Protokoll der Sitzung vom 12.12.2013

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/2620

Änderungsantrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/2649

Herr Czeke, bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich bitte das Hohe Haus vielmals um Entschuldigung und bedanke mich für die Behandlung dieses Themas zu dieser Stunde.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen zu Beginn drei Zahlen nennen: 1,3 Milliarden t, 925 Millionen Menschen und 4 600 kcal.

1,3 Milliarden t Lebensmittel werden jährlich weltweit verschwendet. 925 Millionen Menschen weltweit leiden Hunger und für jeden Erdbewohner wird pro Tag Nahrung mit einem Energiegehalt von 4 600 kcal erzeugt. Allein in Europa landen geschätzt jedes Jahr mindestens 90 Millionen t Lebensmittel auf dem Müll.

Diese Verschwendung führt einerseits zu negativen Auswirkungen auf die Umwelt. An dieser Stelle sind der Flächenverbrauch, die Beeinträchtigung der Biodiversität, CO2-Emissionen und ein enormer Wasserverbrauch zu nennen. Andererseits führt diese Verschwendung aber auch zu weitreichenden gesellschaftlichen Folgen. Die Schere zwischen Wohlstand und Armut, zwischen Überfluss und Unterernährung sowie zwischen

Industrie- und Entwicklungsländern wird immer weiter geöffnet.

Die Europäische Kommission hat dieses Thema auf die politische Agenda gesetzt und in ihrem Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa Lebensmittel als einen der Schlüsselsektoren aufgeführt. Sie gab schließlich das Ziel aus, die Menge unnötig weggeworfener Lebensmittel EU-weit um 50 % zu verringern. Zuletzt eröffnete die Kommission ein öffentliches Konsultationsverfahren mit folgender Frage: Wie soll es mit unserem Lebensmittelsystem weitergehen?

Dieses Konsultationsverfahren endete am 1. Oktober 2013. Mit der Mitteilung, die die Ergebnisse enthalten wird, ist Anfang 2014 zu rechnen.

Eine Hauptursache für die Verschwendung von Lebensmitteln ist im Wettbewerb der Lebensmittelindustrie zu suchen. Besonders in der Bundesrepublik Deutschland hat der Trend der möglichst billigen Lebensmittel im Hinblick auf soziale, ökologische und ethische Folgen bedenkliche Ausmaße angenommen.

Auffällig ist, dass die Verschwendung von Lebensmitteln in dem Ausmaß zunimmt, in dem der Discounthandel wuchert und der Markt sich auf wenige große Unternehmen konzentriert. Die Verschwendung von Lebensmitteln macht für Unternehmen Sinn, beispielsweise um Personalkosten einzusparen oder einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen.

Dabei wälzen Hersteller und Handel die nachteiligen Effekte auf die Verbraucherinnen und Verbraucher ab. Der große Anteil an der Lebensmittelverschwendung, der scheinbar nur bei den privaten Haushalten zustande kommt, hat seine Ursachen im Bereich der Erzeugung und Verarbeitung sowie im Handel und in der Gastronomie.

Ein weiterer Grund ist die wachsende Macht von Industrie und Handel. Sie diktieren den Erzeugerinnen und Erzeugern, den Landwirten, durch Handelsnormen, wie ihre Erzeugnisse beschaffen sein müssen. Es kommt schon an dieser Stelle zu riesigen Mengen an Ausschuss, wenn beispielsweise Äpfel nicht für die Industriemaschinen passend oder nicht hübsch genug für die Auslage sind.

Darüber hinaus entwertet die Lebensmittelindustrie durch Niedrigstpreise und aggressive Werbung unsere Lebensmittel. Das Motto „Geiz ist geil“ ist auch in diesem Bereich angekommen.

Verbraucher werden zu unnötigen Käufen verleitet. Der tatsächliche Wert kann durch die Kundinnen und Kunden kaum noch nachvollzogen werden. Dem kann nur durch Transparenz in der Lebensmittelkette entgegengewirkt werden. Die Erzeugungs- und Verarbeitungsbedingungen von Lebensmitteln müssen einschließlich der sozialen

und ökologischen Effekte vollständig offen gelegt werden, was zugegebenermaßen nicht einfach ist. Als Tierzüchter weiß ich, wovon ich spreche.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Überdimensionierte bzw. vorgegebene Verpackungsgrößen und Rabatte verleiten zum Kauf nicht benötigter Mengen und führen zu einer höheren Wegwerfrate bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern.

Um der Vernichtung und Verschwendung von Lebensmitteln konsequent zu begegnen, reicht es nicht, die Halbierung der Menge an vermeidbarem Lebensmittelmüll oder besser des Wegwurfs bis zum Jahr 2020 als gemeinsames Ziel auszurufen. Notwendig ist, dieses Ziel verbindlich vorzugeben und eine breite Debatte zu entfachen, die Akteure aus allen Bereichen einbezieht und zur Verantwortung zieht.

Dazu möchte ich im Folgenden einige Überlegungen anführen. Der Vertrieb von XL-Verpackungsgrößen oder vorportionierter Ware, die einen zeitnahen Verzehr bzw. die Zubereitung einer einzelnen Mahlzeit ohne Überschüsse nicht ermöglichen, sollte überdacht werden. Insbesondere bei Fleisch und Fisch sollte der Abverkauf von Frischetheken Pflicht sein.

Bei Waren wie Obst, Gemüse und Eiern, die einzeln verkauft werden können, sollte der Stückverkauf forciert werden. Dies wäre insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Zahl von Singlehaushalten sinnhaft: Tschüs Vorteilspack, willkommen Singlepack.

Die Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse wurden in der Europäischen Union bereits im Jahr 2009 novelliert. Die Vermarktungsnorm führt eine Definition der Begriffe „in einwandfreiem Zustand“, „unverfälscht“ und „von vermarktbarer Qualität“ für diese Erzeugnisse ein und verringerte die Anzahl der speziellen Vermarktungsnormen von 36 auf zehn.

Was fällt mir dazu ein? Schön, rund und Hauptsache vermarktbar, so muss der Apfel sein. Auch die ehemalige Bundesministerin für Verbraucherschutz forderte die Abschaffung der zehn noch bestehenden Vermarktungsnormen. Ich möchte ihr an diesem Punkt gern beipflichten.

Die ökologische und regionale Erzeugung und Verarbeitung muss konsequent gefördert werden. An dieser Stelle gibt es zaghafte Ansätze - ich betone -, die in Sachsen-Anhalt durch die Agrarmarketinggesellschaft begleitet werden.

Regionale Strukturen vermindern die Lebensmittelverschwendung durch kurze Wege zwischen Erzeugung und Verbrauch. Dies dient dann nicht nur dem nachhaltigen Lebensmittelverbrauch, sondern auch dem ländlichen Raum.

Denkbar wären lokal und regional durchgeführte Pilotprojekte, die zum saisonalen Verbrauch anregen. Der Einzelhandel sollte Erzeugnisse rechtzeitig vor Ablauf des ausgewiesenen Haltbarkeitsdatums verbilligt anbieten. An dieser Stelle schlagen wir vor, keine Selbstverpflichtung des Handels vorzusehen. Vielmehr muss an dieser Stelle eine gesetzliche Regelung geschaffen werden, um auch einen gewissen Druck zu erzeugen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Frau Freder- king, GRÜNE: Das gibt es schon!)

Für den Handel besteht die Möglichkeit, die Waren an Beschäftigte weiterzugeben oder an gemeinnützige Einrichtungen weiterzureichen. Dies wird bereits gemacht, aber wenn wir die Mengen des Wegwurfes sehen, dann wird dies noch viel zu wenig gemacht.

Das unmittelbare Entsorgen von Lebensmitteln vor Ablauf der Haltbarkeit ohne den nachweislichen Versuch, diese weiterzureichen, sollte untersagt werden können. Zudem sollten wir uns davon entfernen, dass noch kurz vor dem Ladenschluss alle Regale krachend voll sein müssen.

Jetzt könnte man mich fragen, wer das alles kontrollieren soll. - Dies darf besprochen werden.

Zu guter Letzt komme ich zum Mindesthaltbarkeitsdatum, MHD. Es ist kaum geeignet, die tatsächliche Haltbarkeit eines Lebensmittels zu bewerten. Die Hersteller sind zudem an einem kurzen Mindesthaltbarkeitsdatum interessiert, um den Warendurchsatz zu erhöhen. Sinnvoller wäre es doch, dem guten Beispiel der Briten zu folgen und „garantierte Qualität bis“ zu versichern.

Sehr geehrte Landesregierung, tun Sie zusätzlich etwas für den ländlichen Raum, die Schonung der Ressourcen in Europa und werden Sie darüber hinaus Vorreiter, werden Sie in Würdigung der Ergebnisse dieses Konsultationsverfahrens initiativ und stellen Sie uns Ihre Positionierung zu diesem Schlüsselthema, wie im Änderungsantrag gewünscht, in den zuständigen Ausschüssen dar.

Zu dem Änderungsantrag der Koalition: Es ist in Größenordnungen nur die Reihenfolge verändert worden. Man dachte sich sicherlich, die werden das schon nicht merken. Die darin geforderte Befassung in den Ausschüssen finde ich absolut in Ordnung. Der Antrag ist wohl gemeint, da er auch Aktivitäten - ich erwähnte Frau Aigner - absolut positiv würdigt, aber wir wollen diese weiterführen, und das in einem europäischen Kontext. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Herr Abgeordneter Czeke. - Für die Landesregierung spricht nun der Umweltminister Herr Dr. Aeikens.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE greift das Thema Lebensmittelverschwendung auf. Ich habe Ihnen, Herr Czeke, sehr aufmerksam zugehört; allerdings habe ich einen Ausdruck vermisst, nämlich „Skandal“. Dieser wäre hier am Platze gewesen. Die Lebensmittelverschwendung in den Industriestaaten ist ein Skandal.

(Beifall im ganzen Hause)

Dieses Thema wurde im Oktober 2012 im Bundestag beraten und mündete in einen fraktionsübergreifenden Antrag mit Titel „Lebensmittelverluste reduzieren“. Zurzeit läuft zu diesem Punkt ein Konsultationsverfahren der EU. Die Ergebnisse werden im Jahr 2014 vorgelegt.

Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie Frau Aigner gewürdigt haben, die dieses Thema in sehr nachdrücklicher Weise in die Öffentlichkeit hineingetragen hat, auf der Basis einer Studie, die im Auftrag ihres damaligen Hauses von der Universität Hohenheim veröffentlicht wurde.

Die Kernaussage dieser Studie ist, dass 61 % der Lebensmittelabfälle in Privathaushalten entstehen, jeweils 17 % in Betrieben der Industrie und in Gaststätten bzw. Kantinen, dass Privathaushalte pro Kopf und Jahr beinahe 82 kg hochwertig produzierte Lebensmittel entsorgen und der Wert dieser Lebensmittel auf mehr als 200 € pro Kopf und Jahr geschätzt wird.

Das heißt also, im Verhalten der Privathaushalte, der Konsumenten liegt offenbar der sinnvollste Ansatzpunkt zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen, und damit sind wir alle gefragt, meine Damen und Herren.

Die Eltern müssen Vorbild für ihre Kinder sein, wie man mit Lebensmitteln umgeht, und sie müssen wissen, dass man Lebensmittel als Mittel zum Leben wertschätzt. Wir müssen das in den Kindertagesstätten und in den Schulen fortsetzen. Es gibt vielfältige Anregungen. Es gibt zum Beispiel einen Leitfaden des BMELV für die Weitergabe von Lebensmitteln an soziale Einrichtungen. Es gibt eine Broschüre des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels zur Verringerung des Nahrungsmittelverlustes und auch eine gemeinsame Erklärung des zuständigen Bundesministeriums und des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen.

Meine Damen und Herren! Das ist aber kein Spezifikum des Landes Sachsen-Anhalt, und wir dürfen auch nicht überbewerten, was in einem Bundesland zu dieser Frage passieren kann, zumal die rechtlichen Vorgaben primär auf EU- und Bundesrecht basieren. Insofern scheint mir der Antrag der

Fraktionen der CDU und der SPD auf das Machbare und Realistische hinzudeuten.

Wir sollten an dieser Stelle aber auch einmal Dank sagen für die vielfältigen Aktivitäten und Initiativen, die es gibt, um diesem Thema sinnvoll und zielführend zu begegnen. Ich denke dabei an das, was die Verbraucherzentralen leisten. Ich denke aber auch an das, was der Deutsche Landfrauenverband tut, der insbesondere in Kindergärten und in Schulen aktiv ist, aber auch Hilfestellung gibt und Aufklärung leistet, wie in Privathaushalten Lebensmittelabfälle reduziert werden können.

An dieser Stelle, meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch denjenigen ganz herzlich danken, die mithilfe der Tafeln dafür sorgen, dass Lebensmittelabfälle reduziert und noch verwertbare Lebensmittel einer sinnvollen Verwendung zugeführt werden. Ich weiß, dass auch Mitglieder dieses Hohen Hauses in diesem Bereich aktiv sind. Die für meinen Wohnort zuständige Abgeordnete Frau Brakebusch ist zum Beispiel auch in diesem Bereich sehr engagiert. Das sind gute und sinnvolle Ansätze, wie man der Lebensmittelverschwendung begegnen kann.

Aber, meine Damen und Herren, der primäre Ansatz muss zu Hause erfolgen, im eigenen Verbraucherverhalten, in der Vorbildwirkung gegenüber Kindern und Enkeln. Wenn es um die guten Vorsätze für das Jahr 2014 geht - das Jahresende naht bereits -, dann sollten wir uns vornehmen, mit Lebensmitteln sorgfältiger umzugehen, und dieses auch gegenüber unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern kommunizieren. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Herr Minister. - Wir fahren fort in der Aussprache. Für die Fraktion der CDU spricht nun Herr Abgeordneter Czapek.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Verehrter Herr Minister Dr. Aeikens! Werter Kollege Czeke von der Linkspartei, ich freue mich sehr, dass Sie die Initiative ergriffen haben und gegen die Verschwendung von Lebensmitteln vorgehen wollen.