Aber ich sage ganz klar: Das geht darüber hinaus. Und wenn in einer solchen aufgeheizten Situation, wie wir sie seit vielen Monaten haben, der Parteichef der CSU, Teil dieser Bundesregierung, Herr Seehofer, noch immer diesen Blödsinn quatscht, Deutschland dürfe nicht das Sozialamt der Welt werden, dann ist er genauso jemand, der Öl ins Feuer gießt und die Würde des Menschen zur Disposition stellt.
Wir haben weitere Aufgaben in der Politik zu realisieren. Unsere Unterteilung jener, die hierherkommen, ist nicht logisch, nicht nachvollziehbar und in vielfacher Hinsicht zynisch. Wir wollen den EU-Arbeitnehmer haben - offensichtlich, da haben wir die Freizügigkeit -, aber als dann Roma-Familien kamen, fanden das einige schon wieder nicht so gut. Also ist offensichtlich die ethnische Abstammung schon einmal ein Aspekt bei der Frage, ob jemand zu uns kommen darf oder nicht.
Wir unterscheiden, ob die Menschen aus Not vor einem Kalten Krieg fliehen oder ob der Krieg gerade ein heißer Krieg ist. Wir differenzieren danach: Wird er nun aus politischen, ethnischen oder religiösen Gründen verfolgt? Die Konsequenz ist wahrscheinlich in jedem Fall die gleiche, aber wir unterscheiden erst einmal. Dies führt zu Rahmenbedingungen, die letztlich nicht umsetzbar sind.
Wir unterscheiden danach, ob jemand politisch verfolgt wird oder ob ihm die wirtschaftliche Lebensgrundlage entzogen wird. All das sind Dinge, die sich in der Realität nicht durchhalten lassen.
Nun gibt es mehrfach, unter anderem in dem CDUPapier, die Forderung: Wer hier kein Bleiberecht hat - so schnell wie möglich abschieben!
Wir haben die Situation an einer schwarzafrikanischen Familie mit kleinen Kindern einmal durchexerziert, Einreise über einen sicheren Drittstaat, Italien. Dann sind sie abgeschoben worden, sind dort auf einem Bahnsteig abgeladen worden, ohne jede Rahmenbedingung, dass man sich in irgendeiner Art und Weise um sie gekümmert hätte. Das hat doch nichts mit Humanismus und Menschlichkeit zu tun. Deshalb ist diese Forderung falsch, weil sie an der Sache vorbeigeht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ja, und dann diskutieren wir natürlich über das, was jetzt im Mittelmeer passiert - weltweit mit Abstand die Grenze mit den meisten Todesopfern. Ich sage ganz klar: Wir müssen nicht so tun, als würden wir uns hier für Menschlichkeit und Weltoffenheit einsetzen - und eigentlich hoffen wir, dass das Problem im Mittelmeer ertrinkt. Dieser Zynismus, den unter anderem auch im „Spiegel Online“ letztens ein Kommentator angewandt hat, holt uns jetzt ein.
Es ist so, dass diese Todesopfer, mehr als 1 000 in der letzten Woche, ausdrücklich auch Folge einer deutschen Positionierung waren. Es war der Bundesinnenminister, der noch nach 1 000 Toten im Mittelmeer gesagt hat: „Mare Nostrum“
darf nicht stattfinden, dann haben wir keine Abschreckung mehr. Nein, ein Rettungsprogramm darf es nicht geben; wir brauchen dieses als Abschreckung, damit nicht noch mehr zu uns kommen. - Das ist Zynismus.
Und wer so gegenüber den Opfern im Mittelmeer agiert, der hat ein Glaubwürdigkeitsproblem auch vor Ort. Auch darüber müssen wir sprechen.
Zu der Debatte über die Schlepperbanden. Das ist nun wirklich das letzte Ausweichmanöver. Die Menschen werden, wenn sie keinen legalen Zugang zu Europa haben, jede Möglichkeit nutzen, und es werden sich immer Wege eröffnen. Die kann man auch nicht wegbomben, indem man die Boote in die Luft sprengt. Es wird immer Möglichkeiten geben. Das funktioniert so nicht.
Der Kollege Bundesratspräsident hat vor nicht allzu langer Zeit einmal eine höhere Verantwortung Deutschlands in der Welt eingefordert. Viele haben darunter verstanden, er will Militäreinsätze. Er fühlte sich schrecklich missverstanden. Na ja, gut, wenn wir als Bundesrepublik mehr Verantwortung in der Welt haben wollen, dann müssen wir auch mehr Verantwortung für diese Flüchtlingsströme übernehmen, auch im Mittelmeer, auch in Europa. Das ist doch eine Aufgabe, bei der wir gern an der Seite des Bundesratspräsidenten wären. Dazu hätte ich auch gern einmal einen Satz von ihm gehört, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Kommen wir zu den Aufgaben, die wir vor Ort haben. Natürlich muss Integration professionell umgesetzt werden. Es ist eine komplexe Aufgabe, die wir auch komplex angehen müssen. Wir können nicht Soziallotsen aus ehrenamtlichen Bereichen einmal damit beauftragen, dieses komplexe Problem zu realisieren.
Wir brauchen die Ehrenamtler, wir brauchen sie überall. Aber sie brauchen professionelle Organisation, Anleitung und Unterstützung. Das heißt, diese Aufgabe muss professionell organisiert sein mit Menschen, die sich dort wirklich auskennen und die Qualitäten und Fähigkeiten dafür haben. Diese können dann die Ehrenamtler mit hineinnehmen, sie können die Arbeit der Ehrenamtler organisieren. Das ist eine deutliche Differenz zu dem, was wir bisher aus der Regierung gehört haben.
Wir brauchen interkulturelle Kompetenzen in der Verwaltung, eben auch Menschen mit Migrationshintergrund, die dezidiert in die Verwaltung einbezogen werden müssen. Und wir brauchen endlich eine Regelung der Finanzierung. Allein das Versprechen: Liebe Kommunen, ihr bleibt darauf nicht sitzen - dazu haben wir morgen einen Antrag auf
der Tagesordnung -, genügt nicht. Wir brauchen eine gesetzliche Grundlage, auf die sie sich verlassen können.
Außerdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir uns natürlich mit der Angst, mit den Vorurteilen, mit der Fremdenfeindlichkeit und dem Rassismus in der Gesellschaft auseinandersetzen. Es gibt Unterschiede zwischen Angst und Fremdenfeindlichkeit, aber die Übergänge sind fließend, und diesen fließenden Übergängen müssen wir begegnen.
Natürlich müssen wir mit den Menschen reden, aber ich sage noch einmal, was ich bereits im Februar gesagt habe: Wir müssen Aufklärungsarbeit leisten. Keines der sozialen Probleme in diesem Land Sachsen-Anhalt haben Migranten verursacht. An vielen Stellen wären Migranten die Lösung dieses Problems. Das ist unsere Botschaft.
Ich sage noch einmal ausdrücklich: Wenn wir mit ihnen sprechen, dürfen wir einen Fehler nicht machen, und zwar ihnen nach dem Mund zu reden, mit ein bisschen mehr schnellerer Abschiebung und ein bisschen mehr: Ja, da habt ihr natürlich Recht, die wollen wir nicht haben, die schieben wir lieber woandershin; da habt ihr natürlich Recht, nicht hier vor Ort, dann sollen sie woanders sein. - Ja, wenn wir so weich werden, dann unterstützen wir jene, die die Würde des Menschen letztlich infrage stellen. Ein solches Signal darf von uns nicht ausgehen.
Ich sage ganz klar: Jawohl, Herr Ministerpräsident, ich fand es gut, wie Sie auf den Brandanschlag in Tröglitz reagiert haben; und ich fand auch vieles, was Sie heute hier gesagt haben, gut. Deswegen ist für uns nicht entscheidend, wer in dieser Frage in welcher Partei ist. Das ist völlig egal. Es gibt in jeder Partei Menschen, die sich für Integration, für Humanismus und Weltoffenheit einsetzen.
Ich sage aber auch ganz klar: Wir werden uns mit denjenigen auseinandersetzen, egal in welcher Partei der- bzw. diejenige ist, die versuchen, aus rechtspopulistischen Motiven heraus Stimmung zu machen und Kapital zu schlagen. Wir werden uns auch mit all jenen auseinandersetzen, die mit der Tonalität ihrer Papiere und ihrer Position - dazu zähle ich übrigens ausdrücklich auch das Papier der CDU aus diesem Jahr zu diesem Thema - versuchen, ein Stück weit diese Stimmung aufzunehmen. Damit werden wir uns auseinandersetzen. Dort, wo wir für Weltoffenheit gemeinsam auf der Straße stehen, sind wir solidarisch. - Danke.
Danke schön, Kollege Gallert. - Wir fahren fort in der Aussprache zur Regierungserklärung. Bevor die Fraktionsvorsitzende Katrin Budde das Wort nimmt, darf ich die Zeit nutzen, weitere Gäste im Haus willkommen zu heißen, die den ganzen Tag in allen Fraktionen als Gäste im Rahmen des Girls‘ and Boys‘ Day im Hause sind und teilweise auf den Besuchertribünen verfolgen, was hier geschieht, teilweise aber auch fleißig arbeiten und schauen, wie hinter den Kulissen, in Verwaltung und Fraktionen, Landtag funktioniert. Willkommen im Haus!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als am Osterwochenende die Nachricht aus Tröglitz kam, dass dort ein Haus angezündet worden ist, das als Flüchtlingsunterkunft gedacht war, kam mir ein Satz von Heinrich Heine in den Sinn:
Über dieses Vorspiel sind wir hier ja lange hinaus. Denn Bücher waren lange nicht mehr das Ziel, sondern ein Haus, in dem Menschen noch gewohnt haben und in dem vor allem Menschen wohnen sollten. Und es war ein Glück, dass sich die Menschen, die darin gewohnt haben, noch in Sicherheit bringen konnten. Das ist, meine Damen und Herren, einfach ein verabscheuungswürdiges Verbrechen. Menschen, die Hilfe suchen, das Dach über dem Kopf anzuzünden, das geht gar nicht.
In Tröglitz hat die NPD nicht nur versucht, den Bürgermeister unter Druck zu setzen, dort schlug die Situation in offene Gewalt um. Und dass dabei Menschenleben in Gefahr gerieten, wurde offensichtlich billigend in Kauf genommen. Es ist ganz klar, dass dort ein Ungeist am Werke war, der sich in Gewalt entlädt und am Ende auch vor Menschenleben nicht Halt macht.
Deshalb will ich dazu als zivilisierter Mensch nur sagen: Das ist in der Tat eine Schande. Und als Demokratin will ich sagen: Die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie misst sich auch daran, dass es den Tätern nicht gelingen darf, mit ihren Methoden das Flüchtlingsheim in Tröglitz wegzuzündeln.
Der Ministerpräsident sagte zu dem Anschlag: Tröglitz ist überall. Ja, Fremdenfeindlichkeit ist in der Tat leider kein Alleinstellungsmerkmal für Sachsen-Anhalt oder den Osten. Wer die Diskussion so eindimensional führt und der Versuchung erliegt, das Thema so holzschnittartig einzugrenzen, der geht an der Wirklichkeit meilenweit vorbei, der lenkt aber auch ab. Rassismus kennt eben keine Himmelsrichtung. Demokratische Haltung ist überall gefragt, und sie wird, Gott sei Dank, auch überall geübt.
Ich würde deshalb Ihrem Satz, Herr Ministerpräsident, gern einen anderen Satz zur Seite stellen wollen: Auch Anständige gibt es überall - übrigens auch in Tröglitz.
Nein, wir sind kein Land von Brandstiftern. Diese feigen Verbrechen stehen nicht für die Mehrheit der Menschen in Sachsen-Anhalt, weder für jene, die laut protestieren, oder für jene, die sich für die Flüchtlinge engagieren und ihnen helfen, noch für jene, die sich schweigend schämen. Wir müssen alles in unserer Kraft Stehende tun, damit die Anständigen immer die Mehrheit haben. Das ist unsere Aufgabe.
Wenn wir uns auf die Suche nach den Ursachen dafür begeben, dass es so weit kommen konnte, dass sich nach den 90er-Jahren wieder jemand traut, eine Flüchtlingsunterkunft anzuzünden, dann kommen wir auch zu Pegida. Tröglitz ist eben auch eine Auswirkung des Pegida-Spuks, der rassistische Einstellungen, verbrämt als Sorge von Bürgerinnen und Bürgern, offensichtlich salonfähig gemacht hat. Der Pegida-Gründer Bachmann hat Flüchtlinge als „Viehzeug“, als „Dreckspack“ und als „Gelumpe“ bezeichnet. Das ist Rassismus pur!
Heute sieht man auf den Magida-Demos in Magdeburg Schilder mit der Aufschrift „Rassenmischung ist Gotteslästerung!“, und das Magida-FacebookProfil trägt das Foto von Sigrid Schüßler. Besorgtes Bürgertum ist das lange nicht mehr - wenn es das denn jemals gewesen ist. Da marschiert - das muss man auch aussprechen - ein harter Nazikern, und das ist durch nichts zu entschuldigen.