Protokoll der Sitzung vom 01.07.2015

In der Bevölkerung ist diese Realität längst angekommen. Eine breite Mehrheit der Menschen ist für eine vollständige Gleichstellung lesbischer und schwuler Paare durch die Öffnung der Ehe. Das zeigen breite Diskussionen in Online-Foren, in Zeitungsspalten und bei Veranstaltungen. Das zeigen 42 % der Befragten in einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstitut YouGov, die sich voll und ganz für die Gleichberechtigung in dieser Frage aussprachen. Zusätzliche 32 % waren eher dafür. Insgesamt nenne ich die Mehrheit überwältigend. Das sollte einer Volkspartei zu denken geben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Bundesrat hat sich mehrheitlich und sehr eindeutig für die Öffnung der Ehe ausgesprochen. Über die Enthaltung Sachsen-Anhalts wissen wir Bescheid. Aber es gibt einen Gesetzentwurf, der in den Ausschüssen liegt, der im Verfahren ist und der in der nächsten Woche auf der Tagesordnung des Bundesrates zu finden ist. Dort gäbe es zumindest theoretisch auch für Sachsen-Anhalt die Chance, im 21. Jahrhundert anzukommen. Wir sollten diesen Gesetzentwurf unterstützen und Lesben, Schwulen und ihren Kindern den Respekt und die Rechte zubilligen - entgegenbringen, sollte man besser sagen -, die sie verdienen.

Ich kann jetzt hier nur noch einmal an das anknüpfen, was die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes empfohlen hat, nämlich diese Abstimmung im Bundestag freizugeben, weil es eine Abstimmung ist, die eine tatsächliche Gewissensentscheidung ist und die - das musste ich in der Diskussion lernen - sehr viel mit Glaubensfragen zu tun hat. Da sollte doch jeder für sich und für sein eigenes Gewissen entscheiden können. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Lüddemann. - Für die Landesregierung spricht jetzt die Justizministerin und Ministerin für Gleichstellung Frau Professor Dr. Kolb. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir hat gestern jemand auf Facebook geschrieben, wenn man ihn vor ein paar Jahren gefragt hätte, dann hätte er es nie für möglich gehalten, dass in Texas gleichgeschlechtliche Paare früher heiraten können als in Deutschland.

Wir sehen also, dass nach der Entscheidung des Supreme Court in den USA viel mehr noch als nach der Abstimmung in Irland hier in Deutschland eine Debatte wiederbelebt worden ist. Es ist eine Debatte, wie ich finde, nicht nur über die Öffnung der Ehe für alle, sondern über ein modernes Familienbild.

Richtig ist, Frau Lüddemann - deswegen haben Sie heute hier den Antrag gestellt -, dass in der nächsten Woche über den Gesetzentwurf im Bundesrat abgestimmt wird. Sachsen-Anhalt wird sich wieder der Stimme enthalten. Wir haben für den Fall, dass es unterschiedliche Auffassungen bei den jeweiligen Koalitionsfraktionen gibt, ganz klare Regelungen in der Geschäftsordnung der Landesregierung. Die sehen dann eben eine Enthaltung vor.

Aber - das darf ich Ihnen versichern - wir haben es versucht. Wir ducken uns nicht weg. Wir versuchen, zu überzeugen. Ich kann Ihnen nur beipflichten, dass es auch aus meiner Sicht nicht eine Frage des Ob, sondern wirklich nur noch eine Frage der Zeit ist, bis wir auch in Deutschland eine rechtliche Regelung finden,

(Zuruf von Frau von Angern, DIE LINKE)

die die Ehe für alle öffnet.

Aber für manche Dinge - das habe ich in der Vergangenheit bei anderen Themen wie beispielsweise der Frauenquote gelernt - braucht man manchmal etwas Zeit und muss seinem Partner auch etwas Zeit zur Diskussion geben.

(Herr Lange, DIE LINKE: Die haben sie schon ewig - Frau von Angern, DIE LINKE: Aber wie lange denn?)

- Ja.

(Frau von Angern, DIE LINKE: Einmal ehr- lich! - Herr Lange, DIE LINKE: Wie lange soll das jetzt denn man noch gehen? - Frau Bull, DIE LINKE: Das brauchen Sie doch gar nicht! Sie brauchen doch nur Klartext mit den Konservativen zu reden! - Frau von An- gern, DIE LINKE: Sie wollen es nicht, geben Sie es zu!)

Die Justizministerkonferenz hat sich in der vorletzten Woche mit dem Thema beschäftigt, insbesondere unter einem Aspekt, der im Moment unter Juristen umstritten ist. Das ist die Frage, inwieweit eine gesetzliche Regelung oder eine grundgesetzliche Änderung notwendig ist, um die Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare zu ermöglichen.

Die Justizministerkonferenz hat sich ganz klar dafür ausgesprochen. Die Justizministerkonferenz hat auch zum Ausdruck gebracht, dass es dazu keiner Grundgesetzänderung bedarf; denn wenn man sich einmal den Artikel 6 des Grundgesetzes genau anschaut, dann sieht man, dass darin steht, dass Ehe und Familie dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung unterliegen. Dort steht aber nicht, was eine Familie ist. Deswegen finden wir auch an anderer Stelle im Grundgesetz keine Regelung, die eine ausschließlich auf Mann und Frau bezogene Verbindung als Ehe bezeichnet.

Richtig ist, dass das Bundesverfassungsgericht in den 50er- und 60er-Jahren in seiner Rechtsprechung sehr restriktiv war und die Ehe auf die Verbindung von Mann und Frau beschränkt hat. Heute ist das anders. Deshalb bin ich mir sicher, dass das Bundesverfassungsgericht, wenn es darüber entscheiden muss, zugunsten einer Öffnung der Ehe für alle entscheiden wird.

Das haben wir bei der Entscheidung zu den steuerrechtlichen Fragen gesehen. Das haben wir auch bei der Entscheidung zu der sogenannten Sukzessivadoption gesehen. Das ist eine der wesentlichen Ungleichbehandlungen, die es zwischen Ehen und eingetragenen Partnerschaften gibt. Eheleute dürfen ein Kind gemeinsam adoptieren. Eingetragene Partnerschaften dürfen lediglich gemeinsam das leibliche Kind eines der beiden Partner adoptieren; sie dürfen bisher aber nicht gemeinsam ein fremdes Kind adoptieren. Das ist aus meiner Sicht eine eindeutige Ungleichbehandlung, ausgehend von Artikel 3 des Grundgesetzes.

Wir haben im Rahmen der Koalitionsverhandlungen auf der Bundesebene lange über dieses Thema diskutiert. Wir haben gekämpft, wir haben gestritten, aber im Ergebnis ist es unter den Spitzen, die die Koalitionsvereinbarung ausgehandelt haben, der SPD nicht gelungen, sich damit durchzusetzen, dass das im Rahmen der Koalitionsvereinbarung auf der Bundesebene geregelt wird. Deshalb kann man es absehen: Selbst wenn der Gesetzentwurf in der nächsten Woche im Bundesrat eine Mehrheit erhält, was wahrscheinlich ist, wird der Bundestag leider keine positive Entscheidung treffen.

Auf der Bundesebene wird einiges versucht. Heiko Maas hat einen Gesetzentwurf für ein Lebenspartnerschaftsbereinigungsgesetz vorgelegt. Damit

sollen 30 Vorschriften korrigiert werden, um Ungleichbehandlungen zu beseitigen. Wenn man sich das im Detail anschaut, sind das alles eher redaktionelle Änderungen. Wesentliche Kernbereiche der nach wie vor bestehenden Ungleichheit, wie das Adoptionsrecht, sind leider nicht enthalten. Wenn man eine tatsächliche Gleichbehandlung im Sinne des Artikels 3 des Grundgesetzes erreichen will, reicht es nicht aus, Bereinigungsgesetze zu verabschieden. Vielmehr erreicht man eine Beseitigung der Ungleichbehandlung nur durch die Öffnung der Ehe für alle.

Wenn man sich die Argumente die vorgetragen werden, um das Institut der Ehe auf Frau und Mann zu begrenzen, betrachtet, so stellt man fest, dass in der Tat unterschiedlichen Auffassungen eine Rolle spielen. Wenn man sich intensiver mit den einzelnen Argumenten befasst, beispielsweise dass die Ehe darauf ausgerichtet sei, gemeinsam Kinder großzuziehen, dann stellt man fest, dass das in der Realität für viele Partnerschaften nicht mehr gilt. Auf der einen Seite gibt es Ehen, die kinderlos bleiben. Auf der anderen Seite gibt es eine Vielzahl von Alleinerziehenden und von Kindern, die nicht in einer Ehe geboren werden.

Im Hinblick auf die grundgesetzliche Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes im Rahmen der Entscheidung zur Sukzessivadoption ist es aus meiner Sicht eine Frage der Zeit, dass mit Entscheidungen, die nach wie vor beim Bundesfassungsgericht anhängig sind, das Bundesverfassungsgericht letztlich der Politik vorschreiben wird, in welchen Bereichen gesetzliche Ungleichbehandlungen verändert werden müssen. Daher stellt sich diese Frage auch grundsätzlich.

Insofern ergibt sich heute die Chance, Politik wirklich zu gestalten und nicht nur Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes umzusetzen. Deshalb kann ich als Justizministerin, die auch für Gleichstellung zuständig ist, nur dafür werben, das Ziel zu verfolgen, allen Menschen den Zugang zur Ehe zu bieten, um ihnen tatsächliche Gleichheit ohne Rücksicht auf das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung einzuräumen. Das wird schon heute von den Menschen gelebt; es wird akzeptiert und es ist faktisch auch gewollt.

Deshalb bin auch ich mir sicher, dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland kommen wird. Es ist nur eine Frage der Zeit. Sie haben vorhin zu Recht gefragt, wann das sein wird. Ich bin mir sicher, dass wir nicht mehr allzu lange darauf warten müssen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Die vereinbarte Fünfminutendebatte eröffnet für die CDU-Fraktion Frau Koch-Kupfer. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Votum der Iren für eine eheliche Gleichstellung von homosexuellen Paaren am 23. Mai 2015 und den Entwicklungen in den USA hat auch in Deutschland die Debatte um die Öffnung der Ehe wieder an Fahrt aufgenommen. Die Diskussion ist sehr emotional. Gerade weil es auch um Emotionen geht, gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren, auch in Anbetracht der heißen Temperaturen draußen.

(Herr Lange, DIE LINKE: Genau!)

Keine Frage: Die Pluralisierung der Lebensformen nimmt zu. Dazu gehören neben der klassischen Familie auch Singles, unverheiratete Paare, Alleinerziehende und homosexuelle Paare, Mütter- und Väterpaare. Die Regenbogenfamilie hat ihren Platz in der Gesellschaft erobert.

Gleichgeschlechtliche Paare können eine staatlich anerkannte und legalisierte Verbindung eingehen. Seit dem Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes im Jahr 2001 gibt es eine weitgehende Gleichbehandlung von Lebenspartnern und Eheleuten. Die Zahl der eingetragenen Lebenspartnerschaften wächst rasant. Derzeit sind es 35 000 eingetragene Lebenspartnerschaften. Vor zehn Jahren waren es nicht einmal halb so viele. In vielen wesentlichen Bereichen sind also Lebenspartner mit Ehegatten bereits gleichgestellt. Das Ehegattensplitting gilt nunmehr auch für Lebenspartnerschaften, sodass die Lebenspartner wie Ehegatten vom Splittingvorteil bei der Einkommenssteuer profitieren.

Im letzten Jahr wurde zudem die Regelung zur Sukzessivadoption im Bundestag umgesetzt. Ich möchte an dieser Stelle auch an die Arbeit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld erinnern, die im Jahr 2011 eingerichtet worden ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bis 1994 waren sexuelle Handlungen unter Männern nach dem damals geltenden § 175 des Strafgesetzbuches strafbar. In den letzten 21 Jahren - das dürfen wir nicht verkennen - hat sich im Zusammenhang mit den Rechten für Homosexuelle in Deutschland sehr viel getan.

(Herr Striegel, GRÜNE: Warum macht man es nicht konsequent?)

Das ist bei Weitem nicht überall so. Es ist unser gemeinsames Ziel, die Akzeptanz für geschlecht

liche und sexuelle Vielfalt zu stärken gegen jegliche Diskriminierung.

(Herr Lange, DIE LINKE: Ach! - Herr Strie- gel, GRÜNE: Dann schaffen Sie doch die Grundlagen! Dann machen Sie es doch end- lich! - Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Menschen in einer Lebenspartnerschaft und in einer Ehe haben sich entschieden, rechtlich verbindlich füreinander einzustehen und füreinander Verantwortung zu übernehmen. Unser Wertesystem beruht auf genau dieser Übernahme von Verantwortung, auf Fürsorge und Beistand der Menschen füreinander. Es ist richtig, dass der Staat die verbindliche Verantwortungsübernahme von Menschen fördert, ganz unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung.

Im Koalitionsvertrag auf der Bundesebene wurde daher im Jahr 2013 festgelegt, dass die bestehenden Diskriminierungen von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität und von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften in allen gesellschaftlichen Bereichen zu beenden ist. Genau dies geschieht nun im Bundestag durch die Beratungen zum dem Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechtes der Lebenspartner. Der Gesetzentwurf sieht zur Vereinheitlichung der Rechtsordnung in zahlreichen Gesetzen und Verordnungen gleichstellende Regelungen für Ehe und Lebenspartnerschaft vor. Die Ausdehnung zahlreicher Vorschriften auf die Lebenspartnerschaft ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur umfassenden rechtlichen Angleichung von Ehe und Lebenspartnerschaft.

Damit - das gehört auch zur Wahrheit - bleiben tatsächlich nur noch die beiden viel diskutierten Punkte, nämlich die Begrifflichkeiten, der Ehebegriff und der Begriff der Volladoption, übrig, die als Indikator für eine völlige Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe gewertet werden. Hier sei aber auch die Frage erlaubt, ob eine begriffliche Unterscheidung tatsächlich mit einer Diskriminierung gleichzusetzen ist.

(Zustimmung bei der CDU - Frau Lüdde- mann, GRÜNE: Das ist jetzt aber nicht Ihr Ernst! - Herr Striegel, GRÜNE: Dann können Sie es doch beschließen!)

Bei der Einführung der Lebenspartnerschaft war diese Unterscheidung übrigens klar gewollt, auch wenn Sie, liebe Bündnisgrünen, dies nunmehr unter den Teppich kehren wollen.

(Frau Lüddemann, GRÜNE: Das habe ich doch vorhin ausgeführt! - Zurufe von Frau von Angern, DIE LINKE, und von Herrn Striegel, GRÜNE - Herr Borgwardt, CDU: Mach weiter!)

Die CDU als große Volkspartei ist bei dem Thema nicht so gleichförmig aufgestellt wie die Bündnisgrünen.

(Zustimmung bei der CDU - Zurufe von der LINKEN und von den GRÜNEN)

Wir bilden allerdings den gesellschaftlichen Diskurs ab und nach und verordnen eben nicht von oben nach unten. Denn Toleranz ist ein subsidiärer Vorgang.

(Zuruf von Frau von Angern, DIE LINKE)

Die Union steht für Ehe und diskriminierungsfreie eingetragene Lebenspartnerschaft, allerdings statt Ehe für alle; denn „alle“, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein sehr unspezifischer Begriff.

(Herr Striegel, GRÜNE: Ja, alle!)