Protokoll der Sitzung vom 30.01.2015

(Herr Miesterfeldt, SPD: Gottlob!)

Ich denke, das ist an dieser Stelle auch eine.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Herr Mies- terfeldt, SPD: Gottlob!)

Ich bin zutiefst davon überzeugt davon, dass die Erfolge - wir haben gerade im Kindergartenbereich versucht, das Bildungsprogramm in diese Richtung umzustellen - umso größer sind, je mehr man den Menschen zutraut, je mehr man den Menschen an Wissen an die Hand gibt und je mehr man ihnen Eigenverantwortung gibt. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir, wenn wir die Hartz-IV-Empfänger nicht immer mit diesem Einbestellen, mit diesen ganzen Formalitäten nerven würden,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zuruf von den GRÜNEN: Ja! - Oh! bei der CDU - Zuruf von der SPD: Was?)

wenn wir ihnen wirklich aufzeigen könnten, in welche Richtungen sie sich entwickeln könnten, mehr erreichen würden als jetzt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Zurufe von der CDU)

Wir fahren - -

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Die Debatte nimmt an Fahrt auf. Das ist im Plenarsaal nicht schlimm, sondern oft wünschenswert. Als nächster Redner spricht für die Fraktion der SPD der Kollege Steppuhn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es hat manchmal etwas Gutes, wenn man als letzter Redner in die Debatte

einsteigt. Vor dem Hintergrund dessen, was man jetzt gehört hat, fand zumindest ich es schon etwas abenteuerlich, was uns die Opposition versucht hat mit auf den Weg zu geben.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Abenteuerlich auch deshalb - ich sage das sehr deutlich -, weil die Opposition gerne einmal mit der SPD in diesem Land regieren möchte. Dazu muss man sagen: Sie müssen noch ein bisschen an Ihrer Regierungsfähigkeit arbeiten, gerade auch im Bereich der Arbeitsmarktpolitik.

(Beifall bei der SPD)

Aber es ist ja noch ein bisschen Zeit.

(Herr Borgwardt, CDU: Nicht mehr lange!)

Sehr geehrte Frau Dirlich, ich habe mir bei Ihrer Rede drei Begrifflichkeiten aufgeschrieben: Nostalgie, Vergangenheit und rückwärtsgewandt. So würde ich Ihre Rede zusammenfassen.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Sie haben nur eine einzige Forderung richtig aufgestellt, die lautete, es solle eine Mindestsicherung ohne Sanktionen geben. Das kann man sicherlich fordern. Aber ich erwarte eigentlich, wenn man hier gemeinsam über Arbeitsmarktreformen und zehn Jahre Hartz IV diskutiert, dass man sich dann ein paar mehr Gedanken macht, auch über die Herausforderungen in der Zukunft.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Ich sage sehr deutlich: Auch für uns ist Hartz IV nie in Stein gemeißelt gewesen. Arbeitsmarktpolitik ist auch nichts, was statisch ist, sondern Arbeitsmarktpolitik muss ständig weiterentwickelt werden.

Klar ist auch, dass wir heute ganz andere Voraussetzungen und andere Zustände haben, als dies noch vor zehn Jahren der Fall gewesen ist. Wir haben heute auf der einen Seite eine verstetigte Langzeitarbeitslosigkeit. Ich sage sehr deutlich: Wir müssen um jeden langzeitarbeitslosen Menschen kämpfen, damit wir ihn in den Arbeitsmarkt integrieren. Wir brauchen auch einen sozialen Arbeitsmarkt, gar keine Frage.

Wir haben auf der anderen Seite eine Fachkräftesicherung zu betreiben und dafür Sorge zu tragen, dass wir nicht nur junge Menschen mit Ausbildung und Beruf versorgen, sondern dass wir auch den Fachkräftebedarf in den Unternehmen für die Zukunft sicherstellen. Darauf erwarte ich mir Antworten. Die Menschen erwarten von uns, dass wir auf diese Fragen eine Antwort geben und nicht nur sagen: Wir wollen eine Mindestsicherung ohne Sanktionen. - Vielmehr müssen wir sagen, wohin sich der Arbeitsmarkt für die Zukunft entwickelt.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte dieser Debatte gerecht werden und drei Punkte ansprechen, die sehr wichtig sind.

Wir diskutieren im Moment sehr stark über den Mindestlohn. Ich glaube, ein Systemfehler von Hartz IV ist gewesen, dass wir nicht schon damals eine Lohnuntergrenze geschaffen haben; denn dadurch konnte sich der Niedriglohnsektor erst ausbreiten.

(Zustimmung bei der SPD)

Heute haben wir den Mindestlohn. Dies hat zwar ein bisschen länger gedauert, aber das lag ja nicht an uns allein.

(Zuruf von Herrn Lange, DIE LINKE)

Ich glaube, der Mindestlohn wird, gerade was den Niedriglohnsektor angeht, für Korrekturen auf dem Arbeitsmarkt sorgen. Die Debatte, die im Moment stattfindet, nämlich ob man auch bei Minijobs Dokumentationspflichten einführt, ist genau der Punkt, worum es geht. Wir haben Minijobs gehabt, deren Zahl sich ausgedehnt hat. Überall gab es Minijobs, sogar bei Fußballern, wie wir jetzt gehört haben.

Vor der Einführung des Mindestlohns hatten wir die Situation, dass man für 450 € so lange gearbeitet hat, wie man sollte. Wenn wir jetzt einen Stundenlohn von 8,50 € als Lohnuntergrenze haben, dann ergeben sich bei einer Begrenzung auf 450 € die Stunden automatisch. Insofern wird sich die Frage der Minijobs, auch was die Ausweitung angeht, in der Zukunft wahrscheinlich ein Stück weit korrigieren.

Ich glaube, die Einführung des Mindestlohns war eine richtige Entscheidung. Alle diejenigen, die jetzt über die Dokumentationspflichten schimpfen, sollten akzeptieren, dass man einen Mindestlohn natürlich nur dann kontrollieren kann, wenn es diese Dokumentationspflichten gibt.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte einen weiteren Punkt nennen. Es war auch von Fördern und Fordern die Rede. Auch dies hat im Zusammenhang mit Hartz IV ein bisschen zur Enttäuschung der Menschen geführt, gerade als Hartz IV eingeführt worden ist. Ich halte Fördern und Fordern für richtig.

Aber wir haben vor mehr als zehn Jahren und danach bei uns im Land, aber auch in ganz Ostdeutschland die Situation gehabt, dass Arbeitsplätze in den Betrieben weggebrochen sind. Viele Strukturen gab es nicht mehr. Damals konnte man fördern, was man wollte, aber man konnte den Menschen am Ende keinen Arbeitsplatz anbieten.

Diese Situation ist heute anders. Deshalb habe ich großes Verständnis dafür, dass die Menschen, die das damals erlebt haben - sie haben zwar Lehrgänge beim Arbeitsamt bzw. bei der Arbeitsagentur gemacht; aber man konnte ihnen nachher kei

nen Job geben -, ein Stück weit enttäuscht waren und auf die Straße gegangen sind. Das war aber eine spezielle Situation. Heute haben wir eine andere Situation: Wir brauchen Fachkräfte und haben eine verstetigte Langzeitarbeitslosigkeit. Dies muss entsprechend zusammengebracht werden.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Wir haben auch die Situation - da besteht noch Handlungsbedarf für die Zukunft -, dass Hartz IV bei der Einführung aus meiner Sicht nicht genügend differenziert gewesen ist. Es gibt Menschen, die auch schon zu DDR-Zeiten jahrzehntelang gearbeitet haben und dann im System Hartz IV genauso behandelt worden sind wie Menschen, die gar nicht gearbeitet haben. Das war ebenfalls ein Systemfehler. Deshalb müssen wir uns auch darüber Gedanken machen, wie diejenigen, die ihre Leistung für die Gesellschaft am Arbeitsplatz gebracht haben, auch beim Arbeitslosengeld I in Zukunft anders behandelt werden.

Meine Damen und Herren! Man kann miteinander viel über Arbeitsmarktpolitik diskutieren. Aber ich glaube, es ist heute mehr denn je wichtig, dass wir auch Antworten für die Zukunft geben.

Bei Hartz IV war vom Ansatz her nicht alles verkehrt. Darüber muss man offen reden. Vieles war gut. Es hat aber auch Mängel und Fehler gegeben, die man korrigieren konnte. Die SPD ist ja eine lernfähige Partei.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Von daher muss man auch mit Kritik umgehen können.

Wir haben immer die Chance, Dinge durch Politik zu verändern. Manchmal dauert dies eben etwas länger, wie zum Beispiel beim Mindestlohn.

Meiner Ansicht nach war es im Nachhinein gesehen richtig, dass wir damals die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengelegt haben. Dadurch ist doch der ganze Sozialhilfebereich erst einmal sichtbar geworden. Erst dadurch konnte man sich auch um die Menschen kümmern, die damals in der Sozialhilfe waren. Die Menschen hatten zum ersten Mal überhaupt eine Chance, auf dem Arbeitsmarkt sichtbar zu werden.

Ich glaube, dieses Sichtbarmachen von Armut und von Menschen, die langzeitarbeitslos sind, hat unserer Gesellschaft gutgetan. Man konnte sich nämlich um die Menschen kümmern. Ich hatte erst gestern mit Krimhild Niestädt ein Gespräch zu diesem Thema.

Viele verdrängen heute, dass man sich damals insbesondere um junge Menschen gekümmert und sie in Ausbildung und Arbeit gebracht hat. Man hat sich intensiv um junge Sozialhilfeempfänger und Hartz-IV-Empfänger in den Familien gekümmert.

Es war ein Erfolg, dass das damals so gemacht worden ist.

Auf solche Sachen kann man mit Recht stolz sein. Wenn man miteinander über den Arbeitsmarkt redet - das ist auch immer ein Stück weit Sozialpolitik -, dann muss man alle Facetten betrachten und daraus den Handlungsbedarf ableiten.

Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der wichtig ist. Herr Minister Bischoff hat ihn bereits angesprochen. Dieser Begriff ist hier mehrmals gefallen. Wir haben keine Bürgerarbeit mehr, was schade ist. Es gibt jetzt zwar Programme auf Bundesebene, die besagen, dass wir wieder mehr für Langzeitarbeitslose tun müssen. Dies allein wird aber nicht ausreichen.