Protokoll der Sitzung vom 16.05.2014

(Beifall bei der LINKEN)

Aus meiner Sicht sollte zunächst die Debatte im Vordergrund stehen. Nach Möglichkeit sollte diese zu einem Änderungsentwurf zu dem bestehenden Bestattungsgesetz führen, der möglichst aus der Mitte dieses Hohen Hauses kommt und von einer breiten Mehrheit, von allen Fraktionen, getragen wird und am Ende der Debatte steht.

Der Verweis darauf, dass wir das jetzt nicht brauchen, bzw. der Verweis darauf, dass das nicht im Koalitionsvertrag steht, weswegen wir das jetzt nicht angehen müssen, reicht aus meiner Sicht nicht. Das zeigt die Debatte, die in den letzten Tagen geführt wurde.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir sprechen mit unserem Antrag verschiedene Änderungsmöglichkeiten im Bestattungswesen an, zu denen es vermutlich zwischen den Fraktionen wie auch innerhalb jeder Fraktion - dabei schließe ich auch meine Fraktion ein - sehr unterschiedliche Standpunkte und differenzierte Positionen gibt. Denn es ist klar, dass sich das Bestattungswesen und die Bestattungskultur nicht einfach in politische Lager aufteilen lassen.

Insofern ist uns auch bewusst, dass wir hiermit eine Diskussion eröffnet haben und nicht erst heute eröffnen, die nicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf Widerspruch treffen wird. Denn wir rütteln an Vorstellungen, unter anderem an dem Jahrhunderte alten und vor allem von den beiden christlichen Kirchen verteidigten Friedhofszwang.

Wir wollen diese Tradition nicht grundsätzlich in Frage stellen, aber zumindest zusätzliche Möglichkeiten prüfen. Die Historie der Friedhöfe zeigt auch, welche kulturelle Leistung der Menschheit damit einhergeht. Doch wollen wir den Blick nicht davor verschließen, dass sich unsere Bestattungskultur in Mitteleuropa in einem gesellschaftlichen

Wandel befindet und neue Rechtsgrundlagen für neue Bedürfnisse erforderlich sind.

Denn, meine Damen und Herren, auch im Friedhofswesen ist nicht alles für die Ewigkeit in Stein gemeißelt. Eine Liberalisierung des Bestattungsrechts muss aber nicht im Widerspruch zu bisherigen Traditionen stehen. Vielmehr eröffnet die Gesetzesänderung die Möglichkeit, den vielschichtigen Interessen und Wünschen der Verstorbenen nachzukommen.

Interessanterweise hat sich übrigens die Deutsche Bischofskonferenz bereits im Jahr 2005 mit den veränderten Perspektiven in der Bestattungskultur auseinandergesetzt. So stellte schon damals die Kirche Folgendes fest - ich zitiere -:

„Die Friedhofs- und Grabmalkultur sucht nach neuen Gestaltungsformen; neben das Erdbegräbnis als tradierte Bestattungsform tritt immer mehr die Feuerbestattung; anonyme Bestattungen und Urnenbeisetzungen auf See oder im Wald sind keine Seltenheit mehr.“

Ich zitiere nicht ohne Grund gerade aus einem Papier der Kirche und ich habe auch nicht ohne Grund bereits vor der Einbringung dieses Antrages sowohl mit einem Vertreter der katholischen als auch der evangelischen Kirche intensiv über dieses Thema gesprochen. Die Kirchen spielen bei diesem Thema auch in Sachsen-Anhalt eine nicht unwesentliche Rolle. Ich denke, sie werden sich auch in die Debatte einbringen.

Egal ob konfessionell gebunden oder nicht - uns eint die Tradition, mit unseren Toten auch posthum würdevoll umzugehen bzw. eine Erinnerungskultur für sie und vor allem für uns als Hinterbliebene zu schaffen.

Diesen beiden Grundgedanken und der Tatsache folgend, dass wir als freie Menschen in einem freien Land leben, stellt meine Fraktion das Bestattungswesen auf den Prüfstand. Ich lade Sie alle herzlich zu dieser Reformdebatte ohne Scheuklappen ein.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich möchte im Folgenden die einzelnen Gegenstände unseres Antrages differenziert, in punktuelle Themenbereiche abgegrenzt, begründen.

Zunächst zur Leichenschau. Schon im Jahr 2011 antwortete die Landesregierung auf meine Frage, ob Defizite in der derzeitigen Praxis der Leichenschau in Sachsen-Anhalt gesehen werden, mit einem klaren Ja; die Antwort liegt in der Drs. 6/400 vor. Dabei seien die Defizite vor allem in der korrekten Feststellung der Todesart zu sehen, so die Landesregierung. Ganz konkret: Es gibt Probleme bei der Einschätzung, ob es sich um eine natür

liche, eine nichtnatürliche oder eine nicht aufgeklärte Todesart handelt.

Bei der zweiten Leichenschau, die in SachsenAnhalt allerdings nur bei einer Feuerbestattung verpflichtend ist, stellten Rechtsmediziner bei ca. 3 % bis 7 % der Fälle eine falsch eingetragene Todesart fest. Das heißt nicht zwangsläufig, dass in diesen Fällen immer ein bis dahin unentdecktes Tötungsdelikt dahintersteckt. Doch schon im Jahr 2011 räumte die Landesregierung ein, dass in der Zeit zwischen 2001 und 2011 bei acht Verstorbenen in der zweiten Leichenschau Anzeichen für ein Tötungsdelikt festgestellt worden sind.

In der Folge dieser Erkenntnis kündigte die Landesregierung im Jahr 2011 an, mit den ärztlichen Körperschaften zu klären, dass die erste Leichenschau nur Ärztinnen zu übertragen ist, die über eine anerkannte und kontinuierliche Fortbildung für die Leichenschau verfügen. Das schlagen wir übrigens in unserem Antrag vor.

Des Weiteren räumte die Landesregierung ein, dass das Bestattungsgesetz geändert werden müsste. Aber bis heute blieb es bei dieser Absichtsbekundung; den Worten folgten keine Taten.

Immerhin wurde durch unsere Kleine Frage eine Lücke im System aufgezeigt; doch geschlossen wurde sie bis zum heutigen Tage nicht. Das Problem ist bereits seit vielen Jahren bekannt. Es wurde aber nicht behoben bzw. es wurde überhaupt nicht versucht, es zu beheben.

Das Ausmaß dieses Problems und dieses Defizits schlägt uns mit aller Wucht durch den bekannt gewordenen Fall des Fundes der Leiche der jungen bulgarischen Studentin in Halle ins Gesicht.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ergebnis der ersten Leichenschau durch den hinzugerufenen Notarzt war: Tod vermutlich durch Ertrinken. Zumindest war es so auf dem Totenschein vermerkt. Wäre die Identität der jungen Frau zu diesem Zeitpunkt schon feststellbar gewesen, wäre die zweite Leichenschau, in deren Ergebnis feststand, dass sie vergewaltigt und erwürgt worden war, nicht vorgenommen worden. Für unseren Rechtsstaat bedeutet das ganz klar: Ein Tötungsdelikt wäre unerkannt geblieben. Ich gehe davon aus, dass wir uns einig sind, dass bereits ein unentdecktes Tötungsdelikt eines zu viel gewesen wäre.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Das bedeutet, dass Vertrauen in die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden und damit auch in den Rechtsstaat verloren geht. Das bewusste Nichtstun in dem Wissen darum ist eine Bankrotterklärung.

Der Fall der bulgarischen Studentin ist leider kein Einzelfall. Immer wieder werden unnatürliche To

desursachen als natürliche klassifiziert, weil es den Ärztinnen, die die Leichenschau vornehmen, an entsprechender Fachkenntnis mangelt. Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Lassen Sie uns die beste Lösungsvariante hierfür schnell finden und ihre Umsetzung nicht in die nächste Legislaturperiode verschieben.

Ich halte es zunächst für denkbar, eine verpflichtende zweite Leichenschau auch bei Erdbestattungen festzuschreiben. Die Kosten, die dafür auf die Bestattungsverpflichteten zukämen, sind aus meiner Sicht absolut überschaubar; sie liegen zwischen 12 € und 22 € netto. Dies ist ein Betrag, der bei den Bestattungskosten nicht wirklich ins Gewicht fällt. Ich vermute, dass die Sicherheit über die Todesursache auch für die Hinterbliebenen von entscheidender Bedeutung ist.

Zudem regen wir an, dass die Feststellung des Todes und die erste Leichenschau von unterschiedlichen Ärzten vorgenommen werden. Es muss bei der ersten Leichenschau aus meiner Sicht nahezu sichergestellt werden, dass die tatsächliche Todesursache von einem erfahrenen bzw. hierfür kompetenten Arzt erkannt wird.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das, meine Damen und Herren, ist nicht nur für die Hinterbliebenen wichtig, sondern das ist auch für unseren Rechtsfrieden von großer Bedeutung.

Allein auf die Aus- und Fortbildung von Medizinerinnen zu bauen bzw. zu vertrauen, reicht nicht; das haben die letzten Jahre deutlich gemacht.

Nun zu den bereits von Frau Lüddemann angesprochenen Sternenkindern. Gemäß § 15 Abs. 2 des geltenden Bestattungsgesetzes in SachsenAnhalt dürfen auf Wunsch eines Elternteils ein Fehlgeborenes - ein Kind mit einem Geburtsgewicht von weniger als 500 g; das sind sogenannte Sternenkinder - oder eine Leibesfrucht aus einem Schwangerschaftsabbruch bestattet werden.

Das soll insbesondere die intensive Bindung, die viele Mütter und Väter bereits zu dem ungeborenen Kind entwickelt haben, und die daraus resultierende oft intensive und sehr lang anhaltende Trauer, die durch dessen Tod verursacht wurde, berücksichtigen.

Wir haben damit schon eine sehr liberale und weitergehende Regelung als andere Bundesländer. Werden fehlgeborene Kinder nicht bestattet, haben die Kliniken in Sachsen-Anhalt und auch in anderen Bundesländern die Pflicht - ich zitiere - „für die hygienisch einwandfreie und dem sittlichen Empfinden entsprechende Beseitigung“ zu sorgen.

Unserer Position, die im Übrigen auch von den Kirchen getragen wird, folgend sollte eine würdevolle Bestattung bei allen Fehl- und Totgeburten

möglich sein bzw. staatlich sichergestellt werden. Ich weiß, dass die Kommunen schon jetzt sehr sensibel mit diesem Thema umgehen und dass insbesondere die kirchlichen Krankenhäuser diesen Umgang schon jetzt pflegen.

Zu den religiösen Bedürfnissen, die wir auch in Sachsen-Anhalt anerkennen wollen, hat Frau Lüddemann schon etwas ausgeführt. Im Übrigen redet man auch im Islam tatsächlich von „Bruder“ und „Schwester“.

Das hiesige Bestattungsgesetz ist durch die zunehmende Vielfalt der in Sachsen-Anhalt lebenden Kulturen und Religionen nicht mehr zeitgemäß. Lassen Sie uns ergebnisoffen darüber diskutieren, welche religiösen Bestattungstraditionen in Sachsen-Anhalt möglich sein sollen, die auch konfessionslosen Menschen auch Wunsch offen stehen.

Wir haben eine bestimmte Anzahl von Traditionen aufgeschrieben; die Aufzählung ist nicht abschließend. Wir haben beispielsweise noch gar nichts über buddhistische Traditionen und andere Traditionen, die diesbezüglich infrage kämen, ausgeführt. Lassen Sie uns auch darüber ergebnisoffen und ohne Scheuklappen diskutieren.

Nun komme ich zur Aufhebung des Bestattungs- bzw. Friedhofzwanges. Meine Fraktion hat auch zwei heikle und heftig umstrittene Punkte in den vorliegenden Antrag aufgenommen, nämlich die der Aufhebung des Friedhofszwanges bzw. des Urnenzwanges. Die Aufhebung des Friedhofszwanges ist auch ein Thema im Entschließungsantrag der GRÜNEN.

Ich teile ausdrücklich die hierzu von Frau Lüddemann vorgetragene Argumentation. Man kann an dieser Stelle zumindest die Frage stellen: Warum soll ausschließlich der Staat entscheiden dürfen, was nach meinem Tod mit meiner Asche, mit meinem Leichnam geschieht?

(Zustimmung von Frau Lüddemann, GRÜ- NE)

Gibt es wirklich plausible Argumente für einen Friedhofszwang? Ich nenne das Beispiel der Schweiz, wo es keinen Friedhofszwang mehr gibt. Für ein Land, in dem mehr als die Hälfte der Einwohnerinnen einer christlichen Religion angehört - in Sachsen-Anhalt sind es nur 20 % -, finde ich das schon sehr bemerkenswert.

Ich bin infolge der begonnenen Debatte direkt damit konfrontiert worden. Mir fällt es schwer, in meinen Wahlkreisbüro jemanden einfach abzuspeisen, wenn er mit einem Werbezettel von einem Bestattungsunternehmen zu mir kommt, das anbietet, die Asche eines Verstorbenen in die Hände des Bestattungsunternehmens zu geben, damit sie dann in den Schweizer Alpen oder in einem niederländischen Fluss verstreut wird. Ich kann nicht

wirklich begründen, warum das nicht auch hier im Harz oder an der Elbe oder an der Saale möglich sein soll.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einem freien Land. Warum sollte das im Grundgesetz verankerte persönliche Freiheitsrecht nicht auch posthum noch in Anspruch genommen werden können?

Aber - das gebe ich zu und auch die Debatte in den Medien warf schon erste Fragen auf - ganz so einfach ist es eben nicht. Es werden weitere rechtliche Probleme auftauchen. Ich möchte nur einige benennen.

Welche Verantwortung hat der Staat auch gegenüber den Verstorbenen hinsichtlich des Schutzes der Identität und der Individualität nach dem Tod? Was passiert mit einer Urne bzw. deren Inhalt in einer - das gibt es leider allzu oft - zerstrittenen Familie? Wie wird der Zugang zu einem Ort der Trauer gewährleistet, wenn die sterblichen Überreste eines Verstorbenen aus dem für alle öffentlich zugänglichen Raum des Friedhofes in einen nichtöffentlichen Raum verschwinden? Es geht auch um die Frage: Wie kann eine Eigentumsnachfolge an der Urne bzw. deren Inhalt geregelt werden?