Protokoll der Sitzung vom 16.05.2014

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Mitglieder des Hohen Hauses! Werte Gäste! Herzlich Willkommen zur 67. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode. Ich eröffne die Sitzung und begrüße Sie alle herzlich.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen nunmehr die 33. Sitzungsperiode fort. Wir beginnen die heutige Beratung mit dem Tagesordnungspunkt 24. Wir haben uns darauf verständigt, unmittelbar im Anschluss an die Aktuelle Debatte den unter Tagesordnungspunkt 23 aufgeführten Beratungsgegenstand „Zukunft der Hochschulmedizin in Sachsen-Anhalt sichern - Bauvorhaben am Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Zahnklinik) Halle nicht verzögern“, einen Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 6/3067, aufzurufen. Wir werden ohne Einbringung und ohne Debatte direkt in das Abstimmungsverfahren zu dem Antrag eintreten, weil die Rednerinnen und Redner alles, was inhaltlich dazu zu sagen ist, in der Aktuellen Debatte vorbringen wollen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Aktuelle Debatte

Für die Aktuelle Debatte liegen zwei Beratungsgegenstände vor. Von der Fraktion DIE LINKE wurde das Thema „Die Konsequenzen der Umsetzung des Personalentwicklungskonzeptes der Landesregierung für die öffentliche Sicherheit in Sachsen-Anhalt“ eingereicht, von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurde das Thema „Situation und Zukunft der Hochschulmedizin in Sachsen-Anhalt“ eingereicht.

Ich rufe das erste Thema der Aktuellen Debatte auf:

Die Konsequenzen der Umsetzung des Personalentwicklungskonzeptes der Landesregierung für die öffentliche Sicherheit in Sachsen-Anhalt

Aktuelle Debatte Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/3074

Für die beantragende Fraktion erteile ich nunmehr dem Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE Herrn Gallert das Wort.

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese Aktuelle Debatte zur Polizeistrukturreform beantragt,

weil in der letzten Woche im Kabinett ein entsprechender Beschluss zur Polizeistrukturreform gefasst worden ist, über den wir urteilen, dass mit diesem Beschluss die öffentliche Sicherheit in Sachsen-Anhalt nicht dauerhaft gesichert, sondern gefährdet wird und dass dieser Beschluss in sich so widersprüchlich ist, dass er nicht funktionieren wird.

Bei dem wichtigen Thema der öffentlichen Sicherheit ist es deshalb notwendig, dass sich der Landtag kritisch mit diesem Beschluss auseinandersetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage noch einmal ganz deutlich - Frau Tiedge hat beim letzten Mal im Zusammenhang mit einem Antrag von uns die Fachdebatte dargestellt -: Dass dieser Beschluss die öffentliche Sicherheit bei uns im Land langfristig gefährdet, liegt nicht an der fachlichen Kontroverse zwischen Kornkreisen und Stationen, liegt nicht an der Kontroverse zu der Frage, wohin ich zukünftige Regionalbereichsbeamte, früher ABVer, setze, ob in ein Rathaus oder in eine Station.

Das zentrale Problem dieser Polizeistrukturreform und dieses Beschlusses ist, dass er öffentliche Sicherheit deswegen nicht gewährleisten kann, weil er noch immer an dem Personalentwicklungskonzept dieses Landes festhält. Dieses Personalentwicklungskonzept verhindert, dass öffentliche Sicherheit mittel- und langfristig garantiert werden kann, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich spreche heute hier, weil wir es mit einem ganz grundsätzlichen Problem zu tun haben. Das ist ein Problem, das wir in fast allen zentralen, wichtigen Politikbereichen thematisieren.

Wir haben die gleiche Geschichte im Bereich der Schulen. Wir haben ein Personalentwicklungskonzept von dieser Landesregierung beschlossen bekommen, bei dem wir jetzt feststellen, dass die Auswirkungen für den Bereich der Bildung, den Bereich der Schulen so katastrophal sind, dass wir es jedes Jahr wieder korrigieren müssen.

Wir haben ein Personalentwicklungskonzept im Bereich der Hochschulen beschlossen bekommen, dessen Auswirkungen dazu führen, dass wir seit über einem Jahr regelmäßig völlig berechtigte Demonstrationen im Bereich der Hochschulen haben.

Wir haben ein Personalentwicklungskonzept beschlossen bekommen, das im Bereich des Hochwasserschutzes dazu führte, dass wir nach der letzten Hochwasserkatastrophe gesagt haben: So geht es nicht weiter. Wir müssen dieses Personalentwicklungskonzept überarbeiten. Die Personalabbauziele, die darin verankert sind, haben mit öffentlicher Daseinsvorsorge nichts zu tun.

Und wir sind jetzt bei dem Bereich der Polizei, wo sich diese Erkenntnis auch endlich Bahn brechen muss, ansonsten ist es zu spät für die Garantie der öffentlichen Sicherheit in Sachsen-Anhalt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben es mit Argumenten zu tun, die sich jedes Mal wiederholen. Natürlich kann man Personal abbauen. Man kann deutlich Personal abbauen, auch im Bereich der Polizei. Woanders geht es schließlich auch; die haben auch weniger.

Wenn man sich allein die Debatte um die Polizeidichte pro 1 000 Einwohner anschaut, sehen wir, wie mit diesen Vergleichen manipuliert wird. Dabei wird immer noch erzählt, wir hätten die höchste Polizeidichte im gesamten Bundesgebiet. Schaut man sich die Zahl der Polizeivollzugsbeamten an und stellt einmal eine einfache Rechnung auf - Bevölkerung im Verhältnis zu Polizeivollzugsbeamten -, dann wissen wir, dass wir jetzt schon unter dem Bundesdurchschnitt von 2,8 stehen.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich, liebe Kolleginnen, mich ärgert auch, dass die Medien völlig unkritisch solche zum Teil haarsträubenden Berechnungen übernehmen, dass wir 3,7 Polizeibeamte auf 1 000 Einwohner hätten. Versuchen Sie einfach einmal, sich in die Sache hineinzuversetzen. Versuchen Sie einfach einmal, die Dinge zu analysieren. Dann merken Sie, dass man Ihnen hier ein X für ein U vormacht und dass man mit genau solchen Zahlen keinen Personalabbau mehr begründen kann, weder in der Schule noch in der Hochschule noch bei der Polizei.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann kommt das Argument: Uns steht in der Perspektive das Geld dafür nicht mehr zur Verfügung. - Ja, natürlich werden wir das nicht haben, wenn alle Länder permanent versuchen, ihren Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, ihren Bereich der öffentlichen Sicherheit mit Hilfe von Personalabbau hinzubekommen. Dann haben wir natürlich ein permanentes Nivellieren nach unten. Jeder, der über dem Durchschnitt liegt, soll unter den Durchschnitt kommen. Dadurch sinkt der Durchschnitt permanent und wir haben einen permanenten Personalabbau.

Das ist aber doch nichts, was mit verantwortungsvoller Politik zu übersetzen ist. Deswegen ist dieser Personalabbauprozess mit diesen Vergleichen hier genauso falsch, wie er in anderen Länder falsch ist, die übrigens auch sagen: So geht es nicht weiter.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Dann haben wir das nächste Problem: die demografischen Entwicklung. Bei uns wohnen immer weniger Leute. Deswegen können wir schon jetzt immer mehr Personal bei der Polizei abbauen.

Ja, Leute, das ist doch aber genau das gleiche Problem. In dem Augenblick, in dem wir öffentliche Daseinsvorsorge permanent abbauen, sorgen wir dafür, dass wir keine Zuwanderung haben, sorgen wir dafür, dass wir weitere Abwanderung haben, und sorgen wir dafür, dass es weniger Kinder im Land Sachsen-Anhalt gibt. Wenn wir dieses Land aufbauen wollen, müssen wir uns aus dieser Negativspirale befreien. Wir müssen öffentliche Daseinsvorsorge und öffentliche Sicherheit garantieren und entwickeln, damit die Leute hierbleiben - nicht umgekehrt, liebe Kolleginnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Weiterhin haben wir es bei der Polizei und in allen anderen Bereichen mit dem Argument zu tun: Wenn wir das ordentlich umstrukturieren, wenn wir ordentliche neue Strukturen realisieren, dann werden wir mit viel weniger Leuten viel bessere Ergebnisse erzielen. Das ist jedes Mal der Anfang der Debatte.

Wenn man die Debatte dann zwei oder drei Jahre geführt hat und es in der Realität umsetzen soll, dann merkt man: Das funktioniert einfach nicht. Wir brauchen für die Garantie der öffentlichen Sicherheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, so viele Polizeivollzugsbeamte, wie wir in etwa jetzt haben - das sind 6 170 -, und wir brauchen 1 000 Verwaltungsstellen. Darunter funktioniert keine Struktur. Daran können Sie herumdoktern, wie Sie wollen, das funktioniert einfach nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Bereich der Polizei sagen das übrigens alle Experten. Wir haben mehrere Arbeitsgruppen im Innenministerium gehabt. Sie durften die Zahlen dann gar nicht mehr austeilen. Aber wir wissen, sie landen alle, egal welche Struktur sie nehmen - Kornkreise oder Stationen, das ist völlig egal -, immer bei 6 200 oder 6 300 Polizeivollzugsbeamten.

Wir als Fraktion haben am letzten Dienstag mit allen drei Polizeigewerkschaften noch einmal intensiv über dieses Thema diskutiert. Sie sind offen für Strukturreformen. Sie sind sehr wohl offen dafür, neue Dinge auszuprobieren. Sie sagen aber: Man kann dadurch kein Personal einsparen. Man braucht deutlich mehr als 6 000 Polizeivollzugsbeamte. Darunter wird es nicht gehen.

Wir wissen, dass auch der Kollege Erben als ausgewiesener Fachmann in diesem Kontext das sehr wohl zugegeben hat - zumindest im kleinen Kreis. Im großen Kreis hat er sich nicht so getraut, wahrscheinlich wegen des Kollegen Bullerjahn, aber der ist heute nicht da. Also trauen Sie sich einmal!

(Heiterkeit und Zustimmung bei der LINKEN - Lachen bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch er hat zugegeben, dass es unter 6 000 nicht geht. Bis vor 14 Tagen - dafür sind wir ihm dankbar; so lange hat er durchgehalten - hat auch der Innenminister gesagt: Unter 6 000 Vollzugsbeamten funktioniert hier gar nichts. Alle Fachleute wissen das. Auch wir alle wissen das. Dann lassen Sie es uns bitte umsetzen und das Personalentwicklungskonzept substanziell korrigieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Folgende Forderungen müssen wir deshalb aufstellen:

Im Bereich der Polizei sind wir für Strukturdebatten offen. Wir müssen und können uns sehr wohl überlegen, wie wir uns an Entwicklungsprozesse anpassen. Aber das funktioniert nur dann erfolgreich, wenn jeder Polizist, der jetzt aus dem Dienst ausscheidet, durch einen neuen Polizisten ersetzt wird.

Kommen Sie mir bitte nicht mit der Aussage, das ginge nicht. Natürlich, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wir können Aschersleben ausbauen. Wir können woanders Kapazitäten entwickeln. Wir können uns auch woanders einkaufen für die Ausbildung. Das ist alles schon passiert. Wir können auch offensiv, zum Beispiel bei der Bundespolizei oder bei anderen Ländern, werben, um Menschen, die bei uns Dienst tun wollen, auch zu bekommen.

Wir wissen definitiv, dass auch Verwaltungsstrukturen in diesem Kontext umgebaut werden können, auch im Bereich der Polizei. Aber erwecken Sie doch bitte nicht die Illusion, dass Sie mit der permanenten Zentralisierung von Verwaltungsstrukturen stetig höhere Effizienzgewinne erreichen. Nein, die Zentralisierung von Verwaltungen aus allen Polizeibehörden an einer Stelle des Landes wird unter dem Strich zu mehr Reibungsverlusten führen als zu Effizienzgewinnen. Insofern lassen Sie uns die Dinge realistisch und mit Sachkenntnis betrachten und nicht in Hektik Strukturen zerstören, die jetzt noch funktionieren.

Des Weiteren sagen wir ganz klar: Es darf keine Schließung aller Polizeistationen und der 16 Revierkommissariate geben. Es wird Schließungen geben dürfen. Wir werden uns auch über Modelle einer Führung aus der Ferne unterhalten. Aber das, was Sie an Flurschaden angerichtet haben allein mit der These, dass alle Polizeistationen und 16 Revierkommissariate schließen, bekommen Sie in drei kalten Wintern nicht mehr geradegebogen. Deshalb muss das richtiggestellt werden. Das ist der falsche Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen endlich den Beförderungsstau im Bereich der Polizei auflösen. Dazu haben wir einen Extraantrag gestellt. Mit wem wollen Sie denn eine Reform machen? Mit demotivierten, desillusionierten Polizis

ten, die zu 25 % seit Jahren auf Stellen sitzen, die höher dotiert sind als ihre Bezahlung? - Das schaffen Sie nicht. Dabei werden Sie substanziellen Gegenwind kriegen. Wer eine vernünftige Reform machen will, muss diesen Beförderungsstau auflösen.

(Beifall bei der LINKEN)