Protokoll der Sitzung vom 14.10.2015

Deswegen haben wir bereits am 5. Juni 2015 hier im Hohen Haus einen Antrag zu mehr Natur- und Umweltschutz in Sachsen-Anhalt gestellt und darin gefordert, den Aktionsplan zur Umsetzung der Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt zu überarbeiten. Diese Forderung ist heute dringender denn je. Deswegen unser heutiger Antrag.

Es ist klar: Artenschutz ist eine mühsame Sache. Artenschutz braucht Zeit, Artenschutz braucht auch Geld. Eines ist auch klar: Man braucht valide Daten. Diese lassen sich nicht in einem Sommer erheben und auswerten. Aber eines ist ebenso klar: Uns rennt die Zeit davon. Wir haben uns alle auf nationaler Ebene verabredet, das Artensterben bis 2020 zu stoppen. Wir haben jetzt das Jahr 2015. Wenn uns das gelingen soll, dann müssen wir bereit sein, tatkräftig zu handeln, und bereit sein, mehrere Dinge gleichzeitig anzustoßen. Damit das dann tatsächlich wirkungsvoll und nachhaltig ist, braucht es einen Plan und braucht es ein Konzept.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Landesregierung stellt im Vorwort zum Aktionsplan fest, dass Vielfalt das wichtigste Überlebensprinzip in der Natur ist. Das ist unbestritten so. Vielfalt fördert Vielfalt. Und genau das sichert das Überleben unter sich verändernden Bedingungen. Insofern können sich meine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ich persönlich dem nur anschließen: Der Erhalt der Artenvielfalt sichert unsere Lebensgrundlagen; deswegen ist der Erhalt der Artenvielfalt überlebenswichtig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende des Vorworts zum Aktionsplan trifft die Landesregierung eine ganz bemerkenswerte Aussage - ich zitiere -:

„Die Umsetzung des Aktionsplans wird wesentlich von der finanziellen Ausstattung abhängen und von der Bereitschaft, den Erhalt der biologischen Vielfalt als gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen.“

Für meine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sage ich ganz klar: Die Umsetzung des Aktionsplans und das Ziel, die biologische Vielfalt zu erhalten, sind nicht verhandelbar.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Einen Umwelthaushalt an Sparauflagen auszurichten, das ist Verrat an uns, an unseren Kindern und unseren Enkeln.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Damit setzt die Landesregierung unsere Lebensgrundlagen aufs Spiel.

(Oh! bei der CDU)

Genau darüber reden wir. Es geht nicht um Belletristik, wie Sie sie dort im Vorwort schreiben, sondern wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nehmen das ernst. Wir müssen die Vielfalt erhalten, weil nur die Vielfalt das Überleben unter sich verändernden Bedingungen ermöglicht. Darum müssen wir damit ernst machen. Das ist der Inhalt unseres Antrages.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Deswegen sagen wir: Der Aktionsplan muss grundlegend überarbeitet werden, damit wir dieses Ziel erreichen, dass wir das Artensterben bis 2020 stoppen können. Diese Überarbeitung muss von naturschutzfachlichen Überlegungen ausgehen

und eben nicht von Haushaltsvorgaben. Wir müssen erst sagen, was wir brauchen, dann müssen wir sagen, bis wann wir es umgesetzt haben wollen, und erst dann können wir fragen, wie wir das finanzieren können. Deswegen brauchen wir präzise definierte Ziele. Wir brauchen die Beschreibung der Aufgaben, die erledigt werden müssen, um diese Ziele zu erreichen. Natürlich müssen diese Aufgaben auch im Landeshaushalt verankert werden.

Das bringt uns zu einer interessanten Frage. Ich halte es für unabdingbar, dass wir endlich dahin kommen, Daueraufgaben von Aufgaben mit Prozesscharakter zu unterscheiden.

Ich war im Rahmen meiner Sommertour in der Mosigkauer Heide, weil ich mir dort die Orchideenwiesen ansehen wollte. Ich stand bis zur Hüfte im Gestrüpp, statt in einer Orchideenwiese. Warum war das so? - Genau das zeigt das Problem. Eine Orchideenwiese braucht eine regelmäßige Mahd. Die Wiese dort wird aber nicht regelmäßig gemäht; sie wird alle zwei, drei Jahre einmal gemäht, wenn Geld dafür da ist. Häufig wird sie auch zum falschen Zeitpunkt gemäht, nämlich dann, wenn das Geld kommt, und nicht wenn das naturschutzfachlich notwendig ist.

Naturschutz ist ganz klar Landesverantwortung. Die Mahd einer Orchideenwiese - wenn ich bei diesem Beispiel bleibe - ist eine Daueraufgabe. Sie fällt jedes Jahr an. Daueraufgaben müssen im Landeshaushalt verankert werden. Wo denn sonst?

Es handelt sich nicht um Projekte mit Prozesscharakter. Dabei ist es sinnvoll, diese mit EU-Mitteln zu finanzieren; das ist doch klar. Deswegen halte ich es für eine zentrale Aufgabe bei der Überarbeitung des Aktionsplanes, genau diese Differenzierung hinzubekommen und zu sagen: Wo haben wir beim Naturschutz die Verantwortung für Daueraufgaben? - Daueraufgaben gehören in den Landeshaushalt und gehören nicht in den Projekthaushalt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Projekte sollen mit EU-Mitteln finanziert werden, das ist richtig. Mehr noch: Ich finde, dabei könnte die Landesregierung auch stärker ihrer Vorbildfunktion nachkommen und aktiv werden. Die sogenannten Life-Projekte würden hierfür eine gute Möglichkeit bilden, weil damit über Jahre Mittel für den Naturschutz in Sachsen-Anhalt gebunden werden würden, auch das Know-how in Sachsen-Anhalt gebunden würde. Das wäre ein echter Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt und hätte darüber hinaus den schönen Nebeneffekt, dass gut bezahlte Jobs im Naturschutz in Sachsen-Anhalt finanziert werden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Und es wäre ein gutes Signal, eine gute Botschaft, die von der Landesregierung ausgehen würde, nämlich die Botschaft: Sachsen-Anhalt bekennt sich zum Erhalt der biologischen Vielfalt und übernimmt Verantwortung dafür. Denn das ist Landesverantwortung.

Natürlich gibt es auch andere wichtige Akteure. Dem nichtstaatlichen Naturschutz kommt eine besondere Bedeutung zu. Das sind die Verbände, die bei Genehmigungsverfahren ihre Einwände und Bedenken äußern und so dem Naturschutz zu seinem Recht verhelfen.

Ich freue mich auch über jedes ehrenamtliche Engagement. Denn der Erhalt der Artenvielfalt beginnt in jedem Garten, in jedem Balkonkasten und eben auch in der Bewirtschaftung städtischer Grünflächen. Deswegen wollen wir alle Menschen, Herr Leimbach, für den Erhalt der Artenvielfalt begeistern.

Apropos Begeisterung: Ich lade Sie sehr herzlich ein, zu uns in den Fraktionsflur zu kommen und sich unsere Fotoausstellung „Reiches SachsenAnhalt“ anzusehen. Hier haben Bürger und Bürgerinnen des Landes Sachsen-Anhalt mit Fotos den Naturreichtum unseres Landes festgehalten. Wenn Sie sich die Ausstellung ansehen, werden Sie sehen, wie die Begeisterung der Menschen für die Artenvielfalt aus diesen Fotos zu Ihnen spricht.

Aber eines muss klar sein: Am Ende liegt die Verantwortung für den Erhalt der Artenvielfalt bei uns, beim Landesparlament.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anzahl der Vögel in der Agrarlandschaft ist in den letzten 30 Jahren um 50 % zurückgegangen. Das bringt mich zu einer weiteren wesentlichen Ursache für den dramatischen Rückgang der Arten und auch der fehlenden Stabilisierung des Bestandes: die intensive landwirtschaftliche Nutzung. Der Erhalt der Biodiversität ist wesentlich von der Art der landwirtschaftlichen Nutzung abhängig. Deswegen muss auch perspektivisch die landwirtschaftliche Förderung umgestellt und klar an naturschutzfachliche Vorgaben geknüpft werden.

Natürlich ist auch uns nicht entgangen, dass wir als Land nur sehr begrenzten Einfluss haben. Es wird ein wichtiges Vorhaben auf der politischen Agenda sein, sich dafür starkzumachen, dass in der landwirtschaftlichen Förderung ein Paradigmenwechsel stattfindet.

Alle Ziele im Aktionsplan müssen mit präzisen Aufgaben untersetzt werden. Zu diesen Aufgaben müssen Zwischenziele definiert werden. Die Zwischenziele müssen mit Zeithorizonten versehen werden. Die Frage, bis wann eine Aufgabe erfüllt sein soll, muss klar beantwortet werden. Um das zu überprüfen, braucht es Indikatoren. Die jetzige Indikatorenliste ist - ich sage es einmal ganz vorsichtig - dabei nur begrenzt hilfreich. Wir brauchen eine neue Indikatorenliste, die es uns erlaubt, die Abarbeitung des Aktionsplanes tatsächlich zu überprüfen.

Der Erhalt der Arten ist nicht abstrakt. Der Erhalt der Arten hat praktische Konsequenzen für Sachsen-Anhalt und natürlich auch globale Konsequenzen. Diese Dramatik muss mit einem klaren Bekenntnis der Landesregierung zum Erhalt der Arten in die Gesellschaft hineingetragen werden.

Wir sagen: Ein wichtiges Mittel dafür wären Konferenzen, die die Landesregierung jährlich durchzuführen hat, um ihre Aktivitäten vorzustellen, aber eben nicht nur vorzustellen, sondern auch im Dialog mit allen Beteiligten zu erörtern, das heißt mit dem Ehrenamt, dem nichtstaatlichen Naturschutz und dem staatlichen Naturschutz weiterzuentwickeln, neue Maßnahmen, neue Ziele zu definieren, die dann wiederum Eingang in den Jahresbericht finden. So kann man gemeinsam den Artenschutz vorantreiben, nach dem Motto: Was haben wir gemacht? Wo stehen wir? Was fehlt noch? - Und das im Dialog mit allen Beteiligten. Das könnte den Prozess zum Erhalt der Artenvielfalt mit Leben füllen. Alle wären in den Dialog einbezogen.

Zugleich hätte diese Form von jährlichen Konferenzen eine wichtige Außenwirkung. Sie würde nämlich deutlich machen: So geht Naturschutz! So erhalten wir unsere Lebensgrundlagen! So bleibt Sachsen-Anhalt ein lebenswerter Fleck auf dieser Erde! Das wäre die richtige Botschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Land muss sich zum Erhalt der biologischen Vielfalt bekennen, mit einem klar definierten Aktionsplan, mit Zielen, Aufgaben, Zeithorizonten und passenden Indikatoren. Daueraufgaben müssen im Landeshaushalt verankert werden; denn sonst wird das nichts. Damit das beim nächsten Doppelhaushalt überhaupt gelingen kann, muss die Landesregierung rasch anfangen zu arbeiten. Darum bitte ich heute um Zustimmung zu unserem Antrag. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Herr Borgwardt, CDU: Die Landesregierung arbeitet schon seit 25 Jahren! Dazu brauchen wir die GRÜ- NEN nicht!)

Danke schön für die Einbringung. - Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Dr. Aeikens.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Zu Beginn meiner Ausführungen zitiere ich verkürzt den ersten Absatz des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

„Der fortschreitende Verlust der Biodiversität (…) wird langfristig zu einer existenziellen Bedrohung der Menschheit werden. Dazu muss festgestellt werden, dass die bisherigen Aktivitäten der Landesregierung zum Erhalt der Biodiversität unzureichend sind.“

Das heißt doch, Sie, Frau Professor Dalbert, unterstellen der Landesregierung, durch angeblich unzureichende Aktivitäten eine existenzielle Bedrohung der Menschheit zu verursachen. Das geht zu weit! Das ist wissenschaftlich nicht haltbar! Das ist falsch!

(Beifall bei der CDU - Herr Borgwardt, CDU: Das nennt man Demagogie!)

Richtig ist, dass der Erhalt der Biodiversität längst integraler Bestandteil in fast allen Politikbereichen bei uns in Sachsen-Anhalt geworden ist.

(Beifall bei der CDU - Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE: Und warum geht das Artensterben dramatisch weiter?)

Im Rahmen der letzten Naturschutzkonferenz im Jahr 2014 haben wir gezeigt, dass viele Probleme erkannt worden sind und vieles bereits erreicht worden ist. Exemplarisch wurde dies am Thema Dauergrünland deutlich. Da der Erhalt der Biodiversität keine alleinige Aufgabe des Naturschutzes ist, präsentierten dort zahlreiche staatliche und nichtstaatliche Akteure verschiedener Bereiche, welche Anstrengungen unternommen werden und wurden, um dem Biodiversitätsschwund entgegenzuwirken.

Im Jahr 2016 wird die deutsche Naturschutzkonferenz bei uns in Magdeburg stattfinden. Davon werden wesentliche Impulse auch für unsere Arbeit ausgehen. Ich freue mich, dass wir dem versammelten Sachverstand des Naturschutzes in Deutschland mit internationaler Beteiligung zeigen können, was in unseren Großschutzgebieten geleistet worden ist, welche Projekte wir durchführen und wie es um die Natur in Sachsen-Anhalt bestellt ist. Das kann sich nämlich sehen lassen.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Lage der Artenvielfalt in Deutschland insgesamt und in Europa ist ohne Frage in vielen Punkten kritisch. Aber es nutzt überhaupt nichts, ständig nur Alarm zu schlagen; vielmehr müssen Erfolge und Wege aufgezeigt werden, die zum Nach- und Mitmachen auffordern. Denn wenn Naturschutz gezielt umgesetzt wird, lassen sich auch positive Entwicklungen wie bei Seeadler, Fischadler oder Fischotter verzeichnen.

Dabei ist zu beachten, dass viele eingeleitete Maßnahmen erst mittel- und langfristig Fortschritte zeigen werden. Natur reagiert nicht sofort. Es gibt oft keine einfachen linearen und schnellen Zusammenhänge zwischen naturbezogenen Maßnahmen und der Entwicklung der Natur.

(Herr Leimbach, CDU: Außer bei den GRÜ- NEN!)

Zu Ihrer Aufforderung, unseren Aktionsplan zu überarbeiten. Der Aktionsplan sieht eine Überarbeitung bzw. Fortschreibung jeweils zu Beginn der Legislaturperiode vor. Deshalb ist die Aufforderung an die Landesregierung, den Aktionsplan zu überarbeiten, absolut überholt. Die Fortschreibung und damit die Überarbeitung stehen ohnehin auf der Tagesordnung für das Jahr 2016.