Protokoll der Sitzung vom 23.04.2015

Am Pult begrüßen wir jetzt den Kollegen Krause. Er spricht für die CDU-Fraktion und hat hier das Wort. Bitte, Herr Abgeordneter.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sachsen-Anhalt gehört zu den Bundesländern mit der besten Kinderbetreuung. Im Vergleich zu westdeutschen Bundesländern

sind die Angebote geradezu paradiesisch. Im Rahmen der Umsetzung des KiFöG ist jedoch immer wieder von teils massiven Anstiegen bei den Elternbeiträgen zu hören gewesen. Landesweit besteht die Sorge, dass die Kita-Beiträge drastisch steigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion DIE LINKE möchte in Erfahrung bringen, wie hoch der durchschnittliche Kostenbeitrag der Eltern pro Landkreis und kreisfreier Stadt ist, um die Entwicklung der Elternbeiträge nachvollziehbar beurteilen zu können. Es wird vorgeschlagen, dass das Statistische Landesamt die von den Eltern zu tragenden Kostenbeiträge der Kinderbetreuung gemäß § 13 KiFöG statistisch erfassen soll. Man will also durch einen Landtagsantrag dem Stala eine neue, zusätzliche Aufgabe zuweisen.

Unabhängig davon, ob die Festschreibung einer neuen Landesstatistik durch einen Landtagsantrag überhaupt möglich ist, erlaube ich mir zu Ihrem Antrag den Hinweis, dass die Kommunen derzeit nur verpflichtet sind, ihre auf der Grundlage des KiFöG erlassenen Satzungen zu Kostenbeiträgen beim örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe vorzulegen, siehe § 13 Abs. 2 Satz 2 KiFöG. Gegenüber dem Land besteht eine Auskunftspflicht nur für Zwecke der Finanzplanung und der Evaluierung des Kinderfördergesetzes.

Bevor man über eine zusätzliche Aufgabenzuweisung an das Stala überhaupt diskutiert, muss zunächst geklärt werden, ob hierbei eine Änderung des KiFöG dahingehend erfolgen soll, dass eine Auskunftspflicht für Kostenbeiträge gesetzlich zu verankern ist. Wir brauchten zunächst eine Rechtsgrundlage für die Datenerhebung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DIE LINKE, Sie machen mit Ihrem Antrag den zweiten vor dem ersten Schritt. Solange diese Frage nicht abschließend geklärt ist, hat das Stala - würde man diesem die Aufgabe zuweisen - derzeit lediglich die Möglichkeit, aufwendige Recherchen im Internet über Kostenbeiträge zu betreiben. Hierbei können wir derzeit gar nicht verlässlich einschätzen, ob das Stala ohne Rechtsgrundlage solche Erhebungen überhaupt machen darf.

Da eine Zuarbeit der Kommunen an das Stala auf freiwilliger Basis wohl nicht erfolgen wird, stehen wir Ihrem Antrag auf Zuweisung einer solchen personalintensiven zusätzlichen Aufgabe zur Recherche im Internet an das Stala grundsätzlich ablehnend gegenüber.

Unabhängig von der Diskussion, dass uns zur Datengrundlage die notwendige Rechtsgrundlage fehlt, muss grundsätzlich die Frage erlaubt sein, ob die Kosten einer solchen Statistik überhaupt in einem angemessenen Verhältnis zu deren Nutzen stehen.

Wie bereits erwähnt, ist die Erstellung einer solchen Statistik mit einem erheblichen personellen und haushaltsmäßigen Aufwand verbunden. Die Ursachen für die Höhe der Kostenbeiträge sind jedoch vielschichtig. Hierzu kann eine Statistik keine verlässlichen Aussagen treffen. Selbst wenn eine solche Statistik vorliegt, ermöglicht diese keine zuverlässige Beurteilung der Entwicklung der Elternbeiträge.

Gleichwohl sind wir der Auffassung, dass wir diese Diskussion in den Fachausschüssen untersetzen sollten, und bitten Sie um Ihre Zustimmung zur Überweisung des Antrages in die Ausschüsse für Inneres und Sport sowie für Arbeit und Soziales. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Krause. - Frau Kollegin Hohmann ergreift das Wort. Sie haben es. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auch nicht viele Worte machen.

(Herr Borgwardt, CDU: Freie Rede, Frau Hohmann! Das ist gut!)

Ich möchte mich nur bei den Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses bedanken, dass sie nicht dem Vorschlag des Ministers gefolgt sind, den Antrag sofort abzulehnen, sondern dass wir darüber diskutieren und nach Lösungen suchen, wie wir gegebenenfalls was verändern müssen, um verlässliche Daten zu bekommen. - Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Hohmann. - Es gab einen klaren Überweisungswunsch. Dem werden wir jetzt folgen. Wenn ich richtig zugehört habe, hat niemand der Überweisungsantragsteller die Federführung benannt.

(Zuruf: Doch! - Herr Borgwardt, CDU: So ist es!)

- Doch? Dann habe ich schlecht zugehört. Die Kollegin Schindler hat das gemacht. Wenn es Kollegin Schindler war, dann kann es nur der Ausschuss für Inneres und Sport sein.

(Herr Borgwardt: Richtig, und mitberatend der Ausschuss für Arbeit und Soziales!)

- Das ist klar. Jetzt haben es alle gehört, auch ich. Die Federführung soll der Ausschuss Inneres und Sport haben; mitberatend soll der Ausschuss für Arbeit und Soziales sein. Darüber stimmen wir jetzt

ab. Wer stimmt der Überweisung zu? - Das sind alle Fraktionen. Ist jemand dagegen? - Enthält sich jemand seiner Stimme? - Nein. Damit ist der Antrag überwiesen worden und der Tagesordnungspunkt 14 erledigt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Erste Beratung

Konduktive Therapie nach András Petö in der Eingliederungshilfe fachgerecht zugänglich machen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/3976

Änderungsantrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/4004

Einbringerin ist Frau Zoschke. Bitte schön, Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.

Danke schön, Herr Präsident. - Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei der infantilen Zerebralparese handelt es sich um eine frühkindliche Hirnentwicklungsstörung, die zu Schädigungen des Nervensystems und der Muskulatur führt. Sie ist durch erhebliche Einschränkungen der willkürlichen Motorik gekennzeichnet. Sehr häufig liegt die Ursache der Zerebralparese in einem akuten Sauerstoffmangel vor, während oder nach der Geburt, nicht selten allerdings bleibt die Ursache auch unklar.

Wie in allen Fällen, in denen Eltern mit einer gravierenden Behinderung ihres Kindes konfrontiert werden, ist dies zunächst eine schwierige Situation, in der sich viele Fragen, Ängste und Unsicherheiten aufbauen.

Was heißt das für mein Kind? Wird es ein selbstbestimmtes und freudvolles Leben führen können? Was heißt das für uns als Eltern? Um wie viel mehr werden wir uns um das behinderte Kind kümmern müssen? Wird das Kind je unabhängig von uns leben können? Welche Konsequenzen hat diese Behinderung für das Familienleben?

Die Antworten auf solcherlei Fragen stellen sich nur schrittweise ein und sind von vielen Faktoren abhängig. Maßnahmen oder Therapien, die die gestörte Motorik der Kinder schulen und verbessern sollen, schlagen mit unterschiedlichem Erfolg an.

Für viele betroffene Eltern wird das Kennenlernen der Petö-Therapie als ein Glücksfall erlebt. Dieser Glücksfall wird darin beschrieben, dass die Kinder große sichtbare Fortschritte in relativ kurzer Zeit machen. Dabei ist die Therapie sehr intensiv und auf zeitlich zusammenhängende Förderungsabschnitte ausgelegt. Petö verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz.

Logopädie, Ergo- und Physiotherapie sowie Pädagogik werden mit dem direkten Alltagsbezug verbunden. Die Therapie ist nach András Petö benannt, der diese in Ungarn entwickelt hat. In Deutschland ist sie seit gut 20 Jahren bekannt, wenngleich sie nach wie vor an nur wenigen Orten angeboten wird. Eine herausgehobene Rolle spielt dabei das Bundesland Bayern. Doch auch wir in Sachsen-Anhalt haben mit Ponte Kö e. V. in Weißenfels ein solches Angebot; einige von Ihnen werden es kennen.

Anfänglich wurde die Finanzierung dieser Therapiewochen häufig über die gesetzliche Krankenversicherung abgewickelt. Dies war übrigens zu diesem Zeitpunkt die Begründung für die Ablehnung von Petö als Eingliederungshilfeleistung. Nunmehr hat sich das Blatt diametral gewendet. Versuche, die Petö-Therapie als eine feste Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu etablieren, sind gescheitert. Dies führt wiederum in der behördlichen Praxis auch zu einem Ablehnungsgrund in der Eingliederungshilfe. Ergebnis war und ist, dass die Petö-Methode, auf deren Erfahrungen und Ergebnisse viele Eltern bauen, oftmals von keiner Seite mehr finanziert wird.

Lassen Sie mich hierzu zwei wichtige Aspekte näher benennen. Erstens. Die Nichtübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung ist kein Nachweis für einen unzureichenden medizinischen Erfolg oder gar für einen Misserfolg der Petö-Therapie. Dieses grundlegende Missverständnis muss ich geraderücken. Zweitens verweise ich auf die Urteile der Sozialgerichte, die die Petö-Therapie als Leistung der sozialen Rehabilitation in der Eingliederungshilfe bewerten.

Zur Ablehnung der Aufnahme durch die gesetzliche Krankenversicherung. In dem entsprechenden Bericht des Gemeinsamen Bundesausschusses von 2005 heißt es - ich zitiere -:

„Bei Auswertung der wissenschaftlichen Unterlagen ergeben sich Hinweise auf positive Wirkungen einer konduktiven Förderung nach Petö bei Kindern mit einer infantilen Celebralparese. Mangels methodisch sauberer Vergleichsuntersuchungen ist jedoch kein valider Nachweis des therapeutischen Nutzens hinsichtlich medizinisch relevanter Parameter der konduktiven Förderung nach Petö im Vergleich zu anderen, bereits etablierten medizinischen Behandlungsmethoden möglich.“

Das heißt, eine zum Teil vertretene Interpretation dieser Entscheidung, die aussagt, es sei kein medizinischer Nutzen nachzuweisen, ist mehr als fragwürdig; dazu komme ich später noch genauer.

Nun zu den Urteilen. Diese Urteile - besonders das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 29. September 2009 - verweisen darauf, dass die Beurteilung

der Frage der sozialen Rehabilitation unabhängig von der Frage der medizinischen Rehabilitation steht. Für die soziale Rehabilitation spielt es keine Rolle, dass diese Therapie nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu finden ist. Mit anderen Worten: Selbst wenn kein medizinischer Nutzen nachweisbar wäre - ich bestehe auf diesem Konjunktiv -, selbst dann bleibt die Frage zu klären, ob Petö der sozialen Rehabilitation dienlich ist. Alle drei genannten Urteile bejahen dies. Alle drei Individualklagen waren erfolgreich.

Herr Minister Bischoff, wenn Sie jetzt gleich mitteilen werden, dass die Petö-Therapie bereits eine Leistung der Eingliederungshilfe ist und sie hier gar keinen Dissens sehen, stimmt das. So heißt es in Ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage in der Drs. 6/3345 nach Auflistung möglicher Ziele der Eingliederungshilfe erfreulich deutlich - ich zitiere -:

„Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt, besteht hinsichtlich der Eingliederungshilfeleistung für die konduktive Therapie nach Professor Dr. Petö kein Ermessen, sondern eine Verpflichtung.“

Allerdings, Herr Minister Bischoff, das Problem steckt wie so häufig nicht in diesen Maßgaben, sondern in deren Umsetzung in der Praxis.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte das an einem Beispiel darstellen: Frau Heide Lockau aus Tangerhütte, die sich für die Belange ihres inzwischen knapp fünfjährigen Sohnes Paul einsetzt. Das Wechselspiel zwischen Anträgen, negativen Bescheiden, Widersprüchen und deren Ablehnung dauert bereits seit August 2013 an. Ich kann den Fall hier nicht in Gänze darstellen, greife aber einige wenige Punkte heraus. Sollten Sie hier mehr wissen wollen, melden Sie sich bitte bei mir, uns liegen dazu schriftliche Dokumente vor.

Frau Lockau wurde in einem Widerspruchsbescheid aus dem Januar dieses Jahres seitens der Sozialagentur schriftlich erklärt, dass die Leistung abgelehnt werde, weil es sich im Fall ihres Sohnes vornehmlich um eine medizinische Leistung handele. Der Anspruch auf soziale Eingliederung sei mit dem Besuch einer integrativen Kindertagesstätte abgedeckt, da dort ja auch heilpädagogische Maßnahmen vorgenommen würden.

Darüber wundern wir uns schon sehr. Selbstverständlich hat Paul Anspruch auf einen Kita-Besuch und selbstverständlich muss eine integrative Kindertagesstätte auch heilpädagogische Angebote vorhalten. Aber das kann doch kein Grund dafür sein, ihm eine Therapie vorzuenthalten, deren soziale Rehabilitationsziele beispielsweise lauten, sich allein ankleiden zu können oder allein die Toilette benutzen zu können. Das sind wesentliche

Ziele, die in der Kita so nicht erreicht werden können. Für die gesellschaftliche Teilhabe von Paul ist es indes eine ganz erhebliche Kompetenz.

Nichts Geringeres verbirgt sich hinter dem juristisch benutzten Begriff der sozialen Rehabilitation. Was für gesunde Kinder eine Selbstverständlichkeit ist, wird für ein Kind wie Paul zu einer Kernfrage, an der sich entscheidet, ob er überhaupt Lebensperspektiven bis hin zu einem Beruf entwickeln kann.