Protokoll der Sitzung vom 12.07.2013

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Landtagssitzung rufen wir das Thema Hochwasser innerhalb von kurzer Zeit zum zweiten Mal auf. Ich glaube, es ist notwendig, dass weiterhin darüber gesprochen wird. Die Betroffenheit im Land ist nach wie vor groß.

Während wir hier inzwischen schon wieder in aller Ruhe tagen - das ist auch sinnvoll -, sind viele Familien noch immer damit beschäftigt, ihr Hab und Gut neu zu ordnen oder überhaupt erst einmal an neues zu kommen, um ihre Wohnungen entsprechend wieder auszustatten, sofern es die Häuser schon zulassen.

Wir dürfen - das muss hier unsere Aufgabe sein - auch in den nächsten Monaten diese Thematik nicht aus den Augen verlieren und nicht schnell zur Tagesordnung übergehen, was diese Problematik angeht.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Die Diskussion gehört natürlich hier hin, Kollege Dr. Köck. Aber es interessiert die Leute im Moment noch nicht, ob wir über eine Kulturkatastrophe oder über eine Naturkatastrophe reden; vielmehr erwarten die Leute, dass ihnen schnell geholfen wird. Sie haben ein Recht darauf.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die finanziellen Hilfen müssen schnell zu den Einwohnern. Sie müssen schnell in die Kommunen. Sie müssen überall dorthin, wo sie dringend gebraucht werden.

Eines ist ganz schwierig, wenn man hier heute über das Hochwasser redet. Wir haben extra - der eine oder andere wird es gesehen haben - in den Antrag geschrieben, dass die Reihenfolge keine Wertung darstellt; denn es ist ganz schwierig, zu sagen, was ist das Wichtigste, was ist das Zweitwichtigste und was ist das Drittwichtigste. Wir haben es hier eigentlich nur mit vorrangigen Prioritäten zu tun.

Der Minister für Landwirtschaft und Umwelt hätte sicherlich - das gehört sich für ihn auch so - an den Beginn der Rede die Äußerung gestellt, dass den Landwirten dringend zu helfen ist. Auch in diesem Bereich gibt es große oder schwerwiegende Beeinträchtigungen der Betriebe. Die Flächen standen zum Teil bis zu 100 % unter Wasser und teilweise stehen sie immer noch unter Wasser. Es gibt Forstbereiche, die unter Wasser stehen.

Es gibt einen weiteren Bereich in Sachsen-Anhalt, den ich hier noch einmal in den Fokus rücken möchte, nämlich die Tourismuswirtschaft, die auch stark gelitten hat.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Wir haben wenig Möglichkeiten, die Tourismuswirtschaft aus dem Hochwasserfonds so zu unterstützen, wie wir es jetzt nur mit denen machen können, die wirklich direkt durch Wasser im Keller oder durch Wasser auf den Ackerflächen betroffen sind.

Lassen Sie mich einmal an einem Beispiel erläutern, was mich dabei auch bewegt.

Es gibt Tourismusbetriebe, die von ihrem Umfeld abgeschnitten sind, weil man Straßen schlitzen musste. Sie können seitdem keine Gäste mehr empfangen und haben dadurch große Probleme.

Das ist durch die derzeitige Förderrichtlinie nicht gedeckt. Wir sollten uns aber einmal Gedanken machen, wie wir auch diesen helfen können. Es muss mehr passieren - der Kollege Wirtschaftsminister ist nicht anwesend - als eine Plakataktion in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Wir müssen - das versteht sich von selbst - die Hochwasserschutzanlagen dringend wiederherstellen. Wir mussten es schon deswegen tun, weil sozusagen ein kleiner Nachschwapp, der einige Wochen nach der großen Flut kam, wiederum zu Überschwemmungen hätte führen können. Deshalb musste dort in Windeseile gebaut werden.

In Fischbeck musste das - ich sage es einmal so - im Husarenstreich dorthin gebrachte Schiff durchtrennt werden, damit man die Spundwand aufbauen konnte.

Das, was in den letzten Wochen von den Katastrophenstäben, von den Baufirmen und von den Beteiligten des LHW geleistet worden ist, war auch vor dem Hintergrund, dass man gleich noch einmal ran musste, eine Superleistung. Das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich erwähnen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Zu- stimmung bei der LINKEN)

Natürlich müssen wir auch die Infrastruktur schnell wiederherstellen; denn die Bürger müssen auch in dieser Zeit wieder die Möglichkeit haben, die Städte, die Baumärkte, die Läden zu erreichen, in denen sie üblicherweise einkaufen. Sie können nicht bis zu eineinhalb Stunden durch die Gegend fahren. Ich danke dem Landesbetrieb für Straßenbau dafür, dass er in Zusammenarbeit mit den Kreisen und den Kommunen heftig daran arbeitet.

Die Koalitionsfraktionen haben angedacht - ich glaube, diesbezüglich sind auch die Oppositionsfraktionen nah bei uns -, die laufenden Genehmigungsverfahren für die Hochwasserschutzanlagen zu beschleunigen. Ich halte das für zwingend geboten; denn es kann nicht sein, dass wir uns beim nächsten Hochwasser wieder anschauen und uns fragen: Warum sind bestimmte Dinge noch nicht fertig geworden? Warum hat man sich vor Ort über irgendwelche Kleinigkeiten gestritten? Warum kam man nicht weiter?

Ich glaube, der Minister für Landwirtschaft und Umwelt hat auch schon entsprechende Signale erhalten, dass es beim Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft einiges neues Personal geben muss, auch um langfristig die Schlagfertigkeit des LHW im Land zu sichern.

Gleichzeitig haben wir in unserem Antrag gefordert, dass auch die Genehmigungsbehörden verstärkt werden, damit die Verfahren zügiger und intensiver bearbeitet werden können. Wir wollen dann aber in den nächsten Jahren auch Ergebnisse sehen; das ist klar.

Ein Thema, das zurzeit sehr stark in der Öffentlichkeit und auch in der Politik diskutiert wird, ist bei den Fachleuten unumstritten. Neben einem guten technischen Hochwasserschutz durch die Deiche brauchen wir Retentionsflächen. Wir brauchen die Rückverlegung der Deiche oder wir müssen Polderflächen bilden, um insgesamt mehr Retentionsräume zu haben, als wir sie bisher hatten.

Das führt schlicht und ergreifend dazu, dass das Wasser zwischen den Deichen nicht so hoch steigt, dass der Druck nicht so auf dem Kessel ist,

wie wir es jetzt erlebt haben. An dem Thema Deichrückverlegung kommt niemand vorbei.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Ich habe in den letzten Tagen schon das eine oder andere Mal gehört, dass man sich mehr den Deichen als den Retentionsflächen widmen sollte, weil man dann vielleicht sozusagen den Euro pro Kopf effizienter verteilen kann. Aber das funktioniert nicht. Ich sage es Ihnen so, wie ich hier stehe: Wir müssen die Retentionsflächen schaffen, sonst funktioniert der technische Hochwasserschutz nicht.

Selbst wenn wir alle Deiche im Land zu 100 % erneuert hätten, irgendwo gibt es einen Deich, der dann an seiner schwächsten Stelle wie ein Sektkorken fliegt, wodurch die nächste Stadt oder der nächste Ort überschwemmt wird. Das dürfen wir nicht zulassen. Um diesen Druck herauszulassen, müssen wir Retentionsflächen schaffen.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Natürlich freue ich mich auch immer, Gespräche mit den Flussbereichsleitern des LHW zu führen. Diese sagen dann auch: Liebe Abgeordnete, bitte seid so nett, gebt uns die Gelder insbesondere für die Retentionsräume. - Ich finde es gut, dass diese Botschaft direkt bei uns Abgeordneten ankommt; denn die Konzepte liegen letztlich vor.

Wir müssen die Katastrophe der letzten Wochen weiterhin mit den Krisenstäben auswerten, um zu erfahren, wie bestimmte Dinge gelaufen sind.

Natürlich weiß auch ich aus Gesprächen vor Ort bzw. aus meinem Wahlkreis, aber auch in anderen Bereichen: Man war nie immer mit allem zufrieden. Ich glaube, das ist normal. Ich habe aber festgestellt, dass alle, die beteiligt waren - von den freiwilligen Helfern über das THW und die Feuerwehren bis hin zu den Hauptamtlichen, die ich schon erwähnt habe -, alles getan haben, was sie tun konnten. Dass dennoch einmal etwas schief gegangen ist, ist normal.

Ich möchte hier ausdrücklich noch einmal auf die Aussage eingehen - ich hoffe, der Innenminister kann es bestätigen; es ging auch durch die Presse -, dass man den Krisenstab in Stendal mehr oder weniger entmachtet hat, weil er nicht ordentlich gearbeitet hat. Das ist nie und nimmer so gewesen. Es war vielmehr aufgrund der länderübergreifenden Koordinierung notwendig, dass das Land für wenige Tage die Führung des Krisenstabes übernommen hat. Ich halte das für richtig.

Ich sage hier aber auch klar und deutlich: Das bringt nicht nur Vorteile. Das kann im Einzelfall auch Nachteile bringen. Deswegen hat der Innen

minister - er ist jetzt nicht hier - in der Zeitung mehr Kompetenzen für das Land im Krisenfall gefordert. Ich möchte dem ausdrücklich widersprechen. Denn wir mussten auch feststellen, dass die Mitarbeiter, die das Land in den Kreis gesandt hatte, zum Teil nicht ortskundig waren und dann doch sehr auf die Zusammenarbeit mit dem Krisenstab vor Ort angewiesen waren.

Wir brauchen vor Ort Leute, die Ortskenntnisse haben. Wir brauchen eine vernünftige Abstimmung. Wir brauchten diese Krise vielleicht, um einmal neu zu justieren, was wo und wie am besten funktioniert. Aber das funktioniert nicht durch Kompetenzverlagerung, sondern durch ein Schärfen der Instrumente, die wir bereits haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir sollten ernst machen und festlegen - ich bin gespannt, ob das einige in einem halben Jahr noch wissen -, wie wir in Zukunft die Flächen besiedeln.

Ich habe parallel zu der heutigen Diskussion noch eine Anfrage an die Landesregierung geschickt, um einmal zu erfahren, welche Bebauungspläne es für überschwemmungsgefährdete Gebiete gibt usw. usf. Wir müssen, glaube ich, über die Landesplanung, gegebenenfalls über die Raumordnung festlegen, in welchen Bereichen in Zukunft nicht gebaut werden sollte.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Wir werden es nie 100-prozentig ausschließen können, dass es weiterhin Risikoflächen gibt.

Aber ich habe auch von einigen gehört - ich weiß, es kam auch aus meiner Partei, insbesondere von der Bundespartei -: Wir brauchen Pflichtversicherungen oder Zwangsversicherungen für alle Häuser.

Ich würde unter Umständen mitgehen, und zwar nur dann, wenn auch die Gemeinden in Bezug auf ihre Flächennutzungsplanung und die Bebauungspläne in die Pflicht und in die Haftung genommen werden. Denn wenn eine Versicherung für alle da ist, kann es nicht sein, dass der Bürgermeister sagt: Dann kann ich ja prima in der Aue weiterbauen; denn im Zweifelsfall hilft die Versicherung. - So kann es nicht sein.

Wenn die Gemeinden jetzt nichts gelernt haben und nicht wissen, welche Verantwortung sie an der Stelle haben, dann, glaube ich, sind wir als Gesetzgeber gefordert, ihnen das aufzuzeigen.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der LINKEN)

Wir sollten weiterhin Konsequenzen im Hinblick auf eine Verbesserung der Ausrüstung der Feuerwehren und der Wasserwehren ziehen. Wir haben in den letzten Wochen gemerkt, wo einfach noch Dinge fehlen bzw. nicht vorhanden sind. Es fehlen

noch ein paar Boote, es fehlt noch eine Menge Ausrüstung. Auch das sollte machbar sein. Wir müssen im Rahmen der Haushaltsberatungen sicherlich über das eine oder andere sprechen.

Zu guter Letzt komme ich zu dem Bereich, der uns dann alle auch noch einmal umtreiben wird. Ich habe das Thema Retentionsräume schon angesprochen. Das funktioniert aber nur dann, wenn alle mitmachen, alle Länder an der Elbe und an den jeweiligen Flüssen, die betroffen sind.

Ich erwarte von der Landesregierung, dass man - was man ja schon tut - mit den Oberliegern, aber auch mit den Unterliegern verstärkt ins Gespräch kommt, um entsprechende Hochwasserschutzkonzepte zu schaffen.