Protokoll der Sitzung vom 08.07.2011

Wenn man sich die Abnehmerseite anschaut, dann kommt man sehr schnell zum Thema Chemie. Das

wurde eben schon angedeutet. Wenn Sie sich Umfragen aus der Chemieindustrie nach den wichtigsten Standortfaktoren anschauen, dann stellen Sie fest, dass als Erstes immer die Rohstoffversorgung genannt wird. Gemeint ist insbesondere bezahlbare und grundlastsichere Energie. Die Löhne kommen übrigens erst an fünfter Stelle. Aber Energie ist für die Chemieindustrie ein ganz wichtiger Standortfaktor.

In der Chemieindustrie und in der Pharmaindustrie sind bei uns weit mehr als 15 000 Menschen beschäftigt. Also: In punkto Arbeitsmarkt reden wir hier wirklich nicht über irgendetwas, sondern über ein Rückgrat der Industrie von Sachsen-Anhalt.

(Beifall bei der CDU)

Der zweite Punkt des Antrags betrifft die Innovationsfähigkeit der Braunkohleindustrie. Dazu sind schon wichtige Stichworte genannt worden. Es geht zum einen um die Steigerung der Energieeffizienz im Bereich der Braunkohleverstromung. Es ist angedeutet worden, dass sich das Verhältnis von Brennstoffeinsatz zu CO2-Ausstoß massiv verbessert hat. Auch die Wirkungsgrade sind besser. Für das eventuell neu zu errichtende Kraftwerk sind ein Wirkungsgrad von 43 % und eine hohe Lastregelbarkeit geplant, sodass diese Technologie in Zukunft flexibler hoch und runter zu fahren sein sollte. Das neue Werk wird auch den Anforderungen der Kraft-Wärme-Kopplung in höchstem Maße entsprechen.

Darüber hinaus gibt es aber auch mit der Kohle verbundene Innovationsaspekte. Es geht insbesondere um das Thema der stofflichen Nutzung der Braunkohle. Das möchte ich jetzt gar nicht im Einzelnen vertiefen.

Lassen Sie mich damit schließen: Sowohl in punkto Arbeitsmarkt- als auch in punkto Energiepolitik und last, but not least in punkto Innovationspolitik haben wir hiermit ein sehr wichtiges Thema. Insofern freue ich mich auf viele Anregungen und Ideen in der Ausschussdiskussion. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin Wolff. - Wir fahren in der Debatte fort. Für die Fraktion DIE LINKE hat der Kollege Dr. Thiel das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Thomas, ich will zu Beginn meiner Rede versuchen, Ihre so genannte ideologiefreie Rede von Ihrer Ideologie zu befreien,

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

weil mit dem Antrag, über den wir heute zu verhandeln haben, wesentliche gesellschaftliche Fra

gestellungen aufgeworfen werden. Es geht nämlich um Fragen der künftigen Energie- und Rohstoffpolitik in Sachsen-Anhalt.

Dieses Thema umfasst eigentlich eine breitere Facette als das, was wir heute hier zur Diskussion stellen wollen, weil es nicht losgelöst betrachtet werden darf zum Beispiel von der Frage nach der Einführung neuer Technologien für mehr Energieeffizienz, der Frage der Energiespeicherung, der Frage nach den Kosten und der Bezahlbarkeit der Energie, der Frage künftiger Energieverteilung, der Frage einer dezentralen oder zentralen Energieversorgung oder von der Frage nach der Entwicklung von neuen Technologien für die Nutzung bisheriger Energierohstoffe. Alles das gehört mit dazu.

Es geht also um ein breites Portfolio von neuartigen Technologien für die Grundlagen- und für die angewandte Forschung bei Wissenschaftseinrichtungen und Unternehmen in Sachsen-Anhalt. Dabei haben wir es mit einem sehr interessanten Widerspruch zu tun. Auf der einen Seite geht es darum, den erneuerbaren Energien mit Konsequenz einen ständig wachsenden Anteil an der Energieerzeugung mit dem Ziel zuzuweisen, bis zum Jahr 2050 den Energiebedarf tatsächlich nahezu vollständig mit erneuerbaren Energien zu decken. Das ist mittlerweile ein breiter gesellschaftlicher Konsens.

Auf der anderen Seite geht es darum, einem bedeutenden Industriezweig Mitteldeutschlands in den nächsten 25 Jahren eine neue Perspektive aufzuzeigen. Es ist bereits von der Frau Ministerin gesagt worden, welche Bedeutung die Mibrag für Sachsen-Anhalt hat. Die Mibrag ist mit ihren 2 000 Beschäftigten - das sind die Zahlen, die ich kenne - der größte Arbeitgeber mit Sitz in Sachsen-Anhalt. Das Lohnvolumen von jährlich 85 Millionen € trägt in erheblichem Maße zur Stärkung der regionalen Wirtschaftskraft bzw. zum regionalen Einkommen bei. Sie hat 1 900 Zulieferer in Deutschland. 65 % der Aufträge werden in Thüringen, Sachsen-Anhalt oder in Sachsen geleistet. Mit 180 Auszubildenden ist die Mibrag einer der größten Ausbilder in der Region. Gerade deshalb ist es notwendig, uns gemeinsam mit den Beschäftigten vor Augen zu führen, welcher Strukturwandel in den nächsten Jahren notwendig ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie, lieber Kollege Thomas, haben sich so breit über die Fragen der stofflichen Nutzung der Braunkohle ausgelassen. Alle Berechnungen weisen aber darauf hin, dass maximal 10 % der jetzigen Förderkapazität für diesen Bereich benötigt werden.

Deswegen ist der Antrag der Koalitionsfraktionen für die Sicherung der Perspektiven der Braunkohleindustrie aus unserer Sicht eben nicht ausreichend. Deswegen haben wir einen entsprechen

den Änderungsantrag eingebracht; denn wer kann bei den Erfahrungen, die wir hier im Osten mit der Braunkohle gesammelt haben, heute schon zukunftssichere Prognosen abgeben. In dem Kontext, lieber Kollege Thomas, können wir gern einmal gemeinsam die Geschichte der Braunkohlewirtschaft in der DDR aufarbeiten, damit Sie ein paar neue Informationen kriegen, die Sie offenbar nicht zur Verfügung haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Also: Wer kann in diesem Kontext über den Erhalt von Arbeitsplätzen auf Dauer sprechen, ohne diesen Strukturwandel langfristig im Blick zu haben? Deshalb möchte ich unseren Änderungsantrag mit den folgenden Positionen unserer Fraktion untermauern.

Erstens. DIE LINKE geht von einem Auslaufen der Braunkohleära auch ohne den Umstellungszwang aufgrund des Klimaschutzes aus. Der fortschreitende Prozess der Ablösung der fossilen Energieträger macht Neuaufschlüsse zur energetischen Nutzung der Kohle überflüssig. Wir werden deshalb entsprechende Vorhaben bei Lützen nicht unterstützen, aber die endgültige Entscheidung hinsichtlich einer eventuellen stofflichen Nutzung für kommende Generationen offenhalten.

Zweitens. DIE LINKE respektiert bei aktiven Tagebauen die verbrieften Nutzungsrechte. Die hier in den nächsten 25 Jahren geförderte Kohle reicht aus, um bis zum Jahr 2035 der Braunkohle einen bedeutenden, aber allmählich abnehmenden Anteil am Energiemix zu sichern.

Drittens. Für uns ist klar, dass im Süden SachsenAnhalts traditionell Kohle und Chemie vielen Menschen Einkommens- und Arbeitsplatzsicherheit bedeuten. Deshalb ist es für uns wichtig, langfristig neue wirtschaftliche Perspektiven für den Süden des Landes, der bisher stark von dieser Industrie geprägt, zu entwickeln.

Viertens. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass der Übergang von einer durch einen massiven Ressourcenverbrauch charakterisierten zu einer nachhaltigen, durch regenerative Systeme bestimmten Energiewirtschaft nur schrittweise erfolgen wird. Dies ist zurzeit noch mit der Versorgungssicherheit begründet, aber auch mit langen Nutzungszeiten kapitalintensiver Technologien.

Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Wir sind der Auffassung, dass eine Erweiterung der Kapazitäten für die Verstromung der Braunkohle nicht notwendig ist. Die andauernden Spekulationen hinsichtlich eines Kraftwerksneubaus zeigen die Problemlage deutlich. Seit Jahren wird die Entscheidung vor sich hergeschoben. Es bleibt letztlich eine unternehmerische Entscheidung, die aber in die gesellschaftliche Grundsatzentscheidung hinsichtlich der künftigen Energiepolitik einzubinden ist. Die Politik sollte nichts herbeireden, was offenbar nicht benötigt wird.

Mit den aktuellen Diskussionen über einen möglichen Eigentümerwechsel bei der Mibrag wird die Problemlage deutlich. Offensichtlich ist die Perspektive für die jetzigen Eigentümer nicht mehr so attraktiv, was mit den erwarteten Renditen aus dieser Art der Verwertung des Rohstoffs Braunkohle zu tun hat. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag und sind auf die Berichterstattung der Regierung sehr gespannt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Thiel. - Jetzt spricht für die Fraktion der SPD der Kollege Erben.

Wir begrüßen Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne, unter ihnen auch das Mitglied des Europaparlaments Herr Dr. Schnellhardt.

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich, bevor ich zum Inhalt unseres Antrags komme, zunächst ganz kurz das Wort an den Kollegen Thomas richten. Ich glaube, Zuspitzungen und Polemik sind im Landtag erlaubt und beleben sicherlich auch dieses Haus. Ich glaube aber, dass das für die Begründung unseres gemeinsamen Antrages ein Tick zu viel war.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben keinen Oppositionsbeschimpfungsantrag formuliert, sondern einen Antrag pro Braunkohle.

Ich will auch daran erinnern, dass das heute geänderte Energiekonzept der Bundesregierung vor einem halben Jahr keinen einzigen Satz zur Braunkohle beinhaltete. Es hätte mich interessiert, wie wir das hier gerechtfertigt hätten.

Doch zum Thema. Wenn wir über die Zukunft der Braunkohle reden, dann gehört auch ein Blick in die Vergangenheit dazu. Zu dieser Vergangenheit gehört, dass die Braunkohleförderung wesentlich mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Industrie in Mitteldeutschland verbunden ist. Es gehört aber auch die Erinnerung an den Raubbau dazu, den wir zu DDR-Zeiten in Teilen des Landes erlebt haben. Und es gehört die Erinnerung daran dazu, dass wir in den 90er-Jahren einen tiefen und vor allem auch schmerzhaften Strukturwandel in der Braunkohleindustrie zu bewältigen hatten.

Wir haben es der Tatkraft und auch der Weitsicht einiger weniger Männer zu verdanken, dass es die Braunkohleindustrie in Mitteldeutschland überhaupt noch gibt. Es nenne exemplarisch an dieser Stelle den langjährigen Wirtschaftsminister Klaus Schucht oder auch Professor Dr. Bilkenroth, der zu diesem Zeitpunkt die Mibrag geführt hat.

Heute haben wir ein leistungsfähiges Unternehmen im Lande, das sich wie kaum ein anderes Großunternehmen in diesem Land durch soziale Verantwortung und regionale Verankerung auszeichnet.

Wir reden hier oft und viel über gute Arbeit, tarifvertragliche Entlohnung, Montanmitbestimmung, einflussreiche Gewerkschaften und Betriebsräte - alles Dinge, die sonst in diesem Haus als sehr vorbildlich beschworen werden. Gerade das zeichnet auch die Braunkohleindustrie in SachsenAnhalt aus.

Zum Thema Verstromung. Es ist nicht ganz einfach für die Braunkohleindustrie, insbesondere im Bereich der Verstromung von Braunkohle, die Energiewenden mitzumachen. Wir haben nun einmal in den letzten Jahren, was die Rahmenbedingungen für die Braunkohleindustrie und die Braunkohleverstromung betrifft, ein unerträgliches Hin und Her zu verzeichnen gehabt. Ich bin davon überzeugt - das ist auch der Inhalt unseres Antrages -, dass die Braunkohle gerade wegen des Atomausstiegs eine noch lange notwendige Brückentechnologie in Sachsen-Anhalt sein wird.

(Zustimmung von Frau Budde, SPD)

Wir brauchen hocheffiziente Kraftwerke und wir brauchen eben für diese hocheffizienten Kraftwerke die Umsetzung der EU-Richtlinie, was aber bisher durch die Bundesregierung noch nicht erfolgt ist und auch nicht in dem aktuellen Energiepaket enthalten ist.

Zur stofflichen Nutzung. Der einzige heimische Energieträger, der noch lange ausreicht, ist trotzdem zu wertvoll, um ihn zu verheizen.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Die stoffliche Nutzung hat in Mitteldeutschland eine lange Tradition. Sie geriet aber auch in Verruf, weil die Kohlechemie im letzten Jahrhundert in verrotteten Dreckschleudern produzierte und teilweise ein unverantwortlicher Raubbau an Mensch und Natur betrieben wurde.

Selbst in meiner Heimatregion war dies nicht anders. Es sitzt eine Reihe Abgeordneter hier, die die alten Schwelereien noch kennen und wissen, unter welchen Bedingungen dort gearbeitet und produziert wurde und unter welchen Bedingungen insbesondere anschließend mit dem Schwelwasser umgegangen wurde. Das und andere Hinterlassenschaften sind uns teuer zu stehen gekommen. Auch damals war die Wissenschaft schon weiter. Doch die Mangelwirtschaft führte letztlich dazu, dass die Forschungsergebnisse nicht umgesetzt werden durften.

Die Forschung in der Kohleindustrie wurde abgewickelt. Sie muss heute mühsam wieder erarbeitet werden.

Deswegen unterstützen wir ausdrücklich das initiierte Cluster und das Innovationsforum „Innovative Braunkohle Integration in Mitteldeutschland“; denn es ist aus meiner Sicht eine Chance für mehr Wertschöpfung und nachhaltige Beschäftigung in Sachsen-Anhalt.

Ausgehend von Mitteldeutschland gewinnt dadurch die Braunkohle nach meiner Überzeugung ein neues Image: sauberer. effektiver und kostengünstiger.

Ich bin davon überzeugt, dass die Braunkohle eine Zukunft haben wird. Sachsen-Anhalt wird ein Braunkohleland bleiben. Wir haben die Aufgabe, dafür verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit. Glück auf!