Protokoll der Sitzung vom 28.02.2014

Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ansatz, den wir als Haushaltsgesetzgeber für das Haushaltsjahr 2014 beschlossen haben, ist seit 2010 nahezu unverändert. Die Ministerin hatte gesagt, es gab zum Glück keine Kürzungen.

Ich habe mir die Mühe gemacht und mir die Parlamentsdokumente zu den letzten Haushaltsberatungen im Fachausschuss zur Titelgruppe „Förderung von Beratungsstellen und von Projekten für Frauen“ noch einmal angeschaut. Dass die Landesförderung für Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt nicht auskömmlich sei, wurde bisher noch nicht thematisiert, auch nicht von der einbringenden Fraktion.

Thema im Fachausschuss war, wie von Frau Ministerin Kolb bereits ausgeführt wurde, ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, durch den die Frauenhäuser zusätzliche Haushaltsmittel erhalten haben, um die gesellschaftlichen Aufgaben zu verstetigen, durch helfende und vorbeugende Maßnahmen die Gewalt gegen Frauen und Kinder zu bekämpfen.

Wir haben eben schon weitere Aspekte gehört. Ich gehe davon aus, dass die antragstellende Fraktion weitere neue Erkenntnisse zum Thema in Antragsform kleiden möchte. Deshalb sollten wir mit der gebotenen Gründlichkeit im Ausschuss darüber diskutieren.

Wenn wir über steigende Zahlen von sexualisierter Gewalt sprechen, ist es immer auch notwendig, über Ursachen und Prävention zu sprechen, um Therapieangebote möglichst passgenau zu gestalten. Es ist keine Frage; um den Bestand an Hilfsangeboten zu sichern, sind die Träger der Einrichtungen auf die Förderung des Landes angewiesen. Das ist aber Konsens im Hohen Haus.

Opferschutz ist eines der zentralen rechtspolitischen Arbeitsfelder im Koalitionsvertrag. Dazu zählen auch die psychosoziale Versorgung von Opfern sexualisierter Gewalt und die Unterstützung durch Öffentlichkeits- und Präventionsarbeit.

Wenn es tatsächlich so ist, wie es im Antragstext und soeben in der Debatte ausgeführt wurde, dass die Wartezeit auf einen ambulanten Therapieplatz in der Regel ein Jahr beträgt, dann kann man das

natürlich nicht hinnehmen; dann besteht deutlicher Handlungsbedarf.

Deshalb bitte ich Sie abschließend um Ihre Zustimmung zur Überweisung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Änderungsantrags der Fraktion DIE LINKE zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung und zur Mitberatung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Frau Kollegin, die Kollegin Lüddemann würde Sie gern etwas fragen. Möchten Sie antworten? - Frau Lüddemann.

Frau Kollegin, ich habe soeben wahrgenommen, dass Sie in Ihrer Rede gesagt haben, die Unterfinanzierung der Beratungsstellen, die ich in meinem Redebeitrag zum wesentlichen Teil dargelegt habe, sei von meiner Fraktion in den letzten Jahren nicht aufgegriffen worden. Dazu möchte ich noch einmal ganz deutlich sagen, dass wir uns in diesen Moratoriumsprozess hinsichtlich der Beratungsstellenlandschaft im Wesentlichen eingebracht haben, um endlich eine solide Grundversorgung, eine tarifgerechte Bezahlung der fachlich qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Beratungsstellen, auch in den WildwasserBeratungsstellen, die damals noch im Sozialressort verortet waren, zu erreichen.

Ich möchte Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass meine Fraktion - das ist aktenkundig - in jedem Haushaltsaufstellungsverfahren entsprechende Änderungsanträge eingebracht hat, die Haushaltsansätze zu erhöhen. Das können Sie nachlesen, und ich bitte Sie, das in Ihre weiteren Betrachtungen einfließen zu lassen.

Wir waren der Meinung, dass wir durch diese Anträge und durch unsere Argumentation im Prozess der Beratungslandschaft immer wieder deutlich gemacht haben, wie defizitär die Situation ist. Nur in den letzten zwei, drei Jahren - diesbezüglich hat Frau Ministerin völlig Recht - sind sie nicht abgesenkt worden - de facto zwar schon, durch Inflation, durch nicht zu leistende Tarifzahlungen und dergleichen -, aber früher sind sie immer wieder abgesenkt worden.

Kennen Sie diese Prozesse?

Sehr geehrte Frau Kollegin Lüddemann, natürlich ist mir das durchaus bekannt. Ich bin von der generellen Aussage ausgegangen, die Sie eben ge

troffen haben, und von der expliziten. Genau das war Gegenstand meiner Betrachtung.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Vielen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Quade. Bitte, Frau Abgeordnete.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gehe noch einmal auf die Intervention der Kollegin Lüddemann ein. Diesbezüglich bin ich völlig bei Ihnen. Aber sich hier hinzustellen und zu sagen, wie schön es sei, dass wir Beratungsstellen haben und es diese vor 50 Jahren nicht gegeben habe, Frau Kollegin Koch-Kupfer, das geht schon ein Stück weit an der Realität, insbesondere an der Realität der Beratungsstellen, vorbei.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Fraktion DIE LINKE schätzt die Arbeit der Beratungsstellen für die Opfer sexualisierter Gewalt hoch. Wir wollen, genau wie die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Existenz dieser Beratungsangebote dauerhaft sichern.

Uns ist es zudem ein Anliegen, die Arbeits- und Einkommensbedingungen der dort tätigen Fachkräfte angemessen und existenzsichernd zu gestalten. Probleme wie die Inflation und die gestiegenen Sach- und Nebenkosten sind bereits angesprochen worden. Dies gilt im Übrigen auch für alle anderen Beratungsstellen in unserem Land.

Ich komme zum Antrag selbst. Meine Damen und Herren! Es lohnt sich, den Antrag in einem etwas erweiterten Kontext zu betrachten. Die Beratungsstellen für die Opfer sexualisierter Gewalt waren Bestandteil des Prozesses der Neustrukturierung der Beratungsstellenlandschaft. Im entsprechenden Bericht der Projektgruppe vom September 2011 sind diese enthalten. Dort findet man unter anderem auch detaillierte Angaben zu den Fallzahlen, zur Zielgruppe, zur finanziellen Förderung, zu den Aufgaben, zu den rechtlichen Grundlagen und zur Arbeit der Beratungsstellen.

Die Aussage in der Begründung des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die sich auf die Richtlinie bezieht, ist ein bisschen unzutreffend und geht ein bisschen an der Sache vorbei, weil die Richtlinie für die Beratungsstellen für die Opfer sexualisierter Gewalt so nicht anwendbar ist. Es ist aber im Grunde noch viel besser; denn die Kritik, die die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN übt, dass der Personalschlüssel von 1,75 VZE nicht erfüllt werde, ist keine formale, sondern eine inhaltliche Problematik. Diese VZE wären notwendig, um diese qualifizierte Arbeit zu leisten.

Es ist nicht so, dass diese qualifizierte Arbeit aufgrund der zu geringen Personalausstattung nicht geleistet oder nur ungenügend geleistet wird, sondern die Landesregierung bleibt damit hinter den eigenen Fördergrundsätzen zurück. Denn in diesen Fördergrundsätzen sind genau diese 1,75 VZE enthalten. Ich frage mich, warum sie sich Fördergrundsätze geben, wenn sie diese eh nicht einhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Fördersumme für alle vier Beratungsstellen beträgt seit Jahren unverändert 204 100 €. Die Ministerin sagte vorhin, dass diese Fördersumme nicht abgesenkt worden ist. Kollegin Lüddemann ging schon auf das damit einhergehende Problem ein, dass aufgrund der Inflation gestiegene Sachkosten zu einer realen Senkung führen. Damit geht es diesen Beratungsstellen so, wie es bei allen Beratungsangeboten im Land Sachsen-Anhalt der Fall ist. Die Landesförderung bleibt konstant, berücksichtigt aber weder Tarifsteigerungen noch gestiegene Sach- und Nebenkosten. Genau das wird der wichtigen Aufgabe, die diese Beratungsstellen wahrnehmen, nicht gerecht.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Der Prozess der Neustrukturierung der Beratungsstellenlandschaft ist seit Jahren eine heiß diskutierte Frage und ein Dauerbrenner im Sozialausschuss. Gut, jetzt kann man sagen, dass die genannten Beratungsstellen nicht mehr in die laufende Debatte im Sozialausschuss eingebunden sind, weil die Zuständigkeiten für Frauen- und Gleichstellungspolitik in das Justizministerium gewechselt sind.

Nichtsdestotrotz existieren seitens des Sozialministeriums und auch seitens der Koalition Überlegungen, in Zukunft die Beratungsstellenlandschaft gesetzlich regeln zu wollen. Dies ist auch eine Forderung meiner Fraktion. Deshalb greifen wir diesen Punkt in unserem Änderungsantrag auf. Es muss doch trotz Ressortwechsels möglich sein, zumindest zu prüfen, ob auch die Beratungsstellen für die Opfer sexualisierter Gewalt in ein Beratungsstellengesetz des Landes aufgenommen werden können.

Diese Möglichkeit wollen wir mit unserem Änderungsantrag aufmachen. Ich habe sehr interessiert Ihre Reaktion auf diesen Punkt gehört. Es wird sich in den Ausschussberatungen sicherlich als einer der interessanten Punkte erweisen, das Für und Wider abzuwägen. Ich werbe sehr dafür, das ergebnisoffen zu tun.

Punkt 1 des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN haben wir übernommen, weil wir ihn richtig finden. Es gibt zwar einen Bericht, aber die Zahlen sind mittlerweile aus dem Jahr 2009. Deshalb wären tatsächlich eine Erneuerung bzw. eine

Evaluation sowie eine detaillierte Auskunft über alles Wissenswerte rund um die Beratungsangebote in unserem Land angezeigt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bitte um die Annahme unseres Änderungsantrages bzw. um die Überweisung in die genannten Ausschüsse. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die Fraktion der SPD spricht jetzt Frau Hampel. Bitte schön, Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei der Recherche zu Ihrem Antrag, sehr geehrte Frau Lüddemann, habe ich mich des Internets bedient und auch auf die Seiten von Beratungsstellen anderer Bundesländer geschaut. Ich bin auf die Seite einer Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt in Salzgitter gekommen und habe dort Folgendes gelesen, was mich sehr bewegt hat. Ich möchte das gern vortragen. Dort steht:

„Du weißt nicht, wie du es nennen sollst, was dir passiert ist. Vielleicht hat dich jemand angefasst, wo du nicht angefasst werden wolltest, macht jemand über deinen Körper Bemerkungen, die dir unangenehm sind, belästigt dich jemand beim chatten oder per Handy, will jemand von dir geküsst oder berührt werden und du fühlst dich nicht wohl, küsst dich jemand und du findest es eklig, zwingt dich jemand, mit ihm Geschlechtsverkehr zu haben. Diese und ähnliche Situationen werden sexuelle Gewalt, sexuelle Übergriffe oder sexueller Missbrauch genannt.“

Die Menschen, die das den Opfern antun, sind oft Menschen aus dem Bekannten-, Freundes- oder auch dem Familienkreis. Sie verlangen zudem von den Opfern, das „Geheimnis“ zu wahren, da sonst etwas Schlimmes passieren könnte.

Diese wenigen Aussagen machen die Bandbreite sexueller Gewalt deutlich, und sie machen auch deutlich, woher die Täter oftmals stammen. Deshalb wissen die Opfer oftmals nicht, wie sie sich richtig verhalten sollen. Sie haben Angst, sie empfinden Schamgefühl, sie denken, dass ihnen nicht geglaubt werde. Die Folgen und die daraus resultierenden Probleme sind bereits genannt worden: Ängste, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen bis hin zu psychischen Problemen - von den körperlichen Beschwerden will ich gar nicht sprechen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Weltweit ein Drittel aller Frauen und Mädchen - ca. eine Mil

liarde - werden in ihrem Leben Opfer von Vergewaltigung und Misshandlung. Deshalb gehen am 14. Februar, dem Valentinstag, - im letzten Jahr wurde das zum ersten Mal weltweit durchgeführt -, zu Recht Menschen zu einem weltweiten Protesttag mit Streiks und Kundgebungen zum sogenannten One-Billion-Rising-Day, heraus aus ihren Häusern und ihren Geschäften auf die öffentlichen Plätze, um gemeinsam zu protestieren. Es geschieht aber auf eine Weise, wie man es nicht gewöhnt ist: nicht mit Plakaten, sondern mit öffentlichen Tänzen, um gemeinsam ihre Solidarität und Kraft gegen diese Gewalttaten zu demonstrieren.

Auch in Magdeburg fand im letzten Jahr eine solche Veranstaltung erstmalig statt. Solche Veranstaltungen sollte und wird es auch weiterhin geben; denn die Opferzahlen sind ein deutliches Zeichen, dass es leider weiterhin nötig sein wird, solche Demonstrationen zu veranstalten.

Zwar sind die Zahlen - Gott sei Dank - ein wenig zurückgegangen, aber wenn man sich die Zahlen der letzten zehn Jahre im Land Sachsen-Anhalt anschaut, dann stellt man fest, dass es Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Gewaltanwendung gegen Kinder, Jugendliche und Heranwachsende waren. Dennoch gibt es diese Straftaten. Die tatsächlichen Zahlen hierzu sind uns nicht bekannt. Ich gehe davon aus, dass die Dunkelziffer noch viel größer ist als die Zahl der tatsächlich zur Anzeige gebrachten Taten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um von sexualisierter Gewalt Betroffenen möglichst alle Möglichkeiten, die unser Rechtssystem vorhält, aufzuzeigen, brauchen wir weiterhin die Beratungsstellen in unserem Land. Sie sind unverzichtbar. Wir als Land haben die besondere gesellschaftliche Verantwortung, diese Opferhilfe zu leisten, anzubieten und auch auskömmlich zu finanzieren.

Wir begrüßen Ihren Antrag; denn er ermöglicht es uns, uns mit der aktuellen Situation, mit den aktuellen Problemen, aber auch mit der perspektivischen Situation der Beratungsstellen auseinanderzusetzen.

Sie wissen, dass es immer das Anliegen der SPD war, gerade in diesem Bereich die notwendige politische Unterstützung zu leisten. Das wollen und werden wir auch weiterhin tun. Die Probleme wurden benannt. Auch Frau Quade ist sehr offensiv und richtigerweise darauf eingegangen.

Gerade in der heutigen Zeit, in der die Eckwerte der Ministerien stetig reduziert und die Möglichkeiten für Gestaltungsspielräume immer enger werden, ist es eine Kunst, den Status quo zu halten. Aber Sie haben absolut Recht damit: Es ist nicht gerechtfertigt und nicht richtig, dass die

Fachkräfte in den Beratungsstellen unter Tarif bezahlt werden. Ich finde es deshalb auch gut, dass die Ministerin gesagt hat: Es muss zu einer tariflichen Entlohnung in diesen Beratungsstellen kommen.

Dafür brauchen wir die Diskussion in den Ausschüssen, die wir dank Ihres Antrages führen werden. Diese Diskussion wird sicherlich dazu führen, dass wir uns mit der Mehrheit des Parlaments dazu bekennen, in diesem Bereich eine tarifliche Angleichung vorzunehmen. Das Ministerium hat gesagt, dass dies auch die Intention der Landesregierung sei.