Protokoll der Sitzung vom 10.09.2020

Wenn Sie sich einmal mit den Leuten unterhalten hätten, die das gemacht haben, dann wüssten Sie, dass sie gesagt haben: Damals wurde versucht - übrigens in einer Art und Weise, über die wir lieber den Mantel des Schweigens legen wer

den -, Altansprüche aus der Zeit vor 1919 auf dem Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt, die die katholische und die protestantische Kirche gehabt haben sollen, heranzuziehen und daraus eine entsprechende Summe für diese Staatskirchenleistung zu realisieren.

Man ist also im Grunde genommen wieder in eine Situation eingetreten, die sich auf die Zeit vor der Existenz der DDR bezogen hat. Das war der Grund, warum es diese Staatskirchenleistungsverträge überhaupt gegeben hat. Deswegen haben wir eine solche Situation. Wie sie zustande gekommen sind und ob man das überhaupt hätte machen dürfen, ist eine völlig andere Frage.

Übrigens sind auch im Westen alle jetzt geltenden Staatskirchenleistungsverträge nach 1945 verabschiedet worden, also auch nach 1919. Man kann sagen, natürlich waren die möglicherweise alle nicht legitim. Aber dann waren sie drüben im Westen genauso wenig legitim wie im Osten. Und man muss sagen: Es gibt auch westliche Bundesländer, die deswegen nie einen solchen Vertrag abgeschlossen haben - im Gegensatz zum Osten, wo natürlich alle Länder dann solche Verträge abgeschlossen haben, übrigens zu Preisen, die eigenartigerweise weit über denen im Westen liegen. - Das ist die Situation, in der wir uns jetzt befinden. Mit der müssen wir uns auseinandersetzen.

Die Staatsverträge sind geschlossen worden. Ob sie mit vernünftiger juristischer Begründung zustande gekommen sind, darüber können wir gern noch einmal diskutieren. Das ist insofern irrelevant, als darunter jeweils zwei Unterschriften stehen. Diese Unterschriften nehmen uns in die Pflicht. Deswegen finde ich es inzwischen nicht mehr so wahnsinnig interessant, über die Legitimität dieser Dinge nachzudenken. Vielmehr sollten wir über die Legitimität der Frage nachdenken, wie man da herauskommt.

Allerdings will ich auch sagen: Je länger dieser Zustand anhält und je mehr die Preise, die wir dafür als Land bezahlen, in die Höhe schießen, umso stärker wird es eine gesellschaftliche Debatte über die Legitimität dieser Zahlen geben, die in Sachsen-Anhalt so hoch sind wie in keinem anderen Bundesland. Das muss man auch dazusagen. Deswegen glaube ich, dass diejenigen in den kirchlichen Strukturen recht haben, die sagen: Wir brauchen eine Exitstrategie, und je länger wir warten, desto schlechter wird das gesellschaftliche Klima sein. Deswegen will ich da nicht ruhen. - Danke.

(Zustimmung)

Herr Gallert, es gibt keine weiteren Fragen. Ich danke für Ihren Redebeitrag. - Die Berichterstatte

rin für den Ausschuss ist die Abg. Frau Hohmann. Frau Hohmann, Sie haben das Wort.

Danke. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Landtag hat den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 7/4774 in der 79. Sitzung am 30. August 2019 zur Beratung in den Ausschuss für Bildung und Kultur überwiesen.

Die Fraktion DIE LINKE fordert mit ihrem Antrag die Landesregierung auf, eine Kommission aus Vertretern der Kirchen, der Landesregierung und der Landtagsfraktionen einzurichten. Die Kommission soll die Modalitäten zur Umsetzung des Verfassungsauftrags aus Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 138 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung aushandeln.

Sie soll insbesondere den Umfang des im Rahmen der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts im Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts enteigneten Kirchenbesitzes und der seither geleisteten Entschädigungen evaluieren und einen Vorschlag zur Ablösung der Staatskirchenleistungen erarbeiten. Das Verhandlungsergebnis der Kommission soll dem Landtag zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Die Staatskirchenverträge sollen entsprechend novelliert werden.

Die antragstellende Fraktion ist der Meinung, dass der Verfassungsauftrag aus dem Jahr 1919 jetzt umgesetzt werden sollte, da sich mit der einhergehenden Dynamisierung der Staatskirchenleistungen für den Landeshaushalt auch eine in der Zukunft kaum planbare finanzielle Belastung ergebe.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Ausschuss für Bildung und Kultur hat den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der 42. Sitzung am 6. Dezember 2019 erstmalig auf die Tagesordnung genommen, um sich zum weiteren Verfahren zu verständigen. Im Rahmen dieser Verständigung wurde vonseiten der Koalitionsfraktionen vorgeschlagen, den Antrag im dritten oder vierten Quartal 2020 inhaltlich zu behandeln. Die Fraktion DIE LINKE machte deutlich, dass dieser Vorschlag darauf hinausliefe, dass der Antrag in dieser Legislaturperiode nicht mehr abschließend behandelt werden würde. Im Ergebnis stellte der Ausschuss für Bildung und Kultur in Aussicht, das Thema möglicherweise auch vor dem dritten oder vierten Quartal zu beraten.

Die im Ausschuss für Bildung und Kultur vertretenen fachpolitischen Sprecher der Fraktionen verständigten sich am Rande der Landtagssitzung am 9. Juli 2020 darauf, über den vorgenannten Antrag in der 51. Sitzung des Ausschusses für Bildung und Kultur am 28. August 2020 zu bera

ten und gegebenenfalls eine Beschlussempfehlung an den Landtag zu erarbeiten.

Zu Beginn der 51. Ausschusssitzung beantragten die Koalitionsfraktionen, das Thema von der Tagesordnung abzusetzen, da innerhalb der Koalition noch Abstimmungsbedarf bestehe. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung)

Fragen sehe ich nicht. Dann danke ich Frau Hohmann für die Berichterstattung. - Wir steigen jetzt in die Debatte der Fraktionen ein. Es ist eine Redezeit von drei Minuten je Fraktion vorgesehen. Die Landesregierung verzichtet auf einen Redebeitrag. Für die CDU spricht jetzt der Abg. Herr Schumann. Herr Schumann, Sie haben das Wort.

Danke schön, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist das gute Recht der Opposition, von ihren in der Verfassung und den daraus abgeleiteten Rechtsnormen niedergeschriebenen Rechten ausdrücklich und wirkungsvoll Gebrauch zu machen. Sie, meine Damen und Herren von der LINKEN, haben mit Ihrem Berichterstattungsverlangen davon Gebrauch gemacht. Das ist richtig.

Vor Monaten haben wir hier im Hohen Haus betont, dass die Kirchen offen und gesprächsbereit sind. Herr Gallert, Sie haben mich jetzt ein bisschen überfahren. Ich bin überrascht, dass Sie die Gespräche schon vorab oder als stellvertretender Landtagspräsident geführt haben. Ich finde es gut, dass man im Gespräch ist. Auch unser Fraktionsvorsitzender hat die Gespräche geführt.

Uns ist klar, dass hier etwas passieren muss. Zum Beispiel muss über die 5 % Prolongation, die nur für unser Bundesland noch enthalten ist, gesprochen werden. Aber ich kann Ihnen auch ganz klar sagen: Meine Fraktion ist bereit, über alle Fragen in diesem Zusammenhang zu sprechen. Wir sind aber skeptisch, dass die Finanzierung der Kirchen in gewisser Weise - wie soll man sagen - in Gefahr gebracht werden könnte. Wir als CDU stehen nämlich eindeutig zu der bisherigen Praxis und daran wackeln wir nicht. Wir stehen zur evangelischen und zur katholischen Kirche.

(Zustimmung)

Wir sind bereit, Gespräche zu führen. Die Staatskirchenleistungsverträge sollten aber, wie die Kirchen auch in unseren Gesprächen betont haben, bundesweit einheitlich geregelt werden. Darauf drängen die Kirchen. Wir brauchen eine bundesweit einheitliche Regelung, keinen Sonderweg in Sachsen-Anhalt. Aber Sie haben recht, wir müssen Gespräche führen. Und dazu sind wir bereit. - Vielen Dank.

Herr Schumann, einen Moment, Herr Gallert hat sich zu Wort gemeldet. - Herr Gallert, Sie haben das Wort.

Herr Schumann, nicht dass Irritationen auftreten. Die Gespräche, die ich mit den Vertretern von Kirchen geführt habe, habe ich als religionspolitischer Sprecher meiner Fraktion geführt, nicht als Vizepräsident - das hätte ich nicht gedurft.

Diese Gespräche habe ich geführt, bevor wir diesen Antrag eingebracht haben. Sie waren übrigens zum Teil sehr dankbar dafür, dass ich mit ihnen vorher beredet habe, was ich hier machen werde. - Das zum einen.

Zum anderen ist es ein bisschen missverständlich, wenn Sie sagen: Sie stehen eindeutig zur bisherigen Praxis. Dann muss ich sagen, diese bisherige Praxis muss abgelöst werden. Das steht so in der Verfassung. Dann müssten Sie schon sagen, worüber Sie reden wollen, wenn Sie sowieso nichts ändern wollen.

Der andere Satz von Ihnen war: Im Bund müssen die Regeln geschaffen werden. Ein Gesetzentwurf liegt vor. Wie steht denn die Bundestagsfraktion der CDU dazu?

Herr Schumann, Sie haben das Wort.

Ich habe mit meinen Bundestagsabgeordneten noch nicht darüber gesprochen. Aber um ehrlich zu sein, sehe ich persönlich die Gefahr, dass die Kirchen vor riesengroße weitere Probleme gestellt werden. Wir leben hier in der Diaspora. Bei uns gibt es ohnehin wesentlich weniger Kirchenmitglieder als in anderen Bundesländern. Die Kirchen, die schon damit zu tun haben, haben auch große Probleme mit ihren Bauten. Vielleicht können wir andere Wege finden, die Kirchen auf eine Weise zu entlasten und auf andere Weise zu einer Lösung zu finden. Aber die findet man natürlich nicht in diesem Hause, sondern das kriegt man nur durch Gespräche hin.

Weitere Fragen sehe ich nicht. Dann danke ich Herrn Schumann für den Redebeitrag. - Für die AfD-Fraktion spricht der Abg. Herr Dr. Tillschneider.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der LINKEN mit dem Titel „Verfassungsauftrag wahrnehmen - Staatskirchenleistungen ablösen“ steht heute auf der Tagesordnung, weil er im Ausschuss entgegen der ursprünglichen Überweisung nicht behandelt wurde. Aber ob er behandelt wurde oder nicht, ist gleichviel; denn kein Vorschlag der etablierten Parteien rüttelt an dem Dogma, dass es eine entschädigungslose Einstellung dieser Leistungen nicht geben darf. Dabei wäre genau das, die entschädigungslose Einstellung, die einzige Lösung, die infrage kommt.

Zwar legt Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung fest, dass die Staatsleistungen abzulösen sind - und Ablösung ist per Definition die einseitige Aufhebung eines Rechts gegen Entschädigung -, wie aber der Jurist Christian Seiler betont, steht der Begriff Staatsleistung für ein Sammelsurium, worunter Leistungen fallen, die der Staat den Kirchen mittlerweile aus freien Stücken gewährt, Leistungen, die als Ersatz für ursprüngliche Staatsleistungen neu vertraglich vereinbart wurden und damit gegen den Ablöseauftrag der Verfassung verstoßen.

Das haben Sie nicht verstanden, denn der Neuabschluss eines Vertrags ist etwas anderes als die Aufhebung. Die Ablösung ist die Aufhebung eines Rechts gegen Entschädigung. Das ist etwas anderes als ein Neuabschluss.

Schließlich haben wir auch noch die alten altrechtlichen Staatsleistungen, die gibt es nämlich im Westen noch. Es ist nicht alles nach 1945 neu begründet worden. In diesem Gestrüpp findet sich niemand mehr zurecht. Dieser Gordische Knoten verlangt danach, zerschlagen zu werden. Diese Leistungen sind ein Überrest des Staatskirchentums und gehören endlich abgeschafft.

Es kann doch nicht sein, dass der deutsche Staat den Kirchen bis in alle Ewigkeit die Einnahmen der vor über 200 Jahren enteigneten Güter garantiert. Wenn das die Entschädigung für eine Enteignung wäre, dann würde wohl jeder Immobilieninvestor darum betteln, enteignet und entschädigt zu werden. Hätte er dann doch völlig sorgenfrei auf ewig ein garantiertes Einkommen, das er andernfalls nur unter Eingehung von unternehmerischen Risiken und erheblichem Verwaltungsaufwand erreichen könnte.

Die Kirchenlobby hätte natürlich gern eine solche ewige Rente, als die man die Staatsleistung auch bezeichnet. Aber mit Recht und vor allem Gerechtigkeit hat das nichts mehr zu tun. Die Zahlungen, die sich im Laufe von 200 Jahren angesammelt haben, übersteigen mittlerweile den Wert der ursprünglich enteigneten Güter um ein Vielfaches.

Im Laufe der Geschichte, in der eine Folge von verheerenden Kriegen, Staatszusammenbrüchen, Systemwechseln, Währungsreformen und Revolutionen über Deutschland hinweggegangen ist, wären diese Güter auch bei weiterem Verbleib im Eigentum der Kirche untergegangen oder doch so weit umgewandelt worden, dass von ihrem Bestand nicht mehr ausgegangen werden könnte. Die Kirche kann mithin heute, 200 Jahre danach, vernünftigerweise keinen Anspruch mehr darauf haben, für diese Enteignung entschädigt zu werden.

Während sich im Jahr 1803 das Staatsvolk und das Kirchenvolk noch deckten, sind heute nur noch knapp die Hälfte der Deutschen Kirchenmitglieder. Die Zahl der Kirchgänger liegt unter 7 %, aber alle tragen über das Steueraufkommen zur Staatsleistung bei. Das geht beim besten Willen nicht. Die Geschäftsgrundlage ist weggefallen - die Staatsleistungen sind einzustellen, vielleicht nicht von heute auf morgen, aber in einem Übergangszeitraum. Jedenfalls sind 200 Jahre genug gezahlt. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zuruf)

- Nein, Moment. Stopp, stopp! - Darf ich kurz auf diesen Zwischenruf antworten?

(Zuruf)

- Nicht „ganz leise“. Der Einwand kam nämlich auch in Diskussionen in der AfD-Bundestagsfraktion. Dort haben wir jetzt ein Rahmengesetz vorgelegt, das nämlich diese entschädigungslose Einstellung vorsieht. Auch da kam der Einwand: Ihr macht die Kirchen kaputt; sie gewährleisten doch, dass unsere Kultur besteht; sie sind ein Bollwerk gegen den Islam. - Unsinn! Sie sind Türöffner und sie sind Zersetzer und sie bewahren überhaupt nichts mehr. Die Kirchen haben überhaupt kein konservatives Element mehr.

(Zuruf)

Herr Zimmer, dann melden Sie sich zu Wort.

Die Kirchen beschleunigen den gesellschaftlichen Niedergang. Das ist die Wahrheit. Deshalb verdienen sie keinen Cent Staatsgeld mehr.

(Zustimmung - Zuruf: Sie beschleunigen den Niedergang! - Zuruf)

Herr Zimmer, Sie hätten sich zu Wort melden müssen. - Ich sehe keine Fragen. Dann danke ich Herrn Dr. Tillschneider für seinen Redebeitrag. - Für die SPD spricht die Abg. Frau Dr. Pähle. Frau Dr. Pähle, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Vizepräsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Kollege Gallert,