Protokoll der Sitzung vom 09.07.2020

Frau Frederking, vorab: Es ist durchaus auch mein Anliegen, dass man die Tiere in der Zeit, in der sie bei uns in den Ställen aufwachsen, besser behandelt und dass man - soweit es möglich ist - bei der Haltung dem Tierwohl entspricht.

Der Aufschlag von 40 Cent auf den Kilopreis des Fleisches und die Verwendung des Geldes bei uns, um in den Betrieben bessere Bedingungen für das Aufwachsen zu schaffen, bedeuten doch letztendlich, dass die Kosten in den Betrieben unseres Landes den Landwirten teilweise erstattet werden - so verstehe ich das -, damit sie es leichter haben, diesen höheren Anspruch umzusetzen.

Die Frage, die sich an dieser Stelle aber stellt, lautet: Die Landwirte bei uns haben dadurch nur eine Kostenerstattung und keinen Zugewinn. Aber

wenn wir Fleisch aus anderen EU-Staaten importieren, die das bei uns ebenfalls mit dem Aufschlag

Herr Raue, kommen Sie zum Schluss.

von 40 Cent verkaufen können und sich nicht an dieses neue Label halten, haben diese natürlich einen höheren Gewinn. Deshalb steigt die Attraktivität der Auslandsproduktion im Vergleich zur Produktion bei uns.

Herr Raue, stellen Sie Ihre Frage konkret und beenden Sie diese bitte.

Das ist eigentlich meine Frage. Ich glaube, Frau Frederking hat es verstanden.

Ja, okay, aber die Zeit ist auch um. - Frau Frederking.

Ich würde gern darauf antworten. Wenn so etwas wie Tierwohlabgabe gemacht wird oder auch bezüglich der Frage von Herrn Heuer - Wie bekommen wir die gesellschaftliche Debatte dazu hin? -, dann brauchen wir dafür die Kennzeichnung. Diese Kennzeichnung ist für uns ein ganz zentrales Instrument zur Information, um den Dialog zu führen, damit sich die Verbraucherinnen und Verbraucher informieren können.

Sie beschreiben gerade das Beispiel, wenn Billigfleisch aus dem Ausland käme. Dieses Billigfleisch aus dem Ausland hätte dann ja überhaupt keine Kennzeichnung mit guten Tierhaltungsbedingungen. Das heißt, die Verbraucherinnen und Verbraucher sehen es dann.

Deshalb wollen wir ja auch die Kennzeichnung nicht freiwillig. Frau Klöckner will sie freiwillig; das hat meine Kollegin Frau Lüddemann vorhin ausgeführt. Deshalb ist das eher eine Täuschung und kein Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher. Deshalb wollen wir das durchgängig für alle Produkte. Wenn die Kennzeichnung auf allen Produkten ersichtlich ist, dann kann man auch das Billigprodukt aus dem Ausland erkennen. Das bleibt dann liegen, weil die Menschen keine Tierquälerei wollen. Sie wollen sie wirklich nicht. Sie wollen, dass die Tiere gut gehalten werden. Sie werden deshalb zu den hochwertigeren Produkten

greifen. Das Geld, das dafür bezahlt wird, fließt dann auch wieder in die Kassen der landwirtschaftlichen Betriebe.

Vielen Dank, Frau Frederking. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Damit können Sie wieder Platz nehmen.

(Beifall)

Vielleicht noch einmal mein Hinweis: Ich habe mich vielleicht vorhin nicht ganz deutlich ausgedrückt. Aber schrauben Sie bitte Ihre Gespräche in der Tonalität weiter herunter. Es ist laut, und ich denke, es ist wirklich sehr schwierig für den Redner. Auch Sie müssen vielleicht später alle noch hier vorn stehen. Es ist wirklich eine schwierige Situation hier vorn, wenn man seine eigenen Worte nicht mehr hören kann. - Vielen Dank.

Für die Landesregierung spricht nun die Ministerin Frau Grimm-Benne. Sie haben das Wort.

Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Um es vorwegzunehmen: Die Ausuferung des Systems der industriellen Schlachtung in Deutschland, wie wir sie derzeit erleben müssen, darf im Hinblick die Frage des Wie der Arbeitsverhältnisse keine Zukunft haben, und es ist richtig, dass die Bundesregierung dieses Tempo an den Tag legt, um Werkverträge in der Fleischindustrie zu verbieten.

Aber es geht bei Weitem nicht nur um Werkverträge. Es geht um Sozialstandards, es geht um die Wohnbedingungen, um die Unterbringung von Beschäftigten, um Gesundheitsschutz und auch um die Würde. Es geht aber auch um den Tierschutz, um den Wert der Ware Fleisch. Es geht in dieser Aktuellen Debatte letztlich um unsere Haltung gegenüber der Fleischindustrie, einem zweifellos wichtigen Wirtschaftszweig in SachsenAnhalt.

Es gibt also zwei Aspekte, auf die ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte. Sie sind eng miteinander verknüpft, aber ich möchte sie dennoch nacheinander betrachten.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Zum ersten Punkt, dem Tierwohl. Tierwohl drückt sich in einem tiergerechten Umgang mit den tierischen Geschöpfen aus. Sind sie für den Verzehr vorgesehen, dann erstreckt sich dies auch auf den Bereich der Schlachtung, also auf eine tierschutzgerechte Betäubung und Tötung, was für die Tiere möglichst schonend erfolgen soll. Damit

aber nicht genug - wir brauchen auch hier mehr Augenmerk auf die Geschehnisse und, daraus folgend, auf sinnvolle Initiativen.

In unserem Land gibt es beispielsweise die Initiative Tierwohl. Darin haben sich Unternehmen und Verbände aus Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel gemeinsam die Forderung einer tiergerechteren und nachhaltigeren Fleischerzeugung zum Ziel gesetzt. Das heißt, einerseits Fleisch in hervorragender Qualität und großer Vielfalt zu erzeugen und andererseits das Tierwohl noch stärker zur Grundlage des Handelns zu machen.

Die Schlachtbetriebe in der Initiative Tierwohl nehmen an einer zertifizierten Qualitätssicherung teil. Damit wird beispielsweise die Kontrolle der Betäubungseffektivität sichergestellt. Zudem erfassen sie die Schlachtbefunddaten, die Rückschlüsse auf die Tiergesundheit ermöglichen, und geben diese in eine zentrale Datenbank ein. Die Teilnahme an der Initiative Tierwohl ist freiwillig und steht allen Schlachtbetrieben offen, die entweder direkt von einem Tierhalter oder über einen Zwischenhändler Hähnchen, Puten oder Schweine zur Schlachtung abnehmen. Dies gilt unabhängig von der Größe des Betriebes, demnach auch für interessierte Metzgereien mit eigener Schlachtung.

Diesen Ansatz flankierend ist das staatliche Tierwohlkennzeichen zu bewerten. Es macht für den Verbraucher sichtbar, bei welchen Produkten höhere als die gesetzlichen Standards bei der Haltung, beim Transport und bei der Schlachtung von Tieren eingehalten wurden. Es bietet ihm also eine zusätzliche Orientierung, die er nach meinem Dafürhalten nutzen sollte. Bei ihm liegt schließlich die Entscheidung.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie mich zum zweiten Punkt kommen, zu dem, was für eine Arbeitsministerin besonders wichtig ist: die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass der Staat alles in seiner Macht Stehende tut, um für faire Arbeitsbedingungen in den Schlachtbetrieben zu sorgen, und dort konsequent nachsteuert, wo etwas ausufert. Die exorbitant hohen Coronainfektionszahlen in NordrheinWestfalen, in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen unter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern trotz auch dort vorgegebener strenger Maßnahmen des Infektions- und Arbeitsschutzes zeigen, welch hohe Risiken in dieser Branche bestehen.

Wir haben darauf reagiert: mit Arbeitsschutzkontrollen durch das Landesamt für Verbraucherschutz, aber auch mit großflächigen Coronatestungen, nicht nur bei Tönnies. Wir in Sachsen

Anhalt haben bisher Glück gehabt, so will ich es einmal darstellen. Aktueller Stand bei Tönnies vom 7. Juli 2020: 2 372 Proben, alle negativ. Aktuell ein Fall bei der Anhaltinischen Geflügelspezialitäten GmbH in Möckern, weitere 258 Tests in der Firma waren mit Stand vom 7. Juli 2020 ebenfalls negativ.

Insbesondere was den Bereich gute Arbeit in den Schlachtbetrieben betrifft, haben wir Anhaltspunkte zur Sorge. Da dieser Bereich rechtlich geregelt ist, kommt es auf die Gesetze, die Folgen bei Verstößen und eine effiziente und abschreckend wirkende Kontrolle an sowie darauf, die rechtlichen Bedingungen so zu gestalten, dass Missbrauch nicht mehr möglich ist. Hierbei bin ich Bundesminister Heil ausdrücklich für seine Initiativen dankbar.

Wo stehen wir derzeit? - Da wären die anfangs angesprochenen Werkverträge. Dass Werkvertragsunternehmer aus dem EU-Ausland kommen, dass sie Menschen, die dort kaum Verdienstmöglichkeiten haben, eine Perspektive geben, finde ich okay, und es ist durch die Dienstleistungsfreiheit gedeckt. - So weit die Theorie.

Aber was ist, wenn das Ganze gezielt missbraucht wird, wenn durch ein raffiniertes, teils menschenverachtendes Konstrukt viele nur mit schlechter Fantasie erdenkbare Möglichkeiten genutzt werden, um Menschen auszunutzen?

Wir haben nicht nur in unserem Land mehr als einen Anfangsverdacht, dass vieles sehr im Argen liegt, also gilt es auch zu handeln. Insofern unterstütze ich das vom Bundeskabinett bereits beschlossene Eckpunktepapier von Bundesminister Heil. Ab dem kommenden Jahr sollen danach Werkverträge in der Fleischindustrie weitgehend verboten werden. Das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch sollen dann nur noch für Arbeitnehmer des eigenen Betriebs zulässig sein.

Geplant sind außerdem eine Verdoppelung der maximal möglichen Bußgelder bei Arbeitszeitverstößen sowie - das finde ich besonders wichtig - die Einführung einer Pflicht zur digitalen Arbeitszeiterfassung. Das oftmals nachträgliche Frisieren von Arbeitszeitverstößen, sodass das in den Kontrollen nicht mehr aufgedeckt werden kann, würde durch eine digitale Arbeitszeiterfassung nahezu unmöglich gemacht werden.

Arbeitgeber, die eine Unterkunft für Beschäftigte stellen, sollen zudem verpflichtet werden, die Behörden über Einsatz und Wohnort ihrer ausländischen Arbeitskräfte zu informieren.

Bis die Pläne auf Bundesebene umgesetzt sind, müssen auch wir im Land arbeiten. Wir müssen

alles Erdenkliche tun, um den Schaden gering zu halten. Anregungen sind mir willkommen.

Die Handlungsfelder, die uns in Landeskompetenz zur Verfügung stehen, lauten: Arbeits- und Infektionsschutz. Wie ist dort die Lage? - Es gibt nach derzeitigem Kenntnisstand im Land knapp 500 Betriebsstätten mit insgesamt fast 8 500 Beschäftigten, die der Wirtschaftsklasse „Schlachten und Fleischverarbeitung“ zugeordnet werden. Dazu gehören neben den großen Schlachthöfen und Fleisch verarbeitenden Betrieben auch kleinere Fleischereien sowie Wurstwarenhersteller. Sieben Unternehmer der Branche greifen auf den Einsatz von Werkvertragsfirmen zurück. Ende Mai belief sich die Anzahl dieser Werkvertragsfirmen auf 17 mit ca. 1 900 Beschäftigten.

Die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie stehen nicht erst seit den aktuell bekannt gewordenen Coronainfektionen im Fokus. In den Fleisch verarbeitenden Betrieben im Land gab es seit dem Jahr 2015 insgesamt 135 Kontrollen und Beratungen durch die Arbeitsschutzverwaltung. Aufgrund der im Jahr 2019 in NordrheinWestfalen durchgeführten Überwachungsaktionen „Faire Arbeit in der Fleischindustrie“ und der dort festgestellten gravierenden Mängel hat sich die Arbeitsschutzverwaltung Sachsen-Anhalts ebenfalls für eine Schwerpunktkontrolle dieser Branche entschieden. Im Fokus stehen hierbei nicht nur die Großbetriebe bzw. Auftraggeber, sondern auch die dort eingesetzten Werkvertragsfirmen.

Infolge der bisherigen Überprüfungen, die nach den sogenannten Grundsätzen der behördlichen Systemkontrolle zu erfolgen haben, sind neben der Verletzung sonstiger Dokumentationspflichten in erster Linie Verstöße gegen arbeitszeitrechtliche Regelungen aufgedeckt worden. Verstöße gegen die Coronaarbeitsschutzbestimmungen waren nicht zu verzeichnen.

Den arbeitszeitrechtlichen Verstößen hoffen wir mit der bundesgesetzlichen Umsetzung einer verbindlichen elektronischen Arbeitszeitaufzeichnungspflicht entgegentreten zu können. Über mögliche Verstöße gegen die speziellen Arbeitsbedingungen bei den Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern hoffen wir mit unserem Projekt „Beratung migrantischer Arbeitskräfte“ mehr Aufschluss zu erhalten. Wir wissen dabei zu berücksichtigen, dass sich Menschen mit ungenügenden Sprachkenntnissen und Rechtskenntnissen sowie der Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, in einer besonders schwachen Verhandlungsposition befinden und wenig Neigung haben, bei Verstößen zu klagen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Vor dem Hintergrund der öffentlichen Kritik hat das Unternehmen Tönnies am 1. Juli 2020 anlässlich des Fachgesprächs im Sozialausschuss zu dem

Selbstbefassungsantrag „Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen in Sachsen-Anhalt“ seine Bereitschaft geäußert, Werkvertragspartner künftig als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in das Unternehmen zu integrieren und missbräuchlichen Gestaltungen entgegenzutreten. Auch will das Unternehmen durch verschiedene Maßnahmen für faire Mietbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sorgen. Das begrüße ich ausdrücklich. Wir werden uns das sehr genau ansehen und prüfen, ob die guten Vorsätze auch verwirklicht wurden.

Da wir in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben, setze ich mich für eine Verstetigung und Effizienzsteigerung der Kontrollen ein. Die Branche ist - so empfinde ich das jedenfalls - in ihrem eigenen Interesse vor Missbrauch aus ihren eigenen Reihen zu schützen. Daher denken wir auch über Monitoringkonzepte nach. Sehr genau werde ich beobachten, von welchen Unternehmen wir hierbei Unterstützung erhalten und von welchen nicht. Diese Erfahrungen werden in die weitere Maßnahmenplanung einfließen. Es gilt, mehr Licht in das Dunkel zu tragen und Missbrauch gezielt die Stirn zu bieten.

In der Kabinettssitzung der Landesregierung in dieser Woche haben wir auch über die Kontrollmöglichkeiten im Rahmen des Wohnraumaufsichtsgesetzes beraten. Minister Webel wird nochmals die Kommunen hinsichtlich der vorgeschriebenen Kontrollen sensibilisieren, um Missstände bei der Unterbringung der Arbeitskräfte sichtbar zu machen und zu verhindern.

Ich bin dem Sozialausschuss für das fundierte Fachgespräch sehr dankbar und werde zu gegebener Zeit gerne über den Fortgang berichten. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich sehe eine Wortmeldung von Frau Abg. Frederking. - Frau Frederking, bitte.

Vielen Dank, dass Sie vorhaben, mehr zu kontrollieren, und das jetzt auch schon umsetzen. Allein die Coronatests sind ja auch eine Form von Erfassung der Zustände.

Meine Frage ist: Sind die Zuständigkeiten der Behörden hinsichtlich der Schlachthöfe und der verschiedenen Kontrollen eigentlich ausreichend geklärt? - Sie sprachen eben noch einmal die Missstände bei der Unterbringung an. Es gibt die verschiedensten Behörden, die tätig werden, wie Zoll, Gewerbeaufsicht, Berufsgenossenschaft - das ist keine Behörde, aber eine Organisation -,

Gesundheitsämter, die Kommunen, die Landkreise mit ihren Veterinärbehörden, Sie als Sozialministerium. Haben Sie bei dem ganzen Kontrollkonzept abgeklärt, dass die Zuständigkeiten klar geregelt sind, wer was kontrolliert, damit die Organisationen und Behörden sich dementsprechend auch verantwortlich fühlen und die Kontrollen tatsächlich durchgeführt werden?

Frau Ministerin, bitte.