Protokoll der Sitzung vom 23.04.2015

Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abgeordnete Herr Dr. Thiel.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen Themen für das Land SachsenAnhalt, nicht nur für die Gegenwart, sondern vor allen Dingen auch für die Zukunft.

Sachsen-Anhalt - das mag wenig überraschen - liegt gemeinsam mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern derzeit bei der Selbständigenquote, also bei der Anzahl der Selbstständigen je 100 Einwohner, bei gerade einmal 8,5 % und damit auf dem letzten Rang aller Bundesländer. Sachsen, Brandenburg und Thüringen liegen allesamt zwischen 10 und 11 %.

Woran liegt es, dass in Sachsen-Anhalt weniger Menschen den Schritt in die Selbstständigkeit wagen als in anderen Regionen Deutschlands? Liegt es an der allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheit? Liegt es an den finanziellen Unsicherheiten, denen man sich als Existenzgründer ausgesetzt fühlt? Was sind eigentlich die Ursachen?

Beide Faktoren spielen dabei eine große Rolle, doch heute will sich das Parlament mit einem Thema befassen, mit dem Thema Existenzgründung und dann mit der Begleitung der kleinen und mittelständischen Unternehmen.

Meine Damen und Herren! Wir haben einen Änderungsantrag eingebracht, der zwei markante Änderungen, die Streichung von zwei Punkten des Koalitionsantrages vorsieht. Mit diesen beiden Punkten ist Ihr Antrag für uns nicht zustimmungsfähig. Das ist erstens die Passage zur erbetenen Zustimmung zum Koalitionsvertrag. Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum soll das Parlament diesem Dokument der Zeitgeschichte heute folgen?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das erschließt sich uns nicht. Es sei denn, es geht darum, den Zusammenhalt in der Koalition zu festen. Aber dazu bedarf es nicht der Opposition.

Zweitens haben wir den Passus zum Wagniskapital gestrichen. Liebe Freunde der geldverwaltenden Industrie, ein solches Thema lässt sich nicht so nebenbei in die Landespolitik einschmuggeln. Gerade gestern - Kollege Meister hat darauf verwiesen - konnten wir uns im IBG-Untersuchungsausschuss davon überzeugen, wie millionenschwere Transaktionen ohne irgendeine steuerliche Belastung stattgefunden haben.

Außerdem plant die Bundesregierung derzeit ein Venture-Capital-Gesetz. Lassen Sie uns deshalb zu diesem komplexen Thema noch einmal separat diskutieren, vor allem auch dann, wenn wir im Untersuchungsausschuss über die Dinge gesprochen haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mittelständische Unternehmen sind - jawohl, das ist eine

unumstößliche Tatsache - Wachstumsmotoren in Sachsen-Anhalt. Interessanterweise hat die Landesregierung im November 2014 mit ihrer Mittelstandsoffensive versucht, neue Weichen zu stellen. Ich habe bis heute nicht gehört, dass das eine Rolle gespielt hat, Herr Minister Möllring. Ich weiß nicht, wie Ihre Koalitionspartner hierbei mit Ihnen umgehen.

Allerdings - das möchte ich einschränkend sagen - hat der frisch berufene IWH-Chef und Finanzexperte Herr Kropp bei der entsprechenden Pressekonferenz verwundert festgestellt: Wieso braucht es hierbei eigentlich staatlicher Instrumente? Die Förderung von Innovation ist doch Sache des Bankensystems. - Ihm wurde eilfertig versichert, Ursache wäre Marktversagen - Marktversagen in der Marktwirtschaft. Es scheint mir eher eine Mischung aus Markt- und Politikversagen zu sein.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition! Die Punkte 3 bis 6 Ihres Antrages haben wir inhaltlich etwas angereichert - so möchte ich es einmal formulieren -, um die notwendigen Hauptlinien künftiger Förderung klar herauszuarbeiten. Momentan ist es im Wesentlichen so: Die Großen bekommen nicht rückzahlbare Zuschüsse und die Kleinen bekommen rückzahlbare Darlehen. Daran sollte einiges geändert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben uns erlaubt, Ihrem Antrag zwei weitere Aufgaben hinzuzufügen. Das betrifft erstens die Entwicklung bei den Existenzgründerinnen. Für die Entwicklung der Erwerbstätigenquote spielt eine entscheidende Rolle, wie Frauen dazu ermuntert werden, sich selbständig zu machen. Momentan ist die Lage in Deutschland so: Etwa 8 % der Gründungswilligen sind Männer, deutschlandweit liegt der Anteil der gründungswilligen Frauen bei 4 %, in Ostdeutschland sogar nur bei 2 %. Hieran muss die Politik etwas verändern. Deswegen hoffen wir, dass mit der Umsetzung des Ego-Konzeptes einiges getan werden kann.

Zweitens versuchen wir mittels des Vergaberechtes, Existenzgründern von Anfang an Betätigungsfelder zu bieten. Ich sage Ihnen dabei nichts Falsches: Jeder Euro für einen Auftrag ist für einen Existenzgründer viel, viel wichtiger, als jeder Euro an Förderung. Warum sollten wir nicht eine Initiative starten: Mein erster Auftrag als Jungunternehmer war es, etwas für mein Land zu tun? - Darüber sollten wir uns gemeinsam informieren.

Zu dem Änderungsantrag der Bündnisgrünen. Wir gehen davon aus, dass in den Schreibtischen der Ministerien die entsprechende Vorlage schlummert; sie hat nur noch nicht das Licht der Welt erblickt - warum auch immer. Deswegen können wir Ihrem Änderungsantrag durchaus zustimmen, da

mit aus dem Hemmschuh Ministerium einmal ein Schlittschuh wird, der die Dinge voranbringt.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von den GRÜNEN)

Zu unserer Einschätzung für die Endabstimmung. Lieber Kollege Thomas, Ihre Bereitschaft, den einen Punkt von uns zu übernehmen, hat bei uns dazu geführt, dass wir uns momentan zwischen 40 % Enthaltung und 60 % Ablehnung Ihres Antrages befinden; es sei denn, Kollege Mormann hat noch einmal den Mut, ein paar andere Punkte hinzuzufügen. Darüber können wir dann noch einmal reden.

Ein letzter Satz, meine Damen und Herren: Den jungen Leuten, die heute hier im Hause sind, möchte ich zurufen: Haben Sie künftig den Mut zur Selbständigkeit, es lohnt sich in Sachsen-Anhalt! - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr. - Als letzter Debattenredner wird noch einmal Kollege Mormann von der SPD sprechen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorab: Herr Kollege Thiel, dass die Opposition nicht die Aufgabe hat, die Festigkeit der Koalition zu unterstützen - das kann so sein, aber schaden tut es auch nicht.

(Zuruf von der LINKEN)

- Uns nicht!

(Heiterkeit)

Ich sage es einmal so: Es ist schon etwas viel verlangt, uns aufzufordern, noch etwas von Ihrem Antrag aufzunehmen. Aber da wir ja immer orientiert sind, das zu tun, was der Sache nützt, und nicht das, was dem Vorwahlkampf dient, können wir uns das anschauen.

(Zurufe von der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Ich habe in der Einbringungsrede deutlich gemacht, dass insbesondere wachstumsorientierte junge Unternehmen in unserem Land in der Regel nicht über genügend eigene finanzielle Ressourcen verfügen, um ihre forschungs- und entwicklungsbezogenen Unternehmensaktivitäten zu erhöhen. Ein sicherer Zugang zu Beteiligungs- und privatem Risikokapital für die Markteinführung von Innovationen aus Verbundinitiativen ist deswegen unerlässlich. Das haben auch die Vorredner angedeutet.

Wachstumsorientierte Unternehmen in SachsenAnhalt stehen vor zwei Herausforderungen. Eine dieser Herausforderungen ist eine strukturelle, die

andere Herausforderung ergibt sich aus einer absehbaren Zeitschiene. Die strukturelle Herausforderung besteht im Zugang zu Risikokapital.

Wenn Sie beispielsweise nach München schauen, stellen Sie schnell fest, dass der Zugang zu Risikokapital dort vergleichsweise einfach ist. Um es salopp zu sagen: Sie brauchen nur zu Ihrem Zahnarzt zu gehen. Natürlich ist die Venture-CapitalSzene dort auch eine andere als in Sachsen-Anhalt. Junge technologieorientierte Start-ups finden dort relativ leicht zu Kapitalgebern bzw. zu Beteiligungskapital. Kapitalgeber unterstützen wiederum junge Start-ups mit Minderheitenbeteiligungen, sogenanntem Smart-Kapital, also mit Know-how, etwa durch Managementunterstützungen. Im Gegenzug sind für Geldgeber recht hohe Renditen zu erwarten.

Die Venture-Capital-Szene in Sachsen-Anhalt ist aber leider doch etwas überschaubar. Die Fachliteratur sieht unterschiedliche Ursachen für das geringere Angebot. Natürlich hat es etwas mit der geografischen Lage zu tun. Die Entfernung zu Wagniskapitalzentren ist schlichtweg sehr groß oder auch zu groß. Hinzu kommt, dass sich die wenigen investitionswilligen Risikokapitalgeber in Sachsen-Anhalt meistens auf die sehr späte Phase von Start-ups, also auf die Wachstumsphase mit möglichst geringem Risiko, konzentrieren.

Meine Damen und Herren! Der revolvierende Einsatz von Instrumenten zur Förderung der Markteinführung muss den strukturellen Unterschieden zwischen Sachsen-Anhalt und den Wagniskapitalzentren Rechnung tragen. Die Landesregierung sollte bei der von uns heute beantragten Weiterentwicklung für genau diese Instrumente mehrere Dinge berücksichtigen.

Erstens. Wir benötigen Möglichkeiten der Gestaltung. Ein Hightech-Unternehmen muss zu Beginn mit einem anderen Start-up-Prozess begleitet werden als ein kleineres Start-up. Die kleinen Startups sind aber in Sachsen-Anhalt deutlich in der Überzahl. Wenn eine Beteiligungsgesellschaft aber Geld gibt, braucht dieses Geld auch eine Vergütung innerhalb einer bestimmten Frist. Diese ist insbesondere von kleinen Start-ups meistens nur sehr schwer zu leisten.

Zweitens. Wir brauchen Partner. Bis zu einer bestimmten Unternehmensgröße gibt es beachtliche Erfolge bei Markteinführungsansinnen. Dabei geht es um eine erfolgreiche Wertschöpfung. Deren Bedeutung für die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt habe ich in der Einbringungsrede illustriert. Bis zu einem bestimmten Punkt kann man diese Startups entwickeln, danach bedarf es jedoch weiterer Partner, die den Start-ups auf die Beine helfen.

Das Stichwort ist: die nächste Finanzierungsrunde. An dieser Stelle kann ein Start-up-Unternehmen scheitern, wenn etwa bestimmte Größenordnun

gen an den Markt gebracht werden müssen. Leider gilt hierfür: Es gewinnt nicht immer der, der das beste Produkt hat. Oft gewinnt der, der den besten Zugang zu Beteiligungs- oder Wagniskapital hat. Ein solcher Zugang muss auch den Start-ups in unserem Land aufgezeigt werden.

Wenn das Unternehmen im Falle des Erfolges durch Dritte gekauft wird - hierfür gibt es in Sachsen-Anhalt Beispiele -, dann sollte das in dieser Form geflossene Geld in einen Topf wandern, aus dem das nächste Projekt finanziert werden kann. Das ist auch aufgrund der hohen Ausfallraten früherer Start-ups wichtig.

Drittens. Wir müssen flexibel sein. Es muss ein größtmöglicher Wert auf die Ausfinanzierung gelegt werden. Am Ende zählt nicht immer nur, wer das erfolgreichere Produkt hat, sondern zum Beispiel auch die zeit- und kostenintensive Langfriststudie. Aus den Langfriststudien resultiert dann gegebenenfalls ein Interesse von außerhalb.

Meine Damen und Herren! So viel zu den strukturellen Herausforderungen, die bei der konkreten Ausgestaltung der Instrumente zu beachten sind.

Lassen Sie mich noch kurz auf den Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE eingehen. Er zeigt vom Grundsatz her, dass wir an der Stelle ähnlichen Handlungsbedarf sehen. Das freut uns.

Wir würden gern als Ergänzung aus Ihrem Punkt 4 den Satz: „Dafür ist eine unternehmensnahe Infrastruktur …“ an unseren Punkt 5 anfügen. Darüber hinaus würden wir unseren Punkt 6 um Ihre Formulierung aus Punkt 5 erweitern.

Wir wollen uns auch noch in zehn Jahren über eine erfolgreiche Wirtschaftsbilanz in Sachsen-Anhalt freuen. Darum müssen wir Gründer, aber auch bestehende Unternehmen unterstützen, wo es nur geht. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Kollege Mormann, es gibt eine Nachfrage - von mir.

(Heiterkeit)

Ich konnte Ihnen nicht folgen, welche Punkte Sie von wo bis wohin übernehmen. Könnten Sie das bitte wiederholen?