Protokoll der Sitzung vom 27.03.2015

Das Jugendamt blieb jedoch bei seiner Entscheidung, die in eigener Verantwortung aufgrund der verfassungsmäßig garantierten kommunalen Selbstverwaltung, also im sogenannten eigenen Wirkungskreis, erfolgt war.

Das Jugendamt des Landkreises hat den Eltern Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII zu gewähren, wenn dies zur Abwendung der Gefährdung der Entwicklung der Kinder notwendig und geeignet ist. Das Jugendamt konnte ein Angebot einer gemeinsamen Unterbringung in einer professionell betreuten Wohngemeinschaft in einem benachbarten Bundesland finden. Dieses wurde seitens der Eltern unter Hinweis auf den damit verbundenen Wohnortwechsel nicht akzeptiert. Ein geeignetes Angebot am derzeitigen Wohnort oder in räumlicher Nähe konnte also nicht ermittelt werden.

Da ein verlässliches und kontinuierliches Angebot in stationärer Form durch eine Rund-um-die-UhrBetreuung nicht gewährleistet werden konnte und eine verfügbare ambulante Hilfe nach fachlicher Einschätzung des Jugendamtes, so hieß es, nicht ausreichend war, nahm das Jugendamt wegen der Kindeswohlgefährdung als vorläufige Schutzmaßnahme die Kinder in Obhut und brachte sie in einer Pflegefamilie unter.

Dieser Verfahrensweise widersprachen die Eltern und reichten die Petition ein. Von der Notwendigkeit der Maßnahme konnte das Jugendamt aus sozialpädagogischer Sicht auch nicht abweichen, da das vorliegende Gutachten und die Risikobewertung dies nicht zuließen. Perspektivisch bestand jedoch das Ziel, das Recht von Eltern mit Behinderung auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder in vollem Umfang zu realisieren. Dazu sollte eine möglichst ambulante, gegebenenfalls auch stationäre Form der begleiteten Elternschaft in Wohnortnähe angeboten und die notwendige Vollzeitbetreuung durch Fachkräfte sichergestellt werden.

Aufgrund der Petition verhandelte der Landkreis schließlich mit einem Träger, um eine ambulante Betreuung zu organisieren. Dieser Träger hatte sich mit der Erarbeitung eines Konzeptes befasst, das dem Jugendamt im Herbst 2014 vorgelegt werden sollte. Die Prüfung des Konzepts fiel positiv aus, sodass die vorläufige Schutzmaßnahme, also die Inobhutnahme der Zwillinge, im Herbst 2014 beendet wurde. Das Konzept sah vor, dass die Hilfeleistung im Haushalt der Petenten stattfin

den soll, wobei der Träger die erforderlichen Fachkräfte zur Verfügung stellt.

Das ist ein Beispiel, das zeigt, wie die Arbeit des Petitionsausschusses im Interesse des Petenten gelingen kann, wenn alle an einem Tisch sitzen und miteinander reden. Das war ein Beispiel und ich wünschte mir viele solcher Erledigungen von Petitionen. Wir schauen; wir arbeiten weiter. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Kollegin Hohmann. - Damit ist die Aussprache beendet. Wir stimmen jetzt ab über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses in der Drs. 6/3867 mit den Anlagen 1 bis 13. Wer der Empfehlung zustimmt, die Petitionen für erledigt zu erklären, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind alle Fraktionen. Damit ist die Beschlussempfehlung in der Drs. 6/3867 angenommen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 12.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung

Steuervermeidung durch Harmonisierung der Steuervorschriften in Europa offensiv begegnen

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/3889

Alternativantrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/3916

Einbringer des Antrages ist der Abgeordnete Herr Meister. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lizenzboxen, Lizenzschranken, Doppel

besteuerungsabkommen - Anträge zu finanzpolitischen Themen neigen durchaus zu einer gewissen Komplexität, was ihrer Verständlichkeit nicht gerade förderlich ist. Daher möchte ich das grundsätzliche Problem, das wir in dem Antrag anreißen, an einem fiktiven Beispiel deutlich machen, bevor ich auf die einzelnen Punkte des Antrages eingehe.

Stellen Sie sich auf einem Marktplatz irgendwo im Land zwei Caféhäuser vor, ein Caféhaus gehört einer internationalen Caféhauskette, das andere Caféhaus, nennen wir es Caféhaus Müller, ist ein alteingesessener Familienbetrieb. Beide Unternehmen machen an dem Standort aus ihrem operativen Geschäft Gewinn. Man könnte annehmen, dass sich dies auch in der Steuerlast entsprechend niederschlagen wird.

Bei der Caféhauskette kommt aber folgender Umstand hinzu: Die Kette muss dafür, dass sie einen bestimmten Namen führt, eine Lizenzgebühr bezahlen. Diese Lizenzgebühr wird nicht innerhalb Deutschlands bezahlt, sondern sie wird ins Ausland gezahlt, beispielsweise an die Niederlande. Die Lizenzgebühr ist leider so hoch, dass die Caféhauskette in Deutschland ungünstigerweise Verlust macht, was sich entsprechend negativ auf die Steuer auswirkt. In den Niederlanden werden - man möchte meinen, nach Glückes Geschick - die Gewinne aus Lizenzen allerdings niedrig besteuert, sodass das Unternehmen erheblich Steuern spart.

Nun schauen wir wieder auf den Markplatz. Der Marktplatz wird gepflastert, er wird beleuchtet, er wird regelmäßig gereinigt, der öffentliche Personennahverkehr bringt Kunden hin und holt Kunden ab, die Polizei schaut nach dem Rechten, die Kunden des Cafés nutzen auch Kultureinrichtungen der Stadt, die sich in der Umgebung befinden, wenn es Streit gibt, muss die Justiz schlichten. All das sind Dinge, die von grundlegender Bedeutung sind und eine grundlegende Voraussetzung dafür sind, dass man an dem Standort wirtschaftlich aktiv sein kann und Gewinne generieren kann. Diese Voraussetzungen, die vereinfacht an diesem Beispiel dargestellt sind, finanziert allein das Caféhaus Müller. Das ist nicht fair.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, von Frau Niestädt, SPD, und von Herrn Czeke, DIE LINKE)

Das hat auch einen wirtschaftspolitischen Einschlag. Die beiden Häuser in dem Beispiel stehen in einem Wettbewerb miteinander und setzen sich in diesem Punkt auseinander. Es ist klar, wer in diesem Fall einen Wettbewerbsvorteil hat und wer den Wettbewerbsnachteil hat. - So weit zu dem Beispiel.

Natürlich sind die Steuergestaltungsmodelle im wahren Leben vielfältiger. Auch stellt sich das Problem nicht nur im Gastronomiebereich, sondern es betrifft alle Bereiche, wie Industrie, Gewerbe, Handel, Dienstleistung, Logistik, nämlich immer dann, wenn international agierende Unternehmen auf nationale oder gar nur auf regional tätige Firmen treffen.

Verlierer sind wir alle in zweierlei Hinsicht. Zum einen verlieren unsere öffentlichen Haushalte an Gestaltungskraft bzw. sichern diese Gestaltungskraft durch einen stärkeren Rückgriff auf die verbleibenden Steuerzahler. Zum anderen werden kleine und mittelständische Unternehmen benachteiligt. Dass in Sachsen-Anhalt nicht so immens viele internationale Großkonzerne ihren Sitz haben, dürfte bekannt sein. Dementsprechend sind gerade unser Land und unsere Wirtschaft Verlierer dieser Entwicklung.

(Zustimmung von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE, und von Frau Niestädt, SPD)

Auf europäischer Ebene ist die Situation im Zuge der Luxleaks-Affäre deutlich geworden. Als Luxleaks wird die Veröffentlichung vertraulicher Unterlagen der Unternehmensberatungsgesell

schaft PwC aus einer undichten Stelle - diese nennt man Leak - im Herbst des vergangenen Jahres bezeichnet. Diese Dokumente beweisen, wie sich große Unternehmen durch die Gründung von Tochtergesellschaften in Luxemburg um die Verpflichtung, im Land ihres Firmensitzes, also im Land der eigentlichen Wertschöpfung, Steuern zu zahlen, herummogeln konnten.

Dabei entscheidend waren Steuervereinbarungen Luxemburgs mit den Unternehmen, die dadurch teilweise nur 1 % Steuern zahlen mussten. Dass das für die Unternehmen attraktiv ist, ist klar. Aber Verlierer sind wir alle, weil damit Steuern und damit Möglichkeiten der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung verloren gehen.

(Unruhe)

Die schwierige Kost wird durch die Unruhe noch schwieriger. Also versuchen Sie, noch ein bisschen Ruhe zu bewahren.

(Herr Knöchel, DIE LINKE: Ist doch ein auf- regendes Thema!)

Auf jeden Fall. - Luxemburg ist dabei nur ein Beispiel. Viele Steuervermeidungsstrategien funktionieren gerade in Europa besonders gut, weil wir den Unternehmen bewusst und auch sinnvollerweise umfassende Freiheiten im gemeinsamen europäischen Markt gewähren, die dazu gehörende Steuerpolitik aber immer noch national organisiert ist. Die Globalisierung und die zunehmende Mobilität der Steuerpflichtigen erschwert der Steuerverwaltung eine angemessene Bewertung der Steuerbemessungsgrundlagen.

Der nun zutage tretende aggressive Steuerwettbewerb der EU-Mitgliedstaaten, also eben nicht der irgendwelcher exotischen Inselgruppen in der Karibik, hat dramatische fiskalische Auswirkungen. Die Steuermindereinnahmen für alle EU-Mitgliedstaaten werden pro Jahr auf etwa 1 Billion € geschätzt.

Es kann nicht mehr toleriert werden, dass sich große grenzüberschreitend tätige Unternehmen ihrer lokalen Steuerverantwortung teilweise in extremen Ausmaßen entziehen, indem sie die nicht aufeinander abgestimmten nationalen Steuerrechtsordnungen ausnutzen. Es ist ebenso nicht mehr tolerierbar, dass einzelne Staaten dieses Handeln auch unterstützen, indem sie mit ihrem nationalen

Steuerrecht Ansiedlungspolitik betreiben, indem sie besonders günstige steuerliche Konditionen für Unternehmen anbieten.

Der internationale Steuerwettbewerb verzerrt die Wettbewerbsbedingungen in einer globalisierten Wirtschaft.

Wir sind der Meinung, dass Unternehmen unabhängig von ihrem Standort und von ihrer Größe gleiche Wettbewerbsbedingungen haben sollten. Die Unternehmen sollen mit Produkten und Ideen konkurrieren und nicht mit der Fähigkeit, sich ihren Steuerzahlungen zu entziehen.

(Zustimmung bei der LINKEN, von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE, und von Frau Niestädt, SPD)

Kleine und mittlere Unternehmen dürfen nicht länger die Verlierer sein, die in Relation deutlich mehr Steuern zahlen müssen als ihre multinationalen Wettbewerber. Alle Unternehmen sollten die Verantwortung für das Gemeinwesen wahrnehmen und deshalb ihren steuerlichen Beitrag leisten.

Wir brauchen daher einen Paradigmenwechsel in Europa hin zu mehr Steuerharmonisierung. Das heißt nicht, alles gleichzumachen, aber das heißt, Mindeststandards für die Unternehmensbesteuerung festzusetzen, um das Funktionieren des europäischen Binnenmarktes im Sinne eines fairen Wettbewerbs sicherzustellen.

Die Eindämmung von Steuergestaltung wird nur in einem abgestuften Prozess funktionieren. Die Sicherstellung von Transparenz wird ein erster Schritt sein, um Steuergestaltung einzudämmen. Die Punkte 4 bis 6 unseres Antrages sehen solche Schritte vor.

Aktuell müssen Konzerne nur das Endergebnis sämtlicher Konzerngesellschaften, die über die ganze Welt verteilt sein können, veröffentlichen. Eine Verpflichtung zur Offenlegung länderbezogener Angaben gibt es nicht. Man kann daher nicht erkennen, ob ein Konzern seine Gewinne in Niedrigsteuerländer schleust und wie er dabei vorgeht. Wir wollen, dass große und multinationale Unternehmen verpflichtet werden, ihre Gewinne, Umsätze, Beschäftigtenzahlen und Kapitalbestände sowie Steuerzahlungen länderbezogen offenzulegen. Eine so weitreichende Pflicht zur Offenlegung gibt es bereits in den USA - es ist also keine revolutionäre Forderung - und auch im europäischen Bereich, nämlich in Finnland.

Die länderbezogene Offenlegung soll in einem ersten Schritt - darauf zielt Punkt 4 unseres Antrages ab - national umgesetzt werden. Wir sind davon überzeugt, dass andere Länder diesem Beispiel rasch folgen werden, was die Voraussetzung für Transparenz in Europa und international schafft.

Multinationale Unternehmen haben mithilfe von großen Unternehmensberatungen in den letzten Jahren ihre legalen Steuerplanungen mit immer ausgefeilteren Strategien dahingehend weiterentwickelt, dass zu versteuernde Gewinne in Staaten mit günstigen Steuerregelungen verlagert werden können. Lizenzgebühren sind eines der wesentlichen Gestaltungsmittel multinationaler Unternehmen, um Steuern zu vermeiden. Ich hatte das in meinem Beispiel bereits angedeutet.

Man nennt es Lizenzbox, wenn es im Steuerrecht eine eigene Rubrik dafür gibt, wie man Steuern auf Lizenzen und ähnliche Rechte zu zahlen hat. Mittlerweile bieten zehn EU-Mitgliedstaaten dieses Steuersparmodell an. Nach Presseberichten werden auch im Bundesfinanzministerium von Wolfgang Schäuble Vorbereitungen und Überlegung angestellt für eine nationale Lizenz- und Patentbox, sozusagen in Antwort auf das, was von anderer Seite kommt.

Ich meine, das wäre der falsche Weg und würde den ruinösen Steuerwettbewerb in Europa noch weiter befeuern, anstatt ihn zu bekämpfen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Lizenz- und Patentboxen sind zudem ein Schlag ins Gesicht des Mittelstandes, der Know-how im eigenen Haus entwickelt und umsetzt und oft aus gutem Grund keine Patente anmeldet. Denn der Mittelstand will im eigenen Unternehmen und möglichst auch in Deutschland bzw. in Sachsen-Anhalt produzieren und Arbeitsplätze sichern.

Wir wollen, dass Lizenzgebühren an verbundene Unternehmen künftig in Deutschland nur dann absatzfähig sein sollen, wenn die Gebühren im Ausland mit mindestens 15 % besteuert werden; andernfalls wird der Abzug als Betriebsausgabe verwehrt. Das ist eine sogenannte Lizenzschranke, die wir unter Punkt 3 unseres Antrages benannt haben.

Die Punkte 1 und 2 des Antrages zielen auf die Einführung von Mindeststandards ab. Ein weiterer Schritt bei der Harmonisierung von Steuervorschriften in Europa muss nämlich die Einführung eines europäischen Mindeststeuersatzes auf Unternehmensgewinne sein.

Im Zusammenhang mit einer Angleichung der Vorschriften für die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage wird ein Mindeststeuersatz den Steuerwettbewerb zwischen den Ländern vermindern, Steuerdumping verhindern und den Wettbewerb auf Innovationskraft und Produkte ausrichten. Länder, in denen ein deutlich geringerer Mindeststeuersatz gilt, werden eine angemessene Anpassungszeit brauchen, die man ihnen auch gewähren sollte.