Danke schön, Herr Minister. - Wir fahren in der Aussprache fort. Für die Fraktion DIE LINKE spricht nun Abgeordneter Herr Dr. Thiel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD hat das Thema Arbeitsbedingungen der Beschäftigten erneut auf die Tagesordnung gesetzt, und das, kann man mit SPD-Duktus sagen, ist auch gut so.
Die Wirtschaftsentwicklung im Land ist eben nichts Abstraktes oder Anonymes. Sie wird von Menschen gestaltet, welche ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten, ihr Wissen und Können in diese Prozesse einbringen. Das ist auch kein neues Thema im Landtag. Das haben sowohl Herr Kollege Steppuhn als auch Herr Minister Bischoff bereits gesagt.
Wir haben immer wieder über die Arbeitsbedingungen geredet, zum Thema Mindestlohn, zum Thema Mitbestimmung oder erst gestern wieder zum Thema Tarifeinheit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jawohl, Deutschland hat endlich den Weg zur Einführung eines Mindestlohngesetzes gefunden. Wenn auch mit Ecken und Kanten - unsere eigene Unzufriedenheit darüber haben wir lautstark artikuliert -, wurden doch endlich Haltelinien eingebaut, um die Dumpingspirale nach unten, und zwar nicht nur bei Löhnen, sondern auch bei anderen Leistungen, die Unternehmen zu erbringen haben, abzubremsen. Existenzsicherung durch eigener Hände Arbeit hat endlich eine neue Perspektive.
Bei aller Kritik an den Problemen, die mit diesem Gesetz verbunden sind, sollte die Auseinandersetzung über die künftige Entwicklung nicht vorrangig über die Nachweispflicht von Arbeitszeiten oder die Frage geführt werden, wie man den Mindestlohn am besten umgehen kann,
sondern vor allen Dingen darüber, wie es möglich ist, dass wir für alle Beschäftigten existenzsichernde und armutsfeste, einfach bessere Einkommen erzielen.
Vor Kurzem hat die Presse über die Ergebnisse bei der Entwicklung der Minijobs als Folge des Mindestlohnes in Deutschland geschrieben. Bundesweit gingen diese Jobs um 3,5 % zurück und in Sachsen-Anhalt um 7,7 %; damit in SachsenAnhalt am stärksten. Gegenwärtig sind bei uns 96 000 Minijobber tätig. Wir haben damit bundesweit pro 1 000 Einwohner die wenigsten. Das muss man der Ehrlichkeit halber hinzufügen. Die Entwicklungen sind sehr unterschiedlich: in Industrie und Handel deutlich mehr als bei haushaltsnahen Dienstleistungen und dem Gastgewerbe. Die Arbeit ist ja nicht weg; sie fällt nur nicht mehr in die Kategorie bis 450 €.
Dem Chef der Arbeitsagentur Sachsen-Anhalt/ Thüringen Kay Senius ist mit seiner Meinung nur zuzustimmen: Es findet eine Normalisierung der Arbeitsverhältnisse statt.
Auch wenn die IHK Halle meinte, Unternehmen würde damit die Flexibilität genommen, um Stoßzeiten zu bewältigen - um Stoßzeiten abzufangen, gibt es nach geltendem Arbeitsrecht noch genügend Möglichkeiten, nur keine Bezahlung mehr unter 8,50 € pro Stunde.
Ist es gute Arbeit, wenn ich meine Ware Arbeitskraft auf Abruf zur Verfügung stellen muss? - Wohl kaum.
Ernüchternd war auch für mich die Zahl von insgesamt 285 000 Beschäftigten in Sachsen-Anhalt, die vom Mindestlohn profitieren - ernüchternd deshalb, weil dieses Problem existenzsichernder und armutsfester Einkommen etwa ein Viertel aller Beschäftigten in Sachsen-Anhalt betrifft. Die lange Jahre betriebene Standortpolitik der Landesregierung mit der Werbung für weniger Tarifbindung und niedrige Löhne hat eine Wirkung entfacht, die kurzfristig kaum zu beseitigen ist.
Dazu kommen noch die Zahlen für prekäre Beschäftigung. Im Jahr 2013 betrug der Anteil der atypischen Beschäftigungsverhältnisse in Sachsen-Anhalt 24,1 %. Rechnet man noch die Teilzeitbeschäftigten mit einer Arbeitszeit von mehr als 20 Stunden hinzu, sind es 34,4 %, also absolut insgesamt 308 000 Beschäftigte in SachsenAnhalt. Das heißt, etwa ein Drittel der abhängig Beschäftigten arbeiten in atypischen Beschäftigungsverhältnissen.
- Es ist die offizielle Definition, die man in den Statistiken finden kann, lieber Kollege Rosmeisl.
Mit Stand vom 30. Juni 2014 gab es in SachsenAnhalt 22 718 Leiharbeitnehmerinnen, was einem Anteil von 2,9 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten entspricht. Damit liegen wir übrigens im Mittelfeld der ostdeutschen Bundesländer. Wir haben keine besonders herausgehobene Stellung, weder nach oben noch nach unten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Immer wieder kommt in Deutschland die Frage auf, ob Arbeit bei uns zu teuer ist. Na klar, höre ich schon wieder. Meine natürlich nicht, aber die bei anderen.
Die Fakten sind eindeutig: Im Jahr 2014 zahlten die Arbeitgeber in Deutschland in der Privatwirtschaft pro 100 € Bruttoverdienst zusätzlich 28 € Lohnnebenkosten. Damit lagen die Lohnnebenkosten in Deutschland laut den Statistikern unter dem EU-Durchschnitt von 31 €. Im EU-weiten Vergleich befindet sich Deutschland auf Rang 15, also im Mittelfeld. In den Ländern, die die Plätze 1 bis 14 einnehmen, steht der wirtschaftliche Kollaps auch nicht bevor.
Postchef Frank Appel betonte erst kürzlich: Wir sind zu teuer. Die Arbeitskosten sind zu hoch. Gleichzeitig verspricht er einen Gewinn in Höhe von 3 Millionen € für die Aktionäre. Das ist das Widersprüchliche in diesem System: Viele sollen für weniger Geld mehr Leistung bringen, damit andere mit Geld mehr Geld verdienen.
Was versteht man unter guter Arbeit? - Herr Kollege Steppuhn und Herr Minister Bischoff haben dazu eine Menge gesagt. Der DGB hat dazu wirklich einen sehr interessanten Index erstellt, mit dem man die Entwicklung über Jahre verfolgen kann. Das ist ein Thema, das immer wieder neuen Ansprüchen gerecht werden muss.
oftmals vergessen. Dazu gehören auch unbefristete Arbeitsverträge, gleiches Geld für gleiche Arbeit auch zwischen den Geschlechtern, Mitbestimmung und Beteiligungsrechte am Wertschöpfungsprozess. Die Arbeit soll flexibel sein für die Beschäftigten, nicht nur für die Unternehmen, und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch anzustreben.
Gerade deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil Wissenschaft und Innovation in der nächsten Zeit in einer völlig neuen Qualität die Entwicklung der Produktivkraft beeinflussen werden, ist die soziale Sicherheit eine notwendige Voraussetzung für die Bewältigung des sich rasant vollziehenden gesellschaftlichen Wandels, den die Wissensgesellschaft mit sich bringt.
Das betrifft beispielsweise die Anforderungen für ein höheres Maß an Flexibilität, Mobilität, Individualisierung und Kreativität. Die Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft misst sich eben nicht an einem Weniger von sozialer Sicherheit, sondern im Gegenteil an einem Mehr von sozialer Sicherheit, gerade unter veränderten Bedingungen.
Doch wie sieht die Realität aus? - Lieber Kollege Steppuhn, man muss den DGB-Index nicht nur lesen, sondern auch sagen, wie die Realitäten sind. Die Stammbelegschaften werden mit Arbeitszeitverkürzungen, Werkverträgen und Leiharbeitern oder Unternehmensschließungen unter Druck gesetzt. Unsicherheiten werden geschaffen, was die Beschäftigten dazu treibt, sich entweder abzuducken oder einfach wegzugehen. Das ist eines der zentralen wirtschaftspolitischen Probleme unseres Landes: Gut ausgebildete Leute gehen weg, weil sie woanders bessere Arbeitsbedingungen finden.
Für ältere Arbeitnehmer in modernen Fertigungslinien wird es immer schwieriger, geeigneter Arbeitsplätze zu finden. Leistungsdruck und Anforderungen werden immer höher.
Es finden Betriebsaufspaltungen statt - darüber haben wir gerade gestern diskutiert -, um die Mitbestimmung einzugrenzen oder den KMU-Status wegen der Fördermittel zu erhalten oder um interne Unternehmen in einen Inhouse-Wettbewerb zu drängen.
Die Arbeit hat sich verändert. Die Arbeitsbedingungen werden heute von ganz anderen Dingen geprägt als noch vor fünf oder zehn Jahren. Das hat weitreichende Folgen für die Beschäftigten. „Arbeitsintensivierung“, „Zeitdruck“, „ständige Erreichbarkeit“, „Stress“ und „Burn-Out“ sind Schlag
Deshalb ist dem Kollegen Steppuhn eindeutig darin zuzustimmen, dass die Beschäftigungspolitik viel enger mit der Wirtschaftspolitik zu verknüpfen ist. Das betrifft nicht nur die inhaltliche Verzahnung, sondern vielleicht in der Perspektive auch die organisatorische.
Ich kann nicht nur auf der einen Seite nur über Wirtschaftswachstum reden, ohne gleichzeitig auf der anderen Seite die Bedingungen zu beschreiben, unter denen es stattfindet. Gute Wirtschaftspolitik muss immer beide Seiten im Blick haben: diejenigen, die die Wertschöpfung organisieren, und diejenigen, die sie leisten. Dabei kann es Widersprüche geben. Die Politik ist dafür da, um mit diesen Widersprüchen umzugehen.
Wir sollten auch nicht vergessen, dass gute Arbeit nicht nur auf die Erwerbsarbeit ausgerichtet ist. Gute Arbeit gibt es bei individuellen Tätigkeiten, die gesellschaftliche Relevanz haben: Familienarbeit, Kinderbetreuung, Pflege im persönlichen oder familiären Umfeld, ehrenamtliche Arbeit in Vereinen und Organisationen oder kreative Arbeit in Kunst und Kultur oder Wissenschaft und Bildung. Auch das ist gute Arbeit. Das wird oftmals leider vergessen.
Deutschland 2015: ein Jobwunder. Die Steuern sprudeln. Die Wirtschaft boomt. Es geht uns doch gut. Einige Beiträge in der Wirtschaftsdebatte in der „Mitteldeutschen Zeitung“ versuchen auch diesen Eindruck zu vermitteln.
Das Leben ist aber viel differenzierter. Mit der Diskussion über Durchschnittswerte kommen wir nicht weiter. Deshalb unsere Forderungen, die wir mehrmals hier im Hohen Hause benannt haben; das ist die Frage, wie soll gute Arbeit über entsprechende Tarifbindung besser organisiert werden; das ist die Frage, wie die sich verändernde Arbeitswelt mit den dynamischen Lebensmodellen der Beschäftigten in Einklang zueinander zu bringen ist. Es geht darum, dass gesundes Arbeiten bis zur Rente dazu gehört, über ein entsprechendes Gesundheitsmanagement.
Wir in der Politik müssen das Bedürfnis der Beschäftigten nach einer humanen Arbeitswelt in den Mittelpunkt stellen. Das sollte doch drin sein. Oder? - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema der heutigen Aktuellen Debatte „Gute Arbeit - Entwicklung der Arbeitsbedingungen und der Einkommen in Sachsen-Anhalt“ ist meiner Meinung nach gut gewählt und kommt durchaus zum richtigen Zeitpunkt. Deshalb an dieser Stelle schon einmal einen Dank an die Einbringer dafür, dass wir uns heute mit diesem Thema befassen dürfen. Ich freue mich, feststellen zu können, dass die bisherigen Redebeiträge von einer hohen Sachlichkeit geprägt waren, trotz einiger Ausnahmen an einigen Stellen.
Meine Damen und Herrn! Neben der Kinderbetreuung, der Asyl- und Flüchtlingsproblematik, der Gesundheitsversorgung und der wirtschaftlichen Entwicklung stellt der Aspekt gute Arbeit einen wesentlichen Faktor für die Zukunft unseres Landes dar, wobei sich wirtschaftliche Entwicklung und gute Arbeit unmittelbar bedingen.
Wir können glaube ich, mit Stolz und mit Recht sagen, dass wir in Sachsen-Anhalt in Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung einiges erreicht haben. Wenn man sich zum Beispiel den Wanderungssaldo in den letzten Quartalen anschaut, dann sind wir, denke ich, im Positiven. Das ist ein Ausdruck einer sich deutlich entwickelnden wirtschaftlichen Leistung. Auch die Lohnentwicklung in den letzten Jahren ist durchaus als positiv zu betrachten.