Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Mitglieder des Hohen Hauses und liebe Gäste, seien Sie herzlich willkommen. Ich eröffne die 94. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode und stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.
Wir setzen nunmehr die 45. Sitzungsperiode fort und beginnen die heutige Beratung mit dem Tagesordnungspunkt 24 a, dem sich der Tagesordnungspunkt 24 b anschließt.
Ich darf daran erinnern, dass sich Ministerin Frau Professor Dr. Kolb heute ganztägig entschuldigt hat.
Hierzu liegen zwei Beratungsgegenstände vor. Unter dem Tagesordnungspunkt 24 a wird sich der Landtag mit dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN in der Drs. 6/4210 zu dem Thema „Steuernachlass Schlossgruppe Neugattersleben“ befassen. Unter dem Tagesordnungspunkt 24 b liegt ein Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 6/4212 zu dem Thema „Tätigkeit und Enttarnung des V-Manns ‘Corelli‘“ vor.
Für alle Gäste im Haus möchte ich sagen, dass die Redezeit im Rahmen einer Aktuellen Debatte zehn Minuten je Redner beträgt.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Landesrechnungshof hat sich in einer aktuellen Prüfung mit der Frage befasst, ob an Unternehmen der sogenannten Schlossgruppe Neugattersleben gewährte Zuschüsse auf Steuerschulden rechtmäßig erfolgten. Im Ergebnis äußerte sich der Präsident des Landesrechnungshofes deutlich dahingehend, dass die Nachlässe un
rechtmäßig erfolgt seien. Darüber hinaus wurde eine unzureichende Dokumentation des Vorgangs gerügt.
Die politische Brisanz des Vorgangs liegt in der Frage begründet, ob es eine wie auch immer geartete politische Einflussnahme gab, die zu diesem rechtswidrigen Ergebnis führte, ob etwa freundschaftliche Beziehungen, also die Freundschaft zwischen dem Unternehmer Klaas Hübner und dem Finanzminister Jens Bullerjahn, dahin führen konnte, rechtswidrige Vorteile zu gewähren.
Ich schicke es vorweg: Freundschaftliche Beziehungen und Kontakte sind an sich kein Problem. Sie sind normal. Es ist auch völlig unproblematisch, dass ein Unternehmer für eine Partei in den Bundestag einzieht. Es ist auch nicht verwunderlich oder irgendwie skandalös, dass ein Bundestagsabgeordneter und Unternehmer innerhalb seiner Partei mit anderen Menschen freundschaftlichen Kontakt pflegt.
Eines ist dabei aber klar, darüber dürfte Einigkeit im Haus bestehen: Natürlich müssen persönliche, geschäftliche und politische Interessen strikt getrennt werden.
Schon eine schlichte Bevorzugung des Unternehmers verbietet sich. Eine gar rechtswidrige Vorteilsgewährung ist nicht hinnehmbar. Die in einer solchen Situation politisch handelnden Personen haben daher eine ganz besondere Verantwortung, diese Trennung sicherzustellen und schon den bösen Schein zu vermeiden. Wenn das nicht gelingt, dann stehen sie politisch auch dafür gerade.
Dass wir in Sachsen-Anhalt bei dem vorliegenden Fall unruhig werden, liegt auch an der langjährigen Vorgeschichte. Die Schlossgruppe Neugattersleben, auch als Hübner-Gruppe bezeichnet, hat zumindest seit dem Jahr 2001 im Bereich der Risikokapitalgewährung geschäftliche Beziehungen zum Land Sachsen-Anhalt.
Im Jahr 2006 geschah etwas Bemerkenswertes. Die geschäftlichen Beziehungen nahmen deutlich zu. Das Land Sachsen-Anhalt beteiligte sich nun in weit größerem Umfang. Ein erheblicher Teil unseres Risikokapitals floss nun in die Hübner-Gruppe.
Dabei änderte sich auch die Geschäftspolitik. Es standen nun nicht mehr innovative Unternehmen im Fokus, sondern Unternehmen der klassischen Industrie - nichts gegen die klassische Industrie; sie ist ein Rückgrat unserer Wirtschaft -, Unternehmen, die aus Insolvenzmassen erworben wurden.
Das Ziel, Existenzgründungen voranzubringen, ein Start-up-Klima zu schaffen, Innovationen zu ermöglichen etc., war aber jetzt nicht mehr im Blick.
Es gibt handfeste Bedenken, ob diese Beteiligungen noch den Richtlinien entsprachen oder schlicht rechtswidrig waren.
Die fehlenden Innovationen, aber vor allem der fehlende Status der Hübner-Gruppe als kleines oder mittelständisches Unternehmen stellen einen Verstoß gegen die Förderkriterien dar.
Die Frage, die uns im Zusammenhang mit dem IBG-Skandal schon eine Weile beschäftigt, ist, wieso es zu dieser Entwicklung kam, wieso steckte Sachsen-Anhalt einen beachtlichen Teil seines Risikokapitals zweckfremd in solche Beteiligungen bei einer einzelnen Gruppe? Dies ist schon unter den Aspekten der Risikostreuung nicht sinnvoll.
Ich habe diese Frage auch dem ehemaligen IBGManager von der Osten im parlamentarischen Untersuchungsausschuss gestellt. Er sagte sinngemäß, dass dies nicht seine Idee gewesen sei; vielmehr sei es ein Wunsch aus dem politischen Raum gewesen.
Wenn man auf den politischen Raum des Jahres 2006 schaut, dann fällt auf, dass die Änderung in der geschäftlichen Beziehung zeitlich einhergeht mit einer Änderung an der Spitze des Ministerium der Finanzen, welches die Gesellschafterrechte des Landes in unserer 100-prozentigen Tochter IBG wahrnimmt. Diese zeitliche Parallelität ist bemerkenswert. Der Finanzminister weist die Annahme eines Zusammenhangs als Unterstellung zurück.
Auf die Frage, wieso es denn dann zu dieser Intensivierung der Zusammenarbeit kam, bekam ich vom Finanzminister die Antwort, dass er es nicht wisse und ich die Leute fragen möge, die dies entschieden hätten. Eine solche Antwort erhielt ich vom Chef des Ministeriums, das die Gesellschafterrechte wahrnimmt. Der Entscheider, also von der Osten, verweist auf den politischen Raum, und alle anderen an den Entscheidungen Beteiligten wissen natürlich nichts. Die Entstehung des Clusters gerade bei dem freundschaftlich verbundenen Firmenverbund ist für alle scheinbar ein Mysterium.
In der Stellungnahme des Finanzministeriums vom Montag dieser Woche wird zu der Frage nach dem Warum ausgeführt, dass diese Frage das Wirtschaftsministerium beantworten müsse.
Auch wenn wir die tatsächlichen Entscheidungsprozesse nicht kennen, erwecken die zeitliche Abfolge und das Ergebnis einen nicht zu bestreitenden bösen Schein. Es wäre die Aufgabe der Landesregierung, insbesondere des mit der Wahrnahme der Gesellschafterrechte beauftragten Mi
nisters, dem bösen Schein detailliert entgegenzutreten und uns genauestens darzulegen, wie es zu der überdurchschnittlichen Beteiligungsvergabe an mit seinem Freund verbundene Unternehmen kam.
Es herrscht aber Schweigen und es gibt keine Erklärung. Es heißt, wir sollten diejenigen fragen, die das entschieden hätten; vielleicht wisse ein anderes Ministerium etwas darüber.
Es geht in bemerkenswerter Weise weiter. Durch die Finanzkrise des Jahres 2008 geriet die Hübner-Gruppe in den folgenden Jahren in finanzielle Schwierigkeiten. Die öffentliche Hand, also der Steuerzahler, geht dann selbst ins Risiko, um einen Zusammenbruch der Hübner-Gruppe zu verhindern.
Im Untersuchungsausschuss wurden die mit der Angelegenheit Befassten gefragt, ob solch eine Maßnahme häufiger vorgekommen sei. Wenn man Beteiligungen des Landes und Arbeitsplätze so retten könnte, also eine Erfolgsgeschichte schreibt, warum denn nicht? - Alle Zeugen sagen, dass dies der einzig bekannte Fall sei, ein Unikat, ein Solitär, eine Ausnahme.
Heute wird der deutlich gegen die Beteiligungsrichtlinie verstoßende Vorgang selbst von Regierungsseite als „nicht die reine Lehre“ bezeichnet. Dies ist eine euphemistische Umschreibung des Begriffs „rechtswidrig“.
Wieder profitiert die Unternehmensgruppe des Freundes. Unstreitig ist inzwischen, dass das Finanzministerium in Person des Staatssekretärs Geue aktiv wurde und es ein Gespräch zwischen Klaas Hübner, Staatssekretär Geue und der Investitionsbank gab.
Der Finanzminister sagt zu seiner eigenen Beteiligung, dass er sich bewusst aus diesen Angelegenheiten herausgehalten habe und zur Sache selbst nichts sagen könne. Selbst wenn es so wäre, dann verschwindet die politische Verantwortung nicht durch das Verschließen der Augen. Wenn am Ende des Vorgangs der eigene Freund rechtswidrig bevorteilt worden ist, dann trägt man dafür die Verantwortung, weil man nämlich nicht dafür Sorge getragen hat, dass das Verfahren sauber lief.
Dass Klaas Hübner dann im Jahr 2013 im Rechenschaftsbericht der SPD mit einer veröffentlichungspflichtigen Spende in Höhe von 11 500 € geführt
Nun komme ich zu dem Steuernachlass. Obwohl sich der Finanzminister nach eigener Aussage bewusst nicht um die Angelegenheiten des Freundes kümmerte, läuft der Freund dann bei ihm auf und trägt - das ist unstrittig - Probleme im Zusammenhang mit Betriebsprüfungen bei Unternehmen der Hübner-Gruppe vor. Dies wird von dem Minister als ein normaler Vorgang dargestellt. Ich finde die Involvierung der Hausspitze in einen konkreten Einzelfall schon bemerkenswert. Der Finanzminister weist seine Verwaltung an, dies zu prüfen, und vermittelt den Kontakt zur Oberfinanzdirektion.
Allein das Erscheinen des Steuerpflichtigen bei der Oberfinanzdirektion auf Vermittlung des Ministers dürfte ein ungewöhnlicher Vorgang sein.
Wie die politische Spitze des Hauses im weiteren Verfahren direkt Einfluss nahm, ist offen. Der Finanzminister sagt, er sei nicht einbezogen gewesen.