Protokoll der Sitzung vom 05.06.2015

Dieses Verständnis von guter Arbeit zugrunde legend, wurde der DGB-Index „Gute Arbeit“ entwickelt, mit dem die Qualität der Arbeit am Urteil der Beschäftigten über ihre Arbeitsbedingungen gemessen wird. Dazu wird seit dem Jahr 2007 jährlich eine Repräsentativerhebung durchgeführt. Befragt werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aller Branchen, Einkommensgruppen, Regionen, Betriebsgrößen, Berufsgruppen und Beschäftigungsverhältnisse.

Für das Land Sachsen-Anhalt gibt es eine Studie zu den Arbeits- und Einkommensbedingungen. Wie sieht die Situation in Sachsen-Anhalt aus? - Dazu einige Auszüge aus der Zusammenfassung der Studie.

Die Einkommens- und Beschäftigungssituation im Land Sachsen-Anhalt entspricht weitgehend der Situation in Ostdeutschland und stellt sich tendenziell schlechter dar als in Westdeutschland. Das Bruttoarbeitseinkommen in Sachsen-Anhalt liegt tendenziell unter dem ostdeutschen Durchschnitt.

In Sachsen-Anhalt ist die Bereitschaft, den Arbeitgeber zu wechseln, deutlich höher als in den alten Bundesländern. Gründe dafür sind die Unzufriedenheit mit der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen.

Das vergleichsweise niedrige Arbeitseinkommen in Sachsen-Anhalt ist ein wesentliches Problem der Fachkräftebindung. Auch die Arbeitsplatzunsicherheit ist im Land Sachsen-Anhalt groß. Beschäf

tigte sind laut der Studie deutlich besorgter um die Arbeitsplatzsicherheit als in Westdeutschland.

Darüber hinaus dürfen wir auch die Situation bei den Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern in Sachsen-Anhalt nicht vergessen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Leiharbeit ist in Sachsen-Anhalt ein aktuelles Thema. Zurzeit sind 22 800 Menschen in einem Leiharbeitsverhältnis angestellt. Insgesamt ist die Quote an Leiharbeitnehmern in Sachsen-Anhalt gestiegen. Im Dezember 2013 waren es noch 21 294 Menschen, in den Jahren zuvor waren es weniger Leiharbeitnehmer, die in einem Leiharbeitsverhältnis angestellt waren.

Die Zufriedenheit der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer ist gesunken. Dies führen die Forscher zum einen auf die Löhne von Leiharbeitern zurück. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will gleichen Lohn für gleiche Arbeit und zusätzlich einen Flexibilitätsbonus von 10 % für die Leiharbeitsbeschäftigten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zum Thema gute Arbeit gehören auch Equal Pay, gleiche Entlohnung von Männern und Frauen. Die Ausgabe der Zeitschrift „Böckler Impuls“ der HansBöckler-Stiftung berichtete im Mai 2012 über die anonyme Umfrage des Info-Portals „Frauenlohnspiegel“, in der die Arbeitsentgelte von knapp 22 000 Frauen und Männern untersucht wurden.

Nach den Ergebnissen dieser Umfrage liegt der Bruttoverdienst von Frauen im Durchschnitt rund 21 % bis 23 % unter dem der Männer. Diese Zahlen machen doch deutlich, wie weit wir noch von einer gerechten Entlohnung für Frauen entfernt sind.

Gerade Frauen sind öfter von atypischer Beschäftigung betroffen als ihre männlichen Kollegen. Das heißt, sie arbeiten auch öfter in Teilzeit als ihre männlichen Kollegen. Laut der Zeitschrift „Böckler Impuls“ der Hans-Böckler-Stiftung arbeitete in Sachsen-Anhalt im Jahr 2012 ein Drittel der Frauen in Teilzeit. Dies hat natürlich fatale Auswirkungen auf die Höhe des späteren Rentenanspruchs. Diese Ungerechtigkeiten auf dem Arbeitsmarkt müssen ein Ende haben

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Herrn Dr. Thiel, DIE LINKE)

Durch den ESF werden in Sachsen-Anhalt viele gute Jobprojekte gefördert, beispielsweise das Jobeinstiegsprogramm für junge Menschen in Sachsen-Anhalt namens „Pfiff“ und viele weitere Projekte und Programme.

Grüne Arbeit liegt uns Grünen am Herzen. Als Grüne wollen wir weder einen Raubbau an der Natur noch einen Raubbau am Menschen. Dieser

Aspekt fehlt mir etwas in der Begründung zu Ihrem Antrag. Sie verweisen auf die Notwendigkeit der Unternehmen, durch gute Arbeitsbedingungen ihren Fachkräftebedarf zu decken. Und Sie verweisen auf das Problem, dass gut ausgebildete junge Menschen das Land verlassen.

Gute Arbeit nützt also den Unternehmen und dem Land. Aber, verehrte SPD, gute Arbeit nützt in erster Linie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Arbeit, die gerecht entlohnt wird, Arbeit, die erfüllt - eine solche Arbeit ist für die arbeitenden Menschen ein Wert an sich. Es geht schließlich um Arbeitnehmerrechte.

Damit komme ich zu einem aktuellen Beispiel, zum Streik der Erzieherinnen und Erzieher. Deren Entlohnung ist beileibe nicht angemessen. Die Erwartungen und Ansprüche, die wir an die frühkindliche Bildung stellen, und die geforderte Professionalisierung stehen in keinem Verhältnis zum öffentlichen Bild dieses Berufes, zur Ausbildungsstruktur und zur Bezahlung - abgesehen davon, dass nicht einmal alle Erzieherinnen und Erzieher nach Tarif bezahlt werden.

Ich möchte an dieser Stelle erwähnen: Wir hatten damals im Rahmen der KiFöG-Novellierung gefordert, Landesgeld nur an diejenigen Träger auszureichen, die dem öffentlichen Tarif entsprechend entlohnen. Jetzt findet sich dazu im Gesetz nur ein allgemeiner Hinweis auf tarifliche Bezahlung.

Neben den konkreten grünen Forderungen bezüglich der Leiharbeit, der Werkverträge und des Mindestlohns knüpfen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gute Arbeit zentral an das Kriterium der Zeitsouveränität. Unter Zeitsouveränität und letztlich Zeitpolitik bündeln sich für uns Anliegen wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, aber auch die Problematik der erwarteten ständigen Erreichbarkeit von Arbeitnehmerinnen sowie Tendenzen der Arbeitsverdichtung. Es betrifft Forderungen nach einem Anspruch auf Home Office und alle Modelle flexibler Arbeitszeiten sowie ein Rückkehrrecht in Vollzeit.

In diesem Sinne verstehen wir von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gute Arbeit auch als ein Freiheitsthema. Menschen sollten mehr und besser über ihr Leben und über ihre Zeit verfügen können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Kollegin Latta. - Damit ist die Aussprache zur Aktuellen Debatte abgeschlossen und der Tagesordnungspunkt 6 ist erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Aktuelle Debatte

Kollektives Versagen bei der Aufsicht über die IBG

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/4119

Für die Einbringerin spricht der Abgeordnete Herr Meister.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Vorgänge um die IBG haben uns im Landtag und in seinen Ausschüssen in den letzten Jahren wiederholt beschäftigt. Mit der Mitteilung über die Prüfung von aktuellen Entwicklungen bei der IBG Beteiligungsgesellschaft Sachsen-Anhalt mbH vom 28. Mai 2015 hat der Landesrechnungshof nach den Prüfungen in den Jahren 2003 und 2013 nunmehr aktuelle Ergebnisse einer Prüfung vorgelegt.

Wenn der Landesrechnungshof mit der ihm gegebenen Unabhängigkeit im Ergebnis seiner Prüfung zu dem harten Urteil eines kollektiven Versagens kommt, können wir als Landtag nicht einfach zur Tagesordnung übergehen,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

sondern wir müssen dieses Ergebnis aus dem parlamentarischen Raum heraus politisch bewerten. Es stellt sich die Frage: Hat der Landesrechnungshof mit seiner Feststellung des kollektiven Versagens Recht und welche politischen Konsequenzen wollen wir daraus ziehen?

Nach mir wird gleich Herr Minister Möllring sprechen und - das hat der Ministerpräsident vorgestern bereits angedeutet - versuchen, eine Erfolgsgeschichte der IBG zu zeichnen. Ich möchte das nur vorab schon einmal klarstellen.

Die Kritik an den Zuständen in der IBG richtet sich nicht gegen die Förderung innovativer Unternehmen. Sie richtet sich gegen die zweckfremde Verwendung von Fördermitteln für Unternehmen, die eben nicht innovativ waren, die ihren Sitz nicht im Land Sachsen-Anhalt hatten, die nicht als klein oder mittelständisch gelten, und nicht zuletzt dagegen, dass Einzelne mit öffentlichen Mitteln ganz eigene private Zwecke verfolgten, die mit den Beteiligungsgrundsätzen und -vorschriften nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun hatten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

In der „Süddeutschen Zeitung“ vom 3. Juni 2015 war von einem Jahresbericht des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung - Olaf - zu lesen. Unter der Überschrift „Zunehmende Hinweise auf Korruption in der EU“ wird von der „Süddeutschen

Zeitung“ berichtet, dass einer der wichtigsten Fälle dieser Behörde in Deutschland die IBG Beteiligungsgesellschaft Sachsen-Anhalt sei. Das ist der einzige Fall, der genannt wird. Ich erwähne das, um die Außenwirkung deutlich zu machen. Die harte Kritik des Landesrechnungshofs habe ich bereits erwähnt. Angesichts solcher Umstände und solcher Reaktionen von einer Erfolgsgeschichte reden zu wollen, ist schon mutig und abseits der Realität.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Zu einer solchen bewussten Verfehlung des Themas kann man nur gelangen, wenn man die Diskussion über die Frage, wer denn dabei versagt hat, vermeiden will, indem man die Existenz des Problems bestreitet.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Nun hat der Landesrechnungshof mit der ihm eigenen trockenen Art auf 112 Seiten in 44 Textziffern das von ihm Festgestellte zusammengetragen. Zum Teil, aber tatsächlich nur zum Teil, ergeben sich Überschneidungen mit den im Untersuchungsausschuss bearbeiteten Fragestellungen. Ich nenne ein paar Feststellungen des Landesrechnungshofes, die die generellen Probleme betreffen, um Ihnen eine ungefähre Vorstellung zu vermitteln.

Bei zehn geprüften Fällen wurde festgestellt, dass nur bei einem Unternehmen das KMU-Kriterium geprüft worden war, also die Frage, ob das Unternehmen überhaupt klein oder mittelständisch ist. Dieser Punkt ist ganz wesentlich für die Frage, ob gefördert werden kann. Wenn dieses Kriterium nicht erfüllt ist, geht das nicht. Einer von zehn Fällen wurde daraufhin geprüft.

Des Weiteren erfolgte keine Prüfung des Kriteriums „Unternehmen in Schwierigkeiten“. Ist dieses Kriterium gegeben, ist das ein absolutes Ausschlusskriterium. Das wurde nicht geprüft.

Es gab keine systematische Dokumentation. Wir reden insgesamt über dreistellige Millionenbeträge, die dort ausgereicht worden sind. Doch es gibt keine systematische Dokumentation.

Der Beteiligungsausschuss hatte nicht ausreichend Gelegenheit, sich mit den Angelegenheiten zu befassen. Es hatte sich die Praxis eingebürgert, Tischvorlagen zu verteilen. Wie will man dann aber ordentlich arbeiten?

Vorschriftswidrig fanden bis zum Jahr 2011 keinerlei Vor-Ort-Kontrollen durch das Wirtschaftsministerium statt, danach nur einige. Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass gerade die VorOrt-Kontrollen für die Europäische Union ein ganz wesentlicher Faktor sind, auf den sie Wert legt.

Weiterhin wurde nicht kontrolliert, ob wirklich Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten wurden. Die Schaffung von Arbeitsplätzen wird in Verträgen nicht berücksichtigt. Ich möchte Sie bitten, diesen Punkt im Kopf zu behalten für den Fall, dass Redner nach mir auf geschaffene oder gesicherte Arbeitsplätze hinweisen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Ein letzter Punkt, den ich nennen will, vielleicht sogar der wichtigste: Es fehlen strategische Vorgaben zur Gewichtung finanzpolitischer, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischer Faktoren. Auf gut Deutsch: Bei einem mit erheblichen Finanzmitteln ausgestatteten Förderinstrument findet ein weitgehender Blindflug statt. Wir geben nicht vor, welche Ziele wir erreichen wollen. Wir prüfen die Kriterien, wenn überhaupt, nur unzureichend. Der Beteiligungsausschuss ist - bzw. hoffentlich war - nicht willens oder nicht in der Lage, ordnungsgemäß zu arbeiten. Das Elend dokumentieren wir konsequenterweise nicht.