisse manchmal nicht vollständig sind, was alles läuft.

Die Bundesregierung argumentiert nun, dass die Fortsetzung des Programms wegen der deutlich zurückgehenden Förderung aus ESF-Mitteln - das ist der Grund - nicht mehr möglich sei

(Herr Herbst, GRÜNE: Das stimmt nicht!)

und dass diese Aufgaben über andere Bundesprogramme abgedeckt werden könnten, dass man also Sprachkurse oder andere Arbeitsmarktmaßnahmen nach dem SBG II und andere Förderprogramme in Anspruch nehmen könne, und dass es ein zeitlich befristetes Sonderprogramm gewesen sei und deshalb im Rahmen der künftigen ESFFörderperiode nicht mehr möglich sei.

Wir wissen, dass das Bleiberechtsprogramm im Jahr 2013 ausläuft und mit einer Förderung in der neuen Förderperiode des ESF nicht gerechnet werden kann. Diesen Widerspruch, dass es eine Lücke gibt, weil das Bleiberechtsprogramm ausläuft, aber die neue Förderperiode noch nicht begonnen hat, scheint auch die Bundesregierung bemerkt zu haben. Es gab eine Menge Hinweise und Stellungnahmen.

Die Bundesregierung erwägt jetzt, für das Bleiberechtsprogramm einen Übergang bis zum Beginn der kommenden Förderperiode zu schaffen und die künftigen ESF-Programme „Berufliche Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten“ und „Berufsbezogene Sprachförderung“ sowie „Integration statt Ausgrenzung“ für Asylsuchende und Geduldete zu öffnen. Das ist zumindest eine interessante Überlegung, um das weiter zu befördern. Dabei kann ein gemeinsamer Beschluss des Landtags sicher hilfreich sein.

Zum Land selbst. Aller Länder haben bei der Integrationsministerkonferenz im Frühjahr dieses Jahres den Bund aufgefordert, am Bleiberechtsprogramm festzuhalten und es weiter zu fördern. Zu dem Programm stehen alle. Zurzeit liegt diesbezüglich ein Antrag Niedersachsens im Bundesrat. Ich bin sicher, dass wir dem zustimmen, wenn es in den Ausschüssen gewesen ist und im Bundesrat wieder aufgerufen wird. Vielleicht gibt es bis dahin aber auch neue Überlegungen, wie man den Inhalt des Bleiberechtsprogramms verstetigen kann. Wir brauchen es unbedingt für die Zukunft. Von daher kann ich diesen Antrag nur unterstützen. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke, Herr Minister. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Rotter.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meines Redebeitrags möchte ich gleich erwähnen, dass wir dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zustimmen werden.

(Zustimmung von Herrn Thomas, CDU - Herr Striegel, GRÜNE: Jeden Tag eine gute Tat! - Herr Leimbach, CDU: Dass Sie noch zu den Pfadfindern wollen!)

- Manche machen auch mehr als eine gute Tat am Tag, Herr Kollege Striegel.

Ich glaube, nachdem der Kollege Herbst diesen Antrag hier mit so viel Vehemenz und Herzblut eingebracht, vorgetragen und begründet hat, muss ich meinen Debattenbeitrag nicht sehr lang ausfallen lassen.

Ich bin der Meinung, dass man diesen wirklich guten Antrag, dessen Intention es absolut wert ist, unterstützt zu werden, nicht noch unbedingt zusätzlich kommentieren muss. Der Kollege Herbst hat das, wie gesagt, sehr ausführlich und mit sehr viel Leidenschaft getan. Der Minister hat dem in nichts nachgestanden. So ist aus meiner Sicht eigentlich alles Notwendige gesagt.

Lassen Sie mich jedoch noch einige ganz persönliche Anmerkungen machen. Ich persönlich kann mir nur sehr schwer vorstellen, wie es in einem Menschen aussieht und was in ihm vorgeht, der sicherlich schweren Herzens seine Heimat verlassen musste, um Verfolgung oder Bedrohung an Leib und Leben zu entgehen oder für sich und seine Familie ein besseres Leben anzustreben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb sollte es unsere oberste Pflicht sein, diesen Menschen bei uns ein Leben in Sicherheit und Würde zu gewährleisten.

Zu einem menschenwürdigen Leben gehört nach meinem Verständnis, seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit bestreiten zu können. Die Menschen, die zu uns kommen und zum Beispiel um Asyl bitten, sind zum Teil hoch qualifiziert und hoch motiviert. Sie wollen arbeiten und so für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen.

Tun wir bitte nicht so, als könnten wir diese Arbeitskräfte nicht gebrauchen. Es macht deshalb aus meiner Sicht arbeitsmarktpolitisch überhaupt keinen Sinn, auf der einen Seite um ausländische Arbeitskräfte zu werben und auf der anderen Seite das vorhandene Potenzial der bereits in unserem Land weilenden - in Anführungsstrichen - potenziellen Arbeitskräfte brachliegen zu lassen.

Mit dem Gesetzentwurf zur Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen haben wir heute nach der Mittagspause schon einen ersten Schritt in die richtige Richtung getan.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die rein menschlichen Aspekte wie die Steigerung des Selbstwertgefühls durch die sinnstiftende Wirkung von Erwerbsarbeit möchte ich hier nicht unerwähnt lassen. Dazu werde ich jetzt aber nichts weiter ausführen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie eingangs erwähnt, werden wir dem Antrag zustimmen. Ich hätte aber noch eine kleine Bitte an die Antragsteller. Inhaltlich kann ich mich dem Antrag, wie gesagt, voll anschließen und ihn auch vollumfänglich unterstützen. Ich fände es jedoch besser, wenn Sie die Landesregierung bitten und nicht auffordern würden.

(Zustimmung von Herrn Thomas, CDU - Oh! bei der LINKEN - Frau Bull, DIE LINKE: Mensch, Leute!)