Das Sozialministerium ist für die strategische Umsetzung und für die Koordination zuständig, damit das ressortübergreifend gehandhabt wird. Wir haben auch einen Inklusionsausschuss eingerichtet.
Darüber hinaus unterstützen wir die Kommunen bei eigenen Aktionsplänen - das machen einige Kommunen schon. Für die Unterstützung der Landkreise und kreisfreien Städte haben wir Mittel aus der neuen Strukturfondsperiode vorgesehen. Dafür werden 18,7 Millionen € zur Verfügung gestellt.
Die Meilensteine der Teilhabepolitik der vergangenen Jahre haben bei den meisten von uns einen Bewusstseinswandel eingeleitet. Wir diskutieren viel darüber - auch in den Ausschüssen -, hauptsächlich wenn es um Schule geht.
Das ist auch richtig so; denn vieles werden wir nicht einfach übers Knie brechen können. Vieles braucht Zeit und Akzeptanz; denn die eigentlichen Herausforderungen stehen uns noch bevor, zum Beispiel bezüglich der Frage: Akzeptieren wir die Herausforderungen von Inklusion wirklich?
Oder: Wie begegnen wir einem autistischen Kollegen, der in seinem Aufgabengebiet vorbildliche Leistungen erbringt?
Oder: Wie begegnen wir Eltern, die nicht akzeptieren, dass neben ihrem Kind ein gelähmter Schüler sitzt, der mit den Bewegungen seinen Augen, unterstützt durch assistive Technik, kommuniziert?
Sie werden merken, das ist ein Prozess, den man nicht einfach so, schon gar nicht mit Repressalien, verordnen kann. Dabei müssen wir die Menschen mitnehmen. Das gilt auch für die berufliche Orientierung, für die Ausbildung, für Menschen mit Behinderungen bei der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Das sind Schwerpunkte unserer Bemühungen.
Es ist leider immer noch so, dass manche Arbeitgeber die Potenziale von behinderten Arbeitnehmern nicht erkennen, vielleicht auch deshalb, weil Vorbehalte existieren. Diese abzubauen, ist ein langwieriger Prozess.
Wir fördern die Teilhabe am Arbeitsleben mit der Umsetzung der sogenannten Initiative Inklusion, mit dem Arbeitsmarktprogramm „Arbeitsplätze für besonders betroffene schwerbehinderte Men
schen“ und mit dem Landesprojekt „Unterstützung des Übergangs von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Werkstatt für Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt“; bei Letzterem gibt es ja die zwei Integrationsprojekte.
Dass der demografische Wandel uns, die neuen Länder, besonders betrifft - Sachsen-Anhalt insbesondere aufgrund der Bedingungen, die nach der Wende hier gegeben waren, als nicht nur die Geburtenrate unten war, sondern auch viele junge Menschen weggingen -, ist etwas, womit wir lernen müssen umzugehen. Wir müssen lernen, die Chancen zu sehen und zu nutzen.
Denn dass wir älter werden - das betone ich immer wieder; ich glaube, das gilt für alle in diesem Hohen Hause -, ist eine Errungenschaft. Deshalb sollten wir fröhlich sein und tanzen. Das ist ein Traum jedes Menschen. Das Älterwerden ist mit Sicherheit auch auf verbesserte Lebensbedingungen,
weniger Umweltverschmutzung, moderne Medizin und darauf, dass Menschen bewusster leben, zurückzuführen.
Für immer mehr Menschen geht der Traum in Erfüllung, den Lebensabschnitt nach der Berufstätigkeit bei relativ guter Gesundheit noch viele Jahre aktiv zu gestalten. Aber wenn Menschen das Wort „Demografie“ hören, verbinden sie das mit Angst vor Verlusten. Im ländlichen Bereich spürt man das besonders deutlich. Viele fürchten das Wegbrechen wichtiger Strukturen vor Ort. Junge Menschen ziehen weg, ältere bleiben, Häuser verwahrlosen und das örtliche Leben erlahmt.
Man kann das so sehen und mit den Schultern zucken. Man kann aber auch vor Ort überlegen, welche Formen des Zusammenlebens erhalten werden können, weil die Bewohner selbst ein Interesse daran haben, im ländlichen Bereich zu leben. Da gibt es eben viele Vorteile; sonst würden nicht die meisten Menschen im ländlichen Bereich leben und leben wollen.
In vielen Fällen ist es vielleicht nicht möglich, einen festen Lebensmittelladen wirtschaftlich zu betreiben oder den Bus regelmäßig überall halten zu lassen. Aber - das ist alles Überlegung - man kann die Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur mit individuell und gemeinschaftlich getragenen Initiativen sinnvoll unterstützen und verknüpfen.
Wir sollten das moderieren und honorieren, zum Beispiel wenn sich Menschen zusammenfinden, um den Schülerverkehr so zu organisieren, dass dieser zur nächstgelegenen Haltestelle möglich ist. Es gibt im Land genügend Beispiele dafür, dass das im Rahmen von ehrenamtlicher Arbeit oder bürgerschaftlichem Engagement von denjenigen, die dafür Zeit haben, genutzt wird.
Man kann sich auch fragen, ob man Kirchen, die ja da sind, die wir mit Mitteln, oft mit Lotto-TotoMitteln, mitfinanzieren, nicht nur für gottesdienstliche Dinge nutzt, sondern auch, weil viele es unterstützen, dass die Kirche im Ort bleiben muss, für andere Dinge, für Veranstaltungen, öffnet. Manchmal wird das schon gemacht wird.
Man kann sich fragen, ob man Arztpraxen schafft, die integrierte Arztpraxen sind, in denen auf einmal mehr als vorher Angebote sind, weil auch Fachärzte dort tätig sein können, wenn auch nur tage- oder stundenweise.
Wichtig ist auch: Wir brauchen gerade im ländlichen Bereich eine funktionsfähige Breitbandversorgung, damit ältere Menschen noch viel besser als im städtischen Bereich mit dem Internet umgehen. Da ist die Frage: Kann man vielleicht Computerkabinette in den Schulen in der unterrichtsfreien Zeit für so etwas nutzen?
keinen Fall vorgreifen. Aber die Überlegungen müssen vor Ort kommen, weil man das von oben gar nicht verordnen kann.
Jeder von uns kennt zur Genüge die Darstellung der demografischen Entwicklung. In Sachsen-Anhalt wird in den kommenden zehn Jahren die Bevölkerung auf unter zwei Millionen Einwohner sinken. In der Folge werden wir uns großen Herausforderungen stellen müssen, um die Teilhabechancen zu erhöhen.
Schon allein die Frage der Wohninfrastruktur oder der Beachtung der Barrierefreiheit und der Nutzbarkeit für alle ist wichtig. Unsere Verkehrsinfrastruktur muss nicht nur äußerst flexibel, sondern zwingend auch barrierefrei ausgestaltet sein, damit sie von Schulkindern, von Senioren und von Menschen mit Beeinträchtigungen genutzt werden können.
Wir müssen universelle Bildungsangebote machen, die von frühkindlicher Bildung bis zum lebenslangen Lernen bis ins hohe Alter hinein reichen müssen, Arbeitsplätze und Arbeitsstätten barrierefrei ausgestalten und das betriebliche Gesundheits- und Eingliederungsmanagement verbessern, um nur einige Themen zu nennen.
Meine Damen und Herren! Ich bin guten Mutes, dass wir diese Herausforderungen meistern können; denn wir haben gute Voraussetzungen, um der Teilhabe aller auch unter den Bedingungen des demografischen Wandels gerecht zu werden. Wir verfügen in Sachsen-Anhalt vor allem auch über ein dichtes Netz an Angeboten der Teilhabe und der Rehabilitation.
An diesem Punkt muss man sagen: Wir haben vielleicht in den letzten Jahren sehr viel in Beton gegossen. Wir haben Krankenhäuser, Pflegeheime, Behinderteneinrichtungen in großer Zahl gebaut. Wir haben versucht, damit die Teilhabe und die Rehabilitation in unseren dünn besiedelten Flächen zu sichern. Diese müssen wir weiterentwickeln.
Wir wissen, dass Menschen, wenn sie älter werden, viel lieber zu Hause bleiben. Die letzte Möglichkeit, dass viele Menschen sagen, wenn gar nichts mehr geht, muss ich ins Pflegeheim, muss nicht die letzte Antwort sein. Denn wir haben ja nicht nur Kinder - dazu komme ich gleich noch -, die vielleicht nicht mehr vor Ort sind, weil sie in die Welt ziehen. Wir haben hier Freunde, Nachbarschaften und Ähnliches, die man so organisieren kann, dass die Älteren noch etwas Sinnvolles tun können, wenn sie die anderen unterstützen, und dass sich diejenigen, die auf Hilfe angewiesen sind, sich gerade im ländlichen Bereich gegenseitig unterstützen können. Dafür brauchen wir Möglichkeiten, wofür sich dieser Sozialraum öffnen
Die Verwirklichung des menschenrechtlichen Ansatzes der Teilhabe setzt eine übergreifende sozialgesellschaftliche Strategie voraus. Bedingung für das Gelingen einer ressortübergreifenden menschenrechtsorientierten Teilhabestrategie ist die Überwindung des Umstandes, dass jeder nur für sich denkt, jeder nur für sein Ressort denkt - das gilt übrigens auch für mein Ressort -, dass wir es also gemeinsam tun.
Denn es ist schon die Frage, wie wir mit dem Bereich Bildung umgehen. Wenn wir die Schulen erhalten wollen, können sie noch anderweitig genutzt werden. Wir haben Volkshochschulen. Manchmal sind beide Schultypen wenig ausgelastet. Wie kann man das sinnvoll mit anderen Dingen verknüpfen, damit alle einen Vorteil davon haben?
Das gilt für viele andere Bereiche auch, wo wir sagen, wenn sie für möglichst viele genutzt werden können und barrierefrei sind, lassen sich Synergieeffekte erzeugen, die am Ende eher preiswerter sind und das Leben untereinander bereichern.
Ein gutes Beispiel ist auch, dass der Landtag nach langer Diskussion beim Familienfördergesetz gesagt hat, die Beratungsstellen sollten integriert laufen. Wenn Familienberatungsstellen, Schuldner- oder Suchtberatungsstellen isoliert nur jeweils ihre Klientel betreuen, bringt das nichts, weil die Probleme in jeder Familie komplex sind. Über den Vorschlag, die Beratungsstellen gemeinsam zu führen, ist im Landtag beraten worden; das war auch ein Vorschlag der Wohlfahrtsverbände. Das ist ein Punkt, bei dem wir gar nicht so groß über Inklusion geredet haben. Das ist aber ein inklusiver Ansatz, der viele mitnimmt.
Ich finde, Teilhabe ist für alle möglich. Deshalb möchte ich Sie bitten, an der Verwirklichung einer universellen Teilhabestrategie für das Land mitzuarbeiten.
Viertens. Die letzte These: Teilhabe für alle ist von großem Nutzen für alle und eine Aufgabe für alle.
Wir sind auf eine soziale Infrastruktur angewiesen, die uns die Erfüllung von Grundbedürfnissen ermöglicht, zum Beispiel in den Bereichen Wohnung, Ernährung, Gesundheit und Bildung. Dafür gibt es Rahmenbedingungen, die wirtschaftliches Handeln und Daseinsvorsorge ermöglichen. Soziale Sicherungssysteme stellen ein Mindestmaß an Dienstleistungen und materiellen Ressourcen zur Verfügung, um menschenwürdig zu leben und am ge
Stärker als bisher wird bei der Bereitstellung von Angeboten danach gefragt. Ich bin überzeugt, wir sollten bei all unseren Konzepten, bei allem, was wir an Strategien überlegen, was wir an Erlassen, an Konzeptionen machen, und zwar in allen Bereichen, nicht nur im sozialen Bereich, sondern auch im wirtschaftlichen Bereich - da habe ich noch ein paar Beispiele -, überlegen, ob diese von vielen Bürgerinnen und Bürgern genutzt werden können.
Das muss eigentlich die erste Frage sein, nicht ob es einer bestimmten Personengruppe isoliert nutzt. Erst einmal muss gefragt werden, ob es allen nutzen kann und ob sich dieses Angebot an Jüngere und Ältere, an Frauen oder Männer gleichermaßen richtet, ob Menschen mit Einschränkungen, Handicaps oder ohne Einschränkungen daran teilhaben können.
Nur wenn die jeweilige Maßnahme viele Menschen, nicht nur eine bestimmte Gruppe, erreicht, kann sie weiter in die Überlegungen einbezogen werden, natürlich mit der Einschränkung, dass wir Sondersysteme noch für lange Zeit brauchen, manche vielleicht für immer. Wenn wir Sondersysteme für immer brauchen, ist es wichtig, dass sie Anknüpfungspunkte für die Angebote haben, die für alle gelten.
Jetzt bringe ich einmal ein paar Beispiele, bei denen mir der Mund offen stehen geblieben ist, weil ich das so nicht wahrgenommen habe -: Wir leben eigentlich schon längst in einer inklusiven Gesellschaft und merken es manchmal nicht.
Zum Beispiel gibt es in Sachsen-Anhalt Orte, in denen die Bordkanten der Bürgersteige weg sind. In Benndorf, meinem Heimatort, gibt es die nicht mehr. Das geht einwandfrei. Man kommt mit einem Kinderwagen hoch. Man kommt gut mit einem Fahrrad hoch. Man kommt gut mit einem Rollstuhl hoch. Man braucht die Bordsteinkanten eigentlich nicht mehr. Ich weiß gar nicht, warum man die Kanten überhaupt hat. Das ist frappierend, weil alle, übrigens auch die Personen mit einem Rollkoffer, einen riesigen Vorteil haben, wenn die Kanten weg sind.
Für mich ist der Rollkoffer auch ein typisches Beispiel. Als vor zehn Jahren die ersten Personen mit einem Rollkoffer gegangen sind, habe ich gesagt, ich nehme so ein Ding nie in die Hand, das ist etwas für die Älteren; damals hätte ich mich geschämt. Heute läuft jeder Student mit einem Koffer mit vier Rollen so durch die Gegend.
Das ist nicht mehr diskriminierend. Wir nutzen diese Koffer schon. Am Anfang waren diese Koffer eigentlich für ganz andere gedacht.
Oder: Den Rollator - das ist für Ältere schon fast ein bisschen diskriminierend - brauchen die Älteren zum Festhalten, aber auch dafür, etwas zu transportieren oder sich daraufzusetzen. Es gibt jetzt die Entwicklung oder Idee von Studenten, Rollkoffer entsprechend zu nutzen.
Es gibt bereits einen Rollkoffer, den man umbauen kann, an dem ein Verschluss für eine Sitzvorrichtung ist, auf die man sich setzen kann. Man kann sich darauf zum Beispiel auf einem Bahnsteig hinsetzen. Man kann den Koffer auch so gestalten, dass er, wenn die Griffe eingefahren sind, nicht wie ein Rollator aussieht. Man kann diese Koffer aber auch wie Rollatoren nutzen. Ich bin überzeugt, dass wir in fünf, sechs Jahren genauso herumlaufen werden, weil das eine Sache ist, die für alle nutzbar ist.