Protokoll der Sitzung vom 10.06.2011

Darüber hinaus werden wir zu diskutieren haben, dass dem Grundgesetz wie auch Artikel 74 Abs. 1 Nr. 11 das Modell einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung zugrunde liegt. Egal, wie man grundsätzlich zum Glücksspiel steht, ob man es mag oder nicht - das gewerbsmäßige Aufstellen von Geldspielgeräten stellt nach der Rechtsprechung gemäß Artikel 12 Abs. 1 des Grundgesetzes eine grundrechtlich geschützte wirtschaftliche Betätigung dar.

Ich plädiere dafür, dass wir offen und sachlich die Möglichkeiten unserer durch die Föderalismusreform I beim Spielhallenrecht hinzugewonnenen Gesetzgebungskompetenzen im Ausschuss erörtern. Inwieweit tatsächlich Handlungsbedarf für weitere Spielhallenrestriktionen oder für sonstige Maßnahmen besteht und, wenn ja, für welche genau, lässt sich abschließend erst nach der aktuellen Sachstandermittlung durch das Landesverwaltungsamt und nach Gesprächen im Ausschuss beurteilen. Diese sollten wir deshalb mit der gebotenen Sorgfalt führen. - Besten Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank. Wollen Sie eine Frage beantworten?

Ja, gern.

Herr Kollege, bitte.

Ich war am Anfang ein bisschen darüber verwundert, dass Sie an das Mikrofon gegangen sind, um für die Landesregierung zu sprechen, Frau Ministerin. Ich meine, Sie haben es dann juristisch klar dargelegt, warum das in Ihren Zuständigkeitsbereich fällt.

Nichtsdestotrotz befinden wir uns ja in dem Feld der Ratifizierung des Glücksspielstaatsvertrages mit der ganzen Thematik. Wir wissen alle oder jedenfalls die meisten von uns, dass es gestern weitere Verhandlungen zwischen den Ministerpräsidenten der Länder gab.

Ich hätte es gut gefunden, wenn wir im Rahmen dieser Debatte heute in diesem Hause dazu einen aktuellen Stand bekommen hätten, um die Dinge umfassend beurteilen zu können.

Sie haben selbst in Ihrer Rede auch darauf hingewiesen, dass es nicht nur um Spielhallen und Spielgeräte in Gaststätten beispielsweise geht, sondern natürlich das Thema „Internet“ eine ganz besondere Bedeutung bei der Prävention von Glücksspielsucht hat. - Das als kurze Vorbemerkung zu meiner Frage.

Der Glücksspielstaatsvertrag enthält unter anderem auch für den Bereich des Internetspiels - das ist hinsichtlich der Suchtprävention ein ganz entscheidendes Thema - eine Formulierung zu Netzsperren, jedenfalls in dem mir bekannten Entwurf. Meine Frage ist: Ist diese Thematik „Netzsperren“, ist diese Regelung dort weiterhin enthalten? Können Sie dazu etwas sagen?

Der Herr Ministerpräsident hat jedenfalls - so verstehe ich seine Presseäußerungen - gestern bekannt gegeben, dass sich an den Eckpunkten nichts geändert hat. Ich frage Sie deshalb: Ist die Thematik „Netzsperren“ weiterhin darin verankert?

Danke für die Frage. - Sie haben Recht. Dieses Thema betrifft mit seinem Charme gleich mehrere Ressorts. Insofern würde der Kollege Robra gern Ihre Frage beantworten, weil ich da den Ball wieder an die Staatskanzlei übergeben muss.

Herr Staatsminister, Sie haben das Wort. - Das wird jetzt etwas schwierig mit der Redezeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich gern kurz fassen.

Es ist richtig. Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten haben gestern noch einmal über die Weiterentwicklung des Glücksspielstaatsvertrages gesprochen, damit die Länder, die federführend mit Brüssel verhandeln - das sind ja SachsenAnhalt und Rheinland-Pfalz -, wissen, wie sich die Dinge mutmaßlich nach dem Ergebnis der Anhörung weiter entwickeln.

Dabei haben sich die Ministerpräsidenten - ohne dass das jetzt Gegenstand der Beschlussfassung geworden ist - gerade auch mit dem Thema „Netzsperren“ beschäftigt und entschieden, dass das nicht weiter verfolgt wird, sondern dass die ordnungsrechtliche Flankierung sozusagen dieses gesamten Systems am Ende im Wesentlichen wohl ganz vorrangig über die Kontrolle der Finanzierungsströme, der Geldströme erfolgen soll.

Wir wollten auch ganz bewusst das ohnehin schon schwierige Thema des Glücksspielstaatsvertrages nicht noch mit der allfälligen Debatte über die Freiheit des Internets belasten. Das erschien allen Ländern am Ende nicht zielführend.

Ich hatte mich aber im Übrigen auch gemeldet, um deutlich zu machen, dass auch der Bundeswirtschaftsminister im Gespräch der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin - da sitzt ja die ganze Korona der Bundesregierung dabei - jetzt endlich und erfreulicherweise zugesagt hat, die von uns erwarteten Änderungen der Spielverordnung unverzüglich vorzulegen, weil wir, wenn wir nach Brüssel fahren, wissen müssen, welche Regelungskonzeption die Bundesregierung nun beistellt, damit wir ein insgesamt kohärentes System bekommen.

Die in den letzten Tagen des früheren Bundeswirtschaftsministers Brüderle diskutierte Variante der

freiwilligen Selbstverpflichtung scheint jetzt vom Tisch zu sein, zumal sich Herr Rösler auch als Landesminister und als Mediziner, wie er beiläufig deutlich gemacht hat, dessen sehr bewusst ist, mit welcher Dimension an Suchtproblematik wir es bei den Spielhallen zu tun haben.

Ich biete im Übrigen allen Fraktionen gern an, wenn Sie mich einladen, auch über die sonstigen Denkansätze im Zusammenhang mit dem Glücksspielstaatsvertrag und über die Konzeption, die seiner Regelung zugrunde liegt, zu sprechen. Ich stehe also ausdrücklich für solche Einladungen in die Fraktionen zur Verfügung. - Danke schön.

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Herr Staatsminister, wollen Sie eine Frage beantworten? - Herr Wagner hat sich gemeldet.

Herr Staatsminister, ich habe das jetzt so verstanden, dass sich die Ministerpräsidenten gestern darauf geeinigt haben, sämtliche Regelungen zu Netzsperren für den aktuellen Änderungsstaatsvertrag fallen zu lassen. Nun ist dieser Staatsvertrag bereits im Ratifizierungsprozess. Heißt das, dass die Landtage bzw. die Bürgerschaften, die diesen Vertrag bereits ratifiziert haben, diesen Vertrag in geänderter Fassung erneut zur Beschlussfassung vorgelegt bekommen und die alten Abstimmungen in diesen Parlamenten damit passé sind?

Nein. Also die Prämisse, die dieser Frage zugrunde liegt, trifft nicht zu. Er ist zur Notifizierung nach Brüssel gesandt worden, damit Brüssel dieses Gesamtthema Kohärenz - also die Frage, werden alle unterschiedlichen Angebote von Lotto über Spielhallen bis Internet nach einem in etwa ganzheitlichen Ansatz geregelt - und die EU-rechtlichen Aspekte prüfen kann.

Die Ratifikation wird erst beginnen, nachdem wir eines Tages, wenn die Verhandlungen auf der Ebene der Ministerpräsidenten abgeschlossen sind, auch die Vorunterrichtung des Landtags hier formell durchgeführt haben werden. Vorher kann der Ministerpräsident nicht unterzeichnen.

Erst wenn er unterzeichnet hat - das wird irgendwann im September oder im Oktober 2011 der Fall sein -, wird dem Landtag das Ratifikationsgesetz zugeleitet werden. Das heißt, zurzeit befindet sich der Glücksspielstaatsvertrag ohnehin noch in der laufenden Bearbeitung auf der Ebene der Länder.

Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt Herr Grünert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen soll die Landesregierung aufgefordert werden, besonders in dem Bereich des Automatenspiels erhebliche Beschränkungen im Glücksspielstaatsvertrag zu prüfen und gegebenenfalls politisch zu fordern. Ich muss zugeben, auf den ersten Blick ist das Ansinnen logisch und nachvollziehbar, aber nur auf den ersten Blick.

Eigentlich müsste die Überschrift geändert werden. Wenn ich die Ausführungen, die bisher erfolgt sind, zusammenfasse, müsste es heißen „Konkurrenz beseitigen und beschränken“. Da der eigentliche Ansatz, nämlich die Suchtbekämpfung, in keiner Weise in seinem Umfang dargestellt worden ist.

(Frau Niestädt, SPD: Dann haben Sie etwas nicht verstanden!)

Insofern hat der Staatsminister gerade Recht gehabt; es sind eben hierbei nicht die Spielsucht und der Schutz der Jugendlichen betroffen, wenn ich nur Teile aus dem Bereich der Suchtgefahren benenne. Das ist nur das Automatenspiel. Wir haben aber daneben Lotto-Toto, wir haben die Sportwetten, wir haben Poker und andere Spiele, unter anderem auch unter Nutzung des Internets.

Hierbei, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir zum ersten Dilemma, das wir alle haben. Auf der einen Seite sollen wir uns natürlich dem hehren Ziel der Suchtbekämpfung stellen. Auf der anderen Seite steht der Punkt: Wenn wir es richtig tun, fallen dort natürlich die Einnahmen weg, Einnahmen für Sozialprojekte, Sportprojekte und Kulturprojekte.

Wenn man das als ernst begreift und sagt, dass uns das die Suchtbekämpfung wert ist, dann heißt es an anderer Stelle: Woher soll dann die Finanzierung dieser Aufgaben kommen, die bisher aus Lotto-Toto-Mitteln und anderen Einnahmen erfolgt?

Wenn man in der Logik des Haushaltes bliebe, würde das heißen, dass dann das Land diese Voraussetzungen schaffen muss. Dazu hatten wir gestern eine ausführliche Debatte. Ich will die Argumente jetzt nicht wiederholen. Das heißt, wir haben hier tatsächlich ein Problem.

Zweitens wird dem Automatenspiel eine besonders hohe Suchtgefahr unterstellt. Herr Erben sprach von 80 %. - Wenn Sie so lieb wären, diese Zahl zu untersetzen und uns zu sagen, woher Sie diese 80 % haben. Sie sind nirgendwo statistisch belegbar, zumindest anhand der mir zugänglichen Quellen nicht. Vielleicht haben Sie die Chance, uns diesbezüglich ein Stück weit zu läutern.

Logisch ist, dass bei einer Vielzahl von Automatenkasinos natürlich auch die Anzahl der Spielenden und damit die Suchtgefahr pro Person zu

nimmt, aber die genannten 80 % erklären sich daraus nicht. Ausgeblendet wird die Tatsache, dass via Internet eine Beschränkung der Angebote und eine Bekämpfung der Suchtgefahr wesentlich höher sein kann, eine Bekämpfung jedoch faktisch ausgeschlossen ist. Wie gesagt, sind Netzsperren gar nicht erst erwähnt worden und gehen offensichtlich in die Richtung der Verhinderung von Konkurrenz, aber weniger in die Richtung, Suchtgefahren zu kanalisieren bzw. wesentlich zu minimieren.

Drittens soll den Kommunen die Aufgabe zugeteilt werden, die Prävention vor Suchtgefahren zu erhöhen und gleichzeitig Verstöße gegen die Spielordnung und den Jugendschutz zu kontrollieren und zu ahnden sowie die Schuldnerberatung für Betroffene zu erhöhen. Eine adäquate Kostenregulierung für die Kommunen sieht die Neufassung des Glücksspielstaatsvertrages jedoch derzeit nicht vor.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch an dieser Stelle greift der Artikel 88 Abs. 2 der Landesverfassung: Dann soll bitte auch die Finanzierung sichergestellt werden.

Werte Damen und Herren! Der gegenwärtig noch gültige Glücksspielstaatsvertrag ist aus meiner Sicht juristisch, politisch und finanziell gescheitert. Seine Regulierungen und Beschränkungen des Glückspiels gehen im Internet-Zeitalter an der Lebenswirklichkeit vorbei. Juristisch ist er gescheitert, weil die bestehenden Regulierungen in sich widersprüchlich sind. Der Europäische Gerichtshof monierte sie als inkohärent. Es ist zum Beispiel auch für den EuGH nicht nachvollziehbar, dass Pferdewetten erlaubt sind, Wetten auf andere Sportereignisse aber nicht.

Politisch ist er aus meiner Sicht gescheitert, weil das verfolgte Ziel, Menschen vor der Spielsucht zu schützen, nicht erreicht wurde. Die Beschränkungen wurden an den falschen Stellen angesetzt. Völlig ausgeblendet bleibt das Spekulieren an der Börse mit seinen spezifischen Produkten, wie Wetten auf zukünftige Kurse, was im Einzelfall ebenso ruinös sein kann, und das Wetten auf Sportereignisse. Dazu ist gestern noch einiges über den Äther gelaufen.

Finanziell ist er gescheitert, weil durch Werbeeinschränkungen im Bereich Lotto und Toto Umsatzrückgänge zu verzeichnen sind, was zur Folge hat, dass gemeinnützige Ziele - ich habe es bereits erwähnt - wie die Sportförderung gefährdet wären.

Aus unserer Sicht ignoriert der bestehende Glücksspielstaatsvertrag, dass diejenigen, die um Geld spielen wollen, es längst faktisch ohne Sanktionen tun, und zwar im Internet. Dort werden mit Sportwetten, Poker und anderen Spielen längst Milliardenbeträge umgesetzt, die nicht einmal besteuert werden.

Eine Überarbeitung des Glückspielstaatsvertrages ist deshalb aus unserer Sicht dringend erforderlich. Der vorliegende Entwurf der Ministerpräsidenten zum ersten Änderungsstaatsvertrag vom 14. April 2011 enthält eine grundsätzlich richtige Zielbestimmung, nämlich den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete Bahnen zu lenken sowie der der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken, ist aber unzureichend und in vielen Punkten zu kritisieren.

(Zustimmung von Herrn Czeke, DIE LINKE, und von Frau Bull, DIE LINKE)

Wenn ich mir noch eine Bemerkung zu der Argumentation erlauben kann, dass in den Spielannahmestellen eine tatsächliche Prävention und Bekämpfung der Spielsucht in Form von Kontrollen stattfindet, dann muss ich sagen, das ist doch hanebüchen. Ich habe noch nicht erlebt, dass die Lotto-Toto-Gesellschaft in die Schulen gegangen ist und gesagt hat: Liebe Schüler, beteiligt euch nicht am Spiel um den Jackpot; denn das birgt Gefahren für euch. Das findet doch nicht statt.

Wenn Sie in die Zeitung sehen, stellen Sie fest, dass jedes Mal, wenn der Jackpot ein paar Millionen hoch ist, er darin auch noch beworben wird. Wenn ich auf der einen Seite sage, bitte spielt, der Jackpot ist hoch, aber auf der anderen Seite sage, bitte denkt daran, es kann zu einer Sucht werden, dann ist das doch mit Blick auf die Suchtbekämpfung irrwitzig.

(Zurufe von Herrn Scheurell, CDU, und von Herrn Leimbach, CDU)

Das erinnert mich ein wenig an den Spruch: Bitte wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.