Protokoll der Sitzung vom 30.01.2014

Wir stimmen nun über den Ursprungsantrag in Drs. 6/2720 ab. Wer stimmt dem Antrag zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Der Antrag ist damit angenommen und beschlossen worden.

Bevor wir in die Mittagspause eintreten, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie an Folgendes erinnern: Die Behandlung des Tagesordnungspunktes 7 wurde gestrichen. Die Beratung des Tagesordnungspunktes 12 erfolgt entgegen den Absprachen am morgigen Tag. Heute würden noch die Tagesordnungspunkte 11 und 15, für die keine Debatte vorgesehen ist, behandelt werden.

Wir haben vereinbart, dass wir in eine eineinhalbstündige Mittagspause eintreten. Wir sehen uns um 14.30 Uhr wieder.

Unterbrechung: 13.02 Uhr.

Wiederbeginn: 14.33 Uhr.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung

Demografischer Wandel in Sachsen-Anhalt

Große Anfrage Fraktion SPD - Drs. 6/1803

Antwort der Landesregierung - Drs. 6/2285

Für die Aussprache zur Großen Anfrage wurde die Debattenstruktur D, eine 45-Minuten-Debatte in der Reihenfolge DIE LINKE, CDU, GRÜNE und SPD vereinbart. Als erste Debattenrednerin rufe ich auf - - Nein. Ich erteile für die SPD, also für die Fragestellerin, dem Abgeordneten Herrn Bergmann das Wort. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich habe bei dem Aufruf als erste Rednerin nicht gezuckt, weil ich glaube, dass wir inzwischen alle in der Lage sind, das große I mittendrin zu lesen.

Die Fraktion, Herr Kollege Bergmann, die Fraktion.

(Heiterkeit bei der SPD)

Auch so. - Wir haben im Moment - das ist nicht weiter schlimm - beispielhaft zur Kenntnis zu nehmen, wie sich der Bevölkerungsschwund in Sachsen-Anhalt fortsetzt. Ich hoffe, die sind nicht alle weg, die jetzt noch nicht hier sind.

(Heiterkeit bei der SPD)

Nun im Ernst: Demografischer Wandel, demografische Entwicklung ist nicht nur eine Frage des Älterwerdens der Gesellschaft. Aber auch vor diesem Hintergrund - sehen Sie es mir bitte nach - kann es an der einen oder anderen Stelle nötig sein, dass ich mein neues Hilfswerkzeug bedienen muss. Darum kommt man eben nicht mehr herum.

Der demografische Wandel begegnet uns alltäglich. Wenn Sie heute in die Zeitung schauen, finden Sie Themen, die direkt oder indirekt durch die Demografie berührt sind. Der demografische Wandel begleitet uns stetig. Wir aber müssen ihn gestalten.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Dass wir ihn gestalten müssen, ist keine Neuheit. Das weiß ich. Das ist keine neue Erkenntnis. Wir müssen ihn auch nutzen. Die Frage ist nur, wie und wie kommen wir dabei voran.

Es ist fast eine ganze Generation in SachsenAnhalt abhanden gekommen, die nun in anderen Bundesländern ihre Kinder bekommen hat. Wir hätten sie viel besser hier gebraucht. Nun kann man Rückholprogramme, die ich nicht abschätzig betrachtet sehen möchte, durchführen. Man kann Glühweingespräche auf Stuttgarter Weihnachtsmärkten durchführen, man mildert den demogra

fischen Wandel oder die Entwicklung dadurch trotzdem nicht ab.

Aufhalten können wir den demografischen Wandel auch nicht, denn die verschwundenen Kinder des Landes sind nun einmal weg und können an der weiteren Entwicklung nichts mehr tun. Wir müssen uns daher nun hauptsächlich auf den Umgang mit dem demografischen Wandel konzentrieren. Hierzu - diese Kritik mag man mir verzeihen - würde ich gern mehr von der Landesregierung hören.

Ich erinnere mich übrigens gern - ich sage das auch ganz offen - an die letzte Legislaturperiode, wo wir zusammen mit Karl-Heinz Daehre und Christiane Dienel sehr viel gemacht haben. Vielleicht war die Konkurrenzsituation in beiden Ministerien dafür ausschlaggebend, dass man dort kräftig auf das Gas getreten hat. Sicherlich helfen uns Konferenzen allein nicht, sondern wir werden demnächst Maßnahmen umsetzen müssen.

Beim Umgang mit dem demografischen Wandel im täglichen Leben werden wir die Frage beantworten müssen, ob wir die Mobilität der Menschen erhöhen wollen und können oder ob wir die Räume im Land entsiedeln. Ich denke ein bisschen mit Schrecken daran, dass wir schon vor Jahren über die vom Berlin-Institut vorgeschlagenen Wegzugsprämien diskutiert haben, die auch ich damals vehement abgelehnt habe. Dennoch müssen wir uns über die ländlichen Räume Gedanken machen. Denkspiele allein können jedoch nicht der Anspruch der Politik sein.

Wir müssen, da wir gleiche Lebensverhältnisse in der Fläche bieten wollen, die Mobilität erhöhen. Dies wird zum einen die Mobilität der Bevölkerung sein, zum anderen aber auch die Mobilität der Versorgung der Ärzte, der Einkaufsmöglichkeiten, der Banken, um dies nur stellvertretend zu nennen. Dazu darf es nicht nur Lippenbekenntnisse geben, sondern wir müssen auf diesen Gebieten wirklich noch viel, viel mehr umsetzen.

Als Land Sachsen-Anhalt sind wir vom demografischen Wandel am stärksten betroffen. Wir sind auch diejenigen, die zuerst betroffen sind. Ich erinnere mich gern an den einen oder anderen Vortrag des ehemaligen Mitarbeiters im Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr, Herrn Dr. Wolfgang Weiß, der uns als Demograf zeigen konnte, dass man sehr früh wusste, was passieren wird und wo die Bevölkerungslücken als Erstes entstehen. Dabei war immer klar, dass wir in gewisser Weise das Land sind, das mit guten Beispielen vorangehen kann. Auch hierbei würde ich mir im Moment etwas mehr als nur Konferenzen wünschen, sondern auch echte Taten.

Zum Beispiel diskutiert Niedersachsen sehr ausführlich darüber, wie man die Dörfer in den ländlichen Räumen neu strukturieren kann, wie man kleine Satellitendörfer vielleicht nicht mehr be

dient, wie man damit umgeht usw. usf. Fachlich müssen wir das sicherlich in den zuständigen Fachausschüssen diskutieren. Aber eine große Linie vorzugeben wäre auch Aufgabe der Landesregierung.

Bei aller Kritik, aber auch ein Lob. Das MLV hat für die Gemeinde Hohe Börde eine Studie mitfinanziert. Darin hat sich die Gemeinde intensiv mit dem demografischen Wandel auseinandergesetzt und Wege gefunden, die Daseinsvorsorge für sich selbst zu klären.

Ich hatte vor kurzer Zeit das Vergnügen, Holger Platz zu hören, der nun Dezernent in einer Stadt ist, die alles andere als ein Dorf ist, also hier in Magdeburg. Aber auch in Städten, die nicht über einen Bevölkerungsschwund klagen, sind einige demografisch relevante Dinge zu klären. Es war hochinteressant, sich diese Dinge anzuhören. Ich fand, die Stadt Magdeburg ist in dem, worüber sie berät und was sie vorschlägt, auf einem sehr guten Weg. Das sind zwei Gemeinden, die ich jetzt genannt habe, bei denen es vorbildlich war.

Aber warum muss ich in der Antwort auf die Große Anfrage zum demografischen Wandel lesen, dass das MLV nicht aktiv auf Kommunen und Landkreise zugeht? Es gehört zur Gestaltung des demografischen Wandels, dass das Ministerium die Kommunen und Landkreise aktiv für das Thema sensibilisiert und eine flächendeckende Beschäftigung mit diesem Thema in allen 218 Gemeinden erreicht.

Vieles hängt gerade in den Gemeinden von deren zukünftiger Bevölkerungsentwicklung und -zusammensetzung ab: Wie wollen die Menschen in den Gemeinden wohnen? Welche Straßen werden sie benötigen? Welche öffentlichen Einrichtungen brauchen sie, welche Kitas, welche Schulen, welche Bibliotheken, Sporthallen usw. usf.?

Welches Wasser- und Abwassersystem muss ich vorhalten? Kann ich eventuell Teile des Systems zurückbauen oder werde ich sie noch benötigen? Brauche ich mehr Barrierefreiheit, da die Einwohner überdurchschnittlich alt sind, oder kann ich ein Pflegeheim gemeinsam mit der Nachbargemeinde bauen, um in beiden Gemeinden Kosten einzusparen?

Auf Gemeindeebene haben wir - das ist ein kleiner Nachteil; auch das war der Antwort auf die Große Anfrage zu entnehmen - keine Bevölkerungsprognosen. Ich frage: Auf welcher Grundlage treffen Gemeindevertreter ihre Entscheidungen?

Ich glaube, an dieser Stelle wäre es sinnvoll, wenn wir im Rahmen der nächsten Haushaltsberatungen darüber nachdenken würden, ob wir den Gemeinden, um sie zu unterstützen, ein Säckchen Geld in die Hand geben, damit jede Gemeinde für sich vor dem Hintergrund des demografischen

Wandels ein eigenes Entwicklungskonzept erarbeiten könnte.

Ich möchte noch auf einige Punkte eingehen, die ich mir beispielhaft aus der Antwort herausgezogen habe. Das betrifft zum einen das Thema Diversity Management. Ich verstehe nicht ganz, warum die Landesregierung hier so ablehnend reagiert. Ich glaube, dass das gerade für die Zukunft nötig ist.

Diversity Management bedeutet nicht nur zu schauen: Welche Gruppen mit Mitgrationshintergrund, welche kirchlich orientierten Gruppen - wie auch immer - finden sich in der Landesverwaltung wieder? Vielmehr geht es auch darum: Welche Altersstruktur besteht? Ich glaube, wir haben im Moment einfach das Problem, dass wir zu wenige junge Leute haben.

Wenn die Landesregierung hierauf antwortet, dass man sich auch einmal bei anderen umschauen will und sich orientieren will, dann ist das sicherlich möglich. Ich nehme zum Beispiel mit sehr großem Interesse zur Kenntnis, dass die Polizei im Ruhrgebiet sehr stark durch Polizisten sicherlich mit deutscher Staatsbürgerschaft, aber mit Mitgrationshintergrund verstärkt worden ist. Ich sehe das bei uns noch sehr selten, vielleicht zu selten.

Ich stelle auch fest - Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren Minister -, dass Sie oft, wenn Sie Personalwünsche haben, auf das PEK schimpfen und sagen: Liebe Leute aus dem Landtag, helft uns dabei einmal! Aber auf der anderen Seite lese ich in der Antwort auf die Große Anfrage, dass man sich auch gut hinter dem PEK verstecken kann, wenn man sich über die Struktur, das Alter und die Herkunft der jeweiligen Mitarbeiter Gedanken machen muss.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch sagen, dass das Thema Zuwanderung eine Rolle spielt. Ich bin davon überzeugt, dass wir keine Zuwanderung in erheblichen Größenordnungen erleben werden. Wir sollten aber aufpassen, dass wir in Deutschland nicht den Fehler machen und durch Diskussionen wie die über Armutszuwanderung diejenigen verschrecken, die gern nach Deutschland kommen würden und die wir hier sehr gut gebrauchen könnten.

(Zustimmung von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE)

Ich bin froh darüber, dass wir heute Morgen schon darüber diskutiert haben. Aber dies ist auch im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung ein ganz entscheidender Faktor.

Mein lieben Kolleginnen und Kollegen vom Koalitionspartner, ich bin besonders froh, dass ich von Ihrer Seite diesbezüglich überhaupt nichts Negatives gehört habe und dass niemand der CSU beigesprungen ist. Ich glaube, dass wir alle zusam

men für Sachsen-Anhalt anders gedacht mehr erreichen können.

(Zustimmung von Frau Grimm-Benne, SPD)

Danke, Markus Kurze. Erliegen Sie bloß nicht der Versuchung. Die Kollegen in Thüringen - sie befinden sich im Wahlkampf - sind schon halb darauf hereingefallen. Das fand ich nicht so prickelnd.

Ich würde mich auch freuen - in den Kabinettsvorlagen wird sehr viel geprüft -, wenn wir in den Kabinettsvorlagen grundsätzlich einen Demografiecheck hätten. Aber das muss dann ein Demografiecheck sein, der den Namen auch verdient, der nicht nur ein Nachhaltigkeitscheck ist, sondern der wirklich dazu führt, dass man in den Ministerien darüber nachdenkt: Welche Auswirkungen hat diese konkrete Maßnahme in demografischer Hinsicht?

Das ist auch für unsere Landesverwaltung wichtig. Die Landesverwaltung ist kein Elfenbeinturm fernab vieler anderer Einrichtungen; vielmehr haben wir auch dafür zu sorgen, dass diese Verwaltung verjüngt, verstärkt und bunter gestaltet wird. Das gelingt nur, wenn jedes Mal überprüft wird: Was mache ich hier eigentlich, wenn ich ein Gesetz erlasse? Viele Gesetze haben Auswirkungen. Manchmal denken wir nicht darüber nach, ob es nicht vielleicht in demografischer Hinsicht die falschen Auswirkungen hat.

Ich freue mich über solche Aktionen, wie sie der Minister für Arbeit und Soziales erst vor Kurzem vorgestellt hat. Ich meine zum Beispiel die Aktion „Ich mache mehr aus mir“, bei der man gerade den, ich sage mal, jüngeren Älteren dieser Gesellschaft die Möglichkeit gibt, über Fortbildung Lücken in den Unternehmen und in den Verwaltungen zu schließen, die vielleicht schon entstanden sind und wo wir wissen, dass nicht ohne Weiteres Nachwuchs zu rekrutieren ist. Also noch einmal schönen Dank an das Ministerium für Arbeit und Soziales.

Ein nicht ganz unwesentlicher Aspekt des demografischen Wandels ist natürlich, dass unser Land dadurch in erheblichem Umfang Mittel verliert. Nach der fünften Bevölkerungsprognose wird die Bevölkerung Sachsen-Anhalts von heute etwa 2,3 Millionen bis 2025 auf 1,9 Millionen Menschen schrumpfen. Mit jedem Einwohner verlieren wir ca. 2 400 € Einnahmen im Landeshaushalt. Zudem wird ein großer Teil der Bevölkerung in die Rentenphase eintreten, wodurch die eigenen Steuereinnahmen noch einmal verringert werden.