Protokoll der Sitzung vom 15.05.2014

Die Politik ist also der einzig Schuldige an wirtschaftlichen Miseren und entgangenen Gewinnen. „Gierige Politiker“ - eine interessante Wortwahl, um ein Abkommen zu begründen, das Politiker auch noch absegnen sollen.

Gerade weil es um Klagen in Millionen- bzw. Milliardenhöhe geht, stellen wir in Punkt 3 und in Punkt 4 unseres Antrages fest, dass der Landtag mit Sorge die möglichen haushalterischen Belastungen für die EU, den Bund und die Länder sieht, die sich aus ISDS-Klagen ergeben könnten,

(Beifall bei der LINKEN)

insbesondere da Schadensersatzzahlungen durch Kürzungen in anderen Ausgabenbereichen, unter anderem der Strukturförderung, zu kompensieren wären.

Meine Damen und Herren! Zu betonen ist die Souveränität von Staaten und die Pflicht sowie die Verantwortung ihrer demokratisch gewählten Regierungen und Parlamente, zum Wohle der Bevölkerung das Recht zur Gesetzgebung auszuüben. „Gierige Politiker“ - was müssen wir uns noch alles anhören? - Wenn man sich jedoch die bisherigen internationalen Praktiken anschaut, wird der Begriff „Gier“ vielleicht eindeutiger definierbar.

Ein schwerwiegendes Problem sind zudem die intransparenten Streitschlichtungsmechanismen. Sie sind meist überteuert und garantieren keine richterliche Unabhängigkeit. Weder Parlamente noch Zivilgesellschaft erhalten in der Regel Informationen zu Prozess, Inhalt und Ergebnissen der Schiedsverfahren. Der Ausgang der Verfahren ist unvorhersehbar, da keine einheitliche Rechtsprechung vorliegt. Die Zusammensetzung der Gerichte erfolgt willkürlich.

Darüber hinaus hat ein Staat nach einem getroffenen Urteil eines Schiedsgerichtes bisher keine Möglichkeit auf Berufung. Insbesondere für Entwicklungsländer bedeuten die Klagen und die oftmals damit einhergehenden Schadenersatzforderungen sehr hohe finanzielle Bürden.

Festgeschriebene Schutzstandards für Investoren sind meist sehr vage formuliert. Das führt dazu, dass der Auslegungsspielraum, den die Schiedsgerichte haben, sehr groß ist und die Entscheidung häufig zugunsten der Unternehmen fällt. Ein Beispiel hierfür liefern Enteignungsregeln in Investitionsabkommen, die eine Sozialbindung des Eigentums nicht kennen. Das hat zur Folge, dass Politikmaßnahmen im öffentlichen Interesse als schleichende Enteignung interpretiert werden können.

Natürlich kann solchen Dingen durch nationale Gesetzgebungen vorgebeugt werden. Menschenrechtsklauseln sowie Umwelt- und Sozialstandards müssten universelle Güter werden, sodass sie den Schadenersatzforderungen von Investoren entgegenstehen. Dies ließe zu, dass der Staat bei einer Klage durch ein Unternehmen vor einem Gericht eigene Ansprüche, zum Beispiel wegen Verstößen gegen Menschenrechte, vorbringen kann und das Schiedsgericht diese zwingend zu berücksichtigen hat.

Der nationale Rechtsweg muss grundsätzlich beschritten werden. Investoren können bei Unzumutbarkeit oder Verfahrensverschleppung Ausnahmen beantragen, die von einem neu zu schaffenden internationalen Investitionsgericht überprüft werden könnten.

Meine Damen und Herren! Es müssen nicht nur Investorenrechte, sondern auch Investorenpflichten in Investitionsschutzabkommen aufgenommen werden. So sollten Unternehmen von Staaten, Einzelpersonen oder Gruppen unter den gleichen Voraussetzungen vor Gerichten auf Schadensersatz verklagt werden können, wenn sie gegen im Abkommen verankerte Investorenpflichten oder international vereinbarte Menschenrechts-, Sozial- oder Umweltstandards verstoßen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die momentan sehr undurchsichtigen Schiedsgerichtsverfahren müssen transparenter werden. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, welche völkerrechtlichen Streitigkeiten zwischen Unternehmen und einem Staat bestehen und wie entschieden wird. So sollten unabhängig von dem Willen der Streitparteien alle relevanten Informationen, zum Beispiel die Klageschrift - unter Wahrung grundlegender Geschäftsgeheimnisse -, der Verhandlungsstand, Gutachten sowie die Höhe der Schadenersatzforderungen veröffentlicht werden.

Die Durchsetzbarkeit der Höhe der Schadenersatzleistungen muss begrenzt werden in Abhän

gigkeit von der Wirtschaftskraft des Gaststaates. Außerdem könnte man Investor-Staat-Klagen ganz aus internationalen Investitionsverträgen herausnehmen. Von anerkannten Organisationen, wie beispielsweise von der Unctad, wurden bereits Alternativen wie Mediation und Prävention von Streitfällen erarbeitet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun wird man sagen: Abwarten und Tee trinken; es wird vielleicht doch nicht alles so heiß gegessen wie das Hühnerfleisch, das von den TTIP-Befürwortern in der Chlorbrühe gekocht wird. Ergo: Unsere Regierung wird schon aufpassen.

Aber hierzu die Fakten: Mit Datum vom 16. April 2014 hat das Europäische Parlament ein Sonderklagerecht für Investoren in EU-Abkommen ermöglicht. Damit wurde wenige Tage nach der Eröffnung des Konsultationsverfahrens der Kommission mit Zustimmung von Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten und gegen die Stimmen der Linksfraktion und der Grünen eine Verordnung beschlossen, die das Verfahren bei künftigen Klagen von Konzernen gegen neue Gesetze der EU oder ihrer Mitgliedstaaten regelt. Somit wurden schon einmal in der alten Besetzung der Mehrheiten Tatsachen geschaffen, die eventuell nach dem 25. Mai 2014 in einem neuen Licht zu betrachten sind.

Diese neue Verordnung regelt übrigens, ob Mitgliedstaaten oder die Kommission in einem Verfahren als Beklagte auftreten und wer für die Kosten der Schadenersatzansprüche aufkommt. Die Verordnung gibt der Kommission bereits jetzt das Recht, die Mitgliedstaaten unter Umständen anzuweisen, einen Vergleich zu akzeptieren.

Summa summarum bedeutet das: Die Kommission drängte noch vor den Europawahlen auf ein Ergebnis, da die Verordnung die Voraussetzung ist, um in aktuellen Verhandlungen über das Freihandelsabkommen ein Investorenschutzkapitel mit ISDS festzuschreiben. - So viel zu den Wunschträumen, Kommission und Regierungen würden das schon richten.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb haben wir in den Punkten 5 und 6 unseres Antrages den klaren Auftrag an die Landesregierung formuliert, Handelsvereinbarungen mit einem solchen Investitionsschutzabkommen im Bundesrat abzulehnen und dies auch im öffentlichen Konsultationsverfahren bereits jetzt zu bekunden sowie den Landtag über ihre Stellungnahme zu informieren.

Die Privatisierung rechtlicher Streitentscheidungen bei Gemeinwohlinteressen ist mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar. Auch wird damit die Möglichkeit staatlicher Regulierung im Gemeinwohlinteresse eingeschränkt.

Ich wiederhole meine Aussage zur generellen Kritik am geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA aus der letzten Landtagssitzung: Wieso sollen die Hauptfragen, wie wollen wir künftig leben, was wollen wir künftig konsumieren und unter welchen Bedingungen sollen unsere Produkte hergestellt werden, durch das TTIP nur noch auf die Definition marktfähiger Produkte und Dienstleistungen reduziert werden? Das Investitionsschutzabkommen soll dazu die Begleitmusik spielen.

(Zustimmung von Herrn Grünert, DIE LIN- KE)

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, bleibt für uns das Verhältnis zum TTIP und zu den dazugehörigen Verhandlungen eines der zentralen Themen für die Europawahl am 25. Mai 2014.

Wir wissen aus Erfahrung, dass es damit nicht beendet sein wird, im Gegenteil. Dennoch gilt es, die auch öffentlich artikulierte Schizophrenie zu überwinden, im jetzigen Wahlkampf in Foren zu erklären, dass man Verbraucherschutzinteressen hochhalten wird, aber gleichzeitig im Europäischen Parlament schon einmal die Voraussetzungen für ihren Abbau beschließt.

(Beifall bei der LINKEN)

Freuen Sie sich, meine sehr verehrten Damen und Herren, auf weitere Debatten zum Wohle des Landes Sachsen-Anhalt und seiner Bürgerinnen und Bürger. Zum vorliegenden Alternativantrag werde ich mich dann äußern, wenn ich die Argumente für den Text gehört habe, insbesondere was das unbegrenzte Vertrauen in die jetzige Bundesregierung betrifft. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Kollege Dr. Thiel. - Für die Landesregierung spricht der Minister für Wissenschaft und Wirtschaft Herr Möllring.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht sollte man sich am Anfang der Debatte über TTIP einmal in Erinnerung rufen, wie stark die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt bereits heute von US-amerikanischen Investitionen profitiert. Ich möchte hierfür eine kleine und unvollständige Aufzählung geben: Dow in Schkopau mit mehr als 2 000 Beschäftigten, Sitel GmbH in der Lutherstadt Wittenberg mit ebenfalls ca. 2 000 Beschäftigten, Novelis in Nachterstedt mit ca. 1 000 Beschäftigten, Dell in Halle mit gut 700 Angestellten, Guardian Flachglas GmbH in Thalheim mit 300 Mit

arbeitern und gerade im Aufbau IBM in Magdeburg mit 400 Ingenieurstellen. Die Liste ist unvollständig.

Schon in der letzten Landtagsdebatte wies ich darauf hin, dass gerade unsere zahlreichen kleinen und mittelgroßen Unternehmen vom Wegfall der sogenannten nichttarifären Handelshemmnisse

profitieren werden. Die großen Firmen haben im Zweifel das Geld und die Berater, die ihnen beim Auslandsgeschäft helfen. Aber die kleinen und mittleren Unternehmen vor allem in SachsenAnhalt sollten ihre Zeit dafür verwenden, Geld zu verdienen. Gerade diese kleinen Unternehmen werden in den USA, in Europa und damit auch in Sachsen-Anhalt von TTIP profitieren.

Meine Damen und Herren! Der Ursprungsantrag der Fraktion DIE LINKE richtet sich vor allem gegen die Investitionsschutzklausel in Form von Investor-Staat-Schiedsverfahren innerhalb von

TTIP.

Es ist vielleicht nicht verkehrt zu wissen, dass Investitionsschutzabkommen keine neuartigen Erfindungen sind und in Freihandelsabkommen auch nicht zum ersten Mal auftauchen.

Allein Deutschland hat bisher 130 Investitionsschutzabkommen mit anderen Staaten geschlossen. Insgesamt sind alle EU-Länder 1 400 solcher Vereinbarungen eingegangen. Auch Investor

Staat-Schiedsverfahren sind nicht neu. Ausländische Investoren, die sich Diskriminierungen oder Benachteiligungen ausgesetzt sehen, können sich an spezielle Schiedsgerichte wenden, ohne den regulären Rechtsweg des jeweiligen Staates beschreiten zu müssen, durch den sie sich benachteiligt fühlen.

Schutz sollen diese Abkommen und Verfahren vor allem vor Folgendem bieten: erstens vor der klassischen Verstaatlichung von Eigentum und zweitens vor politischen Richtungswechseln, die zu protektionistischen Maßnahmen und willkürlich diskriminierenden und/oder intransparenten gesetzlichen, behördlichen oder gerichtlichen Verfahren führen, wie zum Beispiel unangemessene Besteuerung, Verzögerung bei Genehmigungen oder willkürliche Gerichtsentscheidungen.

Das gilt nicht nur für die Länder, an die man dabei vielleicht denkt. Das ist durchaus auch in der EU möglich. Sie sehen, dass Investitionsschutzabkommen Vorteile haben. Sie passen nur bedingt in ein starres Schwarz-Weiß-Schema.

Bei den TTIP-Verhandlungen zwischen der EU und den USA besteht auf beiden Seiten des Atlantiks ein hinreichender Rechtsschutz durch nationale Gerichte. Die eingangs genannten Beispiele für nicht unerhebliche Investitionen US-amerikanischer Unternehmen in Sachsen-Anhalt belegen, dass zahlreiche US-Investoren ihre Investitionen

durch die Gesetzgebung und die Rechtsprechung in Deutschland und natürlich auch in SachsenAnhalt ausreichend geschützt sehen. Umgekehrt gilt das natürlich auch.

Die EU-Kommission hat am 27. März 2014 eine dreimonatige öffentliche Online-Konsultation zur Klärung der offenen Fragen im Bereich des Investitionsschutzes gestartet, an der sich alle Bürgerinnen und Bürger beteiligen können. Im Anschluss an die Konsultation will die Europäische Kommission mit den Mitgliedstaaten im Handelsministerrat die Verhandlungsposition der EU zu diesem Thema festlegen. Das heißt, wir befinden uns noch mitten in der Beratung. Es ist noch nichts festgelegt, geschweige denn entschieden worden.

Das Bundeswirtschaftsministerium sieht spezielle Investitionsschutzvorschriften zwischen der EU und den Vereinigten Staaten als nicht erforderlich an. Bundesminister Gabriel bekräftigte diese Position unlängst in einem Brief an den EU-Handelskommissar Herrn De Gucht.

Auf der nächsten Wirtschaftsministerkonferenz im Juni 2014 werden wir uns dieser Position anschließen, da schon heute die USA deutschen Investoren und Deutschland US-Investoren einen hinreichenden Rechtsschutz vor nationalen Gerichten gewähren und spezielle Investitionsschutzvorschriften im Abkommen zwischen der EU und den USA nicht erforderlich erscheinen.

Auch das Hohe Haus, also der Landtag, fasste am 28. März 2014 einen Beschluss, in dem es heißt - ich darf zitieren -, dass jeder Automatismus zu Investitionsschutzbestimmungen und Investor

Staat-Schiedsverfahren abzulehnen sei.

Damit und vor dem Hintergrund der Bemühungen der Bundesregierung ist Ihr Antrag meines Erachtens hinfällig. Ich begrüße deshalb den differenzierten Alternativantrag der Koalitionsfraktionen und empfehle dem Haus die Zustimmung zu diesem Antrag. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke schön, Herr Minister. - Es gibt eine Nachfrage des Abgeordneten Henke.