Protokoll der Sitzung vom 27.02.2015

Die beantragte Debatte betrifft ein hoch komplexes Thema, das angesichts der Milliardensummen und möglicher Folgen in der Bevölkerung aller Länder mit Sorge betrachtet wird.

Was ist die Ursache für die heutige Situation in Griechenland? - Es wird die Meinung vertreten, dass Griechenland über seine Verhältnisse gelebt hat. - Da ist was dran. Tatsächlich fällt es einem schwer, die griechische Haushaltspolitik der vergangenen Jahrzehnte noch irgendwie als nachhaltig zu bezeichnen: Erhebliche Teile der Ausgaben wurden chronisch - übrigens unabhängig von den jeweiligen Machtverhältnissen; wir haben schon die Geschichten über die Schwesterparteien gehört - über Schulden finanziert. Auch wenn die Spielräume durch die wachsenden Zinslasten enger wurden, wollten neue Regierungen noch gestalten, Wahlversprechen machen und dann auch halten. Zur Finanzierung griff man auf Kredite zurück, die teurer wurden.

Man leistete sich Dinge wie die Olympischen Spiele. Heute verfallen die für den Alltagsbedarf völlig überdimensionierten Olympiaanlagen. Man erreichte die höchsten Pro-Kopf-Verteidigungsausgaben eines Nato-Landes und nahm es mit der Einnahme von Steuern, gerade bei den Vermögenderen - wohl durchaus politisch so gewollt - nicht so schrecklich genau.

Dass ein solches Modell bedenklich ist, liegt nahe, dass man es nicht beliebig lange fortführen kann, wenn man die Last der Verschuldung zu groß wer

den lässt, auch. Ich hoffe, dass auch in der griechischen Politik diese Erkenntnis Raum greift.

Auf dieses fragile Finanzwesen traf dann im Jahr 2008 die Finanzkrise. Nach dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Mitte September 2008 haben die meisten Staaten, darunter Griechenland, umfangreiche Garantien für ihre Banken abgegeben. Außerdem päppelten viele Länder ihre angeschlagenen Geldhäuser mit neuem Eigenkapital auf.

Das Ergebnis: Das Kreditrisiko der Staaten ist durch die Rettungspakete massiv gestiegen, das der Banken in etwa gleichem Ausmaß gesunken. Griechenland war davon nach Irland unmittelbar am stärksten betroffen.

Nach der Rettungsaktion führte jede Verschlechterung der Wirtschaftsperspektiven bei den Staatsanleihen zu einem stärkeren Anstieg der Risikoprämien, als das noch vor Ausbruch der Krise der Fall gewesen ist. Bei den Banken war es umgekehrt; dort verflachte der Anstieg.

Letztlich bedeuteten die staatlichen Rettungsaktionen für die Finanzbranche: Die Risiken, die in den Bilanzen der privaten Banken schlummerten, wurden von den Staaten übernommen. Dies führte dazu, dass an den Finanzmärkten das Vertrauen in die Solidität der Staatsfinanzen sank. Griechenland traf dies besonders hart.

Seit dem Jahr 2008 ist Griechenlands Wirtschaftspolitik faktisch und seit dem Jahr 2010 auch vertraglich in der Hand ausländischer Gläubiger. Diese hätten eigentlich ein Interesse daran haben müssen, Griechenland wieder wettbewerbsfähig zu machen, konkret das Missverhältnis zwischen Importen in Höhe von 88 Milliarden € zu Exporten in Höhe von 56,6 Milliarden € im Jahr 2008 zu beenden. Ferner hätte es im Interesse der Gläubiger sein müssen, diesen Ausgleich in erster Linie durch die Erhöhung der griechischen Exporte zu bewerkstelligen.

Die Realität sieht aber so aus: Griechenlands Exporte sind trotz massiv niedriger Lohnkosten seit dem Jahr 2007 um gut 10 % gesunken. Griechenlands Investitionen sind seit dem Jahr 2007 um rund 60 % zurückgegangen, worunter auch die griechische Exportindustrie gelitten haben dürfte. Das Land ist weiter denn je davon entfernt, eine Exportindustrie zu haben, welche letztlich die Auslandsschulden bedienen, zumindest erwirtschaften müsste.

Dass das Defizit im Außenhandel dennoch auf rund 3 Milliarden € geschrumpft ist - aber es besteht nach wie vor -, liegt ausschließlich am massiven Einbruch der Importe. Die Verbesserung des Außenhandelssaldos wurde aber teuer erkauft: Die Lohnsummen gingen real um rund ein Drittel zurück und der Staatskonsum um rund 40 %. Die

Binnennachfrage ist heute um 32 % geringer, als es noch im Jahr 2008 der Fall gewesen ist.

Die Sparpolitik und die Lohnkürzungen haben die Binnennachfrage total einbrechen lassen. Jeder Euro, der beim Import gespart wurde, hat noch 2,20 € Kollateralschäden bei der Binnennachfrage angerichtet. Ich könnte noch länger ausführen zu dem Problem, was die Deflation in der griechischen Wirtschaft anrichtet; ich lasse es.

Wie sich in Griechenland ein dauerhafter Aufschwung einstellen soll, bleibt ein Rätsel. Niemand glaubt ernsthaft daran, dass die griechische Staatsverschuldung substanziell abgebaut werden kann; im Gegenteil: Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts in München, sagt, dass sich Griechenland mittelfristig für zahlungsunfähig erklären müsse. Marcel Fratzscher, Präsident des DIW in Berlin, sagt, dass Griechenland ein neues Hilfsprogramm mit 30 Milliarden € bis 40 Milliarden € benötigen werde. Dies würde ultimativ weitere Kreditzahlungen von Europa und Deutschland erfordern. Das klingt nicht nach einem Erfolg.

Ende Januar haben die griechischen Bürgerinnen und Bürger nun eine neue Regierung gewählt. Der CDU-Antrag merkt es an, es regiert zurzeit eine Koalition aus der Syriza - die Abkürzung steht für „Koalition der radikalen Linken“ - und der rechtspopulistischen Anel. Ich will diese Konstellation jetzt nicht politisch bewerten. Dass sie zumindest ungewöhnlich ist, dürfte klar sein.

(Zustimmung von Herrn Herbst, GRÜNE, und von Frau Wicke-Scheil, GRÜNE)

Wie kommt es dazu?- Ein solches Wahlergebnis - die ehemals regierende Pasok, die in der Vergangenheit mit absoluten Mehrheiten versehen war, bekam jetzt 4 % - ist Ausdruck schwerer gesellschaftlicher Verwerfungen. Diese Verwerfungen haben Ursachen und diese gehen - das meine ich dann doch - über die verfehlte griechische Finanzpolitik der Vergangenheit hinaus.

Die Zahlen sprechen für sich: In fünf aufeinanderfolgenden Krisenjahren ist Griechenlands Bruttoinlandsprodukt bisher um 19,1 % geschrumpft. Die allgemeine Arbeitslosenquote liegt aktuell bei 26 % und die der Jugendlichen bei 56,4 %. Eine Sparauflage sah die Begrenzung der Gesundheitsausgaben auf 6 % der Wirtschaftsleistung vor; zum Vergleich: Deutschland hat 11 %, natürlich bei einer deutlich höheren Wirtschaftsleistung. Etwa ein Drittel der Griechen hat keine Krankenversicherung mehr. Die Kindersterblichkeit stieg um 43 %.

Dass diese Situation zu Verwerfungen in der Gesellschaft, aber auch im politischen System führt, kann nicht wirklich überraschen. Das ist nicht gerade ein Ausdruck von Stabilität.

Dass wir ganz ähnliche Entwicklungen auch in anderen Ländern sehen, ist beunruhigend. Die Grie

chen haben nun in einem demokratischen Verfahren deutlich gemacht, dass sie keine Fortsetzung der bisherigen Politik wollen.

Die Frage ist nun, ob diese dramatischen Probleme so kommen mussten, also - Lieblingswort der Kanzlerin - alternativlos waren, oder ob man die Rettungsmaßnahmen, die notwendige Konsolidierung des griechischen Haushalts, nicht hätte schonender durchführen können, mit längeren Übergangsphasen und unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen und sozialen Aspekte. Ist diese extreme Rosskur der richtige Weg, um Stabilität in Griechenland und Europa zu erreichen, oder müsste man nicht auch Dinge wie die Jugendarbeitslosigkeit oder das Funktionieren der Krankenversicherung im Blick behalten?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Europa hat sich um das Funktionieren des Bankensektors Sorgen gemacht und erhebliche Gelder aufgewandt, um private Gläubiger vor Verlusten ihrer hoch verzinsten Papiere zu schützen. Nun ist ein stabiler Bankensektor tatsächlich ein wichtiges Gut. Ich meine aber, das kann man mit Fug und Recht auch über den Gesundheitssektor sagen. Der wird aber nur als lästiger Kostgänger betrachtet.

Herr Schröder sagt, es gehe um Hilfe zur Selbsthilfe. Man muss sich natürlich fragen, ob das, was Griechenland an Hilfe gegeben wird, tatsächlich Hilfe zur Selbsthilfe darstellt oder am Ende nicht Schaden anrichtet, der vermieden hätte werden können.

Nach fünf Jahren Griechenlandrettung ist das Ergebnis ernüchternd: Das Bruttoinlandsprodukt ist deutlich gesunken, die soziale Lage ist dramatisch, die Schulden sind noch da, ja, angewachsen, und somit ist eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung in weiter Ferne. Nach 227 Milliarden € an Krediten seit dem Jahr 2010, die im Wesentlichen in die Umschuldung flossen, sind wir eigentlich keinen Schritt weiter. Hätte man für diese Summe nicht ein besseres Ergebnis haben können?

(Herr Leimbach, CDU: Ja! - Frau Feußner, CDU: Haben müssen!)

Wenn man sieht, wie die Nobelpreisträger des Wirtschaftsbereiches über die Kollegin Merkel richten, dann muss man sagen, sie haben vielleicht ein bisschen Ahnung von der Materie und es hätte andere Wege gegeben.

Bei einer fortgesetzten harten Austeritätspolitik werden die Verlierer immer stärker opponieren und ihren Unmut nicht nur mittels Demonstrationen und Streiks Ausdruck verleihen, sondern auch durch die Wahl radikaler Parteien, dann vielleicht auch von Parteien, die sich anders als Syriza in Griechenland nicht mehr demokratischen Werten verpflichtet fühlen.

Es stellt sich daher die drängende Frage, wieso die Unmöglichkeit der sogenannten Rettung Griechenlands auf bisherigen Weg auf Seiten der Bundesregierung nicht endlich eingestanden wird. Es wird Zeit, dass die Bundesregierung erkennt, dass die bisherige Politik in dieser Form gescheitert ist.

Die neue Regierung in Athen, die man für ihr forsches Auftreten natürlich kritisieren kann, die zum Teil ausgesprochen merkwürdig agiert und von der ich auch nicht weiß oder bei der ich auch nicht sicher bin, wie zuverlässig sie sein wird, hat ein Maßnahmenpaket vorgelegt, das zunächst zielführend ist, zumindest in den Grundsätzen.

Die Korruption zu bekämpfen, die Steuereinnahmen zu erhöhen und die Bürokratie zu verbessern, sind grundsätzlich die richtigen Prioritäten. Auch eine Erhöhung der Ausgaben zur sozialen Sicherung und Armutsbekämpfung schwächt nicht automatisch die Reformen, sondern kann ihre Legitimität und damit ihre Erfolgschancen erhöhen. Eine Gesundung der griechischen Wirtschaft ist nur dann möglich, wenn griechische Unternehmer und Bürger eine klare Perspektive und Vertrauen haben. Nur dann werden sie wieder investieren, Beschäftigung schaffen und die Wirtschaft stärken.

Dafür braucht es vor Ort eine nachhaltige, ich meine, stabile Haushaltspolitik, die sich von den Prinzipien der Vergangenheit abwendet und für einen laufenden Haushalt ohne Neuverschuldung aufkommt. Dafür braucht es auch klare Abmachungen, an die sich auch die griechische Seite halten muss, aber eben auch Handlungsspielräume und ein Mindestmaß an gesellschaftliche Akzeptanz, ja, letztlich eine dauerhaft verlässliche Zukunftsperspektive. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Meister. - Jetzt spricht für die Landesregierung der Europaminister Robra.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Minute beginnt im Bundestag die Abstimmung, und ich muss ganz ehrlich sagen: Nach den Reden des Bundesgeschäftsführers der LINKEN, Höhn, und des Abgeordneten Meister kann ich nicht so ganz verstehen, warum die jeweiligen Fraktionen im Bundestag - wie alle anderen im Übrigen auch - zustimmen werden.

(Herr Höhn, DIE LINKE: Das kann ich Ihnen erklären!)

Das nur einmal vorausgeschickt. - Gemäß Artikel 32 Abs. 1 des Grundgesetzes unterliegt die

Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten dem Bund.

(Herr Striegel, GRÜNE: Wer hat denn die Debatte beantragt?)

In Angelegenheiten der Europäischen Union wirkt nach Artikel 23 Abs. 2 des Grundgesetzes der Bundestag, und es wirken durch den Bundesrat, dort namentlich die Europakammer, auch die Länder mit. Bei den Verträgen des EFSF handelt es sich um solche Angelegenheiten. Deshalb ist heute ja auch der Bundestag damit befasst. Wir rechnen damit, dass in den nächsten Tagen auch der Bundesrat über die Europakammer mit der Angelegenheit befasst sein wird.

Meine Damen und Herren! Griechenland hat - das ist hier heute vielfach unterstrichen worden - lange über seine Verhältnisse gelebt. Infolgedessen war es in der Finanzmarktkrise im freien Fall, wie ein paar weitere Länder im Euroraum ebenfalls. Wir, das heißt, die Staaten des Euroraums, haben Griechenland aufgefangen und dadurch den Staatsbankrott verhindert. Das geschah auch aus Eigennutz; denn der Bankrott eines europäischen Staates gefährdet die Bonität und damit die Kapitalmarktfähigkeit aller Staaten in Europa und ganz besonders im Euroraum.

In den Krisenjahren ab 2010 sollte auch der Letzte begriffen haben, dass Staatsschulden echte Schulden sind und nicht etwas Fiktives, das nur so in den Büchern steht, und dass eine solche Staatsverschuldung und ein darauf beruhender schlechter finanzpolitischer Ruf zur Folge hat, dass der Staat bei keiner Bank und keinem anderen Staat mehr Kredit bekommt. Wir machen ja auch als Sachsen-Anhalt unsere Roadshows bis in den asiatischen Raum hinein, um Mittel für die Refinanzierung unserer Kredite zu gewinnen, nachdem wir uns nun Gott sei Dank nicht mehr weiter neu verschulden.

Deshalb dienen die damals geschaffenen Instrumente, insbesondere der EFSF, die sogenannte europäische Finanzmarktstabilitätsfazilität, und die darauf beruhende Abschirmung vor allem der Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit eines Staates aus dem Euroraum, und das funktioniert nur dann, wenn dieser Staat alle Anstrengungen unternimmt, um künftig finanzpolitisch auf eigenen Beinen stehen zu können.

Es ist, meine Damen und Herren! Eine der schwierigsten juristischen, wirtschafts- und finanzpolitischen Abwägungen ist die, bis zu welchem Punkt die Chancen der weiteren Unterstützung eines Landes die Risiken des sonst fälligen Bankrotts überwiegen. Gerade unsere osteuropäischen Mitgliedstaaten erwarten von den südeuropäischen dieselben Anstrengungen, denen auch sie sich erfolgreich unterzogen haben. Das haben sie auch

im Ecofin, dem Finanzministerrat Europas, deutlich gemacht.

Mit dem EFSF arbeiten die EZB, die Europäische Zentralbank, der IWF, also der Internationale Währungsfonds, die Kommission und der Ecofin, der Finanzministerrat, eng zusammen, und - man darf das hier auch einmal sagen - sie machen alle gemeinsam einen exzellenten Job.

(Zustimmung bei der CDU)

Der EFSF tritt nur ein, wenn sich alle einig sind, dass es sich im Vergleich zur Alternative Staatsbankrott auch lohnt und dass das betroffene Land sich eine Perspektive erarbeiten wird. Der EFSF verfügt über ein ausgeklügeltes System von Instrumenten, eben den Fazilitäten, die vor allem aus Garantien bestehen und dafür sorgen, dass der Euroraum trotz aller Strudel noch als einer der sichersten Häfen der Welt für Finanzkapital gilt. Auch deshalb ist Kapital bei uns so billig. Wir - das gilt auch für Sachsen-Anhalt - sparen gerade deshalb viel Geld für Zinsen.

In Griechenland steht es - wir wissen das - Spitz auf Knopf, wie insbesondere die Stellungnahme des IWF vom 23. Februar unterstreicht. Aber es hat eine Chance, es hat eine Perspektive, wenn es sich daran hält.