Protokoll der Sitzung vom 24.04.2015

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 89. Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode. Ich begrüße Sie recht herzlich. Wir sind beschlussfähig. Wir setzen die 43. Sitzungsperiode fort. Wie vereinbart werden wir mit den Tagesordnungspunkten 6 und 7 beginnen. Außerdem ist gestern vereinbart worden, dass die Fragestunde vorrückt und aufgerufen wird, nachdem wir die Aktuellen Debatten abgehandelt haben.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

a) Aktuelle Debatte

Zukunft der Energiepolitik - Erhalt der Braunkohleregion Mitteldeutschland

Antrag Fraktion SPD - Drs. 6/3992

b) Beratung

Die Energiewende verlässlich und gerecht weiter gestalten

Antrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/3986

Alternativantrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/4005

Änderungsantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/4006

Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen zwei Beratungsgegenstände vor. Wir werden dazu eine verbundene Debatte führen. Eine gesonderte Einbringung des Antrags der Fraktionen der CDU und der SPD ist nicht vereinbart worden. Es wurde eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion in der Reihenfolge SPD, DIE LINKE, CDU und GRÜNE vereinbart.

Ich erteile zunächst der Antragstellerin das Wort. Für die SPD-Fraktion spricht die Fraktionsvorsitzende Frau Budde. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die jüngere Geschichte unseres Bundeslandes Sachsen-Anhalt anschaut, dann muss man sagen: Es ist ein Bundesland, das stark vom Strukturwandel betroffen, aber auch geprägt ist. Nach dem Jahr 1989 hat es bei uns wirklich immens große wirtschaftliche Umbrüche gegeben.

Wenn man sich die einzelnen Regionen anschaut, dann ist das sehr unterschiedlich, aber es hat diese wirtschaftlichen Umbrüche, diese Strukturbrüche überall gegeben. Im Grunde genommen haben wir es bis heute nicht geschafft, an die Wirt

schaftskraft von 1989/1990, was die industrielle und die wirtschaftliche Produktion angeht, anzuschließen.

(Herr Scharf, CDU: Das stimmt doch nicht!)

- Doch, das stimmt. - Der Strukturwandel ist also noch lange nicht abgeschlossen. Was die Wirtschaftskraft angeht, was die Zahl an Arbeitsplätzen angeht,

(Herr Scharf, CDU: Das ja, aber das andere nicht!)

was die Produktion angeht, haben wir es nicht geschafft. Wir haben keine großen Unternehmen mit Konzernsitzen hier, sodass auch von hier aus bestimmt werden könnte, wie eine Unternehmensentwicklung weitergeht.

Wir haben mühsam - das meine ich überhaupt nicht böse, sondern das ist eine Realitätsbeschreibung - alle miteinander, jeder, der hier Verantwortung getragen hat, versucht, wieder eine wirtschaftliche Struktur aufzubauen. Das ist uns in Teilen auch gelungen, und ich gehöre zu den Letzten, die das schlechtreden.

Wenn man sich aber überlegt, was für eine Industrieregion es 1989/1990 war - egal ob die Unternehmen damals gut oder schlecht oder verbraucht oder nicht verbraucht waren -, dann müssen wir konstatieren: Diese Industrieregion sind wir heute nicht mehr. Sie ist in Teilen besser, aber was die Substanz angeht, fehlt uns noch viel. Wir brauchten noch viel mehr produktive Arbeit, noch viel mehr Produktion hier in Sachsen-Anhalt, um das ausgleichen zu können.

(Zustimmung bei der SPD und von Herrn Kurze, CDU)

Man muss auch sagen, wenn man sich die letzten 25 Jahre anschaut, dann hat dieser Strukturbruch natürlich auch - man kann fast sagen - viele Opfer von den Menschen gefordert; denn diese Strukturbrüche waren natürlich mit großen Brüchen in den Erwerbsbiografien verbunden. Arbeit bestimmt das Leben und hat das Leben bestimmt. Dadurch, dass jemand in die Arbeitslosigkeit gegangen ist und danach keine Möglichkeit hatte, wieder vernünftig hineinzukommen, entstanden eben ganz viele Brüche in Erwerbsbiografien. Das gehört dazu.

Mit diesem Strukturwandel sind auch Lebensgewissheiten, die es hier gegeben hat, die über Generationen entstanden sind und die selbstverständlich erschienen, weggebrochen. Es wird wahrscheinlich niemand negieren, dass das Spuren in unserer Gesellschaft hinterlassen hat.

Wir haben mühsam versucht, einige kleine industrielle Kernchen und Bereiche aufrechtzuerhalten. Dazu gehört die Chemie. Dazu gehört der Maschinenbau, in Teilen als Zulieferer. Dazu gehört Kali

und Salz und dazu gehört natürlich auch der Bergbau, insbesondere in der Region Mitteldeutschland.

Es gibt, glaube ich, nicht mehr ganz so viele in diesem Hohen Haus, die das Ganze seit dem Jahr 1990 begleitet haben. Alle, die auch wie Sie, Herr Scharf, von Anfang an dabei waren, wissen, dass unsere Anstrengungen immer mit dem Versprechen verbunden waren, dass das, was wir erhalten können, was wir entwickeln können, auch ein Anker für die Zukunft ist und dass dieser nicht zwischendurch wieder infrage gestellt wird, dass das ein Versprechen ist, das gilt, dass wir einen Entwicklungsprozess gestalten, und zwar auch für die Zukunft.

Deswegen muss man einfach sagen, auch mit den Erfahrungen des letzten Vierteljahrhunderts, dass ein solcher rigider Umbruch nicht in einer halben Generation, innerhalb von 25 Jahren, zu meistern ist. Das ist die Erfahrung, die alle miteinander teilen. Deshalb ist es falsch, wenn man für einzelne Bereiche wie zum Beispiel die Braunkohle mitten im laufenden Prozess die Bedingungen so ändert, dass es zwangsläufig zum nächsten Bruch kommt. Dann kann man einen Strukturwandel nämlich auch nicht mehr vernünftig begleiten. Ich finde, es geht nicht, dass wir den Menschen im Süden schon wieder die Lebensgrundlagen unter den Füßen wegziehen.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD, und von Herrn Born, SPD)

Wenn man sich das Eckpunktepapier Strommarkt anschaut, dann liest man darin den Vorschlag, eine Klimaabgabe einzuführen, technologieunabhängig, für Kraftwerke, die älter als 20 Jahre sind. Das gilt insbesondere für die Braunkohlekraftwerke in unserer Region. Wenn das 1 : 1 umgesetzt würde, dann hätten wir einen riesigen Dominoeffekt und ein riesiges Problem, und zwar nicht nur bei den Kraftwerken. Ich finde es falsch, wenn man sozusagen im vollen Galopp die Bedingungen verändert. Noch schlimmer wären die Auswirkungen, die es für den gesamten Bereich im Braunkohlerevier hätte, und der Dominoeffekt, der bis zu den Tagebauen und vielem anderen mehr reichte.

Es geht um - das differiert - 3 500 bis 5 000 Arbeitsplätze, aber egal, welche Summe man annimmt, es geht einfach gar nicht. Es sind in jedem Fall zu viele Arbeitsplätze. Man muss auch sagen, es geht beim Bergbau nicht nur um die Arbeitsplätze; der Bergbau ist auch ein Wirtschaftsfaktor in der Region, ein Wirtschaftsfaktor im mitteldeutschen Raum. Er hat dort eine hundertjährige Tradition.

Die Braunkohleindustrie ist ein wichtiger Beschäftigungszweig. Wir haben dort neue Arbeitsplätze, neue Ausbildungsplätze. Wir haben ein erheb

liches Steueraufkommen, das für das Land Sachsen-Anhalt auch wichtig ist. Die Braunkohle trägt in hohem Maße zur Wertschöpfung im Land Sachsen-Anhalt bei.

Es ist auch nicht mehr die Braunkohle von 1989/ 1990. Es gibt neue Technologien, es gibt weiterentwickelte Abbauverfahren. Ich sage immer, dort, wo kein lebender Bergbau ist, werden wir vermutlich auch den Maschinenbau, der dazu gehört, nicht mehr lange haben, weil man dafür einfach Anwendungsgebiete braucht. Das heißt, es geht weit über das Thema Braunkohle und Braunkohleabbau und über das Thema Kraftwerke und Verstromung hinaus, über das wir heute reden.

Deshalb gibt es den Antrag der Koalitionsfraktionen mit der klaren Aufforderung an die Bundesregierung, den Planungshorizont für die Kraftwerksbetreiber nicht durch staatliche Regulierungen infrage zu stellen. Deshalb darf die Wettbewerbsfähigkeit und damit möglicherweise auch die Existenz der mitteldeutschen Braunkohle nicht durch staatliches Handeln infrage gestellt werden. Deshalb ist es elementar, Arbeit und Arbeitsplätze zu erhalten. Aus unserer Sicht ist es richtig, die zusätzlichen Abgaben, die für die bestehenden Braunkohlekraftwerke geplant sind, in den Papierkorb zu werfen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich habe dies gleich nach dem Bekanntwerden des Eckpunktepapiers in einem Brief an Sigmar Gabriel und Barbara Hendricks angemahnt. Ich habe mit Sigmar Gabriel mehrere Gespräche geführt. Es gibt auch Gesprächsbereitschaft, das wissen möglicherweise Sie alle hier im Raum. Es ist Bewegung in der Sache. Das ist gut so. Man muss zu einer anderen Lösung kommen.

Ich sage noch einmal ganz deutlich: Man ändert nicht mitten im Spiel die Regeln. Vertrauensschutz muss auch für den Strukturwandel im Osten gelten. Andere Regionen fordern ihn auch ein.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Bei dem Wort Überzeugung fällt mir immer wieder der Passus ein, der im Schwarzbuch Kohlepolitik von Greenpeace über mich steht: Katrin Budde, SPD-Landesvorsitzende, Typ Überzeugungstäterin. Ich würde einmal sagen, vermutlich bringe ich die nötige Empathie mit für Wirtschaftspolitik und Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt. Das beschreibt die Sache im Zweifel besser. Ich habe aber auch kein Problem damit, wenn dort etwas von Überzeugung steht; denn genau das ist es. Ich werde mit den Worten zitiert:

„Die Braunkohle hat nach wie vor eine große industrie- und energiepolitische Bedeutung, und das nicht nur für Sachsen-Anhalt, sondern für die gesamte Bundesrepublik.“

Dem ist nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD)

Es wird der Vorwurf erhoben, dass diejenigen, die sich für den Erhalt der Arbeitsplätze und für die Braunkohle einsetzen, gegen die Energiewende wären. Das werden wir vermutlich noch in verschiedenen Fassetten in der Debatte hören. Meine Damen und Herren! Das ist blanker Unsinn. Natürlich ist die Energiewende wichtig. Natürlich ist es völlig unstrittig, dass es sie geben muss. Sie muss aber auch gangbar sein. Das ist das Entscheidende. Man kann nicht nur Ziele formulieren und nicht wissen, wie man diese Ziele erreicht. Man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, aber gerade das würde erreicht werden, wenn man das umsetzte, was jetzt in diesem Strompapier steht.

(Zuruf von Herrn Weihrich, GRÜNE)

Wenn man das freundlich abschichtet, dann gehört auch dazu, dass es verschiedene Realitäten gibt. Die erste Realität ist, dass Sachsen-Anhalt und der Osten insgesamt bereits einen enormen Beitrag geleistet haben, was das Thema Energiewende angeht. Die Bundesrepublik darf sich auf sämtlichen Klimagipfeln damit brüsten, dass seit dem Jahr 1990 CO2-Einsparungen in erheblichen Größenordnungen realisiert worden sind.

Das stimmt, das hat sie. Dann kommt aber die Frage: Womit sie das denn getan? - Ein Großteil der Einsparungen, die die Bundesrepublik seit dem Jahr 1990 erreicht hat, resultiert ausschließlich aus der Stilllegung der ostdeutschen Kraftwerke. Das war auch völlig richtig so; denn das waren Dreckschleudern. Aber: Mit der Deindustrialisierung von Teilen des Ostens haben wir eben die Umweltbilanz der Bundesrepublik aufgehübscht. Das ist auch eine Realität, die deutlich ausgesprochen werden muss.

Meine Damen und Herren! Ich komme zur Klimakanzlerin. Wir, auch ich, unternehmen jetzt sozusagen den ersten Angriff mit großen Forderungen an das Bundeswirtschaftsministerium. Das ist auch in Ordnung so. Das Bundeswirtschaftsministerium hat vorgelegt, wie es sich vorstellt, die zusätzliche Einsparung von 22 Millionen t CO2 im Stromsektor zu erbringen. Aber man muss der Wahrheit halber auch sagen: Dazu gehören nicht nur Sigmar Gabriel und das Bundeswirtschaftsministerium, sondern auch die Kanzlerin, und zwar eine, die sagt: Ich will Klimakanzlerin sein.

Schauen wir einmal in die Beschlüsse hinein, woraus diese Vorschläge resultieren. Diese Beschlüsse, das einzusparen, gehen noch viel weiter. Wir müssen uns auch damit auseinandersetzen.

Die Beschlüsse von 2010 - das ist noch die alte CDU/CSU-FDP-Regierung - sehen so aus, dass bis 2020 40 % erbracht werden sollen - das ent

spricht 750 Millionen t CO2-Reduzierung -, bis 2030 55 %, bis 2040 70 % und bis 2050 80 %. Kein Mensch hat eine Lösung dafür; denn mit Abschalten und Deindustrialisierung wird es nicht gehen.