Allerdings - ich ahne, dass wir hierbei einen Dissens haben - nehmen Sie, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, mit Ihrem Antrag und der darin formulierten Zielstellung der Anhörung ein mögliches Ergebnis einer Debatte um eine Neuausrichtung des LStU vorweg: dass am Ende in jedem Fall die Verstetigung des Amtes stehen soll.
Das ist in unseren Augen ein falscher Ansatz; denn wer es ernst meint mit einer Diskussion über die Neuausrichtung, der muss vor allen Dingen eines tun: die Diskussion ergebnisoffen führen.
Mit dem im Antrag formulierten Ansatz tun Sie aber genau das nicht, und das ist der Grund dafür, warum meine Fraktion diesem Antrag mehrheitlich nicht zustimmen wird.
Um es klar zu sagen: Wir stellen weder infrage, dass die Aufarbeitung und die Forschung nach wie vor nötig sind, noch dass Betroffene einen Anspruch auf Beratung haben und diese brauchen, dass sie eine Anlaufstelle brauchen, noch geht es
Das, was wir infrage stellen, ist, ob die unterschiedlichen Aufgaben, die die LStU hat, tatsächlich alle in einem Amt, in einer Behörde richtig angesiedelt sind. Natürlich liegt es im staatlichen Interesse und in staatlicher Verantwortung, dass beraten wird, dass aufgearbeitet wird, dass geforscht wird. Aber an dieser Stelle möchte ich Professor Maser, den Vorsitzenden des Beirates der Stiftung Aufarbeitung Berlin, zitieren, der in seinem Leserbrief vom 20. März 2014 zutreffend feststellt:
„Zunächst wäre kritisch zu evaluieren, was bisher, besonders durch Edda Ahrberg, geleistet wurde und welche Aufgaben auch in Zukunft zwingend durch eine eigene Behörde wahrgenommen werden müssen. Wie soll, kann sich in Zukunft die Aufklärungsarbeit der Landesbeauftragten gegenüber den Aktivitäten der Landeszentrale für politische Bildung, der Stiftung Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt und der zeitgeschichtlichen Forschung positionieren? Doppel- und Mehrfachstrukturen braucht die Aufarbeitung der SED-Diktatur auch in Sachsen-Anhalt nicht.“
Professor Maser erfasst damit aus unserer Sicht sehr treffend das Problem, über das wir in einer Debatte zu einer Neuausrichtung reden müssten, und das hieße für uns, dass die Verstetigung des Amtes nicht am Anfang, sondern gegebenenfalls am Ende stehen könnte.
Wir gehen davon aus, dass insbesondere die Forschung und die wissenschaftliche Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit in den Händen und an den Orten der Wissenschaft, also vor allem an den Universitäten und Hochschulen richtig aufgehoben wären. Nicht nur vor dem Hintergrund der Debatte um die finanziellen Mittel für die Hochschulen im Zuge der Sparpolitik der Landesregierung wäre es deshalb lohnend und richtig, das Augenmerk auch auf die Studienangebote und die Möglichkeiten für Forschung und Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit an den Hochschulen zu legen.
Wir finden, dass der Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durchaus in die richtige Richtung geht, indem er den Kreis der Anzuhörenden erweitert und den Schwerpunkt der Forschung besonders behandelt. Wir werden diesem Antrag deshalb zustimmen. Wir werben darum, die notwendige Debatte um die Aufgaben mit der aus unserer Sicht ebenso notwendigen Debatte um die dafür geeigneten Strukturen zu verknüpfen. Meine Fraktion wird sich dem nicht verschließen. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Quade. Kollege Hövelmann würde Sie gern etwas fragen. - Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Frau Kollegin Quade, Sie haben in Ihrem Redebeitrag mehrmals betont, dass die Neuausrichtung - dieses Wort haben Sie mehrmals verwendet - bei Ihnen ergebnisoffen so zu interpretieren ist, dass sie auch auf eine Einstellung der Arbeit hinauslaufen könnte. So habe ich Sie jedenfalls verstanden. Deshalb wollte ich nachfragen, ob ich Sie diesbezüglich richtig verstanden habe. Für mich ist das Wort Neuausrichtung schon rein sprachlich damit verbunden, dass man sagt: Die Arbeit geht weiter, nur die Richtung wird überprüft.
Man prüft also, ob man die Schwerpunkte etwas anders legt. Das implementiert für mich den Ausschluss, dass damit auch eine Einstellung der Arbeit verbunden wäre. Habe ich Sie diesbezüglich richtig oder falsch verstanden?
Sie haben mich fast richtig verstanden. Ich glaube nicht, dass es um die Einstellung der Arbeit geht. Wir wollen die Frage des Ortes der Arbeit diskutieren. Für uns geht es um die Frage der Struktur und um die Frage: Bedarf es zwingend einer Behörde, an der das passiert? Wäre es anders besser möglich?
Wir wollen diese Debatte tatsächlich ergebnisoffen führen. Am Ende dieser Debatte kann stehen: Es braucht die Verstetigung des Amtes. Am Ende könnte aber nach unserem Verständnis auch stehen: Es gibt besser geeignete Strukturen und deswegen könnte man darüber nachdenken, von dieser Behördenstruktur wegzukommen.
Wir haben manifeste Zweifel daran, dass die Forschung in einem Amt richtig aufgehoben ist. Das habe ich bereits ausgeführt. Das ist ein Element, das uns zu der Auffassung bringt: Wir müssen die Debatte um den richtigen Ort der Arbeit tatsächlich ergebnisoffen führen. Es geht uns nicht darum, dass die Arbeit nicht zu leisten ist. Ich habe sie auch ausdrücklich gewürdigt.
Vielen Dank. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht jetzt Herr Kollege Herbst. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern habe ich drei georgische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch den Landtag geführt und mich mit ihnen über ihr Land unterhalten. Georgien und Sachsen-Anhalt, Georgien und Ostdeutschland insgesamt verbindet, dass es sich um Transformationsgesellschaften handelt - noch immer -, die ihre spezifischen Erfahrungen mit einer kommunistischen Diktatur gemacht haben.
Anschließend habe ich die Gäste über den Domplatz in den Dom geführt und an einen der Orte gebracht, die ich im Dom am liebsten mag, das von Ernst Barlach gestaltete Ehrenmal. Dieser Ort, der ein Kristallisationspunkt der friedlichen Proteste von 1989 in Magdeburg war, vermittelt in seiner Unverändertheit noch immer einen Eindruck dieser besonderen Stimmungslage aus Hoffnung und Aufbruchstimmung, aber auch der Stimmung von Angst vor Gewalt und Verhaftung, vor Bespitzelung am Arbeitsplatz oder in der Schule und vor persönlichen Konsequenzen wegen der Teilnahme an den Friedensgebeten.
Ängste, die damals für einen Moment im Kerzenschein und im Gesang vor dem Barlach von vielen geteilt wurden und so zu einem Gefühl der Stärke werden konnten, aber doch mit der Gewissheit dessen verbunden waren, was draußen vor der Tür jederzeit passieren kann.
Diese permanente Gewissheit, dem Zugriff der sogenannten Sicherheitsorgane jederzeit ungeschützt und auch grundlos ausgeliefert zu sein, ohne dabei auf eine unabhängige Prüfung, beispielsweise durch eine unabhängige Justiz, vertrauen zu können, ist ein Wesensmerkmal einer Diktatur.
Das Ministerium für Staatssicherheit nahm im totalitären sprachlichen Bild dieses Staats k ö r p e r s mit seinen O r g a n e n eine wichtige Überlebensfunktion wahr, aber eben nur eine Funktion. Seine Macht als Unterdrückungs- und Überwachungsapparat der SED konnte der Geheimdienst nur entfalten, weil die totalitäre Ideologie der SED in weiteren Organen und Organisationen reproduziert und durch eigenständiges, aktives, ebenfalls nicht rechtsstaatliches Handeln ergänzt wurde. Die Rolle der Kriminalpolizei, der NVA und der sogenannten Kampfgruppen der Arbeiterklasse innerhalb des DDR-Repressionsapparates ist längst noch nicht ausreichend erforscht.
Wer durch polizeiliches Handeln persönliche Nachteile erfahren hat, wer willkürlich seinen Beruf verloren hat, dessen Bildungslaufbahn gestoppt wurde, der kann heute nur schwer etwas über die Hintergründe und Verantwortlichkeiten erfahren und bekommt auch kaum gezielte Beratung.
Die Aufgabe, unsere gemeinsame Geschichte besser zu erklären und geschehenes Unrecht aufzuarbeiten, ist eine bleibende Aufgabe, und sie wird es auf unabsehbare Zeit sein. Darin bin ich mir sicher. Deshalb wendet sich meine Fraktion auch gegen jede Schlussstrichmentalität. Und wir warnen vor unreflektierter DDR-Nostalgie, die den Erkenntnisgewinn verkleistert.
Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen haben wir im Landtag das 20-jährige Bestehen der Landesbeauftragten für die Unterlagen der Stasi gefeiert. Das wurde hier schon erwähnt. Ich sage bewusst „gefeiert“, weil ich froh bin, dass Vorgänger im Landtag im Jahr 1994 diese Entscheidung getroffen haben. Nicht jedes ostdeutsche Bundesland hat eine solche Behörde gegründet.
Sie ergänzt in hervorragender Weise die Behörde des Bundesbeauftragten, der den Anspruch der Menschen auf Akteneinsicht hervorragend umsetzt und sich darüber hinaus auch um die wichtig bleibende Rekonstruktion der teilvernichteten StasiAkten kümmert, in denen noch viele Bausteine unserer deutschen Geschichte verborgen liegen.
Es ist bei der Veranstaltung noch einmal deutlich geworden, dass der Auftrag der Beauftragten weiter gefasst werden muss, dass ihr Amt weiterentwickelt werden muss, um ihrem Hauptauftrag gerecht zu werden, nämlich Ansprechpartnerin, Beraterin, Kommunikatorin für Menschen mit ihren individuellen Unrechtserfahrungen zu sein.
Meine Fraktion hat die Landesregierung bereits im November 2011 im Landtag dazu aufgefordert, diese Neuorientierung des Amtes vorzunehmen und auch eine Umbenennung vorzunehmen. Wir begrüßen es daher ausdrücklich, dass die regierungstragenden Fraktionen nun beantragen, diesen Schritt zu gehen. Ich glaube, der Weg über das Parlament und der Weg über den Ausschuss in einer Anhörung ist genau der richtige Weg. Wir werden ihn aktiv mitgestalten.
Klar ist doch aber auch, dass eine Neuausrichtung des Aufgabenspektrums auch eine Anpassung der Ausstattung mit sich bringen kann. Auch das muss doch in einem ergebnisoffenen Prozess berücksichtigt werden. Deswegen halten wir es für ein Erfordernis, für eine Frage der Ernsthaftigkeit und der Entschlossenheit, dass wir mit diesem Beschluss auch zum Ausdruck bringen, dass diese Neuorientierung auch einen materiellen Charakter haben kann.
Deswegen ist das ein Punkt in unserem Änderungsantrag, der mir neben zwei weiteren sehr wichtig ist. Der zweite Punkt ist, dass uns das Wort der Verstetigung nicht gefallen hat. Wir haben deswegen hineingeschrieben, dass wir hinter der
Notwendigkeit der Arbeit im 20. Jahr ihres Bestehens im Heute und in der Zukunft stehen, aber nicht eine bloße Verstetigung fordern. Das hat mir zu wenig qualitativen Charakter.
Der dritte Punkt ist die Einbeziehung der Forschungseinrichtungen. Es wurde hier angesprochen, dass das übernommen wird. Das sind die drei wesentlichen Merkmale unseres Änderungsantrags, der den Antrag der Koalitionsfraktionen besser macht. Deswegen erhalten wir ihn auch aufrecht. - Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Herbst. - Für die Fraktion der CDU spricht jetzt erneut Herr Schröder. Er hat das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Ich möchte es nicht unnötig in die Länge ziehen. Ich glaube, wir haben auch in den grundsätzlichen Fragen einen Konsens. Aber vielleicht zur Kollegin Quade noch ein Wort, weil es zu ihrer Auffassung doch einen deutlichen Unterschied gibt.
Eine wichtige Anlaufstelle zu sein, aber eben nicht bloße Anlaufstelle, sondern auch stärker ein Ort der Aufarbeitung zu werden, ist eine der Zielrichtungen. Zum Beispiel die Fragen zu stellen: Wie ist das mit den Spezialheimen, mit den Jugendwerkhöfen gewesen? Wie war das mit der Zwangsarbeit in den Gefängnissen? Wie hat sich das mit dem Rechtsextremismus in der DDR entwickelt und wie wirkt er vielleicht bis heute nach? Pharmaversuche, Landwirtschafts- und Zwangskollektivierung, Enteignungsdebatten - wie haben sich diese Dinge bis heute auf die Strukturen ausgewirkt?
All diese Fragen sind über das Ansinnen, bloße Anlaufstelle sein zu wollen, hinaus mitzudenken. Das war mit dem Begriff Neuausrichtung, ohne dass ich der Anhörung vorgreifen will, gemeint.
Der Unterschied, den ich jetzt doch ein wenig herausgehört habe, zumindest in der Rede der Oppositionsvertreter, ist, dass sich aus der Sicht der Koalition die Neuausrichtung mit der Offenheit gegenüber einer möglichen Einstellung der Arbeit als Behörde nicht verträgt. Wir wollen die Aufarbeitung nicht allein im Elfenbeinturm der Akademie, weg vom Menschen.
(Zustimmung bei der CDU - Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Sie beschäftigen dort Beamte und das ist das Problem!)
Wir wollen sie in die verstetigte und neu ausgerichtete Arbeit der Landesbeauftragtenstelle überführen. Das ist Sinn und Zweck der Initiative. Auf die
sen Dissens erlaube ich mir doch hinzuweisen. Politisches Unrecht ist und bleibt keine Privatangelegenheit.
Vielen Dank. Herr Schröder, wollen Sie Fragen von Herrn Gallert und Herrn Herbst beantworten? - Er will. Herr Gallert, bitte.
Herr Schröder, ich hätte es durchgehen lassen, wenn es nicht am Ende bei Ihnen diese rhetorische Zuspitzung gegeben hätte.