Protokoll der Sitzung vom 14.11.2013

Stand der Umsetzung des seniorenpolitischen Programms der Landesregierung

Große Anfrage Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/1856

Antwort der Landesregierung - Drs. 6/2403

Es wird nach der Redezeitstruktur D verfahren. Wir führen also eine 45-Minuten-Debatte. Die Reihen

folge lautet wie folgt: CDU zwölf Minuten, GRÜNE vier Minuten, SPD acht Minuten, DIE LINKE neun Minuten.

Gemäß § 43 Abs. 6 der Geschäftsordnung erteile ich zuerst der Fraktion DIE LINKE als Fragestellerin das Wort. - Frau Dr. Paschke, bitte.

Die Debattenrednerin war bereits im Saal, musste aber schnell noch einmal hinaus. Sie ist jetzt aber im Anmarsch.

(Frau Dirlich, DIE LINKE, betritt den Sit- zungssaal)

Sie eilt schon herbei. Wir lassen ihr noch ein wenig Luft. Keine Angst, ich werde nicht singen.

Ich bin sofort bereit.

Aber Sie sprechen vermutlich nicht ohne Konzept. Das wäre doch sehr bewunderungswürdig.

(Frau Dirlich, DIE LINKE: Nein!)

- Sie holt es schnell noch. - Wir runden das Ganze ab. Fragestellerin ist die Fraktion DIE LINKE. Für die Fragestellerin spricht jetzt die Abgeordnete Frau Dirlich. Bitte, Frau Dirlich, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte gehofft, den Beginn der Sitzung noch etwas hinauszögern zu können, um damit einigen Abgeordneten die Chance zu geben, in den Plenarsaal zurückzukehren. Ich sehe, sehr viel hat es nicht gebracht - aber immerhin.

(Herr Borgwardt, CDU: Die Besten sind doch da, oder?)

- Na klar. - Sehr geehrte Damen und Herren! An den Anfang meiner Rede stelle ich selbstverständlich den Dank an die Mitarbeiterinnen des Sozialministeriums, aber auch an die Mitarbeiterinnen anderer Ministerien. Denn diese Große Anfrage behandelt eine ganze Reihe von Themen, die nicht alle im Sozialministerium angesiedelt sind, sodass eine umfangreiche Koordination zwischen den Häusern notwendig war. Wir wissen, dass das nicht immer ganz einfach ist. Deshalb wollte ich den Dank an die Mitarbeiterinnen der Ministerien, aber auch an die Minister an den Anfang meiner Rede stellen.

Ziel und Sinn unserer Großen Anfrage zu dem seniorenpolitischen Programm der Landesregierung war es, die Landesregierung an ihren eigenen Ansprüchen zu messen. Immerhin gilt das Programm seit dem Jahr 2008. Wir haben uns gedacht, dass nach fünf Jahren die Umsetzung des Programms in vollem Gange sein dürfte. Wir haben die Vorhaben der Landesregierung ein Stück weit genauer hinterfragt und wollten eine Zwischenbilanz ziehen.

In ihren Vorbemerkungen macht die Landesregierung darauf aufmerksam, dass die Leitlinien weniger als Maßnahmenkatalog zu verstehen sind, den es abzuarbeiten gilt, sondern vielmehr als programmatische Ausrichtung der Seniorenpolitik und als ein Angebot an die verschiedenen Akteure. Darauf komme ich noch zurück.

Allerdings spricht die Landesregierung - das muss man der Landesregierung einmal sagen dürfen - in ihrem Vorwort zu dem Programm selbst von einem Handlungskonzept zur nachhaltigen Bevölkerungspolitik. Sie spricht davon, dass ein Baustein des Handlungskonzeptes dieses Programm sei, und bezeichnet es als Grundlage für die künftige Landespolitik. Also ist fragen in der Tat erlaubt.

Ich beginne meine Rede - das finde ich ganz normal - mit einem Lob und mit einer Reihe von Erfolgsgeschichten. Mit dem Gesetz über Wohnformen und Teilhabe wurde zum Beispiel ein wichtiges Reformanliegen umgesetzt. Es wurden Modellprojekte zur Gesundheitsförderung erfolgreich implementiert - so steht es zumindest in der Antwort auf die Große Anfrage. Im Rahmen des geriatrischen Netzwerkes sind geriatrische Schwerpunktpraxen im ambulanten Bereich entstanden. Das ist ein Erfolg, den man nicht geringschätzen darf.

Mit dem Breitensportkonzept und seiner Konzeption „Für ein aktives Leben - fit im Alter“ ist es den Sportvereinen gelungen, eine Reihe von Projekten zu initiieren und neue Mitgliederschichten zu gewinnen, also neue Mitglieder zu akquirieren. Immerhin elf Apotheken im Land - das ist zwar kein besonders großer Erfolg, aber immerhin - haben das Siegel „Seniorengerechte Apotheke“ von der BAGSO erhalten.

Natürlich folgt dem Lob die Kritik auf dem Fuße. Wie das bei einer Oppositionspartei so ist, nimmt die Kritik etwas mehr Raum ein als das Lob. Man muss auch sagen: Man findet sehr viel mehr zu kritisieren als zu loben.

In der Antwort finden sich zum Beispiel - ich gebe zu, dass ich mich darüber wirklich sehr geärgert habe - ganze 14 Sätze aus dem Programm selbst, die uns als Antwort auf eine unserer Fragen offeriert werden. Das Programm hatte ich gelesen, es musste mir nicht noch einmal aufgeschrieben werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Antworten sind an vielen Stellen zu unkonkret und zu unverbindlich. Wahrscheinlich sind die Antworten auf unsere Fragen ebenso als Angebot zur Diskussion gedacht wie das Programm selbst. Diese Diskussion führen wir jetzt.

Die Antworten der Landesregierung sind interessanterweise immer dort am konkretesten, wo andere agieren, beispielsweise wenn es um die Aktionen des Bundes im Bereich des Arbeitsschutzes geht. Dieses Thema nimmt ganze eineinhalb Seiten ein. Maßnahmen der DB AG und der Verkehrsunternehmen im Land zur Barrierefreiheit und zur Mobilität im Alter finden sich auf drei Seiten wieder. Die Aktivitäten des Sports, die vom Landessportbund und von den Kreissportbünden ausgegangen sind und von ihnen umgesetzt werden, füllen immerhin zwei Seiten.

Die Landesregierung führt ihre aktive Arbeitsmarktpolitik als Beitrag zur Bekämpfung der drohenden Altersarmut an. Das kann ich als Arbeitsmarktpolitikerin nicht so stehen lassen. Bei so etwas muss ich immer schlucken. Abgesehen davon, dass das Land praktisch überhaupt keine eigene Arbeitsmarktpolitik mehr leistet - -

Ich erinnere einmal an die Zeit, als ich hier in die Landespolitik eingestiegen bin, das war im Jahr 1994. Damals hatten wir ein Arbeitsmarktprogramm allein für Frauen mit einem Volumen von 20 Millionen € aus Landesmitteln. Gut, das ist Geschichte und viele Jahre her. Wir finden jetzt in dem Arbeitsmarktteil Aktivitäten des Landes mit einem Volumen von gerade noch 1,5 Millionen € bis 2 Millionen €. Das ist wirklich nichts mehr.

Einmal abgesehen davon, dass im Grunde genommen nur noch ESF-Programme umgesetzt werden, muss gesagt werden: Die Niedriglohnpolitik von Sachsen-Anhalt kann nun wahrlich keinen Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut leisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Anspruch und Wirklichkeit klaffen an vielen Stellen um einiges auseinander. Es werden Anforderungen an andere gestellt, ohne dass sich die Landesregierung selbst zum Handeln verpflichtet. Dafür stehen folgende Beispiele: Unternehmen der Pflege und Wohnungsunternehmen werden zur Partnerschaft verpflichtet. Die Landesregierung weiß allerdings nicht so richtig, ob sie es denn nun machen und wenn nicht, warum nicht.

Auf die Frage nach Konzepten für alter(n)sgerechte Arbeit verweist die Landesregierung darauf, dass die Verantwortung bei den Betrieben liege und dass sie selbst dazu keine Informationen habe.

Auf die Frage nach Beratungsangeboten für ältere Menschen mit Migrationshintergrund verweist die Landesregierung auf allgemeine Beratungsangebote für Migrantinnen. Sie weiß nicht wirklich, ob

und wie sie von älteren Migrantinnen wahrgenommen werden können.

Im Übrigen - auch das finde ich nicht gut - sind Projekte für ältere Menschen mit Migrationshintergrund fast ausschließlich an Spätaussiedlerinnen gerichtet. Diese haben zwar einen Migrationshintergrund, sie sind aber Deutsche im Sinne des Grundgesetzes. Sicherlich hat ihre Integration einen großen Stellenwert. Aber Programme allein an diese Bevölkerungsgruppe zu richten, halte ich für falsch.

Die Landesregierung will die Zahl der ehrenamtlichen Betreuerinnen und die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen erhöhen, tut dafür aber selbst nichts.

Der Appell an die Hochschulen zur Einrichtung eines Lehrstuhls für Geriatrie und zur Einrichtung von Studiengängen für Gerontologie verhallt weitgehend ungehört. Was will die Landesregierung tun? - Dazu kein Wort.

Aber auch die Selbstverpflichtungen der Landesregierung, also Stellen, an denen sich das Land dazu verpflichtet hat, selbst tätig zu werden, werden aus unserer Sicht nicht eingehalten. Einige Fragen können vor allem deshalb nicht beantwortet werden, weil seitens der Landesregierung keine konkreten Forderungen bzw. Maßnahmen dahinter stehen.

Die Landesregierung gibt zum Beispiel als ihr Ziel - ich betone: als i h r Ziel - innovative, langfristig ausgerichtete Altenhilfekonzepte in den Kommunen vor. Sie hat aber keinen Überblick darüber, ob sie existieren und wenn nicht, warum nicht.

Die Landesregierung orientiert darauf, dass Netzwerke zwischen Wohnungswirtschaft, Kommunen und Wohlfahrtsverbänden entstehen. Darauf habe ich schon hingewiesen. Sie hat aber keine Übersicht darüber, ob solche Netzwerke bereits bestehen bzw. wie sie entstehen sollen. Sie hat auch nicht die Absicht, darauf Einfluss zu nehmen.

Die Landesregierung will im ländlichen Raum Modellprojekte des generationenübergreifenden Wohnens etablieren. Sie richtet ihre Förderprogramme aber ausschließlich auf die Städte aus, sodass auf dem Lande nichts passiert.

Die Landesregierung will besonderes Augenmerk auf die politische Beteiligung älterer Menschen legen, hat aber nicht einmal Informationen dazu, wie viele sich tatsächlich beteiligen. Aus meiner Sicht könnte das sogar ein Erfolgsprojekt sein; das sollte man sich einmal anschauen. Wir wissen doch in vielen Fällen, wie die Kreistage und die Stadträte zusammengesetzt sind und dass ältere Menschen darin durchaus repräsentiert sind. Aber die Landesregierung hat darüber keine Übersicht. Ich weiß nicht, ob sie das nicht will.

Sie kann übrigens detailliert Auskunft über die Beteiligung von Frauen im Landesparlament geben. Aber das war weder Thema der Großen Anfrage noch ist es uns unbekannt.

(Herr Gallert, DIE LINKE, lacht)

Das Land kündigt eine Pflege- und Wohnkonzeption an, hat aber nicht die Absicht, Maßnahmen dazu zu ergreifen. Und das Land wollte modellhafte Gesundheitsregionen schaffen. Es hat es nicht getan.

Es gibt daneben eine Reihe von Einzelfragen, mit denen man sich beschäftigen kann und muss. Zum Beispiel haben wir gefragt, wie viele Sachsen-Anhalterinnen eine private Altersvorsorge aufweisen. Wir haben auch die Zahl der Zulagenempfangenden. Das ist der einzige Zugang, den die Landesregierung hat. Es wäre aber auch wichtig - sicherlich werden wir das dann selbst ausrechnen - -

(Minister Herr Stahlknecht stößt versehent- lich eine Flasche um - Unruhe - Frau Nie- städt, SPD: Prost! - Heiterkeit bei der LIN- KEN - Zurufe)

- Umwerfend heute.

(Zurufe)

- Er ist heute umwerfend.

(Unruhe)