gericht in seinem Urteil zur Beobachtung des Abgeordneten Bodo Ramelow aus Thüringen durch den Verfassungsschutz geurteilt - ich zitiere -:
„In dem Wechselspiel zwischen gesellschaftlicher und staatlicher Willensbildung hat der Abgeordnete in ähnlicher Weise wie die politischen Parteien eine Transformationsfunktion: Er sammelt und strukturiert die politischen Auffassungen und Interessen, die an ihn herangetragen werden, und entscheidet, ob, wie und mit welcher Priorität er sich bemüht, sie in staatliche Entscheidungen umzusetzen.
Seine Aufgabe ist es, unterschiedliche politische Auffassungen und Interessen aufzunehmen, auszugleichen und in die Willensbildung von Partei, Fraktion und Parlament zu überführen, und umgekehrt den Bürgern den guten Sinn der im Parlament getroffenen politischen Entscheidungen zu vermitteln oder bessere Alternativen aufzuzeigen und für sie zu werben. Er ist ein Verbindungsglied zwischen Parlament und Bürger.“
In diesem Sinne hat uns auch das Bundesverfassungsgericht darin bestärkt, mit der Frage nach unserer Rolle in der Parteienlandschaft vielleicht einfach etwas freimütiger umzugehen als in der Vergangenheit.
Wir müssen feststellen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die unmittelbaren parlamentarischen oder gesetzgeberischen Aufgaben immer komplexer werden. Dies können wir beinahe tagtäglich erleben. Dies können wir bei beinahe jeder Landtagsdebatte feststellen und auch wenn wir uns in den Ausschüssen über Dinge unterhalten, die die Entwicklung des Landes betreffen. Diese Diskussionen sind in dem finanziell eng begrenzten Rahmen, in dem wir zu entscheiden haben, schwierig.
Wir haben vorhin über das Verhältnis zwischen Parlament und Landesregierung gesprochen. Diesbezüglich kommen Dinge auf uns zu, zu denen wir uns artikulieren müssen, beispielsweise zu der Frage, wo wir gemeinsam hin wollen.
Deswegen sind wir der Auffassung: Vor dem Hintergrund der scheinbaren Übermacht exekutiver Kompetenz gilt es, auf der legislativen Seite ein entsprechendes Gleichgewicht zu schaffen. Ich glaube, niemand von uns möchte, dass das Parlament zum Frühstücksdirektor der Exekutive wird.
Darüber hinaus haben wir es mit einer zunehmenden Erwartungshaltung mit Blick auf die Verantwortungsträger im Land, auf unsere Arbeit zu tun, nämlich zu erklären, zu vermitteln, zu erläutern, in welche Richtung entsprechende Gesetze im Par
lament beschlossen werden. Dies steht im krassen Gegensatz zu einer teilweisen Entpolitisierung, die wir vor Ort feststellen müssen.
Dieser Rolle der Abgeordneten als Politikvermittler kann mittel- und langfristig nur entsprochen werden, wenn dieser Tendenz durch differenzierte Politikangebote Rechnung getragen wird.
Darüber hinaus werden wir mit Informationen zugeschüttet. Ohne die Mittel moderner Kommunikation und Verdichtung dieser Informationen haben wir kaum eine Chance, die entsprechenden komplexen Entscheidungsprozesse weiter voranzubringen.
Deswegen stellt sich für uns die Frage, ob es durch die Debatten in dieser Kommission tatsächlich gelingen kann, die Qualität des Politikmanagements des Landtages insgesamt zu steigern.
Daher empfehlen wir - wir sind froh darüber, dass die Fraktionen diesem Vorschlag folgen - ein Vorgehen wie in Mecklenburg-Vorpommern und anderen Landtagen, wo eine Kommission des Ältestenrates gebildet wurde und insbesondere über Anhörungen und Debatten mit internen und externen Experten dem Parlament eine fundierte Vorlage zur Entscheidung vorgelegt wurde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus der Sicht dieses Anforderungsprofils und der künftigen Herausforderungen, auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, gibt es keine oder nur sehr wenige belastbare Argumente für eine Verkleinerung des Parlamentes. Die Hauptgründe für die Diskussion sind Forderungen aus der Öffentlichkeit heraus und vermeintlich fiskalische Einsparungen. Aber Demokratie kostet; dessen sollten wir uns immer bewusst sein und deshalb sollten wir offensiver in die Diskussion gehen.
Natürlich müssen wir uns dem demografischen Wandel stellen. Deswegen ist es wichtig, diese beiden Aspekte der Funktionsweise eines modernen Parlamentes und die qualitativen und quantitativen Bedingungen dafür in den inhaltlichen Arbeitsauftrag der Kommission einzubringen; das würden wir gern tun.
Die Kommission sollte zudem darauf drängen, dass der Bericht der Landesregierung über die demografische Entwicklung und deren Auswirkungen auf die verfassungsgemäße Einteilung der Wahlkreise nicht erst im letzten Monat der vorgesehen Frist, nämlich im April oder Mai nächsten Jahres, erfolgt. Vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass dieser Bericht etwas eher bereitgestellt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesem Sinne erwarten wir in den nächsten Monaten eine straff geführte Diskussion. Diese sollte auch in einem offensiven Dialog geführt werden.
Ich weiß, dass dies kein Gewinnerthema ist. Wir sollten uns aber nicht abducken und wegsehen, sondern offensiv für eine öffentliche Kommunikation plädieren, auch wenn einem der Gegenwind ins Gesicht bläst. Denn, meine Damen und Herren, es geht schließlich nicht um uns selbst, obwohl es so aussieht; vielmehr geht es um die Überwindung vorhandener Defizite demokratischer Mitwirkung. Unsere Fraktion stimmt diesem gemeinsamen Antrag sehr gern zu.
Danke schön, Herr Dr. Thiel. - Für die Fraktion der SPD spricht jetzt die Kollegin Frau Grimm-Benne. Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Es ist gute Sitte, dass Beschlüsse zur Umstrukturierung des Landtages gemeinsam gefasst werden. Deswegen freue ich mich wie auch Kollege Thiel, dass ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen zur Weiterführung der Parlamentsreform vorliegt. Dies zeugt davon, dass sich alle Kolleginnen und Kollegen im Hohen Haus über die Notwendigkeit einig sind, Veränderungen herbeizuführen.
Einen ersten Schritt haben wir dazu schon mit dem Beschluss des Landtages im Juni 2012 getan. Wir haben damals einmütig festgestellt, dass der demografische Wandel nicht vor den Türen des Hohen Hauses Halt macht. Es liegt jetzt in unserer eigenen Verantwortung und dieser wollen wir auch gerecht werden.
Die Öffentlichkeit - an dieser Stelle nehme ich Teile der Medien nicht aus - diskutiert einzig und allein über die Größe des Parlamentes. So sieht der Steuerzahlerbund die Reduzierung der Zahl der Landtagssitze als eine - ich zitiere - längst überflüssige, längst überfällige Maßnahme.
Er fordert eine - ich zitiere noch einmal - umgehende Reduzierung der Zahl der Landtagssitze auf 70. Der Steuerzahlerbund diskutiert nicht darüber, dass mit einer Verkleinerung des Landtages die Verantwortung und die Aufgaben des Einzelnen steigen.
Wir Parlamentarier sind - das haben wir heute erfreulicherweise schon diskutiert - nicht nur Gesetzgeber und der Kontrolleur der Regierung, sondern auch der Anwalt und der Vertreter der Bürgerinnen und Bürger vor Ort. So verstehe zumindest ich
Es geht daher bei der Unterkommission des Ältestenrates, deren Einsetzung wir heute beschließen werden, nicht allein um die Frage der künftigen Zahl der Mitglieder des Landtages, sondern eben auch um die Frage, wie der Landtag zukünftig seinen Aufgaben gerecht werden kann, wie die demokratische Vertretung wahrgenommen werden kann, wie Bedingungen für die Wahrnehmung des Mandates gestaltet werden müssen und wie zukünftig die Kommunikation zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und den Abgeordneten gestaltet werden kann.
Dazu habe ich bereits in meiner letzten Rede angemerkt, dass auch in Zukunft eine persönliche Kommunikation zwischen den Bürgerinnen und Bürgern möglich sein muss. Es gibt aus meiner Sicht auch ein Recht der Bürger, ihre Abgeordneten zu erreichen, und das nicht nur über elektronische Medien.
Es geht um die Ausgestaltung überschaubarer Wahlkreisstrukturen in den Städten, aber eben auch in den ländlichen und dünn besiedelten Regionen. Darüber, wie diese aussehen können, werden wir auch im Vergleich mit anderen Flächenländern diskutieren.
Das Programm der Kommission des Ältestenrates ist ambitioniert. Unabhängig davon haben wir uns darauf verständigt, dass dem Landtag ein erster Bericht bis Mitte nächsten Jahres vorzulegen ist. Machen wir uns an die Arbeit!
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht jetzt der Kollege Herr Striegel. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte über die Parlamentsreform folgt der Einsicht, dass der von uns gemeinsam eingebrachte und einstimmig verabschiedete Entschließungsantrag in der Drs. 6/1196 einer Konkretisierung und praktischen Umsetzung bedarf.
Haben wir unter Tagesordnungspunkt 2 noch über das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament gestritten, bin ich froh darüber, dass uns bei der Frage einer notwendigen Parlamentsreform manches eint; auf Trennendes werde ich noch zu sprechen kommen.
Mit dem heute vorliegenden gemeinsamen Antrag aller vier Fraktionen, der aus einer Initiative der LINKEN und der GRÜNEN hervorgegangen ist,
heben wir die Parlamentsreform wieder aufs Gleis; denn wir müssen selbstkritisch eingestehen, entscheidende Schritte sind seit den öffentlichen Diskussionen um eine Veränderung der Transparenzleitlinien zu Beginn des Jahres 2013 noch nicht passiert.
Zwar hat meine Fraktion zu diesem Teilaspekt der Mandatswahrnehmung bereits detaillierte Vorschläge gemacht - wir wollen mehr Transparenz erreichen und streben eine gesetzliche Regelung an, die Nebentätigkeiten für die Bürgerinnen und Bürgern eurogenau nachvollziehbar macht; Stichwort: gläserner Abgeordneter -, jedoch stockt die Diskussion, die etwaige Veränderung und Umsetzung unserer Vorschläge. Es zeigt sich immer mehr: Ein solcher Teilaspekt sollte nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss in eine größere Debatte eingebunden sein. Zudem braucht es offenbar Anstöße und Expertise von außerhalb des Parlaments, um eingefahrene Debattenwege bei der Parlamentsreform verlassen zu können.
Mit der nun vorgeschlagenen Unterkommission des Ältestenrates für eine Parlamentsreform schafft sich das Parlament das notwendige Instrumentarium, um über die verschiedenen Fassetten einer solchen Reform des Landesparlaments nachzudenken und diese zur Entscheidung vorzubereiten.
Die Debatte um eine Parlamentsreform droht häufig auf eine Diskussion um die Zahl der Parlamentssitze verengt zu werden. Mit dem Satz „Liebling, ich habe das Parlament geschrumpft!“, mag man den einen oder anderen Journalisten erfreuen, vielleicht auch den Bund der Steuerzahler. Aber erweisen wir der Demokratie mit einer deutlich geschrumpften Volksvertretung nicht möglicherweise einen Bärendienst?
Ohne Zweifel muss auch über eine Verkleinerung des Parlaments geredet werden. Wo die Landesregierung und der Haushaltsgesetzgeber dem Land eine breite Spardiskussion und eine schmerzliche Haushaltskonsolidierung zumuten wollen, darf sich das Parlament nicht selbst von solchen Sparanstrengungen ausnehmen.
Die Verkleinerung kann und darf aber nicht den Schwerpunkt der Debatte bilden; denn anzuerkennen ist zunächst, dass selbst die vollständige Abschaffung des Landesparlaments, der Verzicht auf jegliche parlamentarische Vertretung samt Abgeordneten, Fraktionen, Landtagsverwaltung und parlamentarischer Infrastruktur, in Sachen Haushaltskonsolidierung mit gut 35 Millionen € Einsparungen ein verzischender Tropfen auf dem heißen Stein wäre, der nicht einmal den Umfang der Sparbeschlüsse für die Universitäten erreichen würde.
Sparen ist kein Selbstzweck, sondern dient einem Ziel. Daher wäre zunächst über die Anforderungen zu reden, denen sich ein Landtag und seine Abge
ordneten in den kommenden Jahren gegenübersehen. Aus der Beschreibung dieser Erwartungen und Anforderungen wiederum lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, was für ein Parlament mit wie vielen Abgeordneten wir uns in Sachsen-Anhalt leisten wollen und können, kurz: wie wir Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhalter die parlamentarische Demokratie ausgestalten wollen und was sie uns wert ist.
Diese Debatte wird in einer Zeit geführt, in der das Vertrauen in politische Institutionen und handelndes politisches Personal, also in uns alle hier, gering ausgeprägt ist und weiter schrumpft, in einer Zeit, die durch die Zersplitterung der Gesellschaft und medialer Welten sowie eine zunehmende Beschleunigung politischer Prozesse beschrieben werden kann. Immer mehr und immer spezifischere Entscheidungen müssen in immer kürzeren Zeiträumen getroffen werden.
Viele Menschen waren nie so desinteressiert an politischen Entscheidungen wie heute. Gleichzeitig bestehen heute immer mehr Menschen darauf, über politische Entscheidungsprozesse informiert oder in sie eingebunden zu werden. Das alles - auch die widersprüchlichen Befunde - verändert das Bild des Politikers und wirkt auf die Anforderungen, die Bürgerinnen und Bürger an ihn und an sie haben.
Die Grundlage all unserer Diskussionen bildet zunächst das Landtagswahlrecht mit direktem Effekt auf die Zahl der Abgeordneten. Das aktuelle Wahlgesetz führt bei den momentanen politischen Mehrheitsverhältnissen regelmäßig zu einer größeren Zahl an Überhangmandaten, die ausgeglichen werden müssen, damit die Zusammensetzung des Parlaments mit der Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger übereinstimmt.
In der Folge wird der Landtag häufig größer als die gesetzlich vorgeschriebene Zahl von 91 Sitzen. In dieser Legislaturperiode sitzen 14 Abgeordnete zusätzlich im Parlament. Es ist diese zusätzliche Zahl von Abgeordneten, an der sich Kritik an einem vermeintlich übergroßen Parlament besonders gut festmachen lässt.