Doch mit der BGH-Entscheidung vom 4. September 2014 ist offensichtlich ein Schlussstrich unter die strafrechtliche Abarbeitung des Todes von Oury Jalloh gesetzt worden. Der Rechtsstaat ist an seine Grenzen gestoßen. Aber deshalb muss uns alle, Landesregierung und Landtag, das gemeinsame Ziel einen, dass so etwas nicht wieder passiert.
Herr Minister Stahlknecht hat soeben umfangreich ausgeführt, welche Maßnahmen die Polizei nach dem Jahr 2005 technisch, organisatorisch und personell ergriffen hat, um solche Vorfälle auszuschließen. Ich möchte diese Maßnahmen nicht wiederholend aufzählen. Ich möchte auf zwei aus meiner Sicht wesentliche Punkte eingehen und diese ergänzen.
Erstens. Nach dem Jahr 2005 ist in den Köpfen der Führungskräfte bei der Polizei, und zwar auf allen Ebenen, die Gewährleistung eines ordnungs
gemäßen und sicheren Gewahrsams als Führungsaufgabe angekommen. Auch der Gesetzgeber hat reagiert; denn mit der jüngsten SOGNovelle haben wir die Videoüberwachung im Gewahrsam klar und eindeutig mit Voraussetzungen benannt und geregelt.
Zum Inhalt des Antrags der Fraktion DIE LINKE, der uns heute vorliegt. Die Frage der Entschädigung war Gegenstand eines Zivilprozesses. Es ist nicht Aufgabe des Landtages, die dortige Entscheidung abzuändern.
Zweitens. Die Polizei hat aus den tragischen Ereignissen des Jahres 2005 - es ist beschrieben worden, dass es wenige Wochen danach in einem anderen Polizeigewahrsam einen weiteren Todesfall gab - umfangreiche Konsequenzen gezogen.
Wir wissen allerdings nicht, welchen Zweck es erfüllen soll, jetzt alle Gewahrsamnahmen in einem Zeitraum von 14 Jahren überprüfen zu wollen. Das erschließt sich uns nicht. Sollten Ihnen tatsächlich Hinweise auf rechtswidrige Gewahrsamnahmen oder auf eine rechtswidrige Praxis in einzelnen Dienststellen vorliegen, so bitte ich darum, diese zu benennen.
Auf Nachfrage des Kollegen Holger Hövelmann haben Sie eingeräumt, dass Sie für die Zeit ab 2005 keine Hinweise darauf haben, dass solche rechtswidrigen Praktiken an den Tag gelegt worden sind oder dass es solche Einzelfälle gab. Ihnen steht außerdem ein umfangreiches Instrumentarium des Parlaments zur Verfügung, um danach zu fragen, um Aufklärung durch die Landesregierung zu verlangen. Aber sich im Ausschuss mit allen Gewahrsamnahmen der letzten 14 Jahre zu beschäftigen erscheint uns der Sache nicht angemessen.
Über die Evaluierung und deren Ergebnisse können wir selbstverständlich im Innenausschuss beraten. Wir können im Ergebnis dieser Evaluierung gegenüber der Landesregierung auch unsere Erwartungen zum Ausdruck bringen. Deswegen werden wir für eine Überweisung des Antrags stimmen. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Erben. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt der Abgeordnete Herr Striegel das Wort. Bitte, Herr Kollege.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Tod von Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeigewahrsamszelle am 7. Januar 2005 ist eine bis heute kaum fassbare Tragöde. Die Vorstellung, dass ein hilfloser, an Händen und Füßen gefesselter Mensch sich selbst angezündet haben
soll und danach elendig verbrannt ist, ohne dass ihm rechtzeitig von diensthabenden Polizeibeamten geholfen worden ist, bestürzt mich und auch die anderen Redner zu diesem Thema heute zutiefst.
Die Umstände des Todes können nur skandalös genannt werden. Der sich daran anschließende Mangel an Aufklärung, maßgeblich verursacht durch das Schweigekartell der damals diensthabenden Polizisten, macht mich traurig und wütend. Dass Angeklagte von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen, ist weder zu kritisieren noch bedenklich. Dass aber eine ganze diensthabende Schicht von Polizistinnen und Polizisten nichts gehört oder gesehen haben will, ist unfassbar.
Richter Manfred Steinhoff hat am Amtsgericht Dessau mit seinem Urteil in erster Instanz zu Recht die massiven Falschaussagen der Beamten kritisiert, die - Zitat - „jede Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren sowie die Aufklärung des Sachverhaltes verhindert“ hätten.
Auch Bundesanwalt Johann Schmid hat im Rahmen der abschließenden Revisionsverhandlung am BGH keinen Zweifel daran gelassen, dass - Zitat - „in Dessau eine Riesenschlamperei passiert ist, die nicht sein kann und nicht sein darf“.
Für diese Riesenschlamperei, für den Tod von Oury Jalloh, trägt das Land Sachsen-Anhalt die Verantwortung, weil es als Dienstherr für das Handeln der an diesem Tag im Polizeirevier Dessau tätigen Beamtinnen und Beamten verantwortlich ist.
Lieber Herr Stahlknecht, lieber Herr Minister! Leider haben nicht alle in der Polizei aus den damaligen Vorkommnissen Lehren gezogen. Wenn Jürgen Naatz von der Gewerkschaft der Polizei und Vorsitzender des Polizeihauptpersonalrats fast zehn Jahre nach dem Tod von Oury Jalloh öffentlich davon spricht, dass sich die Polizei in diesem Fall nichts vorzuwerfen habe, ist das mit dem Wort Ignoranz kaum noch zu beschreiben.
Es ist die Fortsetzung einer unsäglichen Verweigerungshaltung, der Weigerung, Verantwortung zu übernehmen, auch für den institutionellen Rassismus, der um den Tod von Oury Jalloh sichtbar wurde. Ein solcher Satz ist ein Schlag in das Gesicht aller Angehörigen und Freunde von Oury Jalloh.
Mit dieser unsäglichen Attitüde spricht Naatz Gott sei Dank nicht für alle Polizistinnen und Polizisten unseres Landes. Er ist als Polizeihauptpersonalrat aber nicht mehr tragbar und sollte zurücktreten, weil er mit Sprüchen wie diesem dem Ansehen der gesamten Polizei schadet und alle Bemühungen, eine bürgerrechtlich orientierte Polizeikultur zur
Aussagen wie diese beschädigen auch Polizisten, die sich vor Ort in Dessau um eine echte Dialogkultur mit der migrantischen Community bemühen, die in den vergangenen Jahren durch den Tod von Oury Jalloh, die mangelnde Aufklärung und durch vielfach fragwürdige Polizeieinsätze im Kontext mit dort stattfindenden Protesten massiven Schaden genommen hat. Das Vertrauen in eine echte Dialogkultur wächst erst langsam wieder, ein Vertrauen, das im Rechtsstaat notwendig ist.
Menschen, die in Polizeigewahrsam genommen werden, befinden sich in der Obhut des Staates. Das Land Sachsen-Anhalt trägt in dieser Zeit Sorge für ihre körperliche Unversehrtheit. Zu Verletzungen, ja zum Tod im Polizeigewahrsam darf es nicht kommen. Um solche Vorfälle zu verhindern, sind alle notwendigen Mittel zu ergreifen.
aus den Fehlern im Fall Oury Jalloh zu lernen. Sie ist eine deutliche Verbesserung zum vorhergehenden Runderlass.
Ich habe derzeit keine Anzeichen dafür erkennen können, dass in Sachsen-Anhalt systematisch gegen diese Gewahrsamsordnung verstoßen wird, weshalb meine Fraktion dem Ansinnen der LINKEN, alle Fälle seit dem Jahr 2000 zu überprüfen, etwas kritisch gegenübersteht. Wir können den Sinn dieser Mammutaufgabe zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkennen. Wir sehen dafür derzeit schlicht keinen Anhaltspunkt.
Einzelne Aspekte des sachsen-anhaltischen Polizeigewahrsams, wie das seitdem eingeführte elektronische Gewahrsamsbuch, sind von externen Dritten sogar positiv gewürdigt worden.
Ich habe wenig Hoffnung, dass die Umstände des Todes von Oury Jalloh noch aufgeklärt werden können; es sei denn, zum Todeszeitpunkt Diensthabende entschieden sich dafür, endlich reinen Tisch zu machen.
Das anhängige Todesermittlungsverfahren ist dennoch richtig und dokumentiert, dass auch die Staatsanwaltschaft die Vorgänge am 7. Januar 2005 nicht für aufgeklärt hält. Auch wenn nach der Entscheidung des BGH Rechtsfrieden herrscht, scheint Gerechtigkeit in diesem Fall weit entfernt, weil wirkliche Aufklärung unmöglich ist.
Eine Entschädigung ist nun, nach dem Abschluss der gerichtlichen Aufarbeitung und der Feststellung des Gerichts, dass ein Beamter des Landes sich der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hat,
rechtlich möglich und angesichts der Umstände des Todes sowie der danach folgenden Fehler, ja Vertuschungen ethisch geboten. Ich hoffe, dass hierfür Lösungen gefunden werden.
Oury Jallohs Tod kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Es ist zu hoffen, dass aus den Umständen seines Todes zumindest gelernt wird. Dafür war der Polizeigewahrsam zu reformieren. Die Aufarbeitung in der Polizei muss jedoch weitergehen.
Wir brauchen für Fälle, in denen Menschen im Polizeigewahrsam zu Schaden kommen, zwingend eine andere Form der Aufklärung. Wir GRÜNEN plädieren für eine unabhängige Stelle, die in solchen Fällen zwingend externe Ermittlungen aufnimmt. Auch darüber sollten wir im Innenausschuss reden, weshalb ich eine Überweisung dorthin beantrage. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Striegel. - Herr Kollege Wunschinski, habe ich es richtig verstanden, dass Sie Herrn Striegel eine Frage stellen wollen? - Herr Striegel möchten Sie diese beantworten?
Nur zum Verständnis, Herr Kollege Striegel. Habe ich es richtig verstanden, dass Sie gerade den Rücktritt von Herrn Naatz gefordert haben?
Sie haben mich richtig verstanden. Ich halte seine Aussagen für geeignet, die gesamte sachsenanhaltische Polizei zu beschädigen.
(Herr Striegel, GRÜNE, bleibt am Redner- pult stehen - Herr Wunschinski, CDU: Nein, ich war gemeint! - Minister Herr Stahlknecht: Ihr könnt auch zusammen reden!)
- Ein Doppelrednerpult haben wir noch nicht. - Für die CDU hat der Abgeordnete Herr Wunschinski das Wort. Bitte.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Dem Staat erwächst bezüglich der von ihm in Gewahrsam genommenen Personen eine Schutzpflicht. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass den Betroffenen niemand Schaden zufügt und dass sie vor Selbstverletzungen geschützt sind. Diesbezüglich besteht absolute Einigkeit in diesem Haus.
Wir haben ein Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt, das klar die rechtlichen Voraussetzungen für den polizeilichen Gewahrsam regelt und damit den rechtsstaatlichen Erfordernissen Rechnung trägt.
Wird eine Person festgehalten, hat die Polizei nach § 38 SOG unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen. Über die Zulässigkeit und die Fortdauer dieser Freiheitsentziehung nach Artikel 104 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes hat also nur ein Richter zu entscheiden.
Ist die Einholung einer richterlichen Entscheidung vor der Freiheitsentziehung nicht möglich, ist diese unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern herbeizuführen. Der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung bedarf es nur dann nicht, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde. Denn nach Wegfall des Grundes ist die Person, deren Freiheit entzogen wurde, zu entlassen. Der Grundsatz der richterlichen Entscheidung ist hierbei in den Polizeigesetzen aller Länder gleich ausgestaltet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem Tod von Oury Jalloh und Michael Lippert im Jahr 2005 wurden umfangreiche Maßnahmen für den polizeilichen Gewahrsam angewiesen. Eine eigens hierfür eingesetzte Arbeitsgruppe überprüfte alle Gewahrsamsräumlichkeiten in Sachsen-Anhalt. Durch Erlass wurde angewiesen, dass eine lückenlose Dokumentation des Gewahrsams zu erfolgen hat, täglich die Rechtmäßigkeit der Gewahrsamnahme, einschließlich der Dauer und der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung, geprüft und dokumentiert werden muss, jährlich die Gewahrsamsräumlichkeiten überprüft werden und in die Kontrolle auch die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vollzogenen Ingewahrsamnahmen einzubeziehen ist.