Protokoll der Sitzung vom 16.05.2014

Welche Verantwortung hat der Staat auch gegenüber den Verstorbenen hinsichtlich des Schutzes der Identität und der Individualität nach dem Tod? Was passiert mit einer Urne bzw. deren Inhalt in einer - das gibt es leider allzu oft - zerstrittenen Familie? Wie wird der Zugang zu einem Ort der Trauer gewährleistet, wenn die sterblichen Überreste eines Verstorbenen aus dem für alle öffentlich zugänglichen Raum des Friedhofes in einen nichtöffentlichen Raum verschwinden? Es geht auch um die Frage: Wie kann eine Eigentumsnachfolge an der Urne bzw. deren Inhalt geregelt werden?

Das sollen jetzt aber keine Argumente gegen unsere Idee der Aufhebung des Friedhofszwangs sein. Ich denke jedoch, dass wir auch darüber diskutieren müssen. Sie werden mit Sicherheit auch ein Teil der Debatte in den Ausschusssitzungen und in den Anhörungen sein.

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, am Ende der Rede noch auf einen Punkt einzugehen, der nicht Teil unseres Antrags geworden ist. Bisher existiert keine gesetzliche Regelung zur Ausbildung bzw. zum Berufsabschluss des Bestatters/ der Bestatterin. Es gibt einen zwischen den Bestatterinnen ausgehandelten sogenannten Ehrenkodex für den Umgang mit den Toten.

Die Frage ist: Reicht uns das? Oder wollen wir in einem Teil der Debatte auch über das Thema diskutieren, welche Qualitätsanforderungen wir an diese Berufsgruppe stellen? Ich denke, wir sind uns darin einig, dass es insgesamt natürlich um die Wahrung der postmortalen Menschenwürde geht.

Hinsichtlich des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgelegten Gesetzentwurfs teile ich ausdrücklich den Ansatz, in den Kommunen für eine Änderung der Friedhofssatzungen hinsichtlich der Nichtverwendung von Grabsteinen aus ausbeuterischer Kinderarbeit zu werben.

Abschließend werbe ich um Zustimmung zu unserem Antrag und kündige an, dass wir der Überweisung des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜND

NIS 90/DIE GRÜNEN in die Ausschüsse zustimmen werden. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke sehr für die Einbringung, Frau von Angern. - Für die Landesregierung spricht in Vertretung des Herrn Ministers Bischoff Frau Ministerin Professor Dr. Kolb.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Zur Diskussion steht heute die Frage: Ist das Bestattungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt noch zeitgemäß? - Allein die Ankündigung der heutigen Befassung des Landtages mit diesem Thema hat in den Medien und in der Bevölkerung zu einer lebhaften Diskussion geführt.

Das zeigt, dass dieses Ziel des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion DIE LINKE schon erreicht worden ist. Ich glaube, mit diesen beiden Anträgen und den vorgelegten Gesetzentwürfen haben wir einen Startschuss für diese Debatte gegeben, die in der Tat nicht ganz einfach werden wird.

Schon die Meinungsäußerungen, die wir in den letzten Tagen in der Presse dazu lesen konnten, zeigen, dass es ganz unterschiedliche Auffassungen gibt. Es geht um ganz sensible Fragen. Ja, es geht auch um Rechtsfragen, die zum Teil Grundrechte berühren. Es geht auch um ganz tief verwurzelte Traditionen, um tradierte Einstellungen und religiöse Überlegungen.

Es wird in der Regel nicht einfach, all dies unter einen Hut zu bringen und einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, der das erreicht, was Sie sich wünschen, nämlich dass das Vorhaben fraktionsübergreifend von allen mitgetragen wird. Ich würde mir das auch wünschen. Ich bin auch auf die Debatte gespannt.

Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzt zunächst auf die Abschaffung der Sargpflicht. Die Fraktion DIE LINKE geht hierbei sogar noch ein Stück weiter und beantragt die Aufhebung des Friedhofszwangs für Urnenbestattungen.

Richtig ist, dass die Gesellschaft weltoffener geworden ist. Ich stelle auch in anderen Zusammenhängen, beispielsweise bei der Diskussion um die Patientenverfügung, fest, dass die Bürgerinnen und Bürger selbstbestimmt entscheiden möchten, was am Ende ihres Lebens passiert.

(Zustimmung von Frau von Angern, DIE LIN- KE)

Sie möchten das gemeinsam mit ihren Angehörigen besprechen. Diesen Wünschen sollte soweit es geht nachgekommen werden. Aber wir sind uns natürlich der Tatsache bewusst, dass es auch verfassungsrechtliche Grenzen gibt, die wir hierbei zu berücksichtigen haben.

Es stellt sich die Frage: Gibt es praktische Probleme? - Die islamischen Gemeinden in Magdeburg, Halle, Dessau und Stendal sehen Probleme bei Verstorbenen, die hier in Sachsen-Anhalt nicht entsprechend ihrer Religion allein in ein Leichentuch gehüllt begraben werden können. Bestattungsunternehmen haben in Befragungen allerdings angegeben, dass dies bisher kein Thema war, weil es angeblich keinen Bedarf gibt und die Betroffenen in ihr Heimatland überführt werden.

Es stellt sich nun die Frage: Gibt es den Bedarf nicht, weil nicht die Möglichkeit besteht, die Bestattung entsprechend den religiösen Riten vorzunehmen? - Deshalb muss man noch einmal tiefer nachfragen, inwieweit heute schon Probleme bestehen.

Es gibt in anderen Bundesländern die Möglichkeit, zumindest eine Bestattung im offenen Sarg zuzulassen. Es wäre zu hinterfragen, inwieweit möglicherweise auf dem Erlasswege auch in SachsenAnhalt eine solche Möglichkeit geschaffen werden kann, um diesen religiösen Bedürfnissen nachzukommen.

Mit Blick auf den Antrag der Fraktion DIE LINKE freue ich mich als Justizministerin sagen zu können, dass eine Forderung der Justizministerkonferenz aus dem Jahr 2007 aufgegriffen worden ist. Damals haben wir uns mit der qualitativen Verbesserung der Leichenschau beschäftigt und einen fast einstimmigen Beschluss dazu gefasst, welche Dinge verändert werden müssen.

Die Umsetzung ist allerdings schwierig, etwa weil die Qualifizierung von Medizinern natürlich Geld kostet. Dabei stellt sich jedoch auch die Frage: Was ist es der Gesellschaft wert, dass sichergestellt wird, dass Todesfälle tatsächlich aufgeklärt werden? Denn nach wie vor wird vermutet, dass es hier eine hohe Dunkelziffer gibt.

Ich möchte auf einige Punkte eingehen, die im Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE aufgeführt worden sind. Richtig ist, dass es für die Sternenkinder, für die Leibesfrucht in Sachsen-Anhalt schon eine Regelung gibt, nach der eine Bestattung möglich ist. Das heißt, immer dann, wenn die Eltern das möchten, besteht diese Möglichkeit. Darüber, inwieweit das Bedürfnis besteht, auch diejenigen, die das nicht möchten, dazu zu verpflichten, dass in jedem Fall eine Bestattung stattfindet, sollte man aus meiner Sicht noch einmal gründlich nachdenken.

Die eingetragenen Lebenspartner bzw. Lebenspartnerinnen gehören seit dem im Jahr 2004 ver

abschiedeten Änderungsgesetz zu den bestattungspflichtigen Angehörigen. Das ist umgesetzt worden.

Auch eine naturnahe Beisetzung für Urnen in Friedwäldern ist möglich. Das Bestattungsgesetz stellt hierfür kein Hindernis dar, da ein Friedwald unter den gesetzlich bestimmten Begriff des Friedhofs fällt. Ich weiß aber, dass es diesbezüglich in der Praxis durchaus noch Irritationen gibt.

Wir haben eine Vielzahl von Diskussionspunkten, die in den nächsten Monaten der Gegenstand dieser Debatte sein werden. Ich freue mich auf diese interessanten Fragestellungen, die sicherlich nicht nur den Sozialausschuss, sondern in dem einen oder anderen Punkt auch den Rechtsausschuss betreffen werden. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Danke sehr, Frau Ministerin. - Wir treten in eine Fünfminutendebatte ein. Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Scharf.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie gehen Wissenschaftler vor, die die Kulturgeschichte von Völkern erforschen wollen, seien es Historiker, Soziologen oder Archäologen? - Sie untersuchen unter anderem die Begräbnisstätten und versuchen, die Begräbnisrituale zu ergründen und zu verstehen. Sie versuchen so, sich an das Weltbild heranzutasten, das in diesen Völkern vorherrschend war. Der Umgang der Menschen mit ihren Toten sagt also sehr viel über die lebenden Menschen und deren Anschauungen aus.

Meine Damen und Herren! Es ist so, dass die Bestattungskultur ein Kernbestandteil jeder menschlichen Kultur ist. Wir sind also gut beraten, mögliche Änderungen des zulässigen Rahmens dieser kulturellen Ausprägungen unseres Handelns mit Sorgfalt zu bedenken und das Für und Wider sorgfältig abzuwägen.

Meine Damen und Herren! Gibt es die Notwendigkeit, unser derzeit geltendes Bestattungsgesetz zu ändern? - Ich kann diese Notwendigkeit nicht oder nur in sehr geringem Maße erkennen.

Gehen wir einmal die einzelnen Bereiche durch. Ich habe schon gemerkt, dass die GRÜNEN genauer zu wissen meinen, was jetzt geändert werden soll. Frau von Angern ist sehr deutlich auf einen notwendigen gesellschaftlichen Diskussionsprozess eingegangen, der dazu beitragen soll zu erforschen: Was ist denn nun das, was die Leute in Sachsen-Anhalt im Jahr 2013 ff. tatsächlich wollen? Wie soll die vorherrschende Bestattungskultur

sein? Wie viel Freiraum müssen wir geben? Wo müssen wir aufpassen?

Ich möchte in der mit zur Verfügung stehenden kurzen Redezeit versuchen, einige dieser Stichpunkte anzureißen.

Leichenschau. Meine Damen und Herren! Wenn es auf diesem Gebiet Mängel gibt - es gibt deutliche Hinweise darauf, dass es diese Mängel gibt -, so sind diese am besten durch Sicherung der notwendigen materiellen und organisatorischen Ressourcen zu beseitigen.

Wir haben diesbezüglich bereits Diskussionen in diesem Landtag geführt. Wer Veränderungen, insbesondere auch die in den Papieren nachzulesenden, jetzt nicht besonders erwähnten kürzeren Fristen, will, der muss sich bei den Haushaltsberatungen melden. Alles andere ist unsicher.

Frau Ministerin, auf Beschlüsse der Justizministerkonferenz zu verweisen, die offensichtlich nie zu Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenzen geworden sind, nützt auch nicht viel. Wir brauchen die Entscheidung im Haushalt; denn all das kostet richtig viel Geld. Wenn wir das ausgeben wollen, dann müssen wir das beschließen. Nach meiner Auffassung müssten wir hierfür nicht unbedingt das Gesetz ändern.

(Zustimmung von Herrn Weigelt, CDU)

Friedhofszwang. Die CDU-Fraktion kann nur entschieden davor warnen, den Friedhofszwang in weiteren Fällen, als sie vom geltenden Gesetz vorgesehen sind, aufzuheben. Die Möglichkeit der Pflege des Andenkens Verstorbener an würdiger Ruhestätte muss öffentlich gewährleistet sein - ich betone: öffentlich. Die Urne zu Hause oder die Urne im Garten kann dieser Forderung nicht genügen. Sie können die öffentliche Zugänglichkeit nicht garantieren. Sie können die Ruhezeiten nicht garantieren.

Stellen Sie sich bitte für einen kleinen Moment vor: Ein städtisches Ordnungsamt soll mit hinreichender Vollzugssicherheit die Einhaltung der Totenruhe in entsprechenden Gärten durchsetzen. Was passiert bei einem Umzug, bei einem Verkauf des Grundstücks oder bei aufkommendem Desinteresse der Hinterbliebenen, sich für diese Grabstätte verantwortlich zu fühlen?

Lassen Sie ab von dieser Forderung! Lesen Sie die Berichte, was immer wieder nach Haushaltsauflösungen in den Niederlanden passiert. Sie finden eine erhebliche Anzahl von Urnen anschließend in den Grachten. Das will niemand. Deshalb passen Sie auf, dass Sie nicht versuchen, Unsinn zu beschließen.

Sargpflicht. Wenn Sie auf die Sargpflicht aus nichtreligiösen Gründen verzichten, bekommen Sie einen unvermeidlichen Drive in Richtung Schlicht

bestattung/Billigbestattung. Meine Damen und Herren! Auch die Sozialämter wählen die preiswerteste unter den erlaubten Arten der Bestattung; diese müssen sie wählen. Sie üben also mit der Aufhebung des Sargzwanges ungewollt Druck auf die Bevölkerungsschichten aus, die sich am schlechtesten wehren können. Ich weiß nicht, ob Sie sich dieser Tatsache bewusst sind.

Haben wir ein Problem mit möglichen Bestattungen nach islamischem Ritus? - Meine Damen und Herren! Frau Ministerin Kolb hat ausgeführt, dass wir dieses Problem praktisch nicht haben. Die Bestatter berichten es nicht. Unser derzeit geltendes Bestattungsgesetz lässt die Bestattung im offenen Sarg zu. Das ist geltendes Recht in SachsenAnhalt.

Wenn die Landesregierung meint, dies allen Verantwortlichen im Lande durch einen Erlass noch einmal klärend darzubringen, kann ich das nur unterstützen. Wir müssen aber das Gesetz nicht ändern, um Bestattungen nach islamischem Ritus in Sachsen-Anhalt vollziehen zu können, meine Damen und Herren.

Sternenkinder. Es wurde mehrfach darauf hingewiesen: Die würdige Bestattung von Sternenkindern ist nach unserem Bestattungsgesetz möglich. Ich halte das auch wirklich für wichtig und für richtig.

Friedwälder. Deren Einrichtung ist möglich und wird auch praktiziert. „Schwierigkeiten“ gibt es nur, weil einige Gemeinden einmal die Idee hatten, sich dieser Aufgabe ganz entledigen zu können und einen privaten Träger eines Friedwaldes bestellen wollten.

Dies soll nach unserer Auffassung aus gutem Grunde auch zukünftig nicht möglich sein; denn nur die öffentliche Hand selbst oder Körperschaften des öffentlichen Rechts oder diesen Gleichgestellte können einigermaßen sicher die gesetzlichen Liegezeiten garantieren. Eine GmbH kann das nicht. Sie ist unter Umständen nach einer Insolvenz weg.

Meine Damen und Herren! Verhinderung ausbeuterischer Kinderarbeit an Grabsteinen. Das ist tatsächlich ein ernstes Problem. Aber die Grabsteinherstellung selbst ist vornehmlich ein maschineller Prozess. In diesem maschinellen Prozess hat die Kinderarbeit natürlicherweise wenig Platz. Die Kinderarbeit passiert mehr in der Umgebung der Herstellung, in den Steinbrüchen, aber nicht bei der Herstellung der Grabsteine selbst.

Wenn wir hierbei wirklich etwas tun wollen, das mehr ist als weiße Salbe, dann müssen wir nach meiner Ansicht versuchen, durch Bundesgesetz diesbezüglich etwas zu regeln. Versuche, dies in den Bestattungsgesetzen auf der Länderebene zu