Protokoll der Sitzung vom 16.05.2014

Es geht darum, dass wir in Sachsen-Anhalt faire und attraktive Rahmenbedingungen für den Arbeitsmarkt ermöglichen. Das heißt, wir wollen sogenannte prekäre Beschäftigungsverhältnisse soweit es geht beseitigen und alles dazu Erforderliche unternehmen, um die rechtlichen, aber auch tatsächlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Arbeitsmarkt sich in Zukunft so entwickeln kann.

Das heißt, wir wollen attraktive, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen. Der Staat kann das nur eingeschränkt. Das heißt, wir wollen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Unternehmen an der einen oder anderen Stelle nicht mehr die Möglichkeit haben, bestimmte Lücken in Gesetzen auszunutzen, um für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unattraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Neben dem Mindestlohn, der Stärkung der Tarifpartnerschaft und der Verhinderung des Missbrauchs im Bereich der Leiharbeit steht in diesem Zusammenhang das Thema Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen auf der Agenda. Ich bin deshalb dankbar - drücke hier also auch den Dank im Namen meines Kollegen Bischoff aus -, dass die regierungstragenden Fraktionen der Landesregierung mit dem vorliegenden Antrag den klaren Auftrag geben wollen, die Bundesregierung - die muss es letzten Endes umsetzen - bei der Umsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten

Vorhaben zur Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen zu unterstützen.

Das spiegelt eine langjährige Position wider, die die Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder vertreten hat. Sie hat auch in der Vergangenheit immer wieder mit Sorge darauf hingewiesen, dass in den letzten Jahren eine Tendenz bestand, dass Unternehmen Tätigkeiten auf Dauer und zu niedrigeren Konditionen per Werkvertrag ausgelagert haben.

Besonders deutliche Beispiele finden wir im Bereich der fleischverarbeitenden Industrie. Aber auch diejenigen, die nachts in den Supermärkten die Regale einräumen, sind von derartigen Konstellationen betroffen. In diesen Fällen liegt die Vermutung nahe, dass die Konstruktion solcher Werkverträge dazu genutzt werden soll, Schutzvorschriften für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu umgehen. Denn auch heute schon sind solche Konstellationen eigentlich unzulässig, wenn es sich um eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung oder um eine Scheinselbständigkeit handelt. Aber wie gesagt: Das muss dann im Einzelfall beklagt werden, das muss nachgewiesen werden, und dazu - darauf hat Herr Rotter bereits hingewiesen - braucht man auch Personal, um diese Dinge praktisch zu kontrollieren.

Auch ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass es nicht darum geht, Werkverträge vom Grundsatz her abzulehnen. Vonseiten der Wirtschaft ist es ein völlig normaler Vorgang, dass nicht alle Dinge selbst, eigenständig im Unternehmen gemacht, sondern dass bestimmte Dinge ausgelagert werden. Das macht das Land im Übrigen ähnlich. Es geht also darum, dass diejenigen Vertragskonstellationen, die eindeutig zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen, in Zukunft ausgeschlossen werden.

Dazu sind mehrere Maßnahmen notwendig: Wir brauchen eine Präzisierung der rechtlichen Regelungen, wir brauchen eine Erhöhung der Kontrolldichte und wir brauchen natürlich auch mehr Transparenz auf betrieblicher Ebene. Insoweit kann ich mich der Forderung nach stärkeren Informations- und Unterrichtungsrechten der Betriebsräte voll anschließen.

Die Landesregierung wird die Dinge aufgreifen und im Rahmen der Bundesratsbefassung an die Bundesregierung herantragen, sodass diese Dinge so schnell wie möglich umgesetzt werden können. - Vielen Dank.

Danke sehr, Frau Ministerin. - Wir treten in eine Fünfminutendebatte ein. Als erste Debattenrednerin spricht für die Fraktion DIE LINKE Frau Abgeordnete Thiel-Rogée.

Frau Präsidentin! Herr Rotter, Frau Ministerin, es ist schön zu hören, dass Sie für gute Arbeit für alle sind, die sicher und gut bezahlt wird. Wir sind das auch; da sage ich sicher nichts Neues. Da sind wir uns wirklich einig, das freut mich auch.

Dennoch muss ich sagen: Als ich den Redebeitrag vorbereitet habe, ist mir eingefallen - kennen Sie das? -: Sie haben einen Maulwurf im Garten und wollen ihn tierschutzgemäß, also nicht mit Feuer oder so, vertreiben. Sie machen den Maulwurfshügel platt, aber in den nächsten Tagen haben Sie diesen wieder oder noch mehr davon. Genauso komme ich mir bei der Mindestlohndebatte vor.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Denn die Werkverträge sind - ich sage es einmal ganz einfach - noch schlimmer als die Leiharbeitnehmerverträge.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Dann fiel mir ein: Es ist so. Man sagt: Jeder findet seinen Meister. Man meint damit jemanden, der es besser kann.

Zur Effizienzsteigerung in Unternehmen gibt es immer neue Ideen, Arbeitnehmer noch mehr auszubeuten, um die eigenen Gewinne zu erhöhen. Ich sage es wirklich so drastisch; das kann man mir übel nehmen oder nicht. Wir leben im 21. Jahrhundert, aber viele Arbeitnehmer werden immer würdeloser behandelt.

Nachdem die Gewerkschaften über die Tarifpolitik leichte Verbesserungen für die Arbeitnehmer in der Leiharbeit erreicht hatten, zogen die Arbeitgeber los, die Werkvertragsgestaltung als neues Instrument neu zu erfinden. Bereits im September 2011 trafen sich unter dem Titel „Freie Industriedienstleistung als Alternative zur regulierten Arbeitszeit“ 130 Arbeitgebervertreter. Das Ziel war, die bis dahin schon billige Zeitarbeit durch noch billigere Beschäftigung zu ersetzen, nämlich durch Werkverträge. Große Unternehmen wie Siemens, BASF, die Deutsche Bahn, Porsche, BMW, Robert Bosch, die Metro und andere hatten sich angemeldet. Sie dachten natürlich, sie wären unter sich. Das war aber offensichtlich nicht der Fall; denn die Presse hat darüber geschrieben.

Über sieben Millionen Menschen, meine Damen und Herren, arbeiten im Niedriglohnsektor. Von 2004 bis 2013 stieg die Anzahl der Nebenminijobber - das sind die, die einen Zweitjob haben - von 1 660 000 auf 2 590 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Ständig wird gezetert, dass ausgebildete Facharbeiter fehlen, dass junge Leute auswandern und dass Familiennachwuchs ausbleibt. Warum ist das denn so? Weil junge Familien ohne bzw. mit sehr

geringem Einkommen nicht so verantwortungslos sind, sich Kinder anzuschaffen, für die sie dann im Nebenjob arbeiten müssen und die künftig keine Perspektive haben. Was sich in Deutschland und in Sachsen-Anhalt entwickelt, bietet für mehr als 25 % der Menschen keine Perspektive.

Werkverträge, die in allen Bundesländern von den Gewerkschaften seit Jahren abgelehnt werden, wurden zum neuen Personalkosteneinsparmittel. Sie sind eigentlich überwiegend Leiharbeiter mit Scheinwerkverträgen. Ein Hinweis darauf ist, wenn ein Werkvertragler, der über eine Fremdfirma in einen Betrieb geschickt wird, regelmäßig von Personal in diesem Betrieb angeleitet wird und Werkzeug gebraucht, das vorhanden ist. Auch wenn der Werkvertragler ähnliche Aufgaben erfüllt wie die Stammbelegschaft, ist das ein Hinweis auf Scheinwerkverträge.

Werkverträge dienen dazu, die Löhne zu drücken und tarifliche Regelungen zu umgehen. Die Firmen entziehen sich ihrer Personalverantwortung und helfen den Arbeitnehmern alle entstehenden Kosten über. Um solche Praktiken zu unterbinden, bedarf es dringend klarer gesetzlicher Regelungen. Darum bitte ich Sie, das mit in den Bundesrat zu nehmen. Denn das kann man nicht nur so in einer Verordnung regeln. Das muss klar geregelt werden.

Die Betriebsräte brauchen mehr Mitbestimmungsrechte bei der Auslagerung und Vergabe von Aufträgen an Subunternehmen, um auch juristisch handlungsfähig zu sein. Man muss dazu wissen, dass Werkarbeitnehmer nicht aus dem normalen Personalkostenbudget bezahlt werden - darauf hat nämlich der Betriebsrat Zugriff -, sondern aus dem Sachkostenbudget. Deswegen fallen die Kosten gar nicht auf.

Ich weiß nicht, ob es nicht gewollt ist, dass die Werkverträge statistisch erfasst werden. Aber es gibt keine Zahlen über Werkverträge. Das muss immens zugenommen haben. Ich fordere die Landesregierung auf, dafür zu sorgen, dass sie erfasst werden.

(Zustimmung von Herrn Gallert, DIE LINKE)

Es müssen Kriterien zur Abgrenzung von Leiharbeit und Werkverträgen festgelegt werden, um Missbrauch zu verhindern. Auch in diesem Fall ist zu sichern, dass gleiches Geld für gleiche Arbeit gezahlt wird. Auch gleiche Arbeitsbedingungen wie für Stammbeschäftigte sind zu sichern.

Dann, meine Damen und Herren, kann der Unterbietungswettbewerb auf Kosten der Arbeitnehmer gestoppt werden. Bei gleichen Arbeits- und Einkommensbedingungen für Stammarbeitnehmer, Werkverträge, Scheinselbständigkeit und Leiharbeit wäre eine Ausgliederung zum Zwecke der

Ausbeutung von Arbeitnehmern zur Gewinnsteigerung von Unternehmen nicht nötig.

Die heutige Debatte sehe ich, ehrlich gesagt, nur als Beginn der Diskussion über die Werkverträge. Denn ich glaube, das Thema ist - wahrscheinlich auch hier im Landtag - noch nicht ausreichend bekannt. Ich denke, wir sollten uns damit auch weiterhin beschäftigen. Unabhängig davon unterstützen wir natürlich den Antrag der Koalitionsfraktionen. Wir wünschen der Landesregierung in der Hoffnung, dass Sie es wirklich so angehen, wie Sie es gesagt haben, viel Erfolg.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege Steppuhn wird für die SPD sprechen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer dafür ist, dass wir wieder mehr Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt bekommen, muss den Missbrauch bei Werkverträgen verhindern. Ich möchte Ihnen zu Beginn meiner Rede eine Lektüre empfehlen. Es gibt nämlich einen Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit, 30 Seiten lang. Darin steht, was alles getan wird, was noch getan werden muss und wo die Probleme entstehen. Es steht darin auch etwas zu dem Ausmaß gerade im Bereich der Werkverträge, auch wenn nicht mit konkreten Zahlen aufgewartet werden kann.

Ich möchte in meinem Redebetrag ein praktisches Beispiel nennen, um das Problem sichtbar zu machen, das wir hier im Land, aber auch in ganz Deutschland haben. Ich will aber vorweg noch klar sagen, wozu überhaupt Werkverträge da sind.

Werkverträge waren einmal dazu gedacht, dass ganz normale Arbeitnehmer über Werkverträge in Unternehmen beschäftigt werden, die Auftragsspitzen abzufangen oder krankheitsbedingte Ausfälle haben. Es ging also nie darum, in diesem Bereich Dauerbeschäftigung zu schaffen. Immer dann, wenn eine Dauerbeschäftigung über Werkverträge erfolgt, passiert das in der Regel auch zu Arbeits- und Entlohnungsbedingungen, die weit unter den Bedingungen für das Stammpersonal liegen.

Das Gesetz, die Werkvertragsbestimmungen sagen eigentlich jetzt schon aus, dass das nicht sein soll. Es wird aber trotzdem gemacht. An dieser Stelle spricht man dann von Missbrauch.

Es gibt aber einen weiteren Bereich, der gerade auch den Gewerkschaften immer mehr Sorge bereitet, nämlich dass sogenannte Scheinselbständi

ge gerade auch im gesamten Baubereich Aufträge annehmen und Aufträge abarbeiten.

Wir erleben im Moment - dazu gibt es auch bei uns im Land Sachsen-Anhalt konkrete Beispiele -, dass über Vermittler sogenannte Selbständige aus Bulgarien angeworben werden. Es gibt Juristen, die sich darauf spezialisiert haben, die Gewerbeanmeldung und alles, was erforderlich ist - das ist ja nicht so einfach -, vorzunehmen.

Es gibt das Beispiel, dass fünf bulgarische Arbeitnehmer einen Parkplatz pflastern. Dieser Parkplatz wird sozusagen unter der Regie des Hauptauftragnehmers gepflastert, was eigentlich nicht geht. Denn die Werkvertragsbestimmungen sagen: Ein Werkvertrag mit einem anderen Unternehmen, mit einem Nachunternehmen muss selbständig ausgeführt werden. Er darf nicht sozusagen unter der Regie des Hauptauftragnehmers stattfinden.

Aber all das aufzuzeigen kostet natürlich viel Mühe und auch viel Kraft. Wer einmal mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit ein Gespräch führt, der wird schnell erkennen, dass es eine Sisyphusarbeit ist, das alles aufzuarbeiten.

Wenn man diese Fälle, die wir auch bei uns im Land erleben, dann weiterverfolgt und einmal auf den Baustellen fragt: Wisst ihr denn überhaupt, dass ihr ein Gewerbe angemeldet habt, dann stellt sich heraus, dass die Arbeitnehmer das zum Teil gar nicht wissen, weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschen.

Wenn man dann weiter schaut, wie diese Arbeitnehmer bezahlt werden, bekommt zur Auskunft: Diese bulgarischen Arbeitnehmer - diesen konkreten Fall kenne ich sehr genau und habe ihn nachvollzogen - bekommen ein Bruttoeinkommen von 500 €. Zugegebenermaßen ist das für Bulgaren viel Geld, aber davon muss dann auch noch eine Miete bezahlt werden.

Das ist etwas, bei dem kein normaler Handwerksunternehmer im Wettbewerb mithalten kann. Von daher sind das die Fälle, bei denen wir dringend schauen müssen, dass kein Missbrauch stattfindet. Auch sind solche Fragen zu klären wie: Wofür sind Werkverträge gedacht? Wofür dürfen sie eingesetzt werden?

Ich bin froh darüber, dass auch die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen in Berlin das Thema aufgegriffen haben und handeln wollen. Ich denke, auch die Landesregierung ist gefordert, und sie will das - Frau Kolb hat es gesagt - entsprechend unterstützen.

Meine Damen und Herren! Wir haben eine Behörde, die für die Kontrolle zuständig ist. Sie ist beim Zoll angesiedelt und nennt sich Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Diese Finanzkontrolle Schwarzarbeit hat den gesamten Bereich der illegalen Beschäftigung, der Schwarzarbeit, die Werkverträge,

aber auch zum Beispiel die Branchenmindestlöhne zu kontrollieren.

Wir werden ab 1. Januar 2015 fast flächendeckend den Mindestlohn von 8,50 € bekommen. Es wird auch eine Aufgabe der Finanzkontrolle Schwarzarbeit sein, dieses zu kontrollieren. Von daher werden neue Aufgaben entstehen und alte Aufgaben noch vorhanden sein, die jetzt schon ein erhebliches Kontrollaufkommen erforderlich machen.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat schon angekündigt, dass man für diese Aufgabe mehr Personal braucht. Es ist wichtig, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit mit mehr Personal versehen wird. Hierfür muss der Bund Sorge tragen. Er ist zuständig für die Behörde. Ansonsten werden wir den Mindestlohn nicht so kontrollieren können und auch das Werkvertragsproblem nicht lösen können. Denn es geht hierbei nicht nur um Gesetze, sondern auch darum, dass man überprüft, was Scheinselbständigkeit und was ein richtiger Werkvertrag ist. Der Erfindungsreichtum ist dabei sehr groß.

Herr Steppuhn, ein letzter Satz bitte.

Ja. Ich will noch ein Thema ansprechen. Herr Rotter hat es angesprochen.