Protokoll der Sitzung vom 26.03.2015

Im Gegensatz zu der Situation zu Beginn der 90erJahre gibt es erstmals in diesem Land auch eine sichtbare, sehr aktive und breite Bewegung für Geflüchtete. Es gibt Menschen, die sich solidarisch zeigen, die sehr praktisch und konkret Solidarität üben.

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Ich möchte vor allem diesen Menschen danken, ganz egal, ob sie sich in Tröglitz beim Friedensgebet versammeln, ob sie in Merseburg die Abschiebung einer siebenköpfigen Familie durch zivilen Ungehorsam verhindern, ob sie Kirchenasyl bieten. All ihnen gebührt unser Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das Problem, mit dem wir in Tröglitz konfrontiert sind, sind aus meiner Sicht nicht die 100 oder 120 Rassisten, die dort durch den Ort ziehen, die im Übrigen zum überwiegenden Teil nicht von außerhalb kommen, sondern die dort leben. Aber die sind gar nicht mein größtes Problem. Rassisten und Ausländerfeinde wird es immer wieder geben. Wir werden uns mit ihnen auseinandersetzen müssen. Wir werden uns auch mit ihnen auseinandersetzen können.

Das größere Problem - ich glaube, auch das größere für die Demokratie - sind für mich diejenigen, die schweigen und die nichts dazu tun.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es sind diejenigen, die, wie ein völlig untergetauchter Bürgermeister - ich rede nicht von dem ehrenamtlichen Ortsbürgermeister, sondern ich rede von Herrn Meißner, dem Bürgermeister der Gemeinde Elsteraue -, zu dem Thema nichts zu sagen haben, die sich wegducken, die keine Worte finden, wenn Menschen ausgegrenzt werden und wenn in ihrem Ort keine Unterbringung von Geflüchteten stattfinden kann. Das ist das eigentliche Problem für die Demokratie.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

In solchen Momenten zeigen sich aus meiner Sicht sehr deutlich ein Scheitern lokaler Demokratie und

eine riesige Herausforderung für uns als Gesellschaft, weil in Tröglitz ganz offensichtlich eine breite Verankerung von zivilgesellschaftlichem Engagement fehlt.

Meine Damen und Herren! Daran ändern auch versammlungsrechtliche Erlasse nichts. Sie sind gut und richtig. Sie sind auch notwendig. Heute sind schon einige Punkte offenbar geworden, die zeigen, dass den Versammlungsbehörden natürlich etwas an die Hand zu geben ist, weil es Defizite in der Umsetzung gibt. Dadurch wird aber nicht das Problem gelöst; denn letztlich scheitern solche Fragen an einer fehlenden Zivilgesellschaft und an einem fehlenden zivilgesellschaftlichen Engagement. Es ist wichtig, dass Menschen in solchen Fällen ihre Stimme erheben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Stärkung der Zivilgesellschaft hat sich die Landesregierung durchaus vorgenommen. Sie fördert das Engagement gegen Rechtsextremismus. Sie fördert über das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus die Beratung von kommunalen Akteuren.

Wir müssen endlich dazu kommen, dass die Beratung von den Kommunen bzw. von den Versammlungsbehörden auch angenommen wird. Es gibt Versammlungsbehörden im Land, die schon jetzt darauf zugreifen. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Versammlungsbehörden, die kein Interesse daran haben. Meines Erachtens wäre es wichtig, per Erlass klarzustellen: Leute, nehmt diese Angebote einer vom Land geförderten Institution auch an.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

Wir brauchen insbesondere in Fällen wie in Tröglitz, bei denen es zur Bedrohung von demokratisch gewählten Politikerinnen und Politikern kommt, klare Antworten des Staates. Wir brauchen polizeiliche Aktivität. Wir brauchen sie aber nicht nur bei Ortsbürgermeistern, Ministern und Landtagsabgeordneten, sondern wir brauchen sie überall dort, wo Menschen aufgrund ihres demokratischen Engagements in den Fokus von Neonazis geraten. Wenn ich lese, was gestern offensichtlich in Bitterfeld passiert ist, dann meine ich, dass darin eine ganz wichtige Aufgabe liegt.

Ich will noch wenige Worte zur Einschätzung des Verfassungsschutzes zu Tröglitz sagen, dass dort keine organisierten Neonazis strategischen Einfluss hätten. Diese Einschätzung kann ich nicht teilen. Daran ändert auch nichts, dass demnächst drei Verfassungsschutzbehörden zusammen an diesem Thema arbeiten. Wenn offensichtlich Planungen von Neonazis existieren, in Tröglitz ein Rechtsrockkonzert zu organisieren, dann ist ganz klar, dass dort durch organisierte

Neonazis versucht wird, strategischen Einfluss zu nehmen.

(Minister Herr Stahlknecht: Jetzt!)

- Auch schon vorher! Man muss sich doch bloß einmal anschauen, wer die Demonstration angemeldet hat, Herr Minister. Man muss sich anschauen, wer dorthin kommt.

Herr Kollege Striegel, auf diese Anmeldung werden Sie nicht mehr eingehen können, weil Ihre Redezeit zu Ende ist.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Ich möchte am Ende nur noch ein Wort des Lobes an den Landrat des Burgenlandkreises loswerden, an Götz Ulrich. Das gehört nämlich auch dazu. Das ist deshalb wichtig, weil Götz Ulrich eine sehr verantwortungsvolle Politik macht. Er sagt nämlich für seinen Landkreis: Wir setzen auf dezentrale Unterbringung. - Ich unterstütze das ausdrücklich, weil ich glaube, dass das der richtige Weg ist.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Wir leben in Sachsen-Anhalt in einem Landstrich, der seit 70 Jahren fast ausschließlich Abwanderung erlebt hat. Zuwanderung ist unsere Chance. Ich bitte Sie alle: Lassen Sie uns gestalten. Lassen Sie uns Menschen nach Sachsen-Anhalt holen. Dazu gehört es, dass diese Menschen hier sicher leben können und wir sie hier willkommen heißen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Danke schön, Kollege Striegel. - Als Nächster spricht Herr Abgeordneter Kolze für die Fraktion der CDU.

Wir können heute Morgen weitere Gäste begrüßen, nämlich Schülerinnen und Schüler der Europaschule „August Bebel“ in Blankenburg. Willkommen im Haus!

(Beifall im ganzen Hause)

Außerdem begrüße ich Damen und Herren des Vereins Bergbaufreunde Elbingerode. Willkommen im Haus!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Causa Tröglitz sorgte bundesweit für Aufsehen. Es ist unerträglich, wenn Demokraten in unserem Land von Extremisten in ihrer Meinungsäußerung

behindert und bedroht werden. Leider ist Tröglitz kein Einzelfall in Deutschland. In Güstrow beschmierten Unbekannte das Wohnhaus des Bürgermeisters mit der Parole „Lichtenhagen kommt wieder“. In Ratzeburg in Schleswig-Holstein wurden Morddrohungen gegen den Bürgermeister an mehrere Gebäude geschmiert. In Berlin wurde das Privathaus des Abgeordneten Wansner mit Farbbeuteln beworfen.

Hinter solchen Angriffen steckt eine Strategie der extremistischen Szene. Man versucht gezielt, Angst zu verbreiten und so auf die Willensentschließungsfreiheit von Kommunalpolitikern und ehrenamtlich Tätigen einzuwirken, um sie kleinzukriegen, sodass sie zum Beispiel ihr Engagement für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden und für eine Willkommenskultur nicht fortsetzen.

Drohungen über die sozialen Netzwerke, Schmierereien und Demonstrationen sind hierbei die erste Eskalationsstufe. Jedoch scheuen Extremisten, wie auch in Tröglitz, nicht davor zurück, den persönlichen Rückzugsort von engagierten Bürgern ins Visier zu nehmen.

Das eigentliche Ziel, dass in Tröglitz keine Asylbewerber und Flüchtlinge untergebracht werden, haben die Rechtsextremisten nicht erreicht. Insgesamt sollen in diesem Jahr 650 Ausländer im Burgenlandkreis aufgenommen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Damit die Causa Tröglitz nicht zur Causa Sachsen-Anhalt wird, hat Minister Stahlknecht unverzüglich gehandelt. Folgender Maßnahmenkatalog wurde auf den Weg gebracht:

Erstens. Man kann einem ehrenamtlichen Bürgermeister eine Demonstration dieser Art vor seiner Haustür nicht zumuten. Die Demonstration in Tröglitz diente eindeutig der Einschüchterung des Ortsbürgermeisters. Hierbei muss Nachahmern von vornherein der Riegel vorgeschoben werden. Es kann nicht sein, dass ehrenamtlich Tätige wie Ortsbürgermeister, Gemeinde- und Kreistagsmitglieder durch solche Aufzüge vor ihren Häusern drangsaliert werden.

(Zustimmung bei der CDU und bei den GRÜ- NEN)

Durch einen Erlass zum Schutz ehrenamtlich Tätiger als Handlungsempfehlung für die Verwaltungsbehörden können solche gezielten Einwirkungen auf die Willensentschließungsfreiheit von ehrenamtlich Tätigen und die wiederkehrende physische Präsenz der Versammlungsteilnehmer unmittelbar vor dem Wohnhaus zur Willensbeugung rechtssicher ausgeschlossen werden. Erreicht werden kann dies insbesondere durch Auflagen und Beschränkungen. Der Erlass wird für die rechtssichere Entscheidung eine Handlungshilfe sein.

Zweitens. Minister Stahlknecht hat einen länderübergreifenden Informations- und Erfahrungsaustausch der mitteldeutschen Verfassungsschutzbehörden, des Bundesamts für Verfassungsschutz und der Länderpolizeien zum rechtsextremistischen Personenpotenzial im Dreiländereck initiiert.

Drittens. Weiterhin sollen Regionalkonferenzen auf Ebene der Polizeidirektionen durchgeführt werden, die Vertreter des Landesverwaltungsamtes, der Landkreise, der kreisfreien Städte, von Polizei und Justiz zusammenbringen sollen, um einen noch weiter intensivierten Austausch, eine noch stärkere Sensibilisierung der zuständigen Behörden und deren Mitarbeiter für eine Bekämpfung des Rechtsextremismus zu erreichen.

Letztlich werden damit die mit einer Versammlung oder Veranstaltung befassten Behörden im Bedarfsfall unterstützt und fachaufsichtlich begleitet. Das Ministerium für Inneres und Sport wird fortlaufend mit den Hauptverwaltungsbeamten der Aufnahmekommunen die Bewältigung des zu erwartenden Anstiegs der Zahl von Asylsuchenden und Flüchtlingen erörtern. Die Unterbringung und Integration von Asylsuchenden und Flüchtlingen ist eine Aufgabe für alle behördlichen Ebenen.

Für die Gestaltung einer aktiven lokalen Willkommenskultur ist es aber auch wichtig, dass die einheimische Bevölkerung, so wie in Tröglitz passiert, rechtzeitig über die Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen informiert und aufgeklärt wird. Die ganz große Mehrheit der Menschen, auch in Sachsen-Anhalt, sieht die Notwendigkeit, Flüchtlingen zu helfen. Viele Menschen tragen sich jedoch mit der Sorge, dass wir uns mit der Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern selbst überfordern. Es muss vor Ort über Ängste und Bedenken gesprochen werden können.

Die Koalitionsfraktionen begrüßen diese aus unserer Sicht wirksamen Maßnahmen. Es wurde ein klares Signal dafür gesetzt, dass wir diejenigen, die mutig sind und sich nicht nur für sich, sondern auch für andere einsetzen, nicht alleinlassen. Das Land und die Gemeinschaft, wir alle, haben die Pflicht, diese engagierten Leute zu unterstützen. Wir lassen unsere kommunalen Amtsträger nicht im Regen stehen.

Die Maßnahmen zeigen auch bereits Wirkung. In Tröglitz wollte der Protestzug am Haus des stellvertretenen Ortsbürgermeisters vorbeiziehen. Der Landkreis hat auf der Basis der neuen Erlasslage die Demonstrationen auf Nebenstraßen gelenkt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, abschließend bitte ich Sie um Zustimmung zu dem Alternativantrag der Koalitionsfraktionen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Kollege Kolze. - Zum Schluss der Aussprache spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Abgeordneter Dr. Thiel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tröglitz, mein Nachbarort in meiner Heimatregion, ist seit einiger Zeit deutschlandweit im Gespräch. Der Auslösepunkt ist Ihnen allen, denke ich, bekannt. Aber ein entscheidender Punkt wurde noch zu wenig diskutiert, nämlich das, was den Ortsbürgermeister bewegt hat. Warum ist es ihm nicht gelungen, eine schweigende Mehrheit dazu zu bringen, gegen Fremdenhass aufzutreten? Es gab seit November vorigen Jahres Initiativen, Unterstützungen vor Ort, eine Willkommenskultur zu entwickeln, aber es waren viel zu lange viel zu wenige, die sich daran beteiligt haben.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)