Für die Landesregierung spricht als Einbringerin die Ministerin für Justiz und Gleichstellung Frau Professor Dr. Kolb.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir blicken in diesem Jahr auf 25 Jahre Rechtsstaat zurück. Das gibt mir im Zusammenhang mit der Einbringung des Gesetzentwurfes über die Justizvollzugsanstalten in Sachsen-Anhalt Gelegenheit, zurückzublicken und darzustellen, wie sich der Strafvollzug über die letzten 25 Jahre verändert hat. Es ist eine Gelegenheit, Bilanz zu ziehen zu Fragen wie: Was hat sich verändert? Was haben wir erreicht? Aber auch: Wo wollen wir hin?
Ich bin froh, dass wir heute neben dieser Debatte über die Strukturen im nächsten Tagesordnungspunkt über die inhaltlichen Konzepte reden. Wir verstehen das als ein Gesamtkonzept. Im Rahmen einer Weiterentwicklung eines modernen Strafvollzuges sind aus meiner Sicht beide Dinge zu berücksichtigen.
Ich freue mich auch, dass heute Kollegen aus der Justizvollzugsanstalt Dessau-Roßlau hier sind. Deshalb auch aus meiner Sicht noch einmal: Herzlich Willkommen auf der linken Besuchertribüne!
Wir haben mit der Wende eine absolut kleinteilige Vollzugslandschaft übernommen: kleine, überalterte Vollzugsanstalten, beispielsweise - daran können sich in diesem Hohen Haus die Wenigsten noch erinnern - in Thale, in Athensleben, in Bitterfeld, in Halberstadt, in Stendal, in Eisleben, daneben die größeren Anstalten in Halle, Naumburg, Dessau, Volkstedt und Raßnitz.
Meine Vorgänger im Amt haben schnell erkannt, dass dies aus Gesichtspunkten des Vollzugs, aber auch unter finanziellen Aspekten den Anforderungen nicht mehr entspricht und dies keine effizienten Strukturen sind. Deshalb gab es Anfang der 90er-Jahre eine erste Schließungswelle. Die Anstalten in Althensleben, Bitterfeld, Raßnitz und Thale sind geschlossen worden.
In den Folgejahren war die Entwicklung im Hinblick auf Reformen sowohl durch Konzentration als auch durch Modernisierung gekennzeichnet. Seit 2002 haben wir eine moderne Jugendanstalt in Raßnitz. Die Jugendstrafe kann in einer der modernsten Anstalten der Bundesrepublik vollzogen werden.
strafvollzug und einer Prognose, die davon ausging, dass ein Bedarf von mehr als 3 000 Haftplätzen besteht und dass die Bedingungen auch im Erwachsenenstrafvollzug durch den Neubau einer Anstalt verbessert werden müssen.
Sachsen-Anhalt ist hierbei mit dem PPP-Modell neue Wege gegangen. Eine meiner ersten Amtshandlungen nach 2006 war die Vorbereitung und Umsetzung des von meinem Vorgänger vorbereiteten Vertrages über den Neubau der JVA in Burg, die 2009 mit 650 modernen Haftplätzen eröffnet wurde.
Die Entwicklung des Strafvollzuges ist in den letzten 25 Jahren Folge von notwendigen Reformen, die unterschiedliche Ziele verfolgt haben. Zunächst ging es um die Schaffung ausreichender Haftplatzkapazitäten, weil seit Anfang der 90er-Jahre die Gefangenenzahlen zunächst angestiegen sind. Im Hinblick auf Vorfälle in den Justizvollzugsanstalten bestand das Ziel darin, mehr Sicherheit auch für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen und bessere Behandlungskonzepte, um eine Resozialisierung entsprechend dem Gesetzesauftrag umsetzen zu können.
Mit dem Gesetz über die Justizvollzugsanstalten in Sachsen-Anhalt vom Februar 2009 haben wir einen weiteren wesentlichen Schritt zur Modernisierung der Vollzugslandschaft getan. Zu diesem Zeitpunkt ist bereits feststellbar gewesen, dass sich die Rahmenbedingungen wiederum geändert haben. Aufgrund neuer Justizvollzugsanstalten und rückläufiger Gefangenenzahlen gab es mehr Haftplätze, als benötigt wurden. Wir haben dann festgestellt, dass die Kapazitäten im personellen Bereich nicht ausreichen, um die Vielzahl von kleinen Standorten mit dem notwendigen Personal auszustatten.
Wir haben auch anhand konkreter Anstalten festgestellt, dass der Sanierungsaufwand bei einzelnen Anstalten sehr hoch ist. Ich erinnere daran, dass uns das Dach in Stendal im Hinblick auf die Standfestigkeit in einem Winter so überrascht hat, dass wir ganz schnell eine Lösung finden mussten.
Diese Schritte waren nicht nur zwingend notwendig, um der Entwicklung der Gefangenenzahlen gerecht zu werden. Wir mussten auch den stark sanierungsbedürftigen, bis zu 170 Jahre alten Anstalten Rechnung tragen und auch im Hinblick auf die Rahmenbedingungen mit dem zur Verfügung stehenden Personal die Sicherheit an den einzelnen Standorten gewährleisten.
Ich muss Ihnen an der Stelle nicht noch einmal erläutern, was Strafvollzug bedeutet. Wir haben sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr Sicherheit zu gewährleisten.
Deshalb müssen wir feststellen, der Haushalt lässt die Sanierung aller Standorte nicht zu. Die klein
teilige Struktur der Justizvollzugsanstalten ist personalintensiv. Wir müssen auch feststellen - dazu kommen wir noch in der anschließenden Debatte -, dass die neuen Anforderungen an einen auf Therapie gerichteten Behandlungsvollzug eben nicht in kleinen Anstalten so umgesetzt werden können, wie wir uns das vorstellen.
Wir haben uns im Rahmen des Koalitionsvertrages vorgenommen, dass wir den Strafvollzug weiter konzentrieren. Das ist durch einen Beschluss der Landesregierung noch einmal gefestigt worden, wo beschlossen worden ist, dass der Standort in der Wilhelm-Busch-Straße in Halle zukunftsfähig ausgebaut und der Strafvollzug in Sachsen-Anhalt in Zukunft an drei Standorten konzentriert werden soll.
Fakt ist - das möchte ich anhand der konkreten Zahlen noch einmal verdeutlichen -, dass die Zahl der Gefangenen seit 2004 rückläufig ist. Wir hatten 2004 eine Durchschnittsbelegung von 2 735 Gefangenen. Im letzten Jahr, also nur eine Dekade später, hatten wir nur noch eine Durchschnittsbelegung von 1 769 Gefangenen. Das sind innerhalb von nur zehn Jahren rund 1 000 Gefangene weniger. Das zeigt, dass man im Hinblick auf diese tatsächliche Entwicklung Konsequenzen ziehen muss, was die Strukturen betrifft.
Wir haben in den letzten Jahren festgestellt - das haben wir im Ausschuss nicht nur einmal diskutiert -, dass Prognosen schwierig sind. Es gibt immer eine Größe, ungefähr 1 ‰ der Bevölkerung. Das ist die Zahl der Personen, die in Justizvollzugsanstalten einsitzen. Wir hatten in SachsenAnhalt 2004 1,1 ‰, im Jahr 2014 lagen wir nur noch bei 0,79 ‰.Das zeigt, wir sind, was Prognosen betrifft, hierbei nur beschränkt in der Lage, die tatsächliche Entwicklung vorauszusehen.
Wir müssen dennoch bestimmte Planungsgrößen haben. Wenn wir nach jetzigen Prognosen von einem Anteil von etwa 0,8 ‰ ausgehen, ist damit zu rechnen, dass wir im Jahr 2025 eine Durchschnittsbelegung von etwa 1 650 Gefangenen in Sachsen-Anhalt haben. Die notwendige Haftplatzreserve von 7 % ist hierbei bereits berücksichtigt.
Derzeit stellt sich die Situation wie folgt dar: Wir haben eine Kapazität von 2 215 Haftplätzen. Davon waren im letzten Jahr im Jahresmittel lediglich 1 769 mit Gefangenen belegt, sodass wir einen deutlichen Überhang von ca. 400 Haftplätzen haben, die derzeit nicht benötigt werden. Deshalb, meine Damen und Herren, kommen wir aus meiner Sicht um eine Schließung einer Anstalt in Sachsen-Anhalt nicht herum.
Wir haben im Hinblick auf die Vorbereitung festgestellt, dass durch die Schließung der JVA Dessau allein bei den Bewirtschaftungskosten eine Einsparung von 400 000 € eintritt.
Ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass ein Haftplatz in Sachsen-Anhalt derzeit 130,19 € pro Tag kostet. In Bezug auf die Haftplatzkosten waren wir vor zehn Jahren einmal bundesweit im Spitzenfeld. Mittlerweile gehört Sachsen-Anhalt zu den Ländern, die sehr hohe Haftplatzkosten haben. Wir bewegen uns damit im Bereich der Bundesländer, in denen ein Haftplatz am teuersten ist.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage, inwieweit wir mit dem uns zur Verfügung stehenden Personal die Sicherheit an allen Standorten aufrechterhalten können. Dazu hat es vor einigen Jahren eine Expertenkommission gegeben, die den Personalbedarf für die einzelnen Anstalten festgestellt hat. Danach fehlen uns heute in der derzeitigen Struktur 140 Bedienstete. Am Standort Dessau-Roßlau beläuft sich der Fehlbedarf auf zwölf Bedienstete.
Mit der Schließung der JVA Dessau-Roßlau wollen wir deshalb auch erreichen - ich sage bewusst „auch“, weil das nicht unser einziges Ziel ist -, dass wir die Standorte mit dem notwendigen Personal ausstatten, was auf andere Weise praktisch unrealistisch ist; denn uns stehen nur die Neueinstellungsmöglichkeiten nach dem Personalentwicklungskonzept zur Verfügung. Es gibt sehr eindeutige Aussagen der Landesregierung, dass es darüber hinaus keine weiteren Einstellungsmöglichkeiten gibt.
- Ja, es ist aber so. Man muss die gegebenen Realitäten berücksichtigen. - Das heißt für uns: Wenn wir das Personal, das zur Verfügung steht, anders verteilen, dann funktioniert es.
Dieser Weg hat den Vorteil, dass wir in größeren Einheiten - das zeigt auch die Entwicklung in anderen Bundesländern - im therapeutischen Bereich aufgrund eines größeren Pools an Sozialtherapeuten, Psychologen und Psychiatern eine bessere Behandlung anbieten können. An einem kleinen Standort mit einem Psychologen ist es leider so, dass dann, wenn der Psychologe Urlaub hat oder krank ist, eine Therapie vor Ort nicht stattfindet. Das entspricht nicht unserer Vorstellung von einem modernen Behandlungsvollzug.
Ich glaube, wir alle haben, was den Justizvollzug betrifft, eine besondere Verantwortung, auch im Hinblick auf die Gewährleistung der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger.
Ich weiß natürlich, dass die geplante Schließung vor Ort auch Sorgen auslöst. Deshalb sind wir auf diese Sorgen eingegangen und haben im Hinblick auf die Konsolidierung des Justizstandortes Dessau-Roßlau geprüft, inwieweit die Möglichkeit
Der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet also, dass auch in Zukunft ein Standort des offenen Vollzugs als Außenstelle der JVA Halle in DessauRoßlau erhalten bleibt. Darüber hinaus soll auch die Schlosswerkstatt, die Vergabestelle und die zentrale Auskunftsstelle des Justizvollzuges in Zukunft am Standort Dessau-Roßlau angesiedelt werden. Ich glaube, das zeigt ganz deutlich das Bekenntnis der Landesregierung gerade auch zum Justizstandort Dessau-Roßlau.
Ich weiß natürlich, dass es vor Ort auch Sorgen im Hinblick auf andere Einrichtungen gibt. Deshalb möchte ich an dieser Stelle klar sagen, dass es keine Pläne gibt, das Landgericht oder andere Justizeinrichtungen in Dessau-Roßlau zu schließen.
Meine Damen und Herren! Aus meiner Sicht gehen wir mit der Schließung der JVA in DessauRoßlau den richtigen Weg, weil wir damit den wirtschaftlichen Notwendigkeiten und einem effizienten Einsatz der uns zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen Rechnung tragen.
Mir geht es mit dem vorgelegten Gesetzentwurf aber auch um die Umsetzung der Dinge, die ich Ihnen in der Einbringungsrede zu dem Gesetzentwurf, der als nächster Tagesordnungspunkt behandelt werden soll, vorstellen werde. Dabei geht es darum, wie wir in Zukunft qualitativ einen besseren Behandlungsvollzug in Sachsen-Anhalt erreichen können.
Abschließend noch ein Wort zum Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Herr Herbst, ich glaube, es gibt keine Reform in diesem Land, zu der so umfangreiche Berechnungen vorgelegt worden sind.
Wir haben in den letzten Jahren zahlreiche Papiere zum Thema Strafvollzug vorgelegt. Es gibt auch eine Vergleichsrechnung zu drei Standorten und vier Standorten. Die Begründung Ihres Antrages zeigt aber, dass Sie eigentlich auf etwas anderes hinaus wollen. Ihnen geht es nicht um die finanziellen Auswirkungen, sondern es geht Ihnen um eine fachliche Sicht, um die Frage der Resozialisierung. Dafür gelten andere Voraussetzungen. Das hat nicht allein mit Zahlen zu tun. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Minister, vielleicht eine Anmerkung. Der Ausschuss würde sich freuen, wenn ihm die vielen Zahlenwerke, die Sie im Ministerium angeblich erstellt haben, auch einmal komplett zur Verfügung gestellt würden. Wir haben Ausarbeitungen erhalten, die wir aus unserer Sicht widerlegt haben. Dazu fehlen aber bis heute die Antworten. Wenn wir das demnächst schriftlich anfordern müssen, dann werden wir das natürlich gern nachreichen.
Sie werden uns unter dem nächsten Tagesordnungspunkt einen Gesetzentwurf vorlegen, der vorsieht, die Einzelunterbringung zur Regelunterbringung zu machen. Mit der Schließung der JVA Dessau schließen wir 83 Einzelhaftplätze und etliche Haftplätze in der Doppelbelegung. Der Gesetzentwurf soll nach Ihrem Wunsch ab dem Jahr 2024 zum Tragen kommen.
Meine Frage an Sie lautet: Warum nutzen wir nicht die Chance, gesetzeskonform schon jetzt die Einzelunterbringung durchzusetzen, indem wir die JVA Dessau-Roßlau weiterführen, und vermeiden damit die Doppel- und Dreifachbelegung, die derzeit in Volkstedt und anderen Einrichtungen zu verzeichnen ist?
Ich weiß, dass jetzt das Argument kommen wird, es fehle am Personal. Daher frage ich Sie: Geben Sie mir darin Recht, wenn ich sage, dass wir heute nicht über die Schließung der JVA Dessau-Roßlau reden müssten, wenn Sie gemeinsam mit Ihren Amtskollegen Herrn Minister Dorgerloh und Herrn Minister Stahlknecht interveniert hätten und darum gebeten hätten, dass das PEK auch im Justizbereich aufgestockt wird?