Zweitens. Wenn wir nicht auf die Straße gegangen wären, wäre Kohl nicht Kanzler geblieben. Dann hätte ihn die CDU in Bremen „entsorgt“.
Umso mehr bedaure ich - darum habe ich es so gesagt -, dass er nun das Vermächtnis, das er hat, nämlich diese Zeit mitgestalten zu können, selbst kaputtredet. Wir sind überhaupt nicht unterschiedlicher Auffassung darin, dass er in dieser Zeit eine große Leistung vollbracht hat.
Ich hätte mir nur gewünscht, dass es bei den Reden geblieben wäre, und gehofft, dass das, was er vorher, bevor dies an die Öffentlichkeit kam, dazu gesagt hat, auch seine wirkliche Auffassung ist.
Ich beschimpfe niemanden in der CDU, ich bedaure nur, dass der Kanzler der Einheit im Grunde genommen sich selbst und seine geschichtliche Rolle mit diesen Dingen kaputt gemacht hat,
Wir haben also nicht nur die Welt verändert und eine Diktatur gestürzt, sondern wir haben alle auch ein Stück weit Helmut Kohl die Kanzlerschaft gerettet,
Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte haben alle vier Fraktionen dieses Hauses beantragt. Das ist ein Wert an sich.
Es ist deshalb ein Wert an sich, weil die Parteien, die heute die Mitglieder der Fraktionen hier im Landtag stellen, eben keine gemeinsame Geschichte der friedlichen Revolution haben. Damals standen wir auf verschiedenen Seiten: Neues Forum, Bündnis 90 und SPD auf der einen und die Blockparteien auf der anderen Seite. Damit meine ich nicht die Menschen, ich habe das vorhin extra gesagt.
(Widerspruch bei der CDU - Herr Schwenke, CDU: Katrin, was machst du denn für eine Geschichtsfälschung hier? Leute!)
- Wigbert, wenn du mir zuhören würdest, dann würde dir klar: Damit habe ich nicht die Menschen gemeint. Ich habe vorhin gleich am Anfang gesagt, auf der Straße waren auch sehr viele Mitglieder der damaligen Blockparteien. Ich habe nur gesagt, die Parteien standen damals auf unterschiedlichen Seiten, und das stimmt.
Wir müssen mit unserer Geschichte der SPD leben und die anderen Parteien müssen mit der Geschichte ihrer eigenen Partei leben; das ist so.
Trotzdem bewerte ich persönlich den gemeinsamen Antrag als gemeinsames Bekenntnis zur Demokratie gegen Diktatur und Unterdrückung. Dieses Bekenntnis ist für uns das Vermächtnis der friedlichen Revolution.
Ein anderes Vermächtnis ist die Erkenntnis, dass weniger als 5 % der Bevölkerung viel bewegt haben. Diese Erinnerung, dieses Bewusstsein sollte uns auch heute in unserem gesellschaftlichen und politischen Handeln motivieren. Mit „uns“ ist das große „uns“ gemeint: alle Bürgerinnen und Bürger.
„Wir sind das Volk!“, „Wir sind ein Volk!“ - die Volksherrschaft funktioniert nur, wenn sich das Volk beteiligt. Das gilt auch noch 25 Jahre danach. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als Nächste spricht in der Aussprache zur Aktuellen Debatte für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordnete Lüddemann.
Doch zuvor darf ich Gäste im Hause begrüßen. Wir begrüßen Schülerinnen und Schüler des Dr.-Frank-Gymnasiums Staßfurt. Herzlich willkommen im Landtag von Sachsen-Anhalt!
Ich möchte in dieser Debatte aber noch einen Schritt weitergehen: Wir müssen die Vergangenheit nicht nur kennen, sondern wir müssen verantwortungsvoll mit ihr umgehen. Wir müssen uns mit ihr auseinandersetzen.
Als Politikerinnen und Politiker haben wir dazu eine besondere Verpflichtung. Wir haben die Pflicht, diesen Prozess zu moderieren, den Umgang mit der Vergangenheit zu gestalten.
Dass heute alle vier Fraktionen dieses Hohen Hauses diesen Antrag auf Durchführung der Aktuellen Debatte gemeinsam eingebracht haben, ist für mich ein positives Zeichen; denn hinter diesen vier Fraktionen stehen vier sehr unterschiedliche Parteien. Ich sehe das positiv, da ich es so interpretiere, dass sich alle gleichermaßen ihrer Vergangenheit und der Verantwortung, die daraus erwächst, stellen müssen.
Jeder hat dazu etwas beizutragen. Jede Gruppierung ist Teil - nicht unserer gemeinsamen, aber unserer Geschichte.
Aufgrund der direkten Wurzeln meiner Partei bei den Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern, bei den Umweltaktiven in der DDR fühlen wir uns, wenn es um Fragen der DDR-Aufarbeitung geht, in besonderer Weise angesprochen. Ich will ganz deutlich sagen: Diese DDR-Aufarbeitung, wie sie immer subsumiert wird, ist für mich deutlich mehr als der Umgang mit Stasi-Akten.
Es geht auch darum, dass wir Fragen klären, die noch lange nicht beantwortet sind: Wie sind wir mit den Schwulen in der DDR umgegangen? Was war tatsächlich Gleichberechtigung in der DDR? Was hat die Treuhand auf dem Gebiet der ehemaligen DDR tatsächlich geleistet? - Es gibt viele andere Fragen mehr.
Staatliche Willkür und das Vorenthalten individueller Freiheitsrechte in der DDR müssen als solche anerkannt werden. Doch Aufarbeitung ist dabei kein Selbstzweck.
Wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt werden auf unserem kleinen Parteitag im November 2014 über ein Papier beraten, in dem es um das Anerkenntnis dessen geht, was in der DDR geschehen ist, aber auch darum, einen Prozess der Versöhnung zu gestalten.
Ich habe es vorhin bereits gesagt und wiederhole es: Politik hat die Verpflichtung, hierfür den Rahmen zu geben, damit Verzeihen im Einzelfall - das geht wirklich nur im individuellen Einzelfall - möglich ist.
Vielleicht mussten 25 Jahre vergehen, um in Sachen Aufarbeitung einen deutlichen Schritt weiterzukommen.
Auf Bundesebene hat mich dabei der diesjährige Bericht zum Stand der deutschen Einheit positiv gestimmt. Er eröffnet erstmals einen völlig neuen Diskurs - hin zur Anerkennung der Biografien in der DDR, zur Würdigung der Lebensleistung der DDR-Bürgerinnen und -Bürger und weg vom reinen Messen des Wertes der deutschen Einheit in verbauten Betonkilometern.
Auch wir in Sachsen-Anhalt führen eine Debatte, beispielsweise über die Frage, wie wir den Umgang mit der sogenannten Stasi-UnterlagenBehörde inhaltlich weiterentwickeln können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Menschen in ungeahnter und diktaturbrechender Weise im Jahr 1989 auf die Straße gegangen sind, war das Ergebnis von sehr viel Mut. Aber es war kein spontanes Ereignis, sondern ein Ereignis, das Ergebnis jahrelangen Vorlaufs und sehr starker Motive war.