Protokoll der Sitzung vom 05.06.2015

Wir können glaube ich, mit Stolz und mit Recht sagen, dass wir in Sachsen-Anhalt in Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung einiges erreicht haben. Wenn man sich zum Beispiel den Wanderungssaldo in den letzten Quartalen anschaut, dann sind wir, denke ich, im Positiven. Das ist ein Ausdruck einer sich deutlich entwickelnden wirtschaftlichen Leistung. Auch die Lohnentwicklung in den letzten Jahren ist durchaus als positiv zu betrachten.

Nichtsdestotrotz sollen uns diese Erfolge nicht dazu verführen, uns zurückzulehnen und zu sagen: Alles gut und wir machen weiter so.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich im folgenden Beitrag in einigen Kernsätzen erläutern, wie ich mir persönlich gute Arbeit vorstelle und wie sie aus meiner Sicht zur Entwicklung unseres Bundeslandes einen entscheidenden Beitrag leisten kann.

Erstens. Arbeit hat Wert und Würde. Dies als Kernsatz zu begreifen und in reales Handeln umzusetzen, muss die Grundlage allen politischen Handelns sein; denn Erwerbsarbeit schafft die Voraussetzungen für ein eigenständiges Leben. Daher ist es die Aufgabe von Staat und Politik, faire Chancen auf Teilhabe an Erwerbsarbeit für alle zu organisieren.

Die Teilhabe an Arbeit ist ein soziales Grundbedürfnis eines jeden Menschen; denn Arbeit ist wertvoll, nicht nur weil sie materielle Sicherheit und emotionale Stabilität schafft. Sie weist Menschen einen Platz im Leben zu und stiftet Identität. Nicht zuletzt ermutigt sie zu Lebensentscheidungen wie Ehe und Familiengründung.

Bei unserem christlich-sozial geprägten Menschenbild - ich spreche für mich und die Mitglieder meiner Fraktion - hat der arbeitende Mensch Wür

de. Deshalb muss auch die Arbeit, die er verrichtet, Würde haben. Diese Erkenntnis leitet uns. Wir wollen arbeitnehmerfreundliche Rahmenbedingungen für gute Arbeit schaffen. Dieses Ziel endet nicht an Ländergrenzen, und das darf es auch nicht. Ich meine dabei nicht nur die Grenzen zwischen einzelnen Bundesländern.

Zweitens. Arbeit muss auskömmlich und gerecht entlohnt werden. Soziale Partnerschaft und Tarifautonomie sind die besten Garantien für eine faire Lohnfindung. Ein gerechter Lohn muss auf Augenhöhe von Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgehandelt werden. Besonders die Finanzkrise und deren Auswirkungen nach dem Jahr 2008 haben sich gezeigt, wie wertvoll das Erfolgsmodell Tarifpartnerschaft auch für unser Land Sachsen-Anhalt war.

Damit dieses Modell weiter so erfolgreich sein kann, ist ein hoher Organisationsgrad sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite erforderlich. Deshalb kann ich nur alle Beschäftigten auffordern, in Gewerkschaften einzutreten, und natürlich ist es gleichermaßen erforderlich, das möglichst alle Arbeitgeber in tarifschließenden Arbeitgeberverbänden Mitglied werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur gerechten Entlohnung gehört auch der gesetzliche Mindestlohn als untere Auffanglinie. Das ist von meinen Vorrednern schon betont worden. Mit seiner Einführung wurde ein wichtiges Signal gesetzt. Gott sei Dank ist der vielfach befürchtete massive Arbeitsplatzabbau bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu beobachten gewesen, und ich hoffe, dass das auch so bleiben wird.

Dass wir mit dem bundeseinheitlichen Mindestlohn erstmals eine Einkommensgleichheit in allen Bundesländern, wenn auch am unteren Rand des Lohngefüges, erreicht haben, ist für sich betrachtet erst einmal positiv zu bewerten. Das reicht aber bei Weitem nicht aus. Ziel muss es sein, dass wir den Menschen über einen gerechten Lohn ein Leben unabhängig von staatlichen Transferleistungen ermöglichen.

(Zustimmung bei der CDU)

Drittens. Arbeit für alle, notfalls auch am zweiten Arbeitsmarkt. Oberste Prämisse ist und bleiben die Aktivierung von Arbeitslosen und deren Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt. Dabei konnten in der Vergangenheit durchaus beachtliche Erfolge erzielt werden, die mit Sicherheit nicht nur den sich verändernden demografischen Gegebenheiten zuzuschreiben sind. Dennoch wird es zukünftig wichtig sein, einen eng einzugrenzenden Personenkreis, für den eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt trotz Inanspruchnahme bestehender Unterstützungsinstrumente absehbar als nicht realistisch erscheint, lieber in Arbeit zu fördern, anstatt Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

Grundlage für eine ausgewogene Entscheidung hinsichtlich der Bereitstellung eines zweiten Arbeitsmarktes ist die Gegenüberstellung von mit ihm verbundenen Kosten und Erträgen bzw. Einsparungen, wie dies im Modell des Passiv-AktivTransfers möglich ist.

Meine Damen und Herren! Wenn ich eben noch von der Notwendigkeit eines sogenannten zweiten Arbeitsmarktes gesprochen habe, so möchte ich jetzt auf eine Notwendigkeit aufmerksam machen, die unmittelbar mit der Existenz eines solchen Arbeitsmarktes zusammenhängt. Damit wäre ich bei meinem nächsten Kernsatz: Hebung bisher noch unzureichend genutzter Arbeitskräfte- bzw. Ausbildungspotenziale für die Wirtschaft.

Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt im Land Sachsen-Anhalt wird sich als eine Folge des demografischen Wandels zugunsten der Arbeitskräfte weiter verändern. Die damit verbundene Chance, bisher unzureichend erschlossene Potenziale mithilfe adäquater Unterstützungsangebote in Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt bzw. in Ausbildung zu integrieren, gilt es konsequent zu nutzen. Hierzu zählen Menschen mit Behinderungen, aber auch Arbeitslose mit zusätzlichen Vermittlungshemmnissen, zum Beispiel Ältere, Geringqualifizierte, Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende.

(Zustimmung bei der CDU)

Besonders Menschen mit Behinderung sind dabei verstärkt in den Fokus zu rücken.

(Zustimmung von Frau Gorr, CDU)

Wenn wir zukünftig Inklusion auch im Bereich des Arbeitsmarktes so ernst nehmen, wie wir dies immer behaupten, dann können wir die Potenziale dieser Menschen nicht länger fast brachliegen lassen, dann müssen sie auch mit Blick auf den sich entwickelnden Fachkräftebedarf verstärkt nutzen.

(Zustimmung bei der CDU)

Dies kann gelingen, wenn einerseits Unterstützungsangebote konsequent an dem individuellen Bedarf und den Problemlagen der Betroffenen ansetzen, andererseits gilt es institutionelle Rahmenbedingungen und Anreize zu schärfen, die eine Integration in Beschäftigung bzw. in Ausbildung begünstigen. Hierzu zählt auch der Grundsatz, dass sich Arbeit lohnen muss.

Meine Damen und Herren! Technische Neuerungen, soziale und politische Umwälzungen, Arbeit und Arbeitswelt haben sich in der Geschichte immer verändert, aber nie so schnell, permanent und so grundlegend wie derzeit. Die Internationalisierung erhöht den Leistungs- und Wettbewerbsdruck auf Unternehmen und Beschäftigte. Computerisierung und Digitalisierung schaffen neuartige Tätig

keiten mit enormen Anforderungen und Belastungen. Die Arbeit verdichtet sich. Man muss in gleicher Zeit mehr Leistung bringen, mehr Information verarbeiten, mehreres gleichzeitig tun. Beschäftigte spüren diesen Wandel, vor allem seelisch.

Fünftens. Arbeit darf nicht krank machen. Auch mit Blick auf den zukünftig ansteigenden Anteil älterer Beschäftigter in den Belegschaften sowie die Zunahme von arbeitsbedingten Erkrankungen kommen der altersgerechten Arbeitsorganisation, einem umfassenden und weiterentwickelten Arbeitsschutz sowie dem Ausbau des betrieblichen Gesundheitsmanagements eine wichtige Bedeutung zu. Dies gilt auch oder gerade für psychische Belastungen. Wichtigstes Ziel ist es, dass Arbeitskräfte bis zu ihrem regulären Altersrenteneintritt - wenn gewünscht, auch darüber hinaus - ihre Potenziale und Fähigkeiten in den Arbeitsmarkt einbringen.

Meine Damen und Herren! Arbeit ist gut, wenn sie menschengerecht gestaltet ist. So sehen es das Arbeitsschutzgesetz in § 2 und das Betriebsverfassungsgesetz in § 90 vor. Aber was macht Arbeit menschengerecht? Die Antwort hängt davon ab, welches Leitbild von Arbeit und welches Menschenbild eine Gesellschaft prägen.

(Zuruf von der LINKEN: Genau!)

Meine Damen und Herren! Jeder Mensch hat eine von Gott gegebene Würde, die sich in der Arbeit und ihrer sozialen Absicherung widerspiegeln muss. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Kollege Rotter, Kollege Steppuhn würde gern eine Frage stellen. Möchten Sie diese Frage beantworten?

(Herr Kurze, CDU: Ach nee!)

Ja, ich werde es versuchen.

Er würde gern antworten, also lohnt sich auch das Fragen. Bitte schön, Herr Steppuhn.

Lieber Kollege Peter Rotter, es ist erfreulich, festzustellen, dass wir in vielen Bereichen, was das Thema gute Arbeit angeht, offensichtlich schon einer Meinung sind. Trotzdem hätte ich die Frage: Wie würden Sie das Thema gute Arbeit im Kontext mit der Wirtschaftspolitik des Landes sehen, und was könnte zum Beispiel der Wirtschaftsminister

unseres Landes tun, um das Thema gute Arbeit wirtschaftspolitisch zu befördern?

(Zuruf von der CDU: Das ist eine komische Frage!)

Kollege Steppuhn, wenn ich darauf umfassend antworten würde, dann würde es sicherlich den Zeitrahmen dieser Sitzung sprengen,

(Lachen bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

weil man dazu wirklich sehr viel sagen kann. Schauen Sie sich die Wirtschaftspolitik an, die auch von Wirtschaftsminister Möllring geleistet wird. Sie ist von dem Ziel geprägt, gute Arbeit im Land Sachsen-Anhalt zu gewährleisten. Darauf bin ich - das sage ich ganz ehrlich - sehr stolz.

(Beifall bei der CDU)

Kollege Rotter, Kollegin Dirlich möchte Sie auch gern befragen. Möchten Sie die Frage beantworten?

Ich war mir nicht bewusst, dass mein Redebeitrag einen solchen Nachfragebedarf provoziert. Aber ich werde versuchen, auch eine Antwort auf die Frage von Kollegin Dirlich zu finden.

Herr Kollege, wir haben schon ein paar Mal vorgeführt bekommen, wie mehrheitsfähig Ihre Position in Ihrer Fraktion, geschweige denn in Ihrer Partei ist. Mich würde das anhand dieses Themas interessieren. Wie mehrheitsfähig ist Ihre Position in Ihrer Fraktion und in Ihrer Partei?

(Herr Bommersbach, CDU: Kommen Sie zu unserem Parteitag, dann wissen Sie es! - Herr Weigelt, CDU: 97,3 %! - Weitere Zurufe von der CDU)

Kollegin Dirlich, ich muss ganz ehrlich sagen: Ich weiß nicht, wie Sie zu dieser Auffassung kommen. Ich empfinde das nicht so. Ich kann nur noch einmal bekräftigen: Das ist die Position meiner Fraktion, die ich hiermit eindeutig rüberbringe. Das muss auch für Sie genügen. - Danke.

(Beifall bei der CDU)

Wir fahren fort in der Aussprache. Als Nächste spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordnete Latta.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der DGB in Sachsen-Anhalt definiert gute Arbeit wie folgt - ich zitiere -:

„Gute Arbeit bedeutet: faires Einkommen, berufliche und soziale Sicherheit sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz, der hilft, gesund das Rentenalter zu erreichen. Weitere Aspekte guter Arbeit sind ein respektvoller und wertschätzender Umgang zwischen den Beschäftigten einschließlich der Vorgesetzten, umfassender und klarer Informationsfluss, ausgewogene Arbeitszeiten und gute betriebliche Qualifizierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Auch Arbeitnehmermitbestimmung ist elementarer Bestandteil des Leitbilds.

Der Begriff ‚gute Arbeit‘ geht auf den englischen Begriff ‚Decent Work‘ zurück, der wörtlich so viel wie ‚menschenwürdige Arbeit‘ bedeutet. Die Internationale Arbeitsorganisation, IAO, hat mit der ‚Decent Work Agenda‘ ihre Grundsätze und Prioritäten für die menschenwürdige Gestaltung der weltweiten Arbeits- und Lebensbedingungen formuliert.“

Dieses Verständnis von guter Arbeit zugrunde legend, wurde der DGB-Index „Gute Arbeit“ entwickelt, mit dem die Qualität der Arbeit am Urteil der Beschäftigten über ihre Arbeitsbedingungen gemessen wird. Dazu wird seit dem Jahr 2007 jährlich eine Repräsentativerhebung durchgeführt. Befragt werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aller Branchen, Einkommensgruppen, Regionen, Betriebsgrößen, Berufsgruppen und Beschäftigungsverhältnisse.