Protokoll der Sitzung vom 12.12.2013

Wir haben in Sachsen-Anhalt möglicherweise bessere Voraussetzungen, dies umzusetzen, da wir bereits solche Eltern-Kind-Zentren an unseren Kindertagesstätten haben und erkannt haben, dass das prinzipiell ein richtiger Weg ist und dass es ohne Elternarbeit nicht geht.

(Beifall bei der SPD)

In den Bundesbehörden, so heißt es im Entwurf des Koalitionsvertrages weiter, soll der mit dem Nationalen Aktionsplan Integration eingeschlagene Weg fortgesetzt werden. Das bedeutet eine Erhöhung des Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst, insbesondere durch die Gewinnung von jungen Migranten für eine Ausbildung im öffentlichen Dienst.

Dies könnte im Übrigen auch eine Vorbildwirkung für Sachsen-Anhalt haben. Auch das ist ein guter Weg. Wenn man gedanklich die gleiche Sprache spricht, ist es einfacher, miteinander zu arbeiten. Man braucht den Querschnitt in Bezug auf die Kenntnisse und die Herkunft auch im öffentlichen Dienst.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt soll auch für Asylbewerber und Geduldete bereits nach drei Monaten Aufenthalt erlaubt werden. Das muss ich nicht noch einmal betonen, da es bereits angesprochen wurde.

Last, but least soll für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern der Optionszwang aufgehoben werden und die Mehrstaatlichkeit akzeptiert werden.

Meine Damen und Herren! Meine beiden Mädels sind 17 Jahre alt. Wenn ich in den Freundeskreis meiner Mädels schaue, dann stelle ich fest, dass er sehr international ist. So wird es vielen von uns gehen. Anders als bei mir ist das keine gesuchte Internationalität. Wenn wir mit 17 Jahren Internationalität haben wollten, dann hatten wir eine russische Brieffreundin oder einen Brieffreund.

(Herr Borgwardt, CDU: Den durfte man aber nicht besuchen!)

Aber die Internationalität endete bereits bei den vietnamesischen Gastarbeitern, die restriktiv darauf hingewiesen wurden, keinen Kontakt zu gleichaltrigen jungen Frauen zu haben; denn das war ein Ausweisungsgrund.

Das, was meine Mädels heute erleben, ist gelebte Normalität. Es ist ein Internationalismus, den sie sich nicht gesucht haben, sondern der vorhanden ist. Deshalb haben sie es nicht verstanden, als ich, nachdem das in den Entwurf des Koalitionsvertrags aufgenommen wurde, nach Hause geschrieben habe: Juchhu, eure Freundin muss sich nicht mehr entscheiden! - Für sie war das selbstverständlich.

An dieser Stelle hat es eine Entwicklung gegeben, sogar in der bayerischen CSU. Offensichtlich hat Herr Seehofer auch Töchter, denen es genauso geht. Daher fiel es ihm möglicherweise leichter, der Aufhebung des Optionszwangs für in Deutschland geborene Kinder zuzustimmen.

Ich will deutlich machen, dass sich die Gesellschaft massiv verändert. Wir müssen bei den Themen vorankommen, die uns gemeinsam leichter fallen, weil wir einer Meinung sind. Wir müssen aber auch bei den Themen, die uns schwerer fallen, wie beim Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik, gemeinsam neue Wege gehen; denn die Welt wird sich weiterhin verändern. Ob wir uns einigeln oder nicht, fragt niemand.

Meine Damen und Herren! Wir werden erst nach dem Wochenende wissen, ob die große Koalition in Berlin zustande kommt. Aber für den nicht ganz unwahrscheinlichen Fall, dass das so ist, will ich heute bereits sagen, dass diese Landesregierung in Sachsen-Anhalt natürlich in der Pflicht ist, diese Aspekte auch im Bundesrat aktiv zu unterstützen.

Dass dies nach der heutigen Debatte mehr als geboten ist, wissen wir und haben wir mit unseren Beiträgen gezeigt. Dies ist ein valider Beitrag aus Sachsen-Anhalt und ein großer Schritt hin zu einer Willkommenskultur, die in unserem Land immer besser wird. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Danke schön. - Wir fahren in der Debatte fort. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Sachsen-Anhalt leben die wenigsten Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. Ich meine, das spürt man auch. Diejenigen, die nach SachsenAnhalt kommen, sind zu schnell wieder weg. 85 % aller Migrantinnen und Migranten haben unser Bundesland nach spätestens fünf Jahren wieder verlassen. Das ist ein schlechter Wert.

Dies sind Kennziffern, die für mehr stehen als für Schwierigkeiten mit den oft unzureichenden aufenthaltsrechtlichen Regelungen. Ich meine, wir müssen das ändern.

In keiner Region in Europa schrumpft die Bevölkerung derzeit so stark wie in Sachsen-Anhalt. Wir müssen daher der Integrationspolitik endlich den Stellenwert einräumen, der ihr gebührt. Sie darf nicht länger als lästige Pflicht, als heiße Kartoffel begriffen werden. Nein, Zuwanderung ist für unser Land eine zentrale Herausforderung in vielfacher Hinsicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Stahlknecht ist gerade wieder auf dem Weg in den Saal. Lieber Minister, Sie haben das Thema Integration als Querschnittsthema auch bei uns im Bundesland gewürdigt. Aber angesichts dessen hätte ich mir auch eine Würdigung all derer gewünscht, die an dieser Querschnittsaufgabe, die nicht nur in Ihrem Hause bearbeitet wird, mitwirken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Beispielsweise ist die Integrationsbeauftragte zu nennen, die einen wesentlichen Beitrag leistet und die die Integrationsbeauftragte der Landesregierung ist. Aber auch die Migrantenselbstorganisationen in unserem Land sind zu nennen, die eine vielfältige und wichtige ehrenamtliche Arbeit leisten und oftmals bis zum Rande der Erschöpfung persönlichen Einsatz zeigen.

Herr Minister, diese Vielschichtigkeit des Themas habe ich in Ihrer Regierungserklärung an einigen Stellen vermisst.

Der demografische Wandel und die Fachkräftesicherung erfordern eine aktive Zuwanderungspolitik. Aber dies ist nur eine Seite. Es geht dabei um mehr. Denn auch Zuwanderer, die diese hohen Anforderungsprofile nicht erfüllen, sollen bei uns leben und arbeiten dürfen. Den meisten dieser oft gut ausgebildeten Menschen bleibt dieser Wunsch nach eigentätigem Erwerb in Deutschland jedoch

verwehrt, obwohl er zu einem ihrer ganz zentralen Wünsche gehört.

Die Bildungsfrage steht eigentlich nicht im Raum. Die Auswertung des Mikrozensus hat gezeigt, dass 20,8 % der Migrantinnen und Migranten in Ostdeutschland über einen Hochschulabschluss verfügen. Dem steht in unserer heimischen Bevölkerung ein Anteil von 10,4 % mit Hochschulabschluss gegenüber.

Also, Frau Budde, es ist nicht nur so, dass nicht nur Kinder aus bildungsfernen Familien unter den Migrantinnen und Migranten sind. Sogar das Gegenteil ist der Fall: Die Bildungssituation ist eigentlich überdurchschnittlich gut.

Die von Ihnen, Herr Minister, angesprochenen Reformen und Reförmchen der vergangenen Jahre - es waren nicht alles riesige Sprünge, aber es hat sich doch einiges bewegt - sind Realität. Tatsächlich sind immer weitere aufenthaltsrechtliche Zugänge und auch Zugänge zum Arbeitsmarkt geschaffen worden, ja. Doch greifen diese Mittel oft in der Praxis nicht wirklich, weil die Ansatzhöhe zu hoch ist oder weil dann die untergesetzlichen Regelungen und Verordnungen einfach zu restriktiv sind.

Gerade für sogenannte Drittstaatenangehörige ist es daher immer noch sehr schwierig, sich am Arbeitsmarkt wirklich erfolgreich zu platzieren. Das ist der schlichte Grund dafür, dass die Arbeitsmigration aus diesen Ländern bisher eine geringe Rolle spielt, wie es der Minister richtig festgestellt hat. Es ist also nicht deren Problem, dass die Motivation nicht da wäre, sondern wir haben hier einfach nicht die Möglichkeit, ihnen Beschäftigung zu bieten und den Arbeitsmarkt für Drittstaatenangehörige attraktiv darzustellen.

Sehr geehrter Herr Minister, Sie beschreiben mit Ihrer Regierungserklärung Wege zu einer Willkommenskultur. Es freut mich sehr, dass Sie das wieder aufnehmen. Das geschieht nicht zum ersten Mal. Aber nachdem ich Ihrer Rede gelauscht habe, würde ich dann vielleicht doch eher von verschlungenen Pfaden als von gut ausgebauten Wegen sprechen wollen.

Lange haben Sie diese Regierungserklärung nun angekündigt. Jetzt wissen wir auch, warum. Sie haben den Koalitionsvertrag auf der Bundesebene recht bequem abgewartet und nicht so wirklich eigene Akzente gesetzt. Immer wieder sind Sie jetzt auch in Ihren Ausführungen auf diesen Koalitionsvertrag auf Bundesebene eingegangen.

Ich frage mich, was passiert denn eigentlich - Frau Budde hat es zwar fast ausgeschlossen, aber man kennt die Mitglieder auch nicht immer so genau -, wenn er nicht Realität wird? Hören wir dann in ein paar Wochen hier eine neue Regierungserklärung?

(Minister Herr Stahlknecht: Dann machen wir es mit Ihnen! - Frau Budde, SPD: Sie haben doch angeboten, danach mit uns zu verhandeln! - Heiterkeit)

Also der Koalitionsvertrag auf Bundesebene nimmt sicherlich viele wichtige Themen dieses Politikbereiches auf. Aber er sollte für uns in SachsenAnhalt nicht die alleinige Richtschnur für unser integrationspolitisches Handeln sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Damit, lieber Minister, machen Sie es sich etwas zu einfach; denn eigenständige Integrationspolitik sieht anders aus. Sie möchten doch gern als Lokführer vorn stehen und auf den Willkommensgleisen fahren. Dann dürfen Sie auch nicht darauf warten, dass hinten jemand im Waggon irgendwo die Feststellbremse dreht. So geht das nicht. Dann darf sich niemand beschweren, dass das so langsam vorangeht.

So ist es zum Beispiel im Bereich der Deutschkenntnisse. Sie sind hier breit darauf eingegangen. Einerseits begrüßen Sie eine Erleichterung des Arbeitsmarktzuganges für Asylsuchende und Geduldete. Auf der anderen Seite möchten Sie diese Gruppe aber nur mit Grundkenntnissen der deutschen Sprache versehen. Das heißt dann niedrigschwellige Deutschkursangebote.

Erst im vergangenen Monat haben wir hier im Landtag über den Vorschlag debattiert, für eben diesen Personenkreis die Sprachkursmodule der Integrationskurse zu öffnen und damit sozusagen deren Sprachausbildung auch auf ein ordentliches Niveau zu stellen. Sie haben hier vorn angekündigt, dass zumindest die offenen Plätze in diesen Kursen in der Tat freigegeben werden sollen.

(Minister Herr Stahlknecht: Ja!)

In Ihrer Regierungserklärung bedauern Sie nun, dass diese Änderungen im Bundesrecht nicht kommen werden, weil die Koalitionäre im Bund sich nicht hätten darauf einigen können. Ich zitiere aus Ihrer Erklärung: „Diese Realität müssen wir zur Kenntnis nehmen.“

Es fällt aber kein Wörtchen darüber, dass Sie selbst im Innenausschuss des Bundesrates gegen den entsprechenden Antrag gestimmt haben, und zwar noch vor dem Abschluss des Koalitionsvertrages und auch vor der zweiten Lesung des entsprechenden Antrags, der gerade bei uns im Innenausschuss behandelt wird und noch einmal hier in den Landtag zurückkommt.

Herr Minister, also bitte keine Krokodilstränen an dieser Stelle. Sie haben auch Ihren Anteil daran, dass es diese künftige Zwei-Klassen-Aufteilung bei den Sprachkursen geben wird.

(Beifall bei den GRÜNEN - Minister Herr Stahlknecht: Danke!)

Ganz ähnlich ist es beim Thema Einbürgerung. Sicherlich ist es schön, Einbürgerungsfeste zu feiern. Ich habe es sehr genossen, dabei zu sein. Es war eine würdige und schöne Veranstaltung. Aber machen wir uns doch nichts vor: Die Einbürgerung steht doch oft am Ende einer sogar jahrzehntelangen Odyssee der Beteiligten durch den deutschen Paragrafendschungel und auch durch den Behördendschungel. Das kommt noch dazu.

Es ist nicht immer angenehm, Ausländerbehörden, die, wie Sie gesagt haben, Visitenkarten unseres Landes sein sollen, erleben zu müssen. Also bis das wirklich attraktive Visitenkarten sind, die man auch gern entgegennimmt, muss sich noch einiges tun. Auch beim Thema Einbürgerung erwarten wir mehr Engagement.

Sie, Herr Minister, haben in der Vergangenheit durchaus auch Sympathien für die doppelte Staatsbürgerschaft erkennen lassen. Aber eine Initiative dazu gab es von Ihnen nicht. Stattdessen verweisen Sie auch hierzu wieder auf den Koalitionsvertrag und auf den dort angekündigten Wegfall des Optionszwanges.

Aber ich sage ganz deutlich, das ist eben nur ein Teilbereich. Der Wegfall des Optionszwanges allein reicht nicht aus. Dass die doppelte Staatsbürgerschaft nicht im Koalitionsvertrag 2013 steht, ist wirklich ein großes Manko. Das sage ich auch ganz deutlich noch einmal in Richtung der SPD. Diesbezüglich hätten, glaube ich, wir alle - nicht nur wir GRÜNEN, sondern auch die Gesamtgesellschaft - mehr erwartet. Vier Jahre Stillstand auf diesem Gebiet. Schade!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister, Ihre Äußerungen zu Asylfragen - dazu wurde einiges von meinen Vorrednerinnen schon gesagt - empfinde ich zu einem großen Teil in einer Debatte über die Willkommenskultur als wenig hilfreich.

Es hätte sich aus meiner Sicht verboten - zumindest hätte man das anders formulieren müssen -, in einer Debatte über Willkommenskultur über angeblichen Missbrauch von staatlichen Sozialleistungen zu spekulieren. Das verbietet sich in einer Willkommenskulturdebatte; denn Sie nehmen diesen Bereich in diese Willkommenskulturdebatte mit auf. Sie sagen, die Willkommenskultur muss für sie gelten. Aber gleichzeitig sozusagen Herrn Friedrich das Wort zu reden und hier von Asylmissbrauch zu sprechen - das haben Sie nicht genau so gesagt; aber letztlich geht es in diese Richtung -, das, finde ich, hat an dieser Stelle wirklich nichts zu suchen.