Protokoll der Sitzung vom 17.10.2013

Wir stimmen jetzt über die Besetzung des Untersuchungsausschusses ab. Dazu liegt Ihnen ein Antrag in der Drs. 6/2502 vor. Wer diesem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind alle Fraktionen. Damit ist die Besetzung des Ausschusses so beschlossen worden und die Voraussetzungen für die Bildung des 14. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses sind gegeben.

Gemäß § 5 Abs. 3 des Untersuchungsausschussgesetzes haben die Mitglieder des Untersuchungsausschusses mit der Bestätigung durch den Landtag ihre Rechtsstellung erworben. Der Tagesordnungspunkt 1 ist beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Beratung

Missbilligung des Ministers für Landesentwicklung und Verkehr

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/2461

Alternativantrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/2499

Für den Antragsteller spricht der Abgeordnete Herr Striegel. Bitte sehr.

(Herr Scheurell, CDU: Hört, hört!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist heute genau einen Monat her, dass das Verfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt in Dessau Recht gesprochen, die verfassungsmäßigen Rechte des Landtages wiederhergestellt, die Landesregierung der Lüge und des rechtswidrigen Zurückhaltens von Informationen geziehen und durch seine Entscheidung die verfassungsmäßige Ordnung wiederhergestellt hat.

Es hätte nicht so weit kommen müssen, wenn die Regierung Haseloff nicht im Jahr 2012 schon zu diesem Zeitpunkt erkennbar rechtswidrig meinem Fraktionskollegen Christoph Erdmenger die Auskunft zu einem milliardenschweren Vertragswerk im Nahverkehrsbereich, konkret zur Vergabe des sogenannten Elektronetzes Nord, verweigert hätte.

Weil alles Argumentieren nicht fruchtete, kein Gutachten des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes die handelnden Personen in der Landesregierung überzeugen konnte und dort offenbar auch kein Blick in die Landesverfassung oder in Entscheidungen von Verfassungsgerichten aus den letzten Jahren geworfen wurde, blieb zur Wahrung der Interessen des Parlaments nur der Klageweg und damit der Gang zum Verfassungsgericht nach Dessau.

Ich bin meinem inzwischen ehemaligen Kollegen Christoph Erdmenger dankbar, dass er immer wieder klug, pointiert und umfangreich die Landesregierung befragt und zudem die Auseinandersetzung mit der Landesregierung vor Gericht nicht gescheut hat. Ich danke meiner Fraktion, dass sie das finanzielle und politische Wagnis eines Organstreitverfahrens vor dem Landesverfassungsgericht von Anfang an voll unterstützt hat.

Die Klage Christoph Erdmengers hat die Interessen des gesamten Parlaments im Blick gehabt. An dieser Stelle hat ein Abgeordneter, unterstützt durch seine, die bündnisgrüne Fraktion, einen Sieg für den gesamten Landtag errungen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Die Entscheidung des Gerichts, mit der festgestellt wurde, dass die Landesregierung ihren Informationspflichten gegenüber dem Parlament und damit der Öffentlichkeit nicht nachgekommen ist, das Parlament sogar belogen hat, ist eine Zäsur.

(Zuruf von Herrn Scheurell, CDU)

Sie mahnt die jetzige und alle zukünftigen Landesregierungen, die verfassungsmäßigen Rechte des Parlaments zu achten und den Informationsbegehren des Hohen Hauses nachzukommen.

Man hätte annehmen dürfen, dass spätestens nach der in Deutlichkeit nicht mehr zu überbietenden Entscheidung des Verfassungsgerichts die Landesregierung und besonders das von der Klage fachlich betroffene Kabinettsmitglied den Richterspruch in Demut annehmen und fortan der Verfassung zur Geltung verhelfen würden.

Diese Hoffnung zerstob noch am Abend der Gerichtsentscheidung, als der Minister für Landesentwicklung und Verkehr das Urteil und die bereits geplante Mandatsniederlegung des Abgeordneten Erdmenger mit den Worten kommentierte, nach dessen Weggang zögen in Sachsen-Anhalt in Sachen Kleiner Anfragen endlich wieder - Zitat - „normale Zustände“ ein.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Sie haben, Herr Minister Webel, mit diesem Ausspruch einen tiefen Blick in Ihr Inneres ermöglicht. Sie haben deutlich gemacht, wie groß Ihre Missachtung des Parlaments ist.

(Unruhe bei der CDU)

Unerwartet ehrlich und unverblümt haben Sie das Verhältnis dieser Landesregierung zum Parlament beschrieben; denn wir stellen fest, niemand von den Ministerkolleginnen und -kollegen hat Ihnen öffentlich widersprochen. Der Ministerpräsident schweigt zu dem unerhörten Vorgang bis heute. Er billigt damit Äußerungen seines Ministers und macht sich dessen Parlamentsschelte zu eigen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Als bündnisgrüne Landtagsfraktion haben wir in den vergangenen vier Wochen Brücken zur Landesregierung mit dem Ziel gebaut, eine Klarstellung zu den Äußerungen des Verkehrsministers zu erhalten - leider ohne Erfolg. Wir sehen uns daher heute in der Pflicht, stellvertretend für das gesamte

Parlament die Missbilligung des Ministers zu beantragen. Es gilt, Schaden vom Hohen Hause abzuwenden, die Rechte des Parlaments zu wahren und den Minister für seine Äußerung zu rügen; denn Minister Webel referierte im arroganten Ton eine These,

(Zuruf von Herrn Scheurell, CDU)

die den Abgeordneten insgesamt ihre parlamentarischen Rechte, ihre verfassungsmäßigen Rechte abspricht und die versucht, die Kontrollrechte und -pflichten des Parlaments zu beschneiden.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Wir bedauern ausdrücklich, dass Regierungschef Haseloff in diesem Zusammenhang untätig geblieben ist und sich in den vergangenen Wochen weder formellen noch informellen Konfliktlösungswegen geöffnet hat.

(Zurufe von der LINKEN)

Die Erfolgsgeschichte des Parlamentarismus ist eine Geschichte immerwährender Auseinandersetzungen mit absolutistischen Herrschern und ihren Machtansprüchen.

(Widerspruch bei der CDU)

- Wenn Sie mir widersprechen möchten, müssen Sie das auch begründen.

(Herr Scheurell, CDU: Das können wir jeder- zeit!)

In den vergangenen Jahrzehnten ist dieses Konfliktfeld in westlichen Demokratien dem System von „Checks and Balances“ gewichen. Das Parlament in Sachsen-Anhalt wählt mittels ihm vom Souverän auf Zeit verliehener Macht einen Ministerpräsidenten. Dessen Legitimation und folglich auch die seiner Regierung ist an das Parlament gekoppelt.

Es ist das Recht und die Pflicht des Parlaments, das Handeln dieser Regierung umfassend zu kontrollieren. Die parlamentarische Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit fußen auf dem tiefen Misstrauen gegenüber Machtkonzentration ohne effektive Kontrolle. Unsere Demokratie ist durch zu Institutionen geronnenes Misstrauen geprägt. Das macht sie erfolgreich.

Auseinandersetzungen um Kompetenzen oder die Reichweite von Kontroll- und Fragerechten sind der Demokratie inhärent. Sie müssen bisweilen auch gerichtlich ausgefochten werden.

Die Qualität der Schriftsätze der Landesregierung im hinter uns liegenden Gerichtsverfahren zu bewerten, überlasse ich gern anderen. Der Erfolg des umfassend obsiegenden Abgeordneten Erdmenger und die Tatsache, dass das Gericht auch die Kosten des Verfahrens vollständig der Landes

regierung aufgebürdet hat, ohne dass es dazu verpflichtet gewesen wäre, sprechen für sich.

Was kann das Urteil - Minister Stahlknecht hat es als „Lehrbuchentscheidung“ und „geeignet zur Herstellung eines parlamentarischen Normalzustandes“ bezeichnet - im Verhältnis zwischen Regierung und Parlament verändern? - Zunächst einmal nichts. Denn solange Minister der Regierung es offenbar als normal erachten, wenn Abgeordnete wenige oder gar keine Fragen stellen, und wenn sie bedauern, dass das Verfassungsgericht entsprechend entschieden hat, wird sich nichts ändern.

Landtagsabgeordnete werden die Regierung in regelmäßigen Abständen vor das Verfassungsgericht zerren und die Achtung der Verfassung in jedem Einzelfall gerichtlich erzwingen müssen. Ich hielte dies für unwürdig. Im besseren Fall macht das Parlament in Gänze umfassend von seinen verbrieften Rechten Gebrauch und die Landesregierung achtet diese.

Fragen von Abgeordneten muss die Landesregierung nach Artikel 53 Abs. 2 der Landesverfassung „nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig“ beantworten. Nur in einem eng begrenzten Raum exekutiver Eigenverantwortung dürfen Auskünfte verweigert werden. Zum Schutz relevanter Interessen Dritter kann nicht die Auskunftsverweigerung, sondern die im Einzelfall nicht öffentliche Beantwortung von Anfragen geboten sein. Der Landtag hält mit seiner Geheimschutzordnung ein dafür passfähiges Verfahren vor.

Als Mitglied des Parlaments erwarte ich von allen Mitgliedern der Landesregierung und vom Kollegialorgan selbst, dass diese die Verfassung achten. Lesen Sie das Urteil! Lesen Sie es als Lehrbuch und stellen Sie den verfassungsrechtlichen Normalzustand endlich her!

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Konkret erwarte ich und erwartet meine Fraktion, dass Anfragen tatsächlich unverzüglich, das heißt innerhalb von 14 Tagen, beantwortet werden. Das Zeitschinden der Landesregierung muss ein Ende haben.

Ist es im Einzelfall tatsächlich einmal so, dass ein längerer Zeitaufwand notwendig ist, muss dieser inhaltlich begründet werden. Ein lapidarer Satz, die Verwaltung habe zum Beispiel beim Hochwasserschutz derzeit Wichtigeres zu tun, taugt dazu kaum. Er verdrängt auch, dass gerade die Beantwortung der Anfrage einer Fraktion und hierfür die Auswertung von bei der Landesregierung liegenden Daten die zukünftig geplanten Maßnahmen zum Hochwasserschutz wirksam verbessern und erfolgreich machen kann.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es ist - das hat das Urteil des Verfassungsgerichts festgestellt - nicht an der Landesregierung, sich über die Zweckmäßigkeit von Anfragen auszulassen. Nur der Fragende kann entscheiden, welche Umfeldinformationen seinem Informationsinteresse zur Wahrnehmung parlamentarischer Kontrolle dienlich sind.

Anfragen aus dem Parlament heraus sind öffentlich zu beantworten. Die regelmäßige Öffentlichkeit ist Wesensmerkmal parlamentarischer Demokratie. Eine effektive Wahrnehmung des Mandats lässt sich nur über öffentliche Informationsgewinnung und Diskussion realisieren.