Protokoll der Sitzung vom 15.11.2013

Vielen Dank, Herr Kollege Erben. Es gab noch eine Nachfrage. Möchten Sie die beantworten?

Aber gerne.

Herr Kollege Striegel, bitte.

Herr Kollege Erben, ich finde es erst einmal gut, dass Sie sagen, Edward Snowden sei ein interessanter Gesprächspartner und Sie würden durchaus nichts dagegen haben, wenn er Asyl bekomme. Aber die Gefahr bestehe, dass er in die USA ausgeliefert werden müsse. Wir seien da an Verträge gebunden. - Haben Sie sich die Rechtslage tatsächlich einmal intensiv zu Gemüte geführt, und kennen Sie insbesondere aus dem Auslieferungsabkommen die Ausnahmetatbestände „Besonderes Bundesinteresse“ und Ähnliches bzw. auch aus dem Asylrecht den Tatbestand, dass es um politisch Verfolgte geht?

(Zuruf von der CDU: Er ist nicht politisch ver- folgt! - Weitere Zurufe von der CDU)

Es ist wohl vermutlich unstrittig, dass die Straftatbestände, denen sich Herr Snowden seitens der amerikanischen Ermittler beschuldigt sieht, politische Straftatbestände sind.

(Zurufe von der CDU)

Da haben Sie mir eben nicht richtig zugehört. Ich habe gesagt, dass er nach unserem Asylrecht kein Asyl bekommen kann, weil er eben nicht politisch verfolgt ist. Aus meiner Sicht erscheint das unstreitig.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE)

Wenn Sie über Auslieferung und Ausnahmeregelung sprechen, male ich mir ganz einfach das Szenario aus: Wir haben ihn hier in Deutschland, haben seine Informationen abgeschöpft und ste

hen in einem riesigen internationalen diplomatischen Konflikt um die Auslegung des Auslieferungsabkommens mit den Amerikanern. - Das halte ich für verantwortungslos in Bezug auf Deutschland, ich halte das auch für verantwortungslos gegenüber Snowden.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Herrn Striegel, GRÜNE - Herr Barthel, CDU: Sol- che Vorschläge kann nur machen, wer dafür nicht haften muss!)

Danke schön. - Weitere Nachfragen gibt es nicht. Wir fahren fort in der Aussprache. Als Nächstes spricht für die Fraktion DIE LINKE Frau Abgeordnete Quade.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein bisschen ist es mit Blick auf die Ereignisse der letzten Monate so, dass man sich vorkommt wie in einem klischeebeladenen Hollywood-Film. Die Geheimdienste tun das, wofür sie da sind, sie überwachen. Derjenige, der einen Teil dessen öffentlich macht, wird zum Verräter und zum Gejagten.

Es gibt zwei Punkte, bei denen wir allerdings eine erhebliche Differenz zu dem, was üblicherweise in solchen Filmen geschieht, erleben: Erstens blieb die auf den Skandal folgende öffentliche Empörung bei relevanten Teilen der politisch Verantwortlichen über lange Zeit aus. Zweitens wäre - davon bin ich überzeugt - kein Drehbuchautor dieser Welt auf die Idee gekommen, einen Kanzleramtsminister in die USA reisen zu lassen, ihn dort fragen zu lassen „War da etwas?“ und dann auf die wenig überraschende Antwort „Nein, und wenn, geht es euch nichts an“ die Affäre für beendet zu erklären.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Das wäre wohl tatsächlich zu absurd. Aber dieser Bundesregierung scheint ja nichts zu absurd zu sein. Beides haben wir in den letzten Monaten erlebt, und ich will meine Redezeit nutzen, ein Stück weit der Frage nachzugehen, wie sich das erklären lässt.

Der gegenwärtige Skandal ist nicht denkbar ohne ein spezifisches Verständnis von Sicherheit und dem, was dazu notwendig ist. Er ist eben nicht Resultat praktizierter Gefahrenabwehr und irgendwie aus den Rudern gelaufener Geheimdienste, er ist vielmehr folgerichtig aus einem politischen Verständnis von Sicherheit, das nicht primär auf die Abwehr einer konkreten, nachweisbaren Gefahr abzielt, sondern maßgeblich auf Kontrolle aller, um theoretisch mögliche Gefahren durch Einzelne erkennen zu können.

Ein solcher Sicherheitsbegriff kommt nicht aus ohne einen dazu passenden Freiheitsbegriff und ein Verständnis von Grundrechten, in denen eine behauptete Sicherheit ein sogenanntes Supergrundrecht sein soll, hinter dem alle anderen Grundrechte notwendigerweise zurückstehen müssen.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

So wenig Überwachungsprogramme wie Prism ein Alleingang der US-Geheimdienste sind, so wenig ist das ihnen zugrunde liegende Grundrechtsverständnis eine Spezifik der USA. Im Gegenteil, es ist auch prägend für die in der Bundesrepublik betriebene Innen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte. Ausweitung von Videoüberwachung, Rasterfahndung, Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung, Staatstrojaner, Quellen-TKÜ, den sogenannten Lauschangriff nicht zu vergessen, zuletzt die Bestandsdatenauskunft - all das ist nicht das Werk der NSA, all das ist das Werk der Bundesregierungen der letzten Jahre und Jahrzehnte.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Insofern ist es wahrscheinlich tatsächlich nicht gespielt gewesen, dass die Kanzlerin und die Unionsparteien zunächst einmal wirklich keinen Skandal sahen - außer natürlich die Enthüllung selbst. Dann erlebten wir die larmoyante Rede von „Das macht man nicht unter Freunden.“ Erst gestern las ich die DPA-Meldung, von der auch hier schon öfter die Rede war, auch der Ministerpräsident habe sich in dieser Weise geäußert. Weiter sagte er noch - ich zitiere -:

„Dem Bösen muss Einhalt geboten werden. Aber Gesetze müssen auch eingehalten werden.“

„Immerhin“, könnte man zu Letzterem sagen.

Mit dem Blick darauf, dass wir hier natürlich bundespolitische Fragen diskutieren und prominenteste Vertreter der Landesregierung an den Koalitionsverhandlungen auf der Bundesebene teilnehmen, ist es auch ausdrücklich richtig, hier, an dieser Stelle, zu diesem Thema zu diskutieren.

Aus der Sicht meiner Fraktion wären mehrere Schritte notwendig. Zum einen brauchte es aus unserer Sicht endlich einen ernsthaften Aufklärungsversuch der Bundesregierung. Denn eines muss man ganz deutlich sagen: Auch wenn relativ schnell nach den Enthüllungen Snowdens klar war, dass grundgesetzwidrigerweise niemand davon ausgehen kann, nicht überwacht zu werden, blieb diese Bundesregierung tatenlos und hat über Monate hinweg eine Position eingenommen, die im Prinzip den Angriff auf den Rechtsstaat und auf die

Bürgerrechte durch diese Überwachung geleugnet hat.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Ganz der Logik folgend, dem Bösen müsse Einhalt geboten werden, verteidigte allen voran Innenminister Friedrich die Geheimdienste vehement. Erst als bekannt wurde, dass auch das Handy der Kanzlerin und die Kommunikation der Bundesregierung betroffen sein könnten, gab es die Welle der Empörung, die bis zu diesem Zeitpunkt, solange es „nur“ um Millionen Bürgerinnen und Bürger ging, ausgeblieben ist. Plötzlich wurde Aufklärung gefordert, plötzlich war da ein Leidensdruck, plötzlich war das, woran BND und Verfassungsschutz eifrig mitgewirkt haben, nicht hinnehmbar. Das, meine Damen und Herren, ist in unseren Augen der Skandal im Skandal.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Zweitens wäre die politisch notwendige und überfällige Konsequenz aus dem Überwachungsskandal ein Paradigmenwechsel in der deutschen und in der europäischen Innen- und Sicherheitspolitik. Das Grundgesetz kennt kein Supergrundrecht auf Sicherheit, welches alle anderen Rechte bricht, wie es niemand Geringerer als der Bundesinnenminister behauptet. Ziel der Politik müsste es sein, die umfassende Geltung von Menschen- und Bürgerrechten auch im Bereich der Telekommunikation herzustellen. Wenn es die Bundesregierung ernst meint mit der Aufklärung, dann sollte sie endlich handeln und nicht erst auf den Untersuchungsausschuss warten, der sie dazu zwingt.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Sie sollte die Kooperation zwischen den deutschen und den US-Geheimdiensten offenlegen, sie sollte, um sich vor zukünftigen Überraschungen zu schützen, das Gespräch mit Snowden suchen und ihm den sicheren Aufenthalt in der Bundesrepublik ermöglichen, der sehr wohl möglich ist, und zwar auch nach dem Aufenthaltsrecht der Bundesrepublik.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Notwendig wären ein Moratorium und die wirklich unabhängige Evaluation aller seit 2001 verabschiedeten Gesetze zur nationalen Sicherheit und sonstiger Regelungen, die den Zugriff auf Bürgerdaten ermöglichen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Die Bundesregierung sollte sich für klare, völkerrechtlich verbindliche internationale Regelungen einsetzen, die jedem Menschen den grundsätzlichen Schutz seines Rechts auf Privatheit garantieren.

Nachdem - das ist der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte - bereits der NSU-Untersuchungsausschuss die Daseinsberechtigung des Verfassungsschutzes aufgrund seiner Verstrickungen mit der Nazi-Terrorszene völlig zu Recht infrage gestellt hat, wäre es angezeigt und angemessen, das gesamte System der Überwachung auf den demokratischen parlamentarischen Prüfstand zu stellen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Für meine Fraktion ist der NSA-Skandal ein weiterer Beleg dafür, dass Geheimdienste eben keine Instrumente und Institutionen eines demokratischen Rechtsstaates sein können und deshalb letztlich abgeschafft werden müssen.

(Zustimmung bei der LINKEN, von Herrn Striegel, GRÜNE, und von Frau Wicke- Scheil, GRÜNE)

Viertens wäre es angesichts der Tatsache, dass derzeit die Koalitionsverhandlungen auf der Bundesebene laufen und damit - man sollte es zumindest annehmen - grundsätzliche politische Fragen diskutiert und entschieden werden, die richtige Konsequenz aus dem Überwachungsskandal, die Themen Datenschutz und Datensicherheit - ich freue mich sehr, den Datenschutzbeauftragten des Landes zu sehen -, das Recht auf Privatsphäre, das Recht auf private Kommunikation, kurz, das Recht, nicht überwacht zu werden, auf die politische Agenda zu setzen und somit nicht nur die Grundrechte des Einzelnen, sondern auch den demokratischen Rechtsstaat zu stärken.

Mit Blick auf die Pressemeldungen der letzten Tage und die offenkundig von der Union eingebrachte Wunschliste wird mir da allerdings angst und bange. Statt beispielsweise den Verzicht auf Vorratsdatenspeicherung zu erklären, liest sich diese Liste eher wie eine Anleitung, um einen neuen Datenskandal zu produzieren.

Denn neben massiv erweiterten Befugnissen für den Verfassungsschutz, einer Ausweitung der Videoüberwachung des öffentlichen Raumes, dem Wunsch nach präventiver Komplettauswertung des Datenverkehrs über die Ausleitung an großen Datenknotenpunkten, die nach Berichten des „Spiegel“ im Übrigen bereits praktiziert wird, soll nun anscheinend auch die Vorratsdatenspeicherung, die offenkundig schon durchgewunken wurde, auch auf die Bewegungsdaten ausgeweitet werden, indem die für die Maut-Erfassung gespeicherten Daten künftig auch für andere behördliche Zwecke genutzt werden können. Dies ist im Übrigen eine Befürchtung, die seit Einführung der elektronischen Maut-Erfassung vehement geäußert wurde,

(Zustimmung von Herrn Lange, DIE LINKE)

die immer bestritten wurde, die nun aber ein großes Stück näher zu rücken scheint.

Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt einige konkrete Dinge genannt und bin auf sie eingegangen, die aus der Sicht meiner Fraktion als Konsequenz aus dem Überwachungsskandal zu entscheiden und zu tun wären. Natürlich rufen wir Sie, obwohl wir sehr genau wissen, welchen Stellenwert die Bürgerrechte für diese Landesregierung haben und obwohl die Landesregierung bisher immer verneint hat, dass dieser Skandal irgendetwas mit Sachsen-Anhalt zu hat, dazu auf, diese politischen Konsequenzen zu ziehen.

Ich will aber abschließend auch sehr deutlich sagen, dass es hier nicht nur um politische Einzelentscheidungen geht. Es geht um die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Es geht um die Frage, ob wir in einem Staat leben wollen, der die Gesellschaft nach seinen Maßstäben schafft,

(Herr Scheurell, CDU: Das hatten wir schon!)

der eine kontrollierte Gesellschaft schafft.