Nichts Geringeres verbirgt sich hinter dem juristisch benutzten Begriff der sozialen Rehabilitation. Was für gesunde Kinder eine Selbstverständlichkeit ist, wird für ein Kind wie Paul zu einer Kernfrage, an der sich entscheidet, ob er überhaupt Lebensperspektiven bis hin zu einem Beruf entwickeln kann.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht um eine Leistung, die dauernd parallel zur Kita beansprucht wird, sondern im Fall von Paul um eine zweiwöchige Therapie im Jahr 2014, aktuell eine zweiwöchige Therapie im Jahr 2015; die bereits erfolgte Therapie im Jahr 2013 wurde aus Spenden in einer Stiftung beglichen.
Die formale Unterscheidung zwischen medizinischer und sozialer Rehabilitation, wie wir diese in der Rechtsprechung vorfinden, ist für uns Normalsterbliche - ich schließe mich da überhaupt nicht aus - schwer nachzuvollziehen. Das zeigt sich bereits an den soeben genannten Beispielen. Wenn Paul nach einer zweiwöchigen Petö-Therapie mehr Dinge selbständig erledigen kann, muss ja auch ein medizinischer Erfolg vorliegen.
Dass es diese Erfolge gibt, wird eben nicht nur von den Konduktoren, also den dortigen Therapeuten, sondern auch von verschiedenen Medizinern eindeutig bescheinigt, so in einem Befund des Sozialpädiatrischen Zentrums Hannover von Dezember 2013 oder in einem Bericht der Helios-Klinik Hohenstücken von Januar 2015. Beide empfehlen die Fortführung der konduktiven Förderung, also der Petö-Therapie. Dass gute Entwicklungserfolge bei Paul auszumachen sind, ist sogar dem soeben genannten Widerspruchsbescheid der Sozialagentur zu entnehmen. Noch einmal die Einladung: Sollten Sie mehr wissen wollen, melden Sie sich.
Natürlich werden wir den Widerspruch zwischen der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Nichtaufnahme von Petö in den Heilmittelkatalog und den mehrfach beschriebenen Erfolgen dieser Therapie nicht auflösen. Der Heilmittelkatalog liegt weit außerhalb unserer Kompetenz. Aber wie die Entscheidungspraxis der Sozialagentur aussieht, das liegt in unserer Verantwortung, genauer in der Verantwortung des Sozialministeriums.
In diesem Zusammenhang noch einmal zur Erfahrungsgeschichte von Frau Lockau. Ihr wurde in einem Telefongespräch mit dem Sozialamt Stendal erklärt, dass man bei der Sozialagentur davon ausgehe, dass ihr Sohn minderbemittelt und daher für die Aufgabenstellung der Petö-Therapie ungeeignet sei. Die Grundlage dieser Annahme sei der
Tatsächlich bescheinigt der zuständige Arzt darin Paul nach einem Test zur nonverbalen Intelligenz einen T-Wert von 48; übrigens wären 50 möglich. Dieses scheint man - anders lässt es sich wohl kaum erklären - bei der Sozialagentur mit dem IQ-Wert verwechselt zu haben. Selbst der soeben genannte Befund des Arztes bescheinigt quasi an gleicher Stelle, dass es sich bei diesem Test mit Paul um ein durchschnittliches Ergebnis handelt. Alle anderen Stellungnahmen und Gutachten, die auch so von der Sozialagentur selbst zitiert werden, bestätigen Paul eine gute Auffassungsgabe.
Was ich an diesem Beispiel zeigen möchte: Es gilt hier nicht nur fachliches Wissen aufzubauen, sondern offenkundig auch Vorurteile abzubauen.
Am Ende bleibt mir zu betonen, dass wir bei unserem Besuch in Weißenfels nicht allein mit Pauls Mutter, sondern auch mit anderen betroffenen Eltern sprechen konnten und Kinder in der Therapie erlebt haben. Pauls Mutter ist mit ihren behördlichen Problemen wahrlich nicht allein. Wir sollten es verhindern, dass diese engagierten Eltern zu Klagen vor dem Sozialgericht genötigt werden. Ihr Alltag ist Herausforderung genug. Auch die vorliegenden Gerichtsurteile zeigen uns, dass sich in der behördlichen Praxis etwas ändern muss. - Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Zoschke. Sie haben den Herrn Minister schon angekündigt. - Jetzt hat er das Wort. Bitte, Herr Minister Bischoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Zoschke wusste schon vorher, was ich sagen will; es ist erstaunlich. Aber sie hat gesagt, ein Normalsterblicher kann das nicht verstehen. Ich zähle mich mit zu den Normalsterblichen und stimme Ihnen zu. Es gibt Urteile, die kann man als Normalsterblicher nicht nachvollziehen, weil sie unterschiedliche Rechtsgrundlagen haben.
Ich bin vor drei, vier Jahren von Frau Feußner und Herrn Lienau nach Weißenfels eingeladen worden. Ich gebe zu, ich kannte bis dahin weder den Namen noch diese Therapie. Ich war wie Sie - wie ich gehört habe - und vielleicht andere auch vor Ort.
Wer einmal dort gewesen ist, ist mehr als beeindruckt, nicht nur von dem, was junge Eltern zu leisten haben und auf sich nehmen müssen mit Kindern, die sich schwer orientieren können, die
motorische Schwierigkeiten haben, die auch mit Epilepsie zu tun haben, aber nicht minderbegabt sind. Deshalb habe ich, als ich dort war, gesagt, diese Therapie kann ich mir vorstellen, weil sie konduktiv ist, weil sie, wie Sie sagen, viele andere Bereiche mit anspricht, die das Umfeld der Kinder betreffen. Die singen miteinander, die basteln zusammen. Die machen vieles zusammen, was eben zusammen gehört. Das hat mich überzeugt. Da habe ich gesagt, dafür muss ich mich einsetzen. Seit dieser Zeit versuche ich, Eltern diese Therapie zu ermöglichen.
Ich habe dann gesehen - erster Punkt -, die Krankenkassen zahlen nicht. Das verstehe ich nicht; das sage ich ganz offen. Aber der Bundesausschuss ist ein Ausschuss der Selbstverwaltung, Sie haben es selbst gesagt, das höchste Gremium. Ich hoffe, dass es nicht in allzu ferner Zukunft liegt, dass valide Zahlen da sind, die belegen, dass diese Therapieform, die vielleicht nicht für jeden geeignet ist, aber eine möglichst gute ist, die erfolgversprechend für diese Kinder und für deren Eltern ist, weil die teilweise die größere Last zu tragen haben.
Das Urteil von Schleswig-Holstein hat ja nicht dem Urteil des Bundessozialgerichts widersprochen. Die Urteile unterscheiden eben zwischen medizinischer Rehabilitation und sozialer Rehabilitation. Eine medizinische Rehabilitation kommt nicht infrage, weil der Bundesausschuss das nicht als Kassenleistung gewährt. Wenn es nämlich infrage käme, hätte jeder ohne jede Prüfung Anspruch darauf, weil es zum Heilmittelkatalog der Krankenkassen gehört. Beide Gerichtsurteile sagen aber: Wenn die soziale Rehabilitation das Ziel ist, kann eine Förderung in Anspruch genommen werden.
Jetzt kommen wir zu einem Punkt, der wirklich schwierig ist. Denn das steht nicht einfach so wie eine Krankenkassenleistung per se jedem zu, sondern dazu ist ein Gutachten vorgeschrieben. Das haben Sie auch erwähnt. Da müssen Gutachter bescheinigen, dass eine soziale Rehabilitation vorliegt, dass Kinder teilhaben können am sozialen Leben; das ist die Zielrichtung. Wer die Kinder dort erlebt, weiß ja auch, dass das ein Ziel ist. Ich kann, weil ich nicht Fachmann bin, nicht unterscheiden, was nun eigentlich eine medizinische Rehabilitation und was eine soziale Rehabilitation ist, wo die abgegrenzt werden. Deshalb sind die Fachleute gefragt.
Es gibt einen Arbeitshinweis der Sozialagentur von vor ungefähr einem Jahr, von März letzten Jahres, glaube ich, der die Sozialämter anweist, diese Therapie zu befürworten, wenn eine soziale Rehabilitation vorliegt. Dafür sind Gutachter notwendig, zum Beispiel sozialpädiatrische Zentren oder Ärzte. Nur dann kann die Sozialagentur - das ist die Voraussetzung, dass die Sozialämter dies machen - eine positive Aussage treffen.
Um wenigstens einmal die Zahlen zu nennen - den Abgeordneten, die danach gefragt haben, habe ich das geschrieben -: Von den fünf im Jahr 2012 durch die herangezogenen Gebietskörperschaften geprüften Anträge sind drei bewilligt und zwei abgelehnt worden. Das heißt also nicht, dass alle abgelehnt werden. Jetzt müsste ich die einzelnen Gründe aufführen, aber es wäre, glaube ich, nicht im Rahmen dieser Debatte, Einzelfälle anzuführen. Im Jahr 2014 waren es jedenfalls neun Anträge, fünf wurden bewilligt und vier abgelehnt.
Zum Klageweg - was oft übrig bleibt und mich auch ärgert -: Wenn die Eltern noch klagen müssen, um die Leistung zu bekommen, dann will ich dazu sagen: Ich habe kein anderes Instrument. Ich kann nicht anordnen, dass sie es jetzt alle kriegen müssen, da würde ich meine Möglichkeiten bei weitem übersteigen. Ich kann nur in den Gremien, in denen ich bin, immer wieder dafür werben.
Es gibt zurzeit Eltern eines behinderten Kindes, die zwei Klagen laufen haben - Sie haben, glaube ich, den richtigen Fall erwähnt -, und es ist noch eine Klage zur Kostenübernahme aus dem Jahr 2011 in Gang. Die wurde 2012 zurückgewiesen und die Eltern haben beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Ich kann also nicht sagen, dass das eine Vielzahl von Klagen ist. Aber ich weiß auch - das spricht sich ja herum -, wenn Eltern Klagewege beschreiten müssen, dann wissen sie, dass das ein langwieriger Prozess ist, weshalb sie das meist erst gar nicht anstreben.
Ich sehe das Problem. Mir tut das auch wirklich leid. Ich halte die Therapieform für wichtig und für richtig. Leider kann ich nur in den Gremien, in denen ich auf Bundesebene tätig bin, und bei den Sozialministern immer wieder dafür werben. Im Bundesausschuss haben die Länder seit einem Jahr eine beratende Stimme - bisher hatte sie gar keine Stimme -, und zwar wie die eines Patientenvertreters. Alle Länder haben dabei eine Stimme.
Das heißt, es ist ein langer Weg, dieses Anliegen erst einmal vor den Gemeinsamen Bundesausschuss zu bekommen, damit das eine Leistung der Krankenkassen wird. Die Krankenkassen argumentieren jedoch ein wenig anders. Sie sagen „Wir bewilligen für medizinische Rehabilitationen andere Maßnahmen und Therapien,“ - das bestätigen auch die Eltern vor Ort - „das muss reichen, wir machen hier nichts doppelt.“ Die unterscheiden also nicht, welche Therapieformen zielführender sind. Sozial gesehen müsste alles gefördert werden, damit die Kinder dadurch etwas eigenständiger leben können und im Kindergarten, in der Schule, im Leben, wo die Eltern nicht immer alles unterstützen können, teilhaben können, denn das halte ich für richtig.
Ich wollte also sagen: Für eine generelle Lösung sind mir etwas die Hände gebunden; nachvollziehen kann ich es jedoch allemal.
Vielen Dank, Herr Minister. - Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Rotter. Er eröffnet damit die Fünfminutendebatte. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, nochmals auf die Begriffsbestimmung „Konduktive Therapie nach András Petö“ einzugehen kann ich uns nach der Einbringung durch die Antragstellerin und nach den Ausführungen des Ministers - auch im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit - mit Sicherheit ersparen. Denn - das möchte ich betonen - die beiden soeben Erwähnten haben das aus meiner Sicht ausführlich und fachlich fundiert getan.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn meines Redebeitrags darauf hinweisen, dass ich seitens meiner Fraktion die Überweisung - und das ausschließlich - in den Sozialausschuss beantrage.
Ich begründe dies wie folgt: Wir sind der Meinung, dass die Forderung der Antragsteller, die konduktive Therapie nach András Petö nur für Menschen mit infantiler Zerebralparese im Rahmen der Eingliederungshilfe leichter zugänglich zu machen, zu kurz gesprungen ist. Wenn ich den Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN richtig interpretiere, sehen sie das ähnlich. Aber auch mit dieser Änderung wird die Sache aus meiner Sicht nicht wesentlich besser.
Betrachten wir es doch einmal ehrlich: Im Hinblick auf die Erfahrungen mit der Umsetzung anderer Landtagsbeschlüsse kann ich mir nicht vorstellen, dass das Sozialministerium schon im vierten Quartal dieses Jahres einen Bericht vorzulegen vermag, wie es das Anliegen der Antragstellerin umgesetzt hat. Und falls doch, kann er sich meiner Meinung nach nur auf eine mögliche quantitative Entwicklung beschränken.
Zielführender ist meines Erachtens eine kontinuierliche Beratung des Antrags im Sozialausschuss des Landtags. Dort könnte das Sozialministerium auch erläutern, warum es sich bisher mit der Anerkennung dieser Therapie etwas schwer tut. Denn
dieser ganzheitliche Therapieansatz ist es wert, unter den verschiedensten Gesichtspunkten einmal näher betrachtet zu werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe ehrlich zu, dass ich bis vor wenigen Tagen von dieser Therapieform durchaus wenig wusste. Umso mehr hat mich im Laufe der Beschäftigung mit dem Thema die Vielzahl der Möglichkeiten und Meinungen dazu überrascht. Es ist schon interessant, dass auf der einen Seite die Sinnhaftigkeit dieser Methode nur für kognitiv relativ gut entwickelte Kinder in Betracht gezogen wird, auf der anderen Seite aber die konduktive Förderung nach Petö auch als ein möglicher Beitrag zur Inklusion von Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen oder Schädigungen angesehen wird - und das beide Male mit für den Nichtfachmann durchaus plausibel erscheinenden Begründungen.
Auch aus diesem Grund möchte ich eine intensive Befassung im Ausschuss. Auch wenn die Zeit dafür aufgrund der vielen noch anstehenden Aufgaben - ich gucke hier in die Richtung unserer Ausschussvorsitzenden - doch recht knapp erscheint und auch bemessen ist, möchte ich doch eine intensivere Befassung anregen.
- Danke, Frau Vorsitzende. Wenn Sie mir hier damit schon ein bisschen die Möglichkeit eröffnet haben, dass wir das tun werden, dann bedanke ich mich ganz herzlich. Denn ich bin der Meinung, diese Therapie ist es einfach wert, dass wir uns im Ausschuss damit intensiv befassen, und das sollten wir aus meiner Sicht auch tun. Deshalb beantrage ich hiermit die Überweisung. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Rotter. - Jetzt spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Lüddemann. Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Schwierigkeiten der Kostenträgerschaft im Rahmen der konduktiven Therapie sind bereits von unterschiedlichen Fraktionen ausführlich dargestellt worden und gehen in eine ähnliche Richtung. Auch meine Fraktion möchte Eltern den langwierigen und teuren Gang vor Gericht ersparen.
Wenn die konduktive Therapie der Inklusion und der gesellschaftlichen Teilhabe dient, dann ist sie als Leistung der Eingliederungshilfe anzuerkennen
und zu finanzieren. Diese Maßgabe sollte den Sozialämtern für den Fall entsprechender Anträge an die Hand gegeben werden.
Die Verbände beraten die entsprechenden Therapeutinnen und Therapeuten bereits in dieser Hinsicht. Etwa wird grundsätzlich empfohlen, von der konduktiven Therapie eben nicht als Therapie, sondern als Förderung zu sprechen. Denn sobald ein Sozialamt Anhaltspunkte dafür findet, dass es sich um eine medizinische Leistung handelt, wird es die Kostenübernahme erst einmal ablehnen.
Weitergehend wird empfohlen, die motorische Förderung explizit als Weg darzustellen, um mehr Teilhabe zu erreichen. Denn diese Rahmung verweist dann auf die Eingliederungshilfe. Berichte und Dokumentationen der Konduktorinnen und Konduktoren sind also so zu stricken und mit den richtigen Schlagwörtern zu versehen, dass die Rahmung Eingliederungshilfe plausibel und stimmig erscheint.
Für eine solche Beratung gibt es Berufsverbände. Aber die Politik sollte ebenfalls dafür Sorge tragen, dass Eltern problemlos die konduktive Therapie für ihr Kind wählen können. Daher werden wir dem Antrag zustimmen bzw. uns der Ausschussüberweisung nicht verschließen.