Protokoll der Sitzung vom 27.02.2015

In Griechenland steht es - wir wissen das - Spitz auf Knopf, wie insbesondere die Stellungnahme des IWF vom 23. Februar unterstreicht. Aber es hat eine Chance, es hat eine Perspektive, wenn es sich daran hält.

Sachsen-Anhalt hat den vorsichtigen und klugen Kurs der Bundesregierung im Bundesrat, namentlich der Europakammer, immer unterstützt und wird dies, wenn mich nicht alles täuscht, auch diesmal tun, damit der Vertreter Deutschlands im EFSF nach Zustimmung beider Kammern der Gesetzgebung in Deutschland dem mit Griechenland abzuschließenden Vertrag zustimmen kann - nicht, weil wir Griechenland oder gar die griechische Regierung so sehr lieben, sondern in unserem ureigensten Interesse. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Danke schön, Herr Europaminister Robra. - Nach § 62 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung könnten die Fraktion noch erwidern. - Ich sehe keine Wortmeldungen. Dann können wir die Aktuelle Debatte abschließen und zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir versuchen einmal, die Tagesordnungspunkte 3 und 4 noch vor der Mittagspause abzuarbeiten.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Erste Beratung

Zuwanderung fördern - Teilhabe möglich machen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/3829

Einbringer ist Herr Gallert. Bitte, Herr Gallert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema, das wir für diesen Prioritätenantrag gewählt haben, ist ein Thema, das nicht zuallererst und nicht prioritär hier im Landtag diskutiert worden ist, sondern das die gesellschaftliche Debatte in den letzten Wochen und Monaten radikal beeinflusst hat. Im Grunde genommen war es so, dass in Ostdeutschland in den letzten Wochen und Monaten kaum ein anderes Thema so intensiv diskutiert worden ist wie das Thema um Migration, Zuwanderung, das Schicksal von Asylbewerbern und Flüchtlingen.

Insofern - sage ich Ihnen ganz ehrlich - sind wir heute schon etwas sehr spät dran, dass wir in diesem Landtag überhaupt darüber diskutieren. Es wäre vielleicht gut und besser gewesen, es hätte schon in der letzten Landtagssitzung eine Regierungserklärung zu diesem Thema gegeben. Wenn Tausende Menschen auf der Straße sind, müssen wir uns diesen Problemen stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Nun, das, was uns in den letzten Wochen auf der Straße oder auch schon bei den Wahlergebnissen anlässlich der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg entgegengekommen ist, darf eigentlich nicht überraschen. Dass xenophobe Einstellungen, ja, rassistische Positionen bis weit in die Mitte der Bevölkerung hinein massiv verbreitet sind, haben uns viele Studien schon seit Jahren belegt.

Neu ist, dass sich diese Positionen in der Politik und auf der Straße realisiert haben: mit den Wahlergebnissen der AfD, mit den xenophoben Demonstrationen wie Pegida oder Legida, vor allen Dingen in Sachsen, aber auch in Städten anderer Länder, in denen es inzwischen längst solche Bewegungen gibt, und auch mit der förmlichen Explosion der Zahl von ausländerfeindlichen Gewalttaten. All das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss uns massiv beunruhigen, und zwar gemeinsam.

(Beifall bei der LINKEN)

Was ist all dem gemein? - All dem ist ein Grundkonsens gemein. Dieser Grundkonsens lautet wie folgt: Es gibt eine massive, wenn auch in irgendeiner Art und Weise diffuse Bedrohung von außen, und diese diffuse Bedrohung von außen muss man möglichst aggressiv abwenden und sich dagegen stellen. Grundkonsens oder Ziel einer solchen Bewegung ist eine in sich geschlossene und weit

gehend homogenisierte Gesellschaft. Das haben AfD, Pegida, Legida, Magida und wie sie alle heißen, gemeinsam.

Jetzt stellt sich die Frage, gerade für uns Politiker: Wie debattieren wir diese Dinge? Wie kommen wir ins Gespräch mit denjenigen, die dieses Thema so massiv bewegt? - Da gibt es unterschiedliche Antworten. Da gibt es auch kontroverse Diskussionen. Wann soll ich das machen? Wie soll ich das machen? Mit wem soll ich reden? - Da gibt es unterschiedliche Antworten, die legitim sind.

Aber - das sagen wir eindeutig - an einer Stelle müssen wir eine klare Grenze ziehen, und zwar: Worüber reden wir denn mit den Leuten? Es gibt eine Debatte, die wir in der Politik nicht führen dürfen, nämliche eine Debatte nach dem Motto: Wir kommen euch entgegen, indem wir ein bisschen Rassismus akzeptieren, indem wir ein bisschen mehr Abschottung organisieren, indem wir die Asylbewerber noch schneller abschieben, indem wir selber noch ein bisschen mehr Islamophobie predigen. Diese Debatte darf es nicht geben. Der müssen wir uns verweigern, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN und von Frau Hampel, SPD)

Diese Debatte, die uns gegen verschiedene Gruppen entgegenschlägt - negative Stereotypen über Ausländer, Asylbewerber und Flüchtlinge -, haben wir in ganz verschiedenen Formen. Eine der Debatten, die wir in der letzten Zeit immer auf den Tisch bekommen haben, ist: Menschen mit islamischem Glauben, die zu uns kommen, sind erst einmal ohnehin potenzielle Gewalttäter. Das ist ein platter Angriff. Der kommt hier und da ein Stück weit modifizierter und ein bisschen sanfter daher, hat aber genau die gleichen negativen Auswirkungen.

Ich sage ganz klar: Wenn wir uns hier in SachsenAnhalt hinstellen und irgendjemand von den islamischen Gemeinden bei uns in Sachsen-Anhalt fordert, dass sie sich endlich einmal ordentlich vom Terrorismus distanzieren sollen, dann, finde ich, ist das eine skandalöse Forderung. Denn das haben sie längst und andauernd getan, und sie bestehen zum großen Teil aus Opfern islamistischer Gewalt.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Wer sich bei uns hinstellt und sagt, die sollen sich endlich einmal distanzieren, macht genau das Gegenteil. Der suggeriert nämlich den Eindruck, da gäbe es eine Verbindung, die erst einmal gekappt werden müsste.

Aber es gibt natürlich auch andere Stereotypen, die da entgegengehalten werden: Die kommen ja alle nur her, um unsere Sozialkassen zu plündern. Da gibt es Stichwortgeber, die in der politischen

Landschaft sehr breit aufgestellt sind. Der Kollege Seehofer meinte ja auch, wieder erläutern zu müssen, dass Deutschland nicht das Sozialamt der Welt ist. Die Stereotypen: „Die kommen her und plündern unsere Sozialkassen“ sind also ganz beliebt.

Da müssen wir uns klar dagegen stellen, und zwar vor allen Dingen deshalb, weil wir wissen, dass Zuwanderung seit vielen Jahren, ja, seit Jahrzehnten die Sozialkassen in der Bundesrepublik entlastet und nicht belastet. Das ist die Wahrheit,

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

die wir auf der Straße sagen müssen, wenn uns solche Stereotypen entgegengehalten werden, und zwar egal, ob bei solchen Pegida-Geschichten oder von Herrn Seehofer am Aschermittwoch, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Dann haben wir die nächste Position: Die sind ja eigentlich nicht integrationsfähig. Die wollen ja Parallelgesellschaften bei uns aufbauen. Da muss man ja genau hingucken, ob die nicht in irgendeiner Art und Weise abweichende Vorstellungen haben. - Ich sage einmal: Die Segmentierung von Gesellschaft und Parallelgesellschaften gibt es tatsächlich fast überall. Es gibt die Parallelgesellschaft, die sich seit langem - inzwischen seit zehn, 15 Jahren - bei uns herausgebildet hat, nämlich Langzeitarbeitslose, die tatsächlich in einer völlig anderen Lebenswelt leben als wir.

(Herr Leimbach, CDU: Das ist doch keine Parallelgesellschaft!)

Wir haben die Parallelgesellschaft von Superreichen, die sich über jede moralische Kategorie längst hinweggesetzt haben.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Parallelgesellschaften hängen nicht mit Ethnie zusammen. Wir müssen, wenn solche Dinge entstehen, darauf achten, dass es genau umgekehrt ist: Die Masse derjenigen, Herr Leimbach, die hier herkommen, wollen sich integrieren.

Aber wir sind es doch, die mit massenhaften Sonderrechten diese Integration verhindern, die sie vom gesellschaftlichen Leben, vom Arbeitsmarkt ausschließen. Es ist doch nicht so, dass wir die Leute praktisch per Polizei den Deutschkursen zuführen müssten; vielmehr gibt es viele Betroffenengruppen, für die es gar nicht genug Angebote gibt, die sie annehmen wollten. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir dann sagen, die haben sich nicht integriert, weil sie meinetwegen seit vielen Jahren keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, dann bekla

gen wir die Folgen unserer eigenen Gesetze. Das muss gesagt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen für eine wirkliche Willkommenskultur bei uns hier in Sachsen-Anhalt einen Paradigmenwechsel - der ist noch nicht vollzogen -, und zwar einen Paradigmenwechsel weg von der Dominanz der Ablehnung, der Abwehr hin zur Dominanz der Einladung und des Willkommen-Seins, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun ist es inzwischen so, dass sich die Debatte zur Migration bzw. zur Zuwanderung in den letzten 20 Jahren gewandelt hat. Während es vorher die Debatte gab: „Schotten zu oder nicht?“, hat sich diese Debatte inzwischen gewandelt zu der Frage nach nützlichen und nicht nützlichen Migranten. Das ist ein Paradigmenwechsel, ja. Aber ich sage ganz klar: Es ist ein Paradigmenwechsel, den wir nicht mitmachen; denn auch die Unterscheidung zwischen nützlichen und nicht nützlichen Migranten berührt und bedroht die Grundwerte einer offenen und solidarischen Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte Ihnen das Beispiel eines hoch qualifizierten Wissenschaftlers, eines Mitarbeiters des Max-Planck-Instituts in Dresden schildern. Dieser wurde dort angeworben. Es ist allerdings erkennbar, dass er noch nicht in der x-ten Generation hier lebt. Dieser sagt: Wenn ich in der Straßenbahn sitze und die Leute schauen mich an, dann kann ich den Leuten nicht erklären, dass ich ein gesuchter Fachmann bin, ich werde von ihnen für einen gehassten Asylbewerber gehalten. Deswegen werde ich diese Stadt verlassen.

Das ist das Problem der Unterscheidung zwischen nützlichen und nicht nützlichen Zuwanderern.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich will hier aber nicht schwarzmalen; denn wir haben neben dem steigenden Rassismus, neben der steigenden Zahl von Angriffen auf Migranten auch eine andere Bewegung. Wir haben einen steigenden Anteil von Menschen in unserer Bevölkerung in Sachsen-Anhalt, die sagen: Nein, das wollen wir nicht mitmachen. Wir treten ein für Weltoffenheit. Wir treten ein für Solidarität und für Humanität. Wir wissen, das Land Sachsen-Anhalt hat nur dann eine Chance, wenn wir Einwanderung als Chance begreifen und damit unser Land entwickeln.

Diese Menschen werden immer mehr. Es macht mich stolz, wenn in Madgeburg 7 000 Menschen dafür auf die Straße gehen. Herzlichen Dank an jeden Einzelnen.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Wir haben es nicht nur mit einem anwachsenden Rassismus zu tun. Wir haben es auch mit einer Polarisation zu diesem Thema in der Gesellschaft zu tun.