Protokoll der Sitzung vom 26.03.2015

(Unruhe bei der CDU)

Ich bitte darum, die familienpolitische Diskussion der CDU-Fraktion nach außen zu verlagern.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich natürlich schon auf die Diskussionen im Ausschuss; denn auch wir haben nur eine Redezeit von fünf Minuten und es gäbe viel mehr zu sagen. Zum Beispiel wurde aus dem Familienfördergesetz im Jahr 2012 genau dieser Passus herausgestrichen, Herr Jantos. Insofern

müssten wir darüber auch in den Ausschüssen noch einmal reden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legt uns heute - Herr Jantos hat es bereits angesprochen - eine Kurzversion des Antrages vor, den ihre Bundestagsfraktion in der letzten Woche in den Bundestag eingebracht hat. Natürlich unterstützt meine Fraktion das Ansinnen, Alleinerziehende gebührend zu unterstützen, auch vor dem Hintergrund, dass in Sachsen-Anhalt die im Bundesvergleich meisten Alleinerziehenden leben. Im Übrigen können wir die meisten Forderungen des Antrages mittragen, da es ja auch unsere eigenen sind.

Mein Kollege Jörn Wunderlich hat in der letzten Woche im Bundestag treffend festgestellt - ich zitiere -:

„Ich habe den Eindruck, die Grünen dachten: Jetzt wollen wir auch einmal etwas zu den Alleinerziehenden bringen. Ja, und was macht man dann, wenn man etwas zu den Alleinerziehenden bringen will? - Richtig, man … greift die Forderungen der Linken auf und schreibt sie ab.“

(Zustimmung bei der LINKEN - Zurufe von Frau Lüddemann, GRÜNE, und von der CDU)

Allerdings müssen sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fragen lassen, warum sie den Antrag zur Entlastung Alleinerziehender meiner Bundestagsfraktion im Jahr 2007 abgelehnt haben. Zum Beispiel forderte DIE LINKE schon damals unter anderem die Ausweitung des Unterhaltsanspruches bis zum 18. Lebensjahr. Die GRÜNEN hatten den Antrag seinerzeit mit der Begründung, dass damit steigende Kosten für Bund und Kommunen verbunden seien, abgelehnt. Und heute? Wer trägt die Kosten heute?

Anrede - - Ach, Quatsch!

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

- Dass mir das jetzt auch passiert! Mir passiert das also auch. Aber es ist meine eigene Rede.

(Zuruf: Anrede Komma! - Weitere Zurufe)

- Nein, nein, das steht dort nicht. - Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte auf einzelne Punkte des Antrages eingehen.

Unter Punkt 1 des Antrages fordern Sie eine stärkere steuerliche Entlastung von Alleinerziehenden. Welche Weichen dafür gestellt werden sollen, findet man im Antrag nicht. Selbst eine Erhöhung des steuerlichen Entlastungsbetrages würde bei Alleinerziehenden mit einem Kind erst ab einem monatlichen Einkommen von 1 407 € wirken. Somit profitiert von der Erhöhung nur eine kleine Gruppe von Alleinerziehenden. Warum? - Minister Bischoff

hat es bereits gesagt: Erwerbstätig sind 60 % der Alleinerziehenden, lediglich 42 % davon arbeiten in Vollzeit. Diese Maßnahme würde also viel zu kurz greifen.

Alleinerziehenden muss anders geholfen werden, zum Beispiel mit einer Reform des Kinderzuschlages, mit der Anhebung des Kindergeldes und mit einer deutlich verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

(Zustimmung von Frau Hampel, SPD)

Wir haben in unserem Änderungsantrag deshalb die Forderung nach einer armuts-festen Grundsicherung erhoben. Wir sehen darin die Möglichkeit, insbesondere untere Einkommensschichten zu erreichen und jedem Kind die benötigten Mittel bereitzustellen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Unter Punkt 3 Ihres Antrages formulieren Sie ein sehr ambitioniertes Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, wenn man weiß, dass die Rückgriffquote bundesweit bei ca. 20 % liegt. Ursachen hierfür wurden bereits genannt. Diese sind sehr vielfältig. Eine möchte ich erwähnen: In den letzten Jahren hat sich die Anzahl der Beschäftigten im Niedriglohnsektor erhöht, sodass schon aus diesem Grund viele Unterhaltspflichtige ihren Pflichten nicht nachkommen können.

Sehr geehrte Damen und Herren! Zusammenfassend kann ich sagen: Mit diesem Antrag ist versucht worden, auf die Problemlagen Alleinerziehender einzugehen. Für meine Fraktion ist dies allerdings zu kurz gesprungen, da etliche Bereiche, die Alleinerziehende betreffen, außen vor bleiben. Ich verweise hierzu auf die Broschüre „Alleinerziehende unter Druck - Rechtliche Rahmenbedingungen, finanzielle Lage und Reformbedarf“ von Professor Dr. Anne Lenze von der Hochschule Darmstadt, die im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erarbeitet wurde.

Bis auf Punkt 3 des Antrages, den wir ein Stück weit selbst in Angriff nehmen können, behandelt Ihr Antrag Bundespolitik. Darauf haben wir als Land, wie Sie wissen, begrenzten Einfluss. Ich bitte um die Annahme unseres Änderungsantrages. Auch einer Überweisung beider Anträge würde meine Fraktion zustimmen. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Kollegin Hohmann. - Bevor die Kollegin Hampel für die SPD-Fraktion spricht, können wir Schülerinnen und Schüler der DiesterwegSekundarschule in Burg begrüßen. Seien Sie recht herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause - Herr Scheurell, CDU: Es ist uns eine große Freude!)

Bitte sehr, Kollegin Hampel.

Sehr gehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte, bei dem Antrag sind wir uns alle einmal einig. Ich fand es ein bisschen überraschend, dass sich die Linken und die GRÜNEN darüber streiten, wer es zuerst erfunden hat. Henne oder Ei - wer war zuerst da? - Das ist eine spannende Frage.

Der werte Kollege Herr Jantos hat ganz salopp den Alleinerziehenden unterstellt, sie würden bei Hartz IV mogeln und lieber auseinanderziehen anstatt zusammenzuleben. Das fand ich vom Ansatz her - -

Liebe Frau Kollegin Lüddemann, wir sind für Ihren Antrag dankbar; denn er gibt uns die Gelegenheit, in diesem Hohen Haus über die Lebenssituation von Alleinerziehenden mit Kindern zu reden. Wie sieht diese aus? Zunächst möchte ich ein paar statistische Zahlen aus dem Jahr 2012 nennen.

Ein Viertel aller Familien sind Einelternfamilien. Alleinerziehung ist in der Regel Frauensache. In neun von zehn Fällen tragen die Frauen die Verantwortung. Es gibt 82 000 Alleinerziehende in unserem Land; davon sind 60 % Alleinerziehende mit Kindern unter 18 Jahren. Die Anzahl der minderjährigen Kinder beträgt 69 000, die Anzahl der volljährigen Kinder beträgt 33 000. Das heißt, in Sachsen-Anhalt leben 82 000 Alleinerziehende mit 102 000 Kindern. Das sind stolze Zahlen.

Die Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation stellt sich wie folgt dar: Im Jahr 2012 gab es im Durchschnitt 12 150 alleinerziehende Arbeitslose. Davon befanden sich fast 92 % im Rechtskreis des SGB II und nur 8,4 % im Rechtskreis des SGB III. Aber nicht alle, die Hartz-IV-Leistungen beziehen, sind arbeitslos. Eingerechnet sind darin auch diejenigen mit den aufstockenden Leistungen; denn ein Großteil, fast der überwiegende Anteil alleinerziehender Frauen und Männer, geht arbeiten - und das Geld reicht trotzdem nicht zum Leben.

Fast die Hälfte der arbeitslosen Alleinerziehenden verfügt über einen Realschulabschluss, also über die mittlere Reife; etwa 10 % haben keinen Schulabschluss und 29 % besitzen einen Hauptschulabschluss. 62 % der Alleinerziehenden haben eine betriebliche oder schulische Ausbildung abgeschlossen, knapp 30 % haben keine Berufsausbildung abgeschlossen.

Leider nimmt der Anteil der vollzeitbeschäftigten Alleinerziehenden kontinuierlich ab und der Anteil der teilzeitbeschäftigten Alleinerziehenden steigt rasant an. Im Jahr 1997 gab es 15 % Teilzeitbeschäftigung in diesem Bereich; im Jahr 2012 waren es bereits 42 %. Das bedeutet, dass viele Alleinerziehende in Sachsen-Anhalt in prekären finanziellen Verhältnissen leben und hier deutlich

stärker armutsgefährdet sind als in anderen Bundesländern. Das wurde bereits gesagt.

Mit der Zunahme von Teilzeitbeschäftigungen verfestigt sich die Kinderarmut; dies geht einher mit Bildungsarmut und diese führt schließlich zu Altersarmut. Gegen diese Schieflage müssen wir dringend Maßnahmen ergreifen.

Noch einen Aspekt möchte ich in diesem Kontext benennen. Wir brauchen dringend Fachkräfte in der Gastronomie, in der Hotellerie und im Bereich der Pflege. Der überwiegende Teil der Alleinerziehenden ist gut bis sehr gut ausgebildet, doch - und da fängt das Problem an - Nachtschichten und Wochenenddienste können Alleinerziehende nicht leisten. Für sie brauchen wir andere Konzepte und eine sich auf die Bedürfnisse von Alleinerziehenden einstellende Arbeitswelt. Wir haben also ein wichtiges Fachkräftepotenzial, das bei uns brachliegt, weil die heutige Arbeitswelt bei uns in Sachsen-Anhalt und auch in der übrigen Bundesrepublik die Kinder noch nicht mitdenkt. Das wäre aber dringend notwendig.

(Zustimmung bei der SPD)

Hierfür müssen wir schon sehr früh die richtigen Weichen stellen: Schulabbrecherquote senken, gute Schulabschlüsse befördern, eine ordentliche Berufsvorbereitung sicherstellen, die Zahl der Ausbildungsabbrüche senken, Ausbildungen in Teilzeit anbieten. Das sind Maßnahmen, die an dieser Stelle unbedingt zu nennen sind, aber auch flexible Arbeitszeitmodelle und die Möglichkeit der Heimarbeit ebenso wie der Wiedereinstieg ins Berufsleben, der unbedingt erleichtert und gefördert werden muss, sowie Umschulungs- und Weiterqualifizierungen.

Das Einzige, mit dem wir im Bundesgebiet eine Vorreiterrolle einnehmen, ist unsere gute Kinderbetreuung. Doch in Randzeiten brauchen Alleinerziehende weitere Unterstützung. Das Modell von Betriebskindergärten, gerade bei großen Pflegeeinrichtungen, ist ein ganz wichtiger Aspekt.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Zeit ist schon abgelaufen.

Ihre Redezeit, Frau Hampel.

(Heiterkeit)

Die Redezeit, natürlich. Was sonst? - Der Entlastungsbetrag ist bereits mehrmals angesprochen worden. Es gab dazu eine Debatte im Bundestag. SPD und CDU haben bereits einhellig darauf hingewiesen, dass der Gesetzentwurf an dieser Stelle

nachgebessert werden muss. Jetzt warten wir einmal ab, was daraus wird. Ich denke, es ist richtig, die Anträge in die entsprechenden Ausschüsse zu überweisen, dort darüber zu diskutieren und nach praktikablen Lösungen für unser Bundesland zu suchen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr, Kollegin Hampel. - Frau Lüddemann schüttelt den Kopf; sie verzichtet also auf einen weiteren Redebeitrag.

Ich habe keinen Protest gegen eine Überweisung der Anträge vernommen. Ich nenne noch einmal die Ausschüsse, in die die Anträge überwiesen werden sollen: zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales und zur Mitberatung in die Ausschüsse für Finanzen, für Inneres und Sport, für Recht, Verfassung und Gleichstellung. Können wir darüber insgesamt abstimmen? - Ich sehe keinen Widerspruch.

Wer der Überweisung der Anträge in die genannten Ausschüsse zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind alle Fraktionen. Damit sind der Antrag in der Drs. 6/3890 und der Änderungsantrag in der Drs. 6/3917 zur Beratung in die genannten Ausschüsse überwiesen worden.

(Unruhe)

- Irgendwie ist es zu laut hier.