Lieber Kollege Graner, ich habe Ihre Anmerkungen sehr wohl zur Kenntnis genommen. Ich kenne auch das „Grünbuch“ von Frau Nahles. Ich habe mit großem Interesse gelesen, was dort an Diskussionsgegenständen geschrieben wurde. Aber das findet in Ihrem Antrag nicht statt. Deshalb können wir diesem Alternativantrag nicht ohne Weiteres zustimmen.
Was die Begrifflichkeiten betrifft, Herr Graner, gebe ich Ihnen Recht. Es ist an der Stelle manches en vogue. Zu Beginn des Jahres habe ich die Veranstaltung „Sachsen-Anhalt 4.0“ in Wittenberg besucht.
- Kollege Scheurell war dabei. - Es ging um Zukunftsvisionen für das Land Sachsen-Anhalt im Jahr 2040. Deshalb hieß die Veranstaltung „4.0“. Ich habe mir damals geschworen, du musst unbedingt 88 Jahre alt werden, um im Jahr 2040 messen zu können, was von den damaligen Behauptungen umgesetzt wurde.
Hier geht es nicht um Begrifflichkeiten, sondern um Entwicklungsprozesse, die momentan stattfinden. Das Dilemma, das wir hatten, Kollege Herbst, war, einen Antrag zu formulieren, um die Diskussion über solche Prozesse in den Landtag hineinzubringen. Mit wenigen Worten komplexe Themen zu beschreiben ist das Dilemma, damit man hier im Hause in fünf Anstrichen mitbekommt, worum es geht. Deshalb habe ich versucht, in der Darlegung unseres Antrages die Hintergründe zu erklären.
Hier gehört die Antistressverordnung mit hinein, lieber Kollege Thomas. Das ist momentan ein akutes Problem. Wenn wir über Arbeitsverdichtung, über Forderungen nach mehr Flexibilität reden - das ist bereits jetzt Gegenstand.
Deshalb müssen wir uns als Politik nicht nur den technischen Prozessen zuwenden, sondern auch den damit verbundenen Prozessen in der gesellschaftlichen Entwicklung. Das ist die Forderung, die wir erheben.
Ich glaube, Herr Minister Möllring hat zu der Entwicklung im Land einiges gesagt. Die Denkansätze finden wir interessant. Es wird auch eine Frage sein, inwieweit wir beim Thema Wirtschaftsförderung in den nächsten Jahren auf solche Prozesse mehr Wert legen und schauen, wie dieses Thema behandelt werden kann.
Kollege Herbst hat gesagt, der Alternativantrag hat die richtigen Fragen formuliert. Das Problem besteht nur darin, Kollege Herbst: Wir beschließen nicht die Begründung, sondern wir beschließen den Text. Über einen Text zu reden und Fragen zu formulieren, ist mir zu simpel.
Deshalb bleiben wir bei unserer Auffassung dazu. Wir wollten die Diskussion im Ausschuss erreichen, deshalb die Berichterstattung durch die Landesregierung. Ich kann damit leben, die beiden Dinge in den Ausschuss zu überweisen und die Prozesse dort in Gang zu setzen. Ich denke, dem kann unsere Fraktion auch zustimmen. Wir wissen, wie wir uns bei der Endabstimmung verhalten wollen.
Lieber Kollege Thomas, wenn Sie in Ihrer Begründung erklären, bei Ihrem Alternativantrag machen wir ganz nebenbei gleich noch eine Zustimmungserklärung zu TTIP - -
Das habe ich nicht gelesen. Dann müssen Sie die Botschaften klarer hineinschreiben. Wenn TTIP die entscheidende Voraussetzung ist, um „Industrie 4.0“ in Deutschland umzusetzen, schreiben Sie das, bitte schön, auch in Ihre Anträge hinein. Ansonsten ist das ein Gegenstand, den man sehr komplex diskutieren kann.
Wir freuen uns auf die Debatten dazu. Wir sind gut gewappnet. Es wird kein Thema sein, das wir uns Ende des Jahres wieder „von der Seele nehmen“ können. Das wird ein Prozess sein, den wir hier anstoßen wollen. Wir wollen gern mit Ihnen gemeinsam die politischen Rahmenbedingungen diskutieren. Wir freuen uns auf die Diskussion in den jeweiligen Ausschüssen. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Danke schön. - Damit schließen wir die Aussprache ab und treten in das Abstimmungsverfahren ein. Wir stimmen zunächst über die beantragte Überweisung ab. Sollte diese nicht die Mehrheit finden, stimmen wir über den Antrag ab. Sollte der nicht die Mehrheit finden, stimmen wir über den Alternativantrag ab.
Wer der Überweisung des vorliegenden Antrages in die Ausschüsse für Wissenschaft und Wirtschaft sowie für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist die Überweisung abgelehnt worden.
Ich lasse jetzt über den Antrag in der Drs. 6/4192 abstimmen. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist die Antragstellerin selbst. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich der Stimme? - Das ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Antrag abgelehnt worden.
Ich lasse nun abstimmen über den Alternativantrag in der Drs. 6/4217. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Wer enthält sich der Stimme? - Das ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Alternativantrag mehrheitlich beschlossen worden. Der Tagesordnungspunkt 4 ist beendet.
Für die Einbringerin hat Herr Abgeordneter Wanzek das Wort. - Wir können Besucher begrüßen: Schülerinnen und Schüler der berufsbildenden Schulen aus Aschersleben. Herzlich willkommen!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschlandweit besuchen immer mehr Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam Kitas und Schulen. Auch in SachsenAnhalt lässt sich das belegen. Während im Schuljahr 2009/2010 von den insgesamt 173 799 Schülerinnen und Schülern noch 13 184 eine Förderschule besuchten, so waren es im Schuljahr 2014/ 2015 10 619 Schüler von insgesamt 185 351.
Leider muss festgestellt werden, dass mit zunehmendem Alter den Lernenden mit Behinderung immer weniger Angebote zur Verfügung stehen. Während im Kita- und Schulbereich mannigfaltig über Inklusion und deren Umsetzung diskutiert wird, scheint das Thema bei der beruflichen Bildung, aber auch in den Hochschulen außen vor zu sein. Inklusion darf aber nicht nach der Schule aufhören!
Inklusive Bildung betrifft, anders als häufig angenommen, nicht vordergründig Menschen mit Behinderung, sondern berücksichtigt auch die individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen. Man spricht also über Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, Menschen mit Behinderung und Menschen mit Beeinträchtigungen. Hierbei eine trennscharfe Definition vornehmen zu wollen, erweist sich oft als schwierig.
Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn man feststellt, dass in Schulen andere Diagnosen und Kategorisierungen verwendet werden als in der beruflichen Bildung. Aber genau diese Kategorisierungen entscheiden darüber, welche Förder- und Unterstützungsmaßnahmen jemandem zustehen. Allein deshalb gehören diese Verfahren auf den Prüfstand, um Zugänge und Übergänge zu erleichtern bzw. zu ermöglichen.
Schaut man sich den Bildungsbericht des Bundes aus dem Jahr 2014 an, stellt man fest, dass die Bundesagentur für Arbeit mit rund 1,5 Milliarden € im Jahr 2012 den größten Anteil an den finanziellen Aufwendungen für Inklusion in der beruflichen Bildung trägt. Aber nur 1 % dieser Ausgaben ging
Die Berufsförderungswerke, die ca. 2 500 Werkstattstandorte und über 300 000 Menschen betreuen, werden weiter als Partner in Netzwerken eine zentrale Rolle spielen. Gleichzeitig sollte aber ein größerer Anteil von Jugendlichen eine Chance für eine betriebliche Ausbildung erhalten.
Um dem viel propagierten Fachkräftemangel entgegenzuwirken, versuchen Betriebe jetzt schon, vielfach neue Zielgruppen zu erschließen. Doch anscheinend sind die vorhandenen Angebote und Unterstützungsmöglichkeiten inklusiver Berufsbildung zu unbekannt oder nicht weit genug verbreitet, sonst würden Betriebe wohl mehr Engagement in diesem Bereich zeigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich kurz ausführen, welche aktuellen gesetzlichen Grundlagen wir zurzeit haben. Wir alle wissen, dass das Berufsbildungsgesetz und die Handwerksordnung grundlegend für die duale Berufsausbildung sind. Das Leitbild der beruflichen Handlungsfähigkeit als Ziel der Berufsausbildung wurde mit der Reform des Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2005 festgeschrieben.
Die Berufsausbildung behinderter Menschen ist im Berufsbildungsgesetz fest verankert und darüber hinaus in § 112 SGB III - Teilhabe am Arbeitsleben - festgehalten. Das Berufsbildungsgesetz sagt in § 64 aus, dass behinderte Menschen in anerkannten Ausbildungsberufen ausgebildet werden sollen. Laut § 65 wird die Möglichkeit eines Nachteilsausgleichs gewährt, der sich zum Beispiel auf die zeitliche und sachliche Gliederung der Ausbildung oder auf die Inanspruchnahme von Hilfsmitteln und Hilfsleistungen bezieht. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit zur beruflichen Qualifizierung behinderter Menschen nach speziellen Ausbildungsregelungen durch entsprechende Stellen. - So steht es in § 66 des Berufsbildungsgesetzes.
Regelungen zur Berufsbildung förderungsbedürftiger junger Menschen - § 78 SGB III -, also Menschen mit Lernbeeinträchtigungen und sozial Benachteiligte, finden sich ausschließlich in den Sozialgesetzbüchern wieder. Hierzu sind insbesondere SGB II, SGB III und SGB VIII zu nennen.
Das Berufsbildungsgesetz nimmt diese Gruppe nur im Bereich der Berufsausbildungsvorbereitung auf. Es sieht umfangreiche sozialpädagogische Betreuung und Unterstützung vor, um diese Zielgruppe zur Ausbildungsreife zu führen.
Wir haben schon unterstützende Förderangebote für die Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen, die Möglichkeiten schaffen, die Ausbildung unterschiedlich auszugestalten und mit einer betrieblichen Ausbildung zu kombinieren. Aber auch die assistierte Ausbildung und die Berufsein
stiegsbegleitung sind solche existierenden Angebote. Für Sachsen-Anhalt wäre zum Beispiel „EQ plus“ zu nennen. Es ist geplant, das auf ganz Sachsen-Anhalt auszuweiten.
Natürlich muss die Rolle und Aufgabe der Werkstätten in Bezug auf berufliche Bildung auch erwähnt werden. Nach § 36 SGB IX ist es die Aufgabe der Werkstätten als Einrichtung der beruflichen Rehabilitation, Menschen aufzunehmen, die wegen der Schwere ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können. Diese Personen, die zwar beruflich rehabilitationsfähig sind, aber behinderungsbedingt nicht die Voraussetzungen für andere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfüllen, sollen aufgenommen werden. Man soll sie beruflich bilden und beschäftigen.
Oft wird aber den Werkstätten vorgeworfen, dass sie genau dieser Aufgabe der beruflichen Bildung zur Qualifizierung für den Arbeitsmarkt nicht nachkommen wollen, weil sie dann leistungsstarke Beschäftigte verlieren und somit ihre Umsätze einbrechen würden. Die Übergangsquote aus der Werkstatt in den Arbeitsmarkt laut einer Studie von 2011 von bundesweit 0,2 % entkräftet diesen Vorwurf nicht.
Ich möchte mich eines pauschalen Urteils enthalten. Wir wissen, es gibt in jedem Bereich positive Beispiele, aber auch schwarze Schafe. Ich denke aber, dass Werkstätten für diejenigen, welche nicht mehr in den Arbeitsmarkt integriert werden können, durchaus als Arbeitsstätte wichtig sind. Außerdem sehe ich bei den Werkstätten ein Potenzial als Kompetenzzentrum für Inklusion in den Bereich berufliche Bildung für ihre jeweilige Region. Doch dieses Potenzial müssen sie noch weiter ausbauen, weiterentwickeln und offensiver angehen.
Ein guter Anfang ist hierbei die länderübergreifende gemeinsame Arbeitsgruppe von Werkstätten, die seit 2014 Standards zur Anpassung der Berufsbildung in einigen Berufsfeldern erarbeitet. Ziel ist es, transparente und nachvollziehbare Bildungswege zu schaffen, die in Zukunft einen Anschluss an die Systematik der Berufsbildung zulassen. Um den individuellen Anforderungen des Einzelnen gerecht zu werden, muss man von einem curricularen Vorgehen hin zu einer kompetenzorientierten Feststellung von Teilleistungen kommen. Auch muss hierbei über eine Flexibilisierung der zeitlichen Vorgabe für Ausbildungsgänge nachgedacht werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! So lässt sich also feststellen, dass wir in Deutschland gesetzliche Regelungen und damit verbunden auch Instrumente, Förderungs- und Unterstützungsangebote haben, um es Menschen mit Behinde
rung zu ermöglichen, in die Ausbildung zu kommen. Das Paradoxe ist aber, dass von Diagnosen und Einstufungen bezüglich der jeweiligen Beeinträchtigung bzw. Behinderung abhängt, welche Förderangebote für den Einzelnen offenstehen. So kommt zum Beispiel der Kategorisierung von Lernbeeinträchtigungen und Lernbehinderungen eine entscheidende Bedeutung zu, in welchen Bereich jemand kommt. Das entspricht nicht wirklich dem Gedanken der Inklusion.
Ich stimme der Aussage von Dr. Ursula Bylinski vom Bundesinstitut für Berufsbildung zu: Wenn wir in der beruflichen Bildung Inklusion wirklich umsetzen wollen, müssen wir weg von einer Merkmalsfeststellung für die Teilhabe an Bildungs-, Unterstützungs- und Förderangeboten, hin zu Angeboten, die sich am individuellen Bedarf orientieren. Dies würde auch eine Aufhebung von Etikettierung und Stigmatisierung bedeuten.