Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Erhebung von telekommunikations- und telemedienrechtlichen Bestandsdaten
Einbringer ist der Minister für Inneres und Sport Herr Stahlknecht. Herr Minister, Sie haben das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat im Januar 2012 eine Verfassungsbeschwerde gegen die bundesgesetzlichen Regelungen zur Speicherung und Verwendung von Telekommunikationsdaten im Wesentlichen zurückgewiesen und festgestellt, dass diese Regelungen, soweit sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht entsprechen, übergangsweise bis längstens Ende Juni 2013 angewendet werden dürfen.
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass ein Zugriff auf Zugangssicherungscodes unabhängig von den Voraussetzungen für deren Nutzung mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar sei.
Die materiellen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Bestandsdatenauskunft werden durch ein geändertes Telekommunikationsgesetz berücksichtigt, das am 1. Juli 2013 in Kraft getreten ist. Nunmehr können die Polizei und der Verfassungsschutz entsprechende Auskünfte nur
noch verlangen, wenn eine gesetzliche Regelung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die entsprechende Regelung des Telekommunikationsgesetzes die Datenerhebung erlaubt.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die seit dem 1. Juli 2013 erforderlich gewordene Ermächtigung für die Polizei zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und für den Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes in SachsenAnhalt geschaffen werden.
Meine Damen und Herren! Wie für die Polizei ist auch für den Verfassungsschutz die Bestandsdatenabfrage kein neues Instrument. Insofern war vielleicht die Begründung in Bezug auf den Verfassungsschutz etwas missverständlich, weil wir dort hineingeschrieben haben: Wir schaffen eine neue Regelung. - Ja, wir schaffen eine neue Regelung, aber eine Regelung, die nur das erlaubt, was wir bislang auch gemacht haben. Insofern war die Aufregung in einigen Bereichen, über die ich gehört und gelesen habe, an sich unbegründet, weil wir nur das, was wir bislang gemacht haben, jetzt gesetzlich unterlegen und eine Rechtsgrundlage dafür schaffen.
Das soll auch schon reichen. Denn wir tun nichts Neues und erweitern keine Rechte, sondern wir setzen lediglich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts um, das im Lichte der Verfassung sogar das, was wir bislang getan haben, als verfassungsgemäß angesehen hat. Es hatte nur darum gebeten, eine Rechtsgrundlage dafür zu schaffen, weil es sich um einen Eingriff in Grundrechte handelt.
Ich darf mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken und würde Sie bitten, einer Überweisung in den Innenausschuss zuzustimmen, damit wir dort zügig beraten und entscheiden können. - Herzlichen Dank.
Herr Minister, wir danken Ihnen für die Zweiminuteneinbringung. Zu dem von Ihnen eingebrachten Gesetzentwurf gibt es einen Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD in der Drs. 6/2281, den wir in die jetzt einsetzende Fünfminutendebatte einbeziehen werden.
Als Erster hat für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Kollege Herr Striegel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Bestandsdatenauskunft diese zwar für nicht ausreichend rechtlich geregelt er
klärt, das datenschutzrechtliche Schutzniveau aber als verfassungsrechtlich noch hinnehmbar bezeichnet. Der Gesetzgeber ist jedoch aufgefordert, Regelungen zu schaffen, die dem hohen Gewicht der informationellen Selbstbestimmung der Bürger zweifelsfrei Rechnung tragen und sich nicht an der unteren Grenze der Verfassungsgemäßheit bewegen.
Leider ist auch der vorliegende Entwurf hart an der Grenze zur Verfassungsgemäßheit unterwegs. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Übermaßverbot scheinen dieser Landesregierung unbeachtlich. Im Grundsatz gilt: Wir, die staatlichen Organe, wollen mehr Daten, unabhängig davon, ob diese Daten zur effektiven Aufgabenwahrnehmung von Behörden notwendig und erforderlich sind.
Ihr Entwurf unterstellt leider lediglich abstrakte Gefahren. Konkrete Gefahrenlagen dagegen - Fehlanzeige. Die Notwendigkeit und Erforderlichkeit der Bestandsdatenabfrage ist im Gesetzentwurf nicht dargelegt. Das wäre aber wünschenswert gewesen.
Zumindest die besonders massiven Maßnahmen des Zugriffs auf Zugangscodes und der Identifizierung dynamischer IP-Adressen sollten deshalb einer unabhängigen wissenschaftlichen Evaluierung binnen einer angemessenen Frist unterliegen.
Die Eingriffsschwelle „gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person“ in § 17a Abs. 2 SOG in der Fassung des Gesetzentwurfs ist zwar zu begrüßen, jedoch geht der dort vorgesehene Richtervorbehalt in der Praxis ins Leere, weil angesichts der Gegenwärtigkeit der Gefahr in der Regel eine Gefahr im Verzug vorliegen dürfte. Es bleibt also bei Kosmetik, Herr Minister.
Meine Damen und Herren! Der vorgelegte Gesetzentwurf zur Bestandsdatenauskunft passt in das Muster der bisherigen Sicherheitsgesetze: Für immer abstrakter werdende Gefahren und deren vermeintlich notwendige Abwehr werden weitreichende Einschränkungen der Bürgerrechte in Kauf genommen.
Zyniker werden mir jetzt entgegenhalten, es spiele eigentlich gar keine Rolle, ob deutsche Behörden Bestandsdaten abfragen könnten, schließlich werde inzwischen der gesamte weltweite Datenverkehr überwacht. In der Tat, nach den Enthüllungen über Prism, über Tempora und viele weitere Spionageprogramme, nicht nur aus den USA und Großbritannien, wissen wir, dass eine Totalüberwachung im Gange ist,
tativ als kleinen Fisch dastehen lässt. Das Abfischen unserer gesamten Kommunikation, ob durch befreundete oder eigene Dienste, bedroht Freiheit und Demokratie und damit die Fundamente des Rechtsstaats.
Die Gesamtüberwachung von Privatpersonen und Unternehmen, ja, bis hin zu Verfassungsorganen verstößt eklatant gegen Grundrechte und das Völkerrecht. Deutsche Dienste profitieren von diesen Grundrechtsverstößen. Ich möchte daher von unserer Landesregierung wissen, welche Erkenntnisse sie zu Aktivitäten der Dienste hat und wie sie die Bedrohung für die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger Sachsen-Anhalts abzuwehren gedenkt.
Die Totalüberwachung all unserer Kommunikation ist die Kernschmelze des Rechtsstaats. Sie ist die Erfüllung düsterster Orwell’scher Ahnungen und durch nichts zu rechtfertigen. Dass sicherheitspolitische Quartalsirre wie Rainer Wendt als Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft
diese Kernschmelze zu befeuern suchen, ist schlimm genug. Nein, Herr Wendt, wer mit Angst vor Terror Politik gegen Bürgerrechte macht, der handelt nicht verantwortlich, sondern versündigt sich an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Noch verwerflicher aber ist es, wenn verantwortliche Politiker sich einer einfachen Überwachungsgesamtrechnung verweigern und mit dem Verweis auf abstrakte Gefahren immer neuen Überwachungsmöglichkeiten das Wort reden.
Herr Stahlknecht, nicht alles, was technisch machbar und rechtsstaatlich vielleicht gerade noch möglich ist, muss auch eingeführt werden. Gerade weil sie faktisch jeglicher Kontrolle entzogen sind, sollten wir von weiteren Befugnissen für die Geheimdienste und mithin für den Verfassungsschutz Abstand nehmen. Dazu gehört auch die Bestandsdatenauskunft.
Was für die Polizei im Rahmen der Abwehr einer konkreten Gefahr noch möglich sein kann und in jedem Fall einer richterlichen Kontrolle unterworfen sein muss, darf für Geheimdienste nicht gleichsam möglich sein. Die Identitätsfeststellungen bleiben Zwangsbefugnisse. Für diese ist im Rahmen des Trennungsgebotes nun einmal die Polizei zuständig.
Wir lehnen den Gesetzentwurf ab. Wir unterstützen aber seine Überweisung in den Innenausschuss und in den Rechtsausschuss in der Hoffnung, dort noch Verbesserungen erreichen zu können.
Meine Damen und Herren! Wer die Sicherheit der Freiheit vorzieht, ist zu Recht ein Sklave, sagt Aristoteles. Wir werden Freiheit mit Sicherheit in Einklang bringen müssen. Das geht aber nur mit weniger und nicht mit mehr Befugnissen für die Geheimdienste. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Striegel. - Für die SPDFraktion spricht jetzt Herr Erben. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf das eingehen, was der Kollege Striegel uns hier kundgetan hat. Da haben Sie wieder einmal die ganz, ganz große Keule herausgeholt.
Also, mit Prism habe ich noch gerechnet, auch wenn es mit dem heutigen Thema nichts, aber auch überhaupt nichts tun hat.
Dann haben Sie noch die griechischen Philosophen bemüht. Dabei geht es doch wirklich nur um die Umsetzung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die zugegebenermaßen jetzt fast eineinhalb Jahre alt ist.
Um nicht mehr und nicht weniger ging es. Es geht um Befugnisse, die die Sicherheitsbehörden in diesem Land, und zwar nicht nur in SachsenAnhalt, sondern auch in den anderen Bundesländern und beim Bund haben, und zwar seit Jahren haben.
Um das vielleicht noch einmal etwas plastischer auch für die Kolleginnen und Kollegen zu machen, die nicht jeden Tag mit dem Thema zu tun haben: Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, es reiche nicht, dass es eine Regelung auf der Bundesebene gibt, die besagt, dass Daten von einem Telekommunikationsanbieter herausgegeben werden müssen, sondern es bedürfe auf der anderen Seite der Tür auch noch einer Ermächtigung, dass Sicherheitsbehörden eben diese Daten abfordern dürfen.