Protokoll der Sitzung vom 16.05.2014

Eine Evaluierung des Nachhaltigkeitsberichtes macht keinen Sinn, weil der Nachhaltigkeitsbericht - ich sage es noch einmal - keine Nachhaltigkeitsstrategie ist. Deswegen kann man ihn nicht evaluieren, sondern es braucht diesen Nachhaltigkeitsprozess. Wie dieser in Sachsen-Anhalt aussehen soll, sollte in diesem Aktionsplan dargelegt werden.

Ich stelle noch einmal fest, es ist schade, dass Sie sich diesem Thema nicht widmen wollen, dass Sie die Landesregierung nicht auffordern wollen, klar und eindeutig Farbe zu bekennen und von hier ein Signal zu senden, dass Sachsen-Anhalt diesen Nachhaltigkeitsprozess braucht. Schade, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Weihrich. - Damit ist die Debatte abgeschlossen.

Ich habe keinen Wunsch auf Überweisung gehört. Dann stimmen wir jetzt ab über den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drs. 6/3042. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Das ist die Antragstellerin, zumindest weitestgehend. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich der Stimme? - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Damit ist der Antrag abgelehnt worden und wir haben den Tagesordnungspunkt 18 abgearbeitet.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 17:

Beratung

Sterbende angemessen pflegen und begleiten - Palliativmedizin und -kultur in Pflegeheimen in Sachsen-Anhalt fördern

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/3025

Alternativantrag der Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/3084

Die Antragstellerin steht schon am Pult. Frau Lüddemann, Sie haben das Wort.

(Herr Scheurell, CDU: Ach, wie schön!)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Über die Gestaltung des Lebensendes und darüber hinaus haben wir heute bereits gesprochen. Aber wie gehen wir als Gesellschaft mit dem Leben kurz vor dem Sterben um?

Ich denke, wir müssen akzeptieren, dass das Sterben in der gewohnten häuslichen Umgebung heute nicht mehr das Normale ist. Einrichtungen und Institutionen, wie Seniorenheime, Pflegeheime und Hospize sind heutzutage Ort der letzten Heimat und somit auch Orte des Sterbens.

In unserem Antrag setzen wir den Schwerpunkt zunächst auf die Gestaltung der Palliativkultur an öffentlichen Orten, ohne die private Häuslichkeit aus dem Blick zu verlieren. Ich weiß selbstverständlich, dass die Förderung einer solchen Sterbekultur, Hospizkultur in stationären Einrichtungen nur bedingt von der Politik beeinflusst werden kann; aber wir als Politiker können etwas tun. Hierzu ein Zitat aus der gleich noch mehr in Rede stehenden Charta zur Betreuung von schwerstkranken und sterbenden Menschen.

„Unsere Gesellschaft braucht eine sozial getragene Sterbe- und Trauerkultur, die das Sterben als Teil des Lebens und die Begleitung im Sterben als gemeinsame Aufgabe und als Chance im menschlichen Miteinander begreift.“

Gerade im Bereich der Alten- und Pflegeheime und der sich stark entwickelnden Hospizkultur hat sich im Land einiges getan. Noch vor zehn Jahren standen zuvorderst Krankenhäuser in dem Ruf, Orte des Sterbens zu sein; heute ist das anders. Um menschenwürdig das persönliche Lebensende zu erfahren, ist ein Sterben in der gewohnten Umgebung wichtig. Das sind im Zweifel Alten- und Pflegeheime, aber nicht Krankenhäuser.

Der Antrag beginnt eindeutig und klar mit einem Lob. Das will ich besonders hervorheben, weil uns als Opposition oft abgesprochen wird, dass wir in der Lage wären, die Koalition zu loben. Aber wir unterstützen ausdrücklich und möchten hier im Plenum gewürdigt sehen, dass der Herr Ministerpräsident die gerade zitierte Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen unterzeichnet hat.

Diese Würdigung in diesem Hohen Hause soll auch präventiv wirken. Denn wer das Aufgabenerledigungskonzept im Bereich des Sozialministeriums gelesen hat, wird wissen, dass dieses systematisch alles in Frage stellt, was nur irgend geht, so auch den Ausstieg aus der Charta.

Nun ist es sinnvoll, wenn man eine klassische Aufgabenkritik macht, zunächst ohne Scheuklappen alles in Frage zu stellen. Genauso gut und richtig

ist es aus meiner Sicht, wenn man als Politiker schon im Vorfeld, noch im Stadium reiner Gedankenspiele sagt, was nicht zur Disposition gestellt werden kann. Wir halten die Charta für einen solchen Punkt.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In Sachsen-Anhalt leben knapp 26 000 Personen in etwa 470 Pflegeheimen. Sie werden von ca. 18 000 Mitarbeitenden betreut. Die Zahl der Heime ist sei 2009 um etwa 7 % gestiegen.

Laut Angaben des Statistischen Landesamtes haben wir jedes Jahr ca. 30 000 Sterbefälle, eine großer Teil davon in Krankenhäusern. Wenn man die Charta zugrunde legt, sind davon 10 % plötzliche Todesfälle. Das heißt, es gibt eine große Zahl von Sterbenden, die auf palliative Betreuung hoffen oder angewiesen sind.

Das Thema Hospizkultur in Heimen bekam im Jahr 2003 einen starken Impuls durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz. Diese gründete die Fachgruppe „Hospizarbeit in Einrichtungen“ und befasste sich zunächst mit dem Thema „Hospizkultur in stationären Einrichtungen“. Im Ergebnis liegt eine Broschüre vor, die 20 Indikatoren anführt, anhand deren Hospizkompetenz gemessen und weiterentwickelt werden kann. Für Hospizkultur kann man ersatzweise auch das Wort Sterbekultur oder Abschiedskultur einsetzen, wem Hospizkultur vielleicht zu technisch klingt.

Abschiedskultur ist dabei der weitergehende Begriff; denn dieser umfasst auch die Frage, was vor und nach dem Sterben geschieht. Auch wenn sich - ich habe es bereits erwähnt - in den letzten Jahren viel getan hat, kann doch - was ich aus zahlreichen Besuchen vor Ort bestätigen kann - heute noch gelten, was die Diakonie im Jahr 2006 in ihren Leitsätzen zur Sterbebegleitung formuliert hat. Ich zitiere:

„Die wenigen vorliegenden Arbeiten zum Umgang mit Sterben und Tod in Altenpflegeheimen weisen aber darauf hin, dass es sich hierbei in den Einrichtungen um weitgehend unorganisierte Prozesse handelt. Das heißt, das Gelingen einer würdevollen Sterbebegleitung bleibt damit dem Zufall überlassen. Der Gegenbegriff des Zufalls ist eine entwickelte Sterbe- und Abschiedskultur im Heim. Niemand will es sicherlich dem Zufall überlassen, wie seine letzten Monate, Tage, Stunden ablaufen.

Eine solche Kultur zu entwickeln zielt auf Basisorientierung innerhalb der Einrichtungen, eine Basisorientierung, die innerhalb eines ergebnisoffenen Prozesses geschaffen und stabilisiert wird. Ist sie entsprechend entwickelt, handelt es sich um eine den gesamten Heimalltag durchziehende Haltung,

nicht um eine punktuelle Dienstleistungsorientierung.

Die Implementierung eines solchen Prozesses sollte vom Team gewollt und betrieben werden. Er sollte die volle Unterstützung der Einrichtungsleitung genießen und die Vernetzung mit Dritten beinhalten. Eine entwickelte Abschiedskultur umfasst die Mitarbeitenden, die Heimbewohner und deren Angehörige, die Leitung, den Träger, die ehrenamtlich Aktiven im Bereich der Sterbebegleitung. Sie sollte in einem Leitbild fixiert werden, damit sie für alle transparent und nachvollziehbar ist.“

Wer einen Abgleich unserer Forderungen mit den 20 Indikatoren der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz vorgenommen hat, wird feststellen, dass es insbesondere zwei Indikatoren sind, die wir uns hierbei vornehmen, den zwölften Indikator, palliative Fachpflege, und den elften Indikator, Interdisziplinarität und Vernetzung. Diese beiden Indikatoren halten wir für besonders geeignet, vom Land beeinflusst zu werden.

Kommen wir nun zu den ersten beiden Punkten unseres Antrages. Hierzu will ich gleich eine Replik auf den Alternativantrag der Koalition machen. Ich finde es immer schön, wenn es einen Alternativantrag gibt. Das bedeutet vom Grundsatz her, dass auch die Koalition das aufgeworfene Thema als wichtig empfindet und sich damit auseinandergesetzt hat.

Ich hätte mir nur gewünscht, dass nicht nur der erste Punkt aufgenommen wird, sondern auch die weiteren Punkte. Ich halte die Öffentlichkeitsarbeit, den Fachtag usw., was wir vorschlagen, auch für wichtig. Daher hätte ich mir gewünscht, dass man beide Anträge zusammenführt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Weiter zu unserem Antrag. Wie nahezu immer, wenn es um die qualitative Entwicklung von Arbeitsfeldern geht, ist das Thema Fort- und Weiterbildung zentral. Eine Kulturentwicklung benötigt Kompetenz, benötigt Multiplikatoren in den Einrichtungen und entsprechende Fachkräfte. Gängig ist dafür eine 160-stündige Weiterbildung zur Palliativfachkraft.

Nicht nur dass diese für die Hospizkultur des Heimes sehr wichtig ist, es braucht auch eine solche Fachkraft, um die Vorgaben des GKV-Spitzenverbandes für spezialisierte ambulante Palliativversorgung zu erfüllen.

Die Weiterbildungskosten müssen vom Träger getragen werden. Sie belaufen sich in der Regel auf 1 200 bis 1 500 € pro Teilnehmender. Diese Weiterbildungskosten sind in den hiesigen Pflegesätzen nicht eingepreist und müssen, wie auch immer, aufgebracht werden.

Daher sind aus unserer Sicht Unterstützungsmöglichkeiten durch das Land zu prüfen und Gespräche mit den Kranken- und Pflegekassen zu führen. Denn bis die Sachen, die von der großen Koalition im Bund in Aussicht gestellt werden, kommen, kann es noch einige Zeit dauern. Vorbereitende Gespräche zu führen, halte ich immer noch für sinnvoll und angebracht.

Ich glaube, ein einigendes Ziel könnte es sein, dass es in jeder Einrichtung eine ausgebildete Palliativkraft braucht. Leider - das hatte ich durch eine Kleine Anfrage zu eruieren versucht - gibt es keine Zahlen, wie diesbezüglich der aktuelle Stand in Sachsen-Anhalt ist. In Sachsen wird diese Weiterbildung im Übrigen aus ESF-Mitteln finanziert. Das wäre auch eine Möglichkeit, die man für eine Zwischenfinanzierung prüfen könnte.

Neben der Weiterbildung ist natürlich die Ausbildung ein zentraler Punkt. Insbesondere ein verbindlicher Praxisteil der Ausbildung in einer Palliativstation oder in einem Hospiz scheint uns hier geboten. Aus den Richtlinien und Verordnungen in diesem Bereich und auch aus den Gesprächen mit der Praxis habe ich bisher nicht entnehmen können, dass ein solcher verbindlicher Praxisteil bereits existiert. Einzelne Bildungsträger machen sich das zum Anliegen und setzten es um, etwa die Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg oder Avendi in Dessau. Aber es ist eben nicht die Regel.

Nicht weniger wichtig für die Entwicklung einer Palliativkultur halten wir die Kompetenz für Palliativpflege bei der Heimaufsicht. Kurative und rehabilitative Pflege unterscheidet sich von palliativer Pflege. Sie beruhen auf verschiedenen Ansätzen, Voraussetzungen und verlangen unterschiedliches Handeln.

Ein kleines Beispiel: Eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme ist in der kurativen Pflege wichtig und vom Pflegepersonal zwingend im Auge zu behalten. Im Rahmen einer palliativen Pflege entfällt diese Wichtigkeit. Dabei ist die Aufforderung oder gar die Nötigung zu trinken eher unangemessen.

Die Heimaufsicht muss daher bei ihren Prüfungen auch die Palliativkompetenz des Heims qualitativ erfassen können. Sie muss die Sterbe- und Abschiedskultur eines Heimes einschätzen können.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Landesförderung für Palliativvereine und Hospizdienste ist ebenso nachhaltig zu sichern. Dazu gehört, dass diesen die Rücklagenbildung ermöglicht werden muss. Dies ist insbesondere für Dienste nötig, die entsprechend den Qualitätsvorgaben des GKVSpitzenverbandes eine hauptamtliche Stelle besetzen wollen. Denn dafür muss der Dienst in Vorleistung gehen.

Besteht eine solche Stelle, kann der Hospizdienst von den Krankenkassen gefördert werden. Das

geschah im Jahr 2013 in Sachsen-Anhalt in einer Gesamthöhe von 665 000 €. Diese Förderung erstreckt sich aber eben nur - in Anführungsstrichen - auf die Personalkosten für die hauptamtliche Fachkraft. Kosten, die mit der ehrenamtlichen Arbeit verbunden sind, werden nicht übernommen. Deshalb wollen wir die Förderfähigkeit insbesondere der Sachkosten auch für diese Dienste nach § 39a ermöglichen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle eine Feststellung der Landesregierung zu meiner Kleinen Anfrage kommentieren. Zur Förderung von Hospizdiensten wird festgestellt, dass die Landesförderung darauf zielt, dass diese Dienste die Erfüllung der Förderkriterien der Krankenkassen erreichen.

Sicherlich ist das für Dienste mit der Ambition, sich in dieser Hinsicht zu professionalisieren, gut, richtig und sinnvoll. Aber wir müssen akzeptieren, dass es auch Dienste gibt, die nach über zehnjähriger Tätigkeit immer noch sagen, sie haben ihre Gründe dafür, rein ehrenamtlich tätig sein zu wollen, die kein Arbeitgeber sein wollen, die ihre Arbeit in der bisher gelebten Weise fortsetzen wollen. Diese Tätigkeit von Hospizdiensten wollen wir ebenso weiter gefördert wissen.

Zur Ausschöpfung des Fördertopfes ist weiterhin zu sagen - das zeigt die Antwort auf meine Kleine Anfrage zum Thema aus dem Jahr 2013 -, dass es im Jahr 2013 eine gute Ausschöpfung gab. Die Quote der ausgereichten Mittel lag damals bei 92 %. Allerdings lag die Quote im Jahr 2012 gerade einmal bei 58 %.

Die Haushaltsmittel für das Jahr 2013 - dass muss man dabei wissen - entsprechen ziemlich genau den ausgereichten Mitteln im Jahr 2012. So hat man es geschafft, die Mittel tatsächlich auszuschöpfen. Ich vermute einfach, dass die Halbierung der ausgereichten Fördermittel von 2010 bis 2013 nicht nur an der Zunahme der Dienste nach § 39a liegt.

Selbst wenn, dann sollten diese freiwerdenden Mittel nicht einfach aus dem Bereich abgezogen werden. Förderbedarf besteht mit Sicherheit, zum Beispiel für den Hospiz- und Palliativverband Sachsen-Anhalt. Diesem ist aus unserer Sicht eine hauptamtlich besetzte Stelle zu ermöglichen. Dies sieht meine Fraktion als sinnvoll an, damit der Verband bei dem zunehmend wachsenden Bedarf überhaupt weiter agieren kann.

Zum Beispiel bietet dieser Verband die entsprechenden Fortbildungen für ehrenamtliche Kräfte an, die im Rahmen eines ambulanten Hospizdienstes tätig werden wollen. Für die Einrichtung einer hauptamtlichen Geschäftsstelle reicht die bisherige Landesförderung von maximal 4 500 € selbstverständlich nicht aus.